
KAPITEL ZWANZIG
„Sir Dirick, wollt Ihr nicht ein wenig auf der Laute für uns spielen?“, fragte Lady Gladys und schaute ihn dabei kokett lächelnd über den Rand ihres Weinkelches an. „Ihre Majestät lobt Euer Talent immerzu.“
Er zwang sich den Blick von dem Eingang zu der großen Halle wegzulenken. Warum war Maris nicht bei Tisch gewesen, heute Abend? „Ja, Mylady, mit einer solchen Inspirationsquelle beschenkt, wer würde da nicht ein Talent entwickeln.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das er nicht wirklich empfand, als er der Gans, die ihm ein Page darbot, eines ihrer Beine ausriss. Das Bein löste sich leicht aus dem gebratenen Wildvogel, die Säfte rannen herab in den Holzteller, den er mit Lady Gladys teilte. „Wünscht Ihr etwas davon zu kosten?“, fragte er und vermied es, sich festzulegen, was ihren Wunsch betraf.
„Sehr gerne, Mylord, da Ihr es so galant kredenzt.“ Sie warf ihm einen koketten Blick zu, dem es nicht gelang, auch nur die kleinste Reaktion bei ihm hervorzurufen, und brach sich ein kleines Stück von dem Brot auf dem Teller da ab.
Selbst als er seiner Tischdame das Fleisch reichte, wanderten Diricks Blicke durch den Raum, erneut auf der Suche nach der abwesenden Maris. Er suchte und fand Lord Victor und seinen Vater, die ein paar Tische weiter entfernt vom königlichen Ehrentisch saßen als er selbst. Ihre Anwesenheit nahm seiner Sorge zumindest etwas den Stachel, warum Maris nicht bei Tisch hier erschien. Aber gerade als er sich den Wein an den Mund führte, bemerkte er einen Mann, der fast ganz hinten in der Halle saß, wo nur Ritter niedersten Ranges ihren Platz fanden. Dirick erstarrte und setzte den Weinkelch wieder auf dem Tisch ab – und erhob sich jetzt zu voller Länge aus lauter Überraschung. Ja, das war er. Bon de Savrille.
Der Hund hätte seines Lehens enthoben werden sollen, nach seiner Entführung der Lady Maris, aber der König musste das noch tun – eine Tatsache, die Dirick ganz außerordentlich verärgerte.
Und was um Himmels Willen tat der Mann nun hier, wo er doch schon zwanzig Jahre lang nicht mehr bei Hof gewesen war? Dirick war sich sicher, dass er die Antwort kannte.
„Was ist mit Euch, Sir Dirick?“, fragte Gladys ihn neben sich.
Er hörte sie kaum, als er über die Sitzbank stieg, sie kaum eines Blickes würdigte, als er ein „Verzeiht, meine Damen“ in die gesamte Tischrunde warf und hastig um einen Pagen herum ging, der einen Krug mit Wein in Händen hielt.
In wenigen Augenblicken stand Dirick schon an der Seite von Bon de Savrille und beachtete das überraschte Gemurmel am Tisch des anderen Mannes nur wenig, das sein urplötzliches Erscheinen hinter ihnen auslöste. „Was tut Ihr hier?“, fragte er aufgebracht und legte eine Hand schwer auf Bon de Savrilles weiche, breite Schulter.
Der andere Mann drehte den Kopf mühsam nach hinten und fiel dann vor Überraschung fast von der Bank. „Ihr!“
Dirick nahm seine Hand nicht weg. Stattdessen ließ er sie herabgleiten und packte nun fester am Oberarm Bons zu und zwang ihn von seinem Platz beim Abendessen weg. „Was habt Ihr mit ihr gemacht?“
„Nehmt Eure Hände von mir“, knurrte Bon wütend, der viel Aufhebens darum machte, sich Brotkrumen von seiner Tunika zu wischen. Als er damit fertig war, seine Kleider in Ordnung zu bringen, hielt er einen Dolch in einer Hand.
Dirick erstarrte. Das Blut pumpte ihm durch den Körper und ihm wurde bewusst, dass die Aufmerksamkeit von mehreren Rittern an dem Tisch nun auf ihnen lag. Ein Blitzen von Stahl funkelte in dem Licht der Fackeln, ganz schwach nur, während Bon ihm die Waffe ganz ruhig unter die Nase hielt. Dirick zwang sich normal zu atmen und versuchte wieder so weit Herr seiner sieben Sinne zu werden, dass er den Griff des Messers anschauen konnte, das der kampfbereite Mann vor ihm so fest gepackt hielt.
„Was sagtet Ihr, Sir?“, verhöhnte ihn Bon. „Ihr verlangt Antworten von mir, wo Ihr es doch wart, der sich meine Gastfreundschaft unter falschem Vorwand erschlichen hat.“
Dirick riss plötzlich den Blick von Bon weg, hin zu einem Punkt hinter diesem und streckte die Hand aus, als wolle er etwas fangen. Die List erfüllte ihren Zweck und der andere Mann wurde abgelenkt, was ihn dazu brachte, nur den Bruchteil eines Augenblicks den Blick weg von Dirick wegzulenken. Es reichte vollauf, um Dirick seinen Plan in die Tat umsetzen zu lassen, als er mit dem Knie zu einem mächtigen Schlag ausholte, Bons Handgelenk rammte und den Dolch scheppernd über den Boden fahren ließ. Er trat näher an Bon heran, der Mund eine harte Linie und murmelte zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, „was habt Ihr mit ihr gemacht?“
Bon packte Dirick vorne an der Tunika und schob ihn zur Seite. „Lasst mich in Ruhe mein Mahl beenden.“
Bevor Bon an seinen Platz zurückkehren konnte, packte ihn Dirick an der Schulter und zerrte ihn rücklings zu sich. „Wo ist Lady Maris?“
„Lasst ab, Krummschwanz.“ Er streifte Diricks Hand weg und holte zum Schlag aus.
Dirick duckte sich und war sich bewusst, dass jetzt noch mehr Leute herschauten. Er packte Bons Tunika und zerrte ihn an sich, so dass sie jetzt Brust an Brust standen. Der Gestank von Ale blies ihm da ins Gesicht und Dirick konnte ein Stück Fleisch erkennen, das Bon vorne zwischen zwei Zähnen steckte. „Bei den Gebeinen Jesu, Mann, sagt mir, was Ihr mit Lady Maris gemacht habt.“
Bon gelang es, ihn mit einer kräftigen Bewegung von sich zu stoßen, und Dirick kam aus dem Gleichgewicht. „Ich habe Euch nichts zu sagen, Kerl, das ich nicht mit dem Stahl meines Dolches sagen könnte. Und damit gebe ich Euch gerne Antwort.“
„Ich schwöre, wenn Ihr ihr ein Haar gekrümmt habt, werde ich Euch zu Hackfleisch–“
„Es trifft sich wohl ausgezeichnet, dass meine Haare keinen Schaden genommen haben“, ertönte eine liebliche Stimme hinter ihm, „ansonsten würde das Mahl Seiner Majestät gewisslich verdorben sein, bei so viel blutrünstiger Gewalt.“
Dirick ließ Bon da fahren und drehte sich, um Maris zu erblicken, mit Raymond und einem weiteren Soldaten an ihrer Seite – und mit einem amüsiert zuckenden Mund. Sie war unversehrt, merkte er sogleich, und sie verlachte ihn auch mit diesen wunderschönen grünen und goldenen Augen. Verlachte ihn.
Zornesröte stieg ihm da ins Gesicht und ihm ging auf, dass noch mehr Schaulustige hinzugetreten waren, um der Auseinandersetzung zu folgen, und dass sogar der König und die Königin schon herblickten. Die Halle, die sonst so laut war, dass selbst das Bellen eines Hundes oder das Herunterfallen eines Tellers nicht gehört wurde, war jetzt so still, wie es in einem überfüllten Saal nur möglich war.
„Mylady.“ Er verbeugte sich steif und schaute Maris nicht direkt in die lachenden Augen. „Ich bin nur froh Euch wohlauf zu sehen.“ Er bückte sich, um Bons Dolch aufzuheben, wobei ihm der einfache Holzgriff auffiel, und gab ihn dem anderen Mann wieder. „Wohlauf. Und so soll es ihr auch weiterhin ergehen“, sprach er und bohrte seine Augen in den finsteren Blick des anderen Mannes.
Als er die Worte sagte, wandten die anderen Gäste ihre Aufmerksamkeit wieder dem Essen zu, als ob dieses Schauspiel niemals stattgefunden hätte. Nach einem kurzen Blick zu Maris hin, die ihn weiterhin mit unergründlicher Miene betrachtete, drehte Dirick sich um, um wieder seinen Platz vorne in der Halle einzunehmen.
Irgendwie hörte er inmitten all des Lärms, der sich nun wieder über den Tischen der Gäste ausbreitete, wie sie aufkeuchte. Er wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie Bons Dolch auf ihn niedersauste. Ganz automatisch hob Dirick den Arm und die Klinge, die für seinen Rücken bestimmt gewesen war, zerschlitzte die Wolltunika an seiner Schulter und stach dort hinein. Mit einem wütenden Schrei stürzte er sich auf Bon und stieß ihn zu Boden.
Er kniete über dem untersetzten Mann, wobei er einen fetten Arm zu Boden in das frische Stroh dort drückte und mit dem anderen kämpfte, um den Dolch zu fassen zu bekommen.
„Ich hatte noch nicht“, keuchte er, „die Gelegenheit mich für die Gastfreundschaft zu bedanken, die–“, Diricks Worte wurden durch einen Tritt mit dem Knie unterbrochen, das sich ihm in die Rippen bohrte, aber dieser Angriff kostete Bon den Dolch. „–zu bedanken, die Ihr Lady Maris habt angedeihen lassen.“
Das kurze, heftige Ringen der beiden endete mit der Klinge gefährlich nahe an Bons Hals und einer Traube aus Männern, die sich um sie scharten. Dirick kam da wieder auf die Beine, etwas außer Atem, aber doch angenehm aufgerüttelt von der plötzlichen Wendung und dem Kampf. „Geht mir aus den Augen, andernfalls werde ich Euch das zuvorkommende Verhalten, das Ihr Lady Maris angedeihen habt lassen, mit gleicher Münze zurückzahlen. Und wisst – Ihr müsst nicht ängstlich nach hinten schauen, Bon de Savrille, denn wenn ich Euch holen komme, so wird da keine Heimlichtuerei im Spiel sein.“
Das Gesicht verzerrt vor Wut kam auch Bon jetzt wieder hoch und schob sich durch die Menge der Schaulustigen. Und wie der Kampf sich verflüchtigte, so auch die Zuschauer, die wieder zu dem unterbrochenen Mahl zurückkehrten, mit all der Gelassenheit derer, denen solche Zwischenfälle bei Tisch schon längst zur Gewohnheit geworden waren.
„Ihr müsst von nun an in dunklen Gängen gut Acht geben“, murmelte eine Stimme hinter Dirick.
Er drehte sich zu Maris. Ihr spöttisches Lachen war nun einem besorgten Runzeln auf ihrer Stirn gewichen. „Der Mann ist ein Hanswurst“, sagte er verächtlich. Sie stand nahe bei ihm, ihr langer Ärmel streifte den Saum seiner Tunika und er wich nicht zurück.
„Ah, er mag ein Hanswurst sein, aber er ist es, der hier unverletzt davonspaziert, und Ihr seid es, der die Wunde hat.“ Sorge verbarg sich hinter ihrer unbekümmerten Art, als sie sich auf Zehenspitzen stellte, um sich seine Schulter zu betrachten. Dirick wurde sich bewusst, wie das Blut zunehmend einen feuchten Fleck bildete und auch dass da ein Schmerz immer stärker pochte. „Kommt, ich werde mir Eure Blessur anschauen, da Ihr Euch um meinetwillen zum Narren habt machen lassen.“
Ihre kurz angebundene Stimme legte einen Dämpfer auf die Zärtlichkeit, die ihr vielleicht in den Augen gelegen hatte, und Dirick empfand eine seltsame Verärgerung. „Nein, meine Dame, ich will Euch nicht dem Mahl fernhalten.“
Maris hob eine Augenbraue, als sie zu ihm hochschaute. „Mir ist der Appetit vergangen, da Euer Reden von Blutvergießen mir die Lust auf Speisen gründlich verdorben hat. Kommt, wenn meine Heilkünste gut genug für die Königin sind, dann kann ich Euch doch wahrlich keinen Schaden zufügen. Und während Ihr hier stehen bleibt und weiter zaudert, wird Eure Tunika restlos ruiniert!“
Er murmelte, dass sie ihm sehr wohl Schaden zufügen könnte, da er sich noch gut an eine Nacht fürchterlicher Pein auf einem kalten Steinboden erinnern konnte, aber letzten Endes folgte er ihr dann zum Saal hinaus. Sir Raymond blieb ihnen dicht auf den Fersen, als Maris voranging, in Richtung des Haupteingangs und zur anderen Seite von Westminster hin.
„Ich werde auf Eure Herrin Acht geben, Raymond, Ihr könnt zur Halle zurückkehren, um dort zu Abend zu essen.“ Der andere Mann achtete gar nicht auf Diricks Worte, als Maris kurz stehenblieb und ihm einen kühlen Blick zuwarf. „Meine Männer nehmen nur Befehle von mir entgegen, Sir Dirick.“ Dann wandte sie sich Sir Raymond zu. „Nichtsdestotrotz hat der Mann Recht. Raymond, Ihr könnt umkehren und Euch zu den anderen bei Tisch gesellen. Auch wenn er eine verwundete Schulter hat, so schwöre ich, Sir Dirick wird nicht zulassen, dass mir ein Leid geschieht.“
„Mylady“, setzte Raymond zögerlich an und räusperte sich dann erneut. „Aber Lady Maris, Ihr dürft ihn nicht in Euer Gemach mitnehmen! Es würde noch mehr Öl auf die Flammen gießen, die man dort hinten schon entfacht hat!“
Maris schüttelte den Kopf, „Agnes erwartet mich – wir werden nicht alleine sein. Ich werde ihm einen Umschlag bereiten und dann seiner Wege schicken, bevor irgendjemandem etwas auffällt. Jetzt geht schon.“
Auf dem langen, noch verbleibenden Weg bis zu ihrem Gemach schwiegen sie. Als sie vor der schweren Eichentür anlangten, öffnete Dirick und ging vor ihr hinein.
Maris stand auf der Türschwelle und schaute ihm zu, wie er den Raum mit einem scharfen Blick erfasste. Sein Blick wanderte von dem brennenden Feuer zu den Truhen, die ordentlich an einem kurzen Stück Wand aufgereiht standen, zu dem schmalen Bett, auf dem sich ein Haufen Kissen stapelte, aus ihrem eigenen Schlafzimmer auf Langumont.
„Eure Zofe ist nicht hier.“ Er war wieder bei der Tür angelangt und stand halb drinnen im Zimmer, halb draußen.
„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie hier wäre“, sprach sie und wischte seine Sorge mit einer Handbewegung fort. „Kommt herein.“
Sie schloss die Tür hinter ihnen und schob ihn sachte beiseite. Dann kniete sie vor einer Truhe nieder, löste die Lederriemen darum und hob den Deckel der Truhe an. Als sie in den Tüchern und kleinen Beuteln herumwühlte, fiel der Saum ihres Schleiers nach vorne und verfing sich in den Dingen in der Truhe. Mit einem verärgerten Murmeln riss sie ihn sich vom Kopf und gab damit den Blick auf vier dicke Zöpfe frei, die man ihr hoch oben auf dem Kopf aufgetürmt hatte. Sie warf den Schleier zur Seite und kramte erneut tief unten in der Truhe und brachte schließlich einen kleinen Lederbeutel zum Vorschein. Sie legte ihn beiseite, suchte noch weiter und zog ein kleines Viereck von gefaltetem Tuch hervor.
Als Maris sich wieder erhob, erblickte sie Dirick, wie er im Feuer stocherte. Mit dem Rücken zu ihr. Der dunkelrote Fleck an seiner Schulter hatte sich weiter ausgebreitet, aber so, dass kein Anlass zur Beunruhigung bestand. Sie streckte die Hand aus, um den Stoff von der Wunde zu ziehen, aber er bewegte sich genau in dem Augenblick, als sie ihn berührte. „Ihr müsst Eure Tunika und Euer Hemd ablegen“, sprach sie zu ihm.
Er zögerte, als sein Blick auf ihrem unbedecktem Haar ruhte und dann runter auf ihre Hände fiel, die den Lederbeutel hielten. „Ja.“
Sie wartete noch einen Augenblick, aber als er sich nicht rührte, trat sie auf ihn zu. „Bereitet es Euch Schmerzen, Euch zu bewegen? Lasst Euch von mir helfen.“
„Nein.“ Er gebot ihr Einhalt. „Es bereitet mir keine Schmerzen, oder nicht viel. Vielleicht–“, er streckte den Kopf etwas merkwürdig zur Seite, verdrehte sich, um den Blutflecken zu betrachten, „vielleicht hat es aufgehört zu bluten und ich brauche keine Behandlung.“
„Dirick, seid kein Narr. Der Stahl ging tief genug und ich habe schon kleinere Wunden sich entzünden und eitern sehen. Legt die Tunika ab und ich werde nach der Wunde sehen.“ Sie machte Handzeichen zu einem dreibeinigen Schemel vor der Feuerstelle. „Ihr müsst Euch setzen, da ich es sonst nicht gut sehen kann, groß wie Ihr seid.“
Maris schaute ihn grimmig an, bis er nachgab und sich langsam aus der Tunika heraus kämpfte. Als er auf dem Schemel saß, nur in ein dünnes Leinenhemd und Beinkleider gekleidet, drehte sie sich um, um noch eine Kerze zu suchen. Sie entzündete den Docht und stellte sie auf einer der Truhen ab, von wo aus sie reichlich Licht auf seine Schulter fallen lassen würde. Dann tat sie etwas Wasser in einen kleinen Topf, der über dem Feuer hing. Schließlich schaute sie wieder zu ihm hin, gerade als er sich das Leinenhemd über den Kopf zog.
Ihr Atem stockte, ging viel rascher und setzte dann ganz aus, als sie seinen glatten, muskelbepackten Rücken und die breiten Schultern nackt sah. Sie musste aufgekeucht haben, denn er wandte seine Aufmerksamkeit vom Feuer weg, um sie hinter halbgeschlossenen Lidern zu beobachten.
Einen kurzen Moment lang konnte sie nicht sprechen. Das Feuer legte ihm spielerisch goldene und rostbraune Schatten über die Flächen seiner Arme, streichelte ihn dort an der Vertiefung seiner Schulter und dem tiefen Punkt an seinem Schlüsselbein. Es tauchte die gelockten Enden seines dichten Haars wie in Sonnenlicht, legte sich weich über die hervorstehenden Wangenknochen und über das markante Kinn. Schatten vermischten sich mit dem dichten Haarbewuchs, dort, an der breitesten Stelle seiner Brust, hinab ... hinab zu einem Ort, den sie nicht sehen konnte ... dort, wo starke, muskulöse Arme zwischen seinen Knien ruhten.
Sie hatte schon so manchen nackten Oberkörper gesehen bei ihrer Arbeit als Heilerin und auch als Lady von Langumont. Aber sie hatte nicht erwartet, dass dieser hier sie derart ... aufwühlen ... würde.
Maris zwang sich dazu, wieder ruhig zu werden. „Ah, die Stichwunde – es ist schlimmer, als ich dachte.“ Sie ging auf ihn zu und er drehte sich wieder um, um ins prasselnde Feuer zu schauen. Sie hatte zahllose Verletzungen der gleichen Art behandelt. Der einzige Grund für ihre plötzliche Nervosität war, dass sie miteinander alleine in ihrem Zimmer waren. Sie schob diesen Gedanken beiseite und beugte sich vor, um die Wunde zu untersuchen.
Kaum ruhte ihre Aufmerksamkeit auf ihm, ging ihr auch auf, dass dies keinem der Male zuvor glich. Er war nicht nur ein Patient für sie, eine Wunde, die man heilen musste, ein bisschen Haut, das man reinigen musste.
Und der Gedanke machte, dass ihr alles umso bewusster wurde, bei all dem, was sie gerade dabei war zu tun.
Seine Haut war warm und angespannt, mit ein paar krausen Haaren über seine Schulter verstreut. Da waren noch viele, viele andere Narben, die zu blassen Rillen von Haut verheilt waren ... und manche, die rot oder fast lila waren, hässliche Zacken auf seinem Körper. Maris wollte sie alle berühren, über die Überreste von den Gefahren streicheln, die er im Dienste des Königs auf sich genommen hatte, um sich sicher zu sein, dass sie so gut verheilt waren wie nur möglich.
Ihre Hände zitterten, als sie über Diricks Schulterblatt strichen und dort eine Gänsehaut seinen Rücken überzog. Einer ihrer Zöpfe löste sich aus den Nadeln und Bändern und fiel ihm schwer gegen die Schulter und Dirick schreckte hoch, so dass der Zopf ihm am Rücken herabglitt und an seinem Rückgrat zu ruhen kam.
Sie spürte, wie er tief Luft holte, als sie die Wunde mit einem feuchten Tuch abtupfte und dann etwas fester daran rieb. Es war ein sauberer Schnitt von einem sehr scharfen Dolch, nicht tief genug, um die Sehnen zu durchschneiden, aber tief genug, um einige Zeit zur Heilung zu brauchen. Ein paar Fäden seines Hemdes hatten sich in dem geronnenen Blut da verfangen und Maris verwendete ein bisschen von dem sich gerade erwärmenden Wasser, um sie herauszuwaschen. Als sie sich immer mehr in ihre Arbeit vertiefte, schien er dies auch zu spüren und atmete da einmal tief und lang aus.
Als sie von seiner Seite wich, um den Umschlag vorzubereiten, setzte sich Dirick auf dem Schemel zurecht und beobachtete sie. Ihre Hände schienen auf einmal zweimal so groß und dreimal so geschwollen, da sie zum einen den Lederbeutel fallen ließen und dann nicht einmal den Knoten aufzubekommen schienen. Und als sie dann endlich eine Handvoll getrockneter Blätter von Färberginster hervorholte, gelang es ihr nicht, sie fest genug zu halten, und die Blätter verteilten sich überall über Tisch und Boden.
Sie murmelte leise grimmig zu sich selbst, als sie sich bückte, um das getrocknete Kraut aufzulesen, wobei sie Acht gab die zarten Blätter nicht noch mehr zu zerkrümeln. Bis sie alle Blätter in einer kleinen Holzschüssel wieder beisammen hatte, blubberte und dampfte das Wasser auf der Feuerstelle auch schon. Als sie einen Blick hinüber warf, um danach zu sehen, bemerkte Dirick dies und bot an, „ich hole das für Euch.“
Sie nickte und ging wieder an die Arbeit. Der getrocknete Ginster, früher einmal von einer hübschen blaugrünen Farbe, war nun zu einem stumpfen Schwarz verkrumpelt und zerfiel in der Schüssel zu Staub. Sie nahm aus einem anderen Lederbeutel eine Handvoll Kamille und fügte sie dem Ginster hinzu. Dirick stand neben ihr, in den Händen das heiße Wasser, und sie machte ihm Zeichen etwas davon zu den Kräutern zu tun. Er goss es vorsichtig ein, gab Acht, dass es nicht spritzte, und als das Wasser die Blumen und Blätter umströmte, entstieg der Schüssel ein scharfer aber angenehmer Geruch.
Maris strich an ihm vorbei, berührte dabei ganz leicht seinen nackten Arm, als sie nach dem rechteckigen Stück Stoff griff. Er erstarrte und trat beiseite, ihr aus dem Weg, und kehrte zu seinem Platz auf dem Schemel zurück. Sie rührte den Inhalt der Schüssel gut um, faltete das Tuch zu einem langen Streifen auseinander und wandte sich dann wieder ihrem Patienten zu. Es hatte fast aufgehört zu bluten, da war nur noch ein schwaches Tropfen und sie wusch die Wunde noch einmal aus.
Dann nahm sie sich ein flaches Instrument aus Holz zu Hilfe, um die Paste aus Kräutern und Wasser auszukratzen, und murmelte, „es wird warm sein.“ Dirick schreckte in der Tat hoch, als sie den Umschlag auf seine Verletzung legte, aber sie spürte, wie er sich entspannte, als die Wirkung der Arznei einsetzte und die Schmerzen schwächer wurden und gleichzeitig die Wunde sich reinigte. Maris legte ihm das Tuch über die Schulter und hob einen seiner schweren, muskulösen Arme hoch, um den Verband festzubinden.
Als dieser fertig war, klopfte sie sacht auf den Umschlag, um sicher zu sein, dass auch nichts von den Kräutern da ausfloss, und zurrte das Tuch dann fest.
Dann wollten ihre Hände aber nicht von ihm lassen: sie strichen über das dichte Haar an seinem Nacken, zogen ein paar Strähnen davon von unter dem Verband hervor und strichen dann über seine unverletzte Schulter. Diricks Brust schwoll an, als er einen einzigen, reichlich zittrigen Atemzug tat und dann blieb er ganz still sitzen.
„Ihr habt viele Wunden“, sagte Maris, während sie mit einem Finger über eine Narbe strich, dann über eine andere und noch eine ... seine Haut war warm und glatt, die leichte Gänsehaut tauchte überall da auf, wo sie ihn berührte.
„Und keine davon wurde mit so viel Umsicht bedacht wie diese hier.“ Seine Stimme war rau. Er reichte über die gesunde Schulter nach hinten und bekam da eine Hand von ihr zu fassen, die er nach vorne zog, wohin er den Kopf drehte, um ihr einen Kuss auf die Finger zu pressen, und dann drückte er ihre Hand fest gegen die Mitte seiner Brust...
Vorne war er ganz heiß, wegen des Feuers da in seiner Nähe. Sie streichelte mit der Hand durch das krause Haar, über die harten, hervortretenden Muskeln dort, strich über eine flache Brustwarze und tastete entlang dem Knochen, diese Kante, die ihm senkrecht in der Mitte herunterlief. Das Prickeln, das in ihren Fingern begann, strömte ihr plötzlich durch den gesamten Körper, bildete sogleich einen ganzen See in ihrer Mitte, der sie wärmte und ihr Innerstes aufwühlte. Ihre Brust hob sich, Brüste schoben sich gegen seinen Rücken und ihr Atem wurde flach und kam stoßweise.
Sie wollte mehr. Sie wollte alles von ihm.
Bei diesem Gedanken keuchte Maris auf, zog ihre Hand weg und tat einen Schritt nach hinten. Bevor sie etwas sagen konnte, um sich ihm zu erklären, fuhr Dirick vom Schemel hoch und drehte sich mit dunkel glitzernden Augen und einem angespannten Mund zu ihr um.
„Jesù, Maris“, hauchte er, als er die Arme nach ihr austreckte. Er war wunderschön, dunkel, männlich: bestand nur aus Muskeln und dichtem, wildem Haar, das sich vor dem flackernden Feuer scharf abzeichnete, als er dort hoch über ihr stand.
Sie wehrte sich nicht, als er sie an die ganze, harte Länge seines Körpers zog. Sie sank gegen ihn, ihre Hände an seinen Schultern, kippte den Kopf nach hinten, um seinen Kuss zu empfangen. Sein Mund bedeckte ihren, verzweifelt und hungrig, und Maris spürte, wie es sie in einen Strudel aus Hitze und Feuer hineinzog, und sie erwiderte seinen Kuss, vergaß, wo sie war und dass sie noch atmen musste...
Die Wärme seiner nackten Brust, das Gefühl von seinem drahtigen Brusthaar und der erhitzten Haut, dieses glatte Spiel seiner Muskeln ... alles an ihm drückte sich gegen sie, brannte sich durch den dünnen Stoff ihres Gewands. Ihre Brüste fühlten sich eingeengt an, drängten sich an ihn, ihr Innerstes war wie abgeschnürt und gleichzeitig geschwollen und feucht. Als sie eine Hand nach oben streckte, hinein in sein dichtes Haar und die andere runter auf seine Brust, löste er sich so weit von ihr, dass er auf sie hinab schaute.
Die Intensität in seinen Augen, das drängende Bedürfnis darin, machte, dass es ihr den Magen abschnürte. Sie begegnete seinem Blick, streckte die Hand nach oben, um seine geöffneten Lippen mit zitternden Fingern zu berühren. „Es ist nicht richtig“, flüsterte Maris mit schwacher Stimme.
Er umschloss ihre Hand mit seiner und drückte seine Lippen an die zarte Stelle ihres Handgelenks. Sein Mund schloss sich um die weiche Wölbung ihrer Handfläche, biss sie sanft, glitt mit zärtlichen Lippen über die Innenfläche ihrer Hand. Seine Zunge glitt hervor, um feucht und fest zwischen zwei Fingern durchzustoßen, und Maris schloss die Augen, taumelte gegen ihn, als ein scharfer Stachel der Lust sich wie ein Pfeil in ihren Bauch grub. Und noch tiefer.
Seine Hände umfassten ihre Schultern. „Ich will Euch“, seine Worte waren hervorgepresst, fast grob, als ob er sie sich aus dem Innersten seiner Selbst abringen müsste. „Ich habe keinen Anspruch auf Euch, aber der Herr steh mir bei, ich will Euch.“
Sie schüttelte mit dem Kopf, zwang sich dazu, sich von ihm zu lösen, trotz dieses Begehrens, das sie fast zerriss. „Nein. Ich darf Euch nicht geben, was des Königs ist.“
Seine Augen wurden auf einmal schwarz und sein Gesicht erstarrte, vor Schock ganz blass. „Heinrich?“
Maris begriff seinen Irrtum. „Nein, Dirick, Ihr habt mich missverstanden“, sie zog sich entschlossen aus seinen Armen, merkte dabei, dass ihr Atem zu rasch kam, zu schnell war, und dass alles in ihr, an ihr, von ihr, sich auf einmal einsam und verlassen fühlte. „Ich bin das Mündel des Königs, mit dem er tun kann, was ihm beliebt. Und morgen schon muss ich ihm die Treue geloben.“
Die Wut wich ihm wieder aus dem Gesicht. „Ich weiß.“ In seinen Augen funkelten immer noch das Begehren, als sein Blick über sie hinweg glitt. „Maris“, sagte er, leise und tief.
Sie musste sich abwenden, denn sonst hätte sie ihn zu dem Bett samt all seinen Kissen hinüber gezerrt. „Es ist mein Schicksal als Unterpfand benutzt zu werden, als eine Belohnung, mit der man zweifellos irgendeinen Baron, reich an Ländern, anlocken wird, der dem König nahe steht“, sagte sie bitter. „Und von allen Männern in diesem Königreich könnt Ihr das nicht werden, weil Ihr den großen Ländereien von Langumont nichts zu bieten habt.“
Dirick tat einen Schritt rückwärts, als hätte man ihn geschlagen. „In der Tat, es ist wahr, dass ich Euren großen Ländereien nichts zu bieten habe“, stieß er scharf hervor. „Und ich bezweifele, dass Ihr, wichtig wie Ihr seid, Euch dafür hergeben würdet, sich zu einem von einer so geringen Stellung wie der meinen herabzulassen, selbst wenn Ihr dem König keinen Gehorsam schulden würdet.“
Er schritt rasch zur Tür, hielt kurz an, um eine höhnische Verbeugung zu machen, bevor er sie öffnete. „Gute Nacht, Lady Maris. Und meinen Dank auch für Eure Dienste.“ Mit einer knappen Geste zu seinem Verband, machte er auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür hinaus.