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KAPITEL ELF

 

Dirick wischte die letzten Reste von Brühe mit Hilfe einer trockenen Brotkruste aus seinem Holznapf. Der Saal von Breakston war laut und schmutzig wie immer, und das Essen war in den fünf Tagen, die er dort verbracht hatte, nicht besser geworden. Er hatte vorgehabt Tags zuvor fortzugehen, aber nachdem er die Szene gesehen hatte, wo Berkle Bon seine schlechten Nachrichten überbrachte, hatte Dirick seine Meinung geändert. Er spürte, dass irgendetwas im Busch war und beschloss, noch für einen weiteren oder auch zwei Tage unter Bons Dach zu verweilen. 

Er hatte jedoch einen ungünstigen Tag ausgewählt, um auf Breakston zu bleiben, denn es war kalt und schneite draußen außerhalb der Burg und es gab nur wenig Zerstreuungen drinnen, außer nahe am großen Feuer zu sitzen oder sich mit den anderen Soldaten und Rittern dort Geschichten zu erzählen. Dirick brannte darauf, draußen zu sein, um sich im Schwertkampf zu üben und vielleicht mit Nick auszureiten, der genauso darauf brannte wie sein Herr, von Breakston fortzukommen. Aber wie die Dinge lagen, war es gerade mal Mittag vorbei und der Tag erstreckte sich schier endlos vor ihm. 

Er schob sich von dem grob gehauenen Tisch weg und schlenderte durch das vergammelte Stroh auf dem Boden. Einer der anderen fahrenden Ritter, der bei Bon beschäftigt war, winkte ihn an einen Schachtisch heran und Dirick nahm dankbar an. Sie hatten gerade alle Figuren aufgestellt, als ein großer Tumult im Schlosshof ausbrach. 

Bon sprang von der Bank hoch, auf der er während seines Mittagessens gesessen hatte. Sogar von der Ecke, in der er saß, konnte Dirick das aufgeregte Glitzern in seinen dunklen Augen erkennen. Er entschuldigte sich bei seinem Gegner im Schachspiel und stand vorsichtig auf und brachte sich unauffällig in der Nähe des Ehrentischs in Position. Eine Gruppe von Männern angeführt von Berkle stürzte da durch die schwere Eichentür, die etwas trugen, was wie ein langer, zusammengerollter Wandteppich aussah. Während Dirick verwundert zuschaute, bildete ein Dutzend der Soldaten einen Kreis um die Neuankömmlinge. Die Leibeigenen hielten sich im Hintergrund und starrten mit großen Augen herüber. 

Mit einer raschen Handbewegung zog Berkle an der Teppichrolle und ließ sie auf den Boden fallen. Sie rollte sich auf und eine Person – eine Frau – fiel heraus, die dort in einem Gewirbel von weißem Gewand und langen, dunklen Haaren in dem gammeligen Stroh landete. Man hatte ihr die Hände am Rücken zusammengebunden und sie lag jetzt auf einem Teppich aus dichtem Haar und dem Stroh der Halle. Als einer der Hunde herantrottete, um an ihr zu schnüffeln, zuckte sie zusammen. Sie trug ein dünnes Untergewand, das ihr bis oberhalb der Knie hochgerutscht war, als sie in dem kläglichen Haufen da zu liegen kam. 

Die versammelten Männer reagierten laut mit Gejohle und Pfeifen, aber die Frau bewegte sich nicht. „Ruhe“, schrie Bon seine Männer wütend an. „Ihr erweist meiner Braut den gebührenden Respekt.“ Das Brüllen und das Gelächter legten sich sofort. 

Das lange Haar verbarg ihr Gesicht, aber als Bon sich vorbeugte, um es nach hinten zu streifen, und eine vorwitzige Nase und sinnliche Lippen freilegte, erstarrte Dirick. 

Es war Maris von Langumont. 

Wie betäubt konnte Dirick sich noch davon abhalten, nach vorne zu springen, um sie vor den Männern um sie herum zu schützen. Dieser Augenblick, in dem er sich nicht vom Fleck rührte und so weiterhin unerkannt blieb, rettete ihm wahrscheinlich das Leben. Er konnte hier jetzt nichts ausrichten. Es war das Beste abzuwarten, zu beobachten und zuzuhören, bevor man handelte. 

Als Dirick darum kämpfte, sein Entsetzen unter Kontrolle zu bringen, während er zugleich seinem Schöpfer dankte, dass er beschlossen hatte, noch länger auf Breakston zu verweilen, half Bon äußerst besorgt Maris auf die Beine und zerschnitt das Seil, das ihre Handgelenke fesselte. 

„Seid willkommen auf meiner Burg, in meinem Zuhause, Mylady“, verbeugte er sich rasch vor ihr. 

Maris stand so aufrecht, wie es die steifen, zitternden Beine ihr gestatteten. Sie war verängstigt und erschöpft, ihr Herz hämmerte so laut: sie war sich sicher, dass es ein Echo in dieser Halle verursachte. Das Zittern ihrer Glieder machte es ihr fast unmöglich, zu ihrem eigenen Schutz ihre Selbstbeherrschung wiederzufinden, zumindest das Wenige, was ihr davon noch verblieben war. Das Untergewand, das sie trug, war aus feinstem Tuch gemacht und bot ihr nicht viel Schutz vor feindseligen oder neugierigen Augen, und so war sie dankbar für ihr langes Haar. 

„Warum habt Ihr mich hierher bringen lassen?“, fragte sie mit heiserer Stimme. Sie erkannte ihn sofort wieder, von seinem Besuch auf Langumont. 

Bislang hatte sie ihre Aufmerksamkeit noch nicht von Bon de Savrille weg hin zu der Menge der glotzenden Männer gelenkt, um diese genauer zu betrachten. Stattdessen zwang sie sich, dem Blick des bärtigen Mannes vor ihr standzuhalten, obschon sie von Furcht fast überwältigt wurde. 

„Mylady, ich habe Euch hierher bringen lassen, um Euch die Ehre zu erweisen, die Herrin auf Breakston zu werden“, erklärte Bon de Savrille ihr, als er seine Hand nach ihrer ausstreckte. 

Aber er erstarrte und schob zuerst eine dichte Locke ihres Haares beiseite, um sich auf ihrer linken Wange etwas anzuschauen, was wie ein großer blauer Fleck aussah. 

Er wirbelte zu Berkle herum, der Mann, der auch der Anführer der Gruppe war, die sie entführt hatte. „Ihr habt zugelassen, dass man meiner Frau Leid zufügt!“, de Savrille schrie und Spucke flog durch die Luft. „Ihr solltet dafür sorgen, dass ihr nicht ein Haar gekrümmt würde, das waren meine genauen Worte zu Euch, Ihr erbärmlicher, Katzen-lutschender Hurensohn! Werft ihn in den Kerker“, schrie er einen Wachmann neben sich an. 

Ein heftig protestierender Berkle wurde aus der Halle gezerrt und sofort nachdem er jenen Befehl ausgesprochen hatte, wandte sich ein wieder etwas ruhigerer Lord de Savrille Maris zu. Er machte eine überraschend unterwürfige Verbeugung. „Ich flehe Euch an, meine Entschuldigung anzunehmen für die schlechte Behandlung, die Euch meine treuen Diener angedeihen ließen.“ Er grinste Maris lüstern an, beugte sich nach vorne, um eine ihrer Hände mit seiner zu ergreifen und führte sie zu einem feuchten Kuss an seine Lippen. 

Maris hatte darum kämpfen müssen, bei Sinnen zu bleiben und sich einen Reim auf ihre missliche Lage zu machen, wobei sie gleichzeitig auch nicht die Fassung verlieren durfte. 

Gerade da, wie ihre Gedanken sich endlich entwirren ließen und klarer wurden, glitt ihr Blick über die Gruppe der Männer um sie herum. Sie blieben an einem Gesicht hängen, das ihr vertraut vorkam, aber nicht am rechten Platz schien ... und mit der Erkenntnis, dass Sir Dirick de Arlande mit ihrem Feind da in der Menge stand, wurde die Welt schwarz. 

Sie glitt zu Boden. In der ersten Ohnmacht ihres ganzen Lebens. 

 

 

~*~

„Herr!“, rief Ernest vom Wäldchen aus, als man ihn in die große Halle zu dem Podest führte. Zusammen mit seinen Gästen und seiner Frau war Merle dabei, das erste Brot des Tages zu brechen, nachdem er zuvor zur Frühmesse gegangen war. 

„Eure Lordschaft“, begann Gustave, der gemeinsam mit dem entsetzten Leibeigenen herangetreten war, „Ernest ersucht Euch um eine Audienz.“ 

In seiner Aufregung trat Ernest dem Hausmeier fast auf die Füße, so drängte es ihn, an den Tisch des Burgherren zu gelangen. Nachdem er sich kurz, aber ehrerbietig verneigt hatte, stotterte er in seinem gutturalen Englisch, dass er nicht nur den Leichnam von Lady Maris’ Zofe Verna, sondern auch den leuchtend blauen Umhang von der Lady zertrampelt im Schnee gefunden hätte. 

„Was sagt Ihr?“, brüllte Merle und stand alarmiert auf. Auch seine Worte waren Englisch und so entging ihre Bedeutung den übrigen Edelleuten dort am Tisch. 

„So ist es, Herr, es war ein rechter Schreck für mich, Herr, als ich dort auf den blutigen, verwüsteten Leib von Verna von Langumont traf. Kein Muckser oder Atemzug kam da von ihr mehr, so wahr ich hier stehe, das Weib ist tot. Und meine Lady Maris“, seine Augen wurden groß, „kein Anzeichen nich’ von ihr bis auf ihr’n Mantel, da wo der Weg hin’er meinem Haus ‘ne Biegung macht.“ 

„Gustave, lasst die Wachmänner von gestern Nacht kommen“, brüllte Merle da den Hausmeier an, als der unentschlossen herumstand. 

„Mylord, was ist mit Euch?“, rief Allegra ängstlich aus, mit einem vor Entsetzen gelähmten Gesichtsausdruck. Auch Victor und Michael d’Arcy hatten aufgehört zu essen. 

„Wisst Ihr, wo sich Maris an diesem Morgen gerade aufhält?“, fragte Merle seine Tischgenossen wütend. „Habt Ihr sie heute Morgen schon gesehen?“ 

Nacheinander schüttelte jeder einzelne von ihnen den Kopf. Allegras Augen waren jetzt weit aufgerissen und ihr Gesicht war so bleich wie der Schnee vor der Burg. 

Die Wachmänner von der Nachtschicht der vergangenen Nacht kamen eilig in die Halle gerannt, noch schlaftrunken und überrascht von dem Weckruf, halb angezogen und mit verstrubbeltem Haar. 

„Herr“, verneigte sich der Hauptmann der Nachtwache. „Womit kann ich Euch dienen?“ 

„Hat meine Tochter in Begleitung ihrer Zofe während Eurer Nachtwache die Burg verlassen?“ Die Frage von Merle kam schon hervorgeschossen, bevor der Man sich wieder aufgerichtet hatte. 

„Ja, Herr, sie sagte uns, man habe sie ins Haus von Ernest vom Wäldchen gerufen“, erklärte der Hauptmann, „er sei schwer verletzt.“ Sein Blick schweifte über Ernest und plötzlich zeichnete sich auf seinem Gesicht eine korrekte Einschätzung der Tatsachen ab. Er schaute wieder zu seinem Herrn, „sie wird vermisst?“ 

„So ist es“, sagte Merle, seine Stimme wurde bei seiner darauf folgenden, flehenden Bitte lauter und er schrie in die Halle, „hat niemand meine Tochter gesehen?“ 

Er erhielt nur ein Schweigen zur Antwort. 

Á Langumont!“, rief er und tat einen Schritt nach vorne, wobei er in seiner Eile fast den großen Tisch vor sich zum Umstürzen brachte. „Wir müssen mit der Suche beginnen, während die Spur ihrer Entführer noch frisch ist! À moi! 

„Mein Herr Gemahl“, Allegras Stimme zitterte und man konnte sie bei all dem Gebrüll der Männer, die zu den Waffen riefen, kaum hören. „Mylord!“ 

„Ich werde sie Euch unversehrt wiederbringen, seid Euch da gewiss“, sprach Merle zu seiner Frau, wobei ihm die Sorge das Gesicht in tiefe Falten legte, selbst in dem Moment noch, als er seinen Männern Befehle erteilte. 

„Aber Mylord, ich–ich glaube zu wissen, wohin man sie gebracht hat.“ Allegra zerrte am Ärmel seiner Tunika. „Es ist mein–mein Bruder–mein Halbbruder, Bon de Savrille.“ 

Sie war kaum imstande ihrer Kehle die Worte zu entringen. Merle erstarrte und drehte sich zu ihr um und war mit all seiner Aufmerksamkeit bei ihr, während sie stammelnd eine Schilderung von Bons Besuch von sich gab, auch mit seiner Drohung sich Maris zum Weib zu nehmen. 

 

~*~

Maris kam wieder zu sich, als man sie gerade eine lange Treppe hinauftrug. 

Da sie noch nie zuvor in Ohnmacht gefallen war, überkam sie kurz ein Anflug von Schmach, dass ausgerechnet sie solch weibliche Schwäche gezeigt hatte ... und verwarf das unangebrachte Gefühl dann aber sogleich, in Anbetracht ihrer wahrhaft misslichen Lage. 

Seltsamerweise war mit ihrer Ohnmacht auch die blinde Furcht von ihr gewichen und sie war nun in der Lage etwas gefasster nachzudenken. 

Der Volltrottel, der sie nicht allzu sanft die Treppe hochtrug, verschätzte sich in einer Ecke und eine ihrer Hände – immer noch eiskalt – schlug gegen die schwere Steinmauer. Sie musste unwillkürlich vor Schmerz laut aufstöhnen, aber zu ihrem Glück war niemand hinter ihr, der bemerken könnte, dass ihre Augen da kurz aufgingen. Sie beschloss sich so lange bewusstlos zu stellen, bis sie genug Zeit hatte wieder die Kontrolle über sich zu erlangen und mehr über ihre Lage in Erfahrung zu bringen. Schaut euch genau die Lage an, bevor ihr eine Strategie entwickelt, hatte ihr Vater stets zu seinen Pagen und Schildknappen gesagt, während ihrer langen Lehrjahre in der Kriegskunst. 

Es war jedoch schwerer sich für längere Zeit ohnmächtig zu stellen, als sie sich vorgestellt hatte ... ganz besonders, als man sie ohne viel Federlesens auf eine Art von Bett warf. Durch ihre fast geschlossenen Lider sah sie, dass der ungeschickte Tölpel, der sie so grob die Treppe heraufgetragen hatte, kein anderer war als ihr hoffnungsvoller Bräutigam – zumindest war er voll der Hoffnung dereinst ihr Gemahl zu sein. 

„Agnes“, brüllte er unvermittelt und Maris fuhr fast hoch vor Schreck bei dem lauten Geräusch. 

Es folgte ein raschelndes Geräusch, gefolgt von einer vor Angst fast piepsigen Stimme. „Hier, mein Herr.“ 

„Kümmere dich um meine Verlobte“, befahl Bon mit grober Stimme. „Sie ist von ihrer langen Reise geschwächt. Ich wünsche, dass man sie badet, kleidet und darauf vorbereitet, heute Abend Gast an meinem Tisch zu sein.“ Dann trat eine kurze Pause ein und dann, „und gib Acht, dass man sich ihrer Stellung gemäß gebührend um sie kümmert. Vergiss ja nicht, dass sie meine Gemahlin sein wird.“ 

Maris hielt die Luft an, als sie seine Gegenwart nah an ihrem Gesicht spürte. Eine große Hand ergriff die ihre, hob sie an trockene Lippen und einen etwas kratzigen Schnurrbart. „Bis später, Mylady“, murmelte er. Sie spürte, wie die Luft sich bewegte, als er herumwirbelte und das Zimmer verließ, wobei er noch brüllend nach heißem Wasser für ihr Bad verlangte. 

Sie sollte schon bald seine Frau werden. Maris unterdrückte ein angeekeltes Zittern bei dem Gedanken. Nicht, wenn sie da ein verdammtes Wörtchen mitzureden hätte! 

Vorsichtig lauschte sie, die Augen immer noch geschlossen, als Agnes überall im Zimmer geschäftig zugange war. Sie hörte, wie ruhig Befehle erteilt wurden, welche die Diener sogleich in die Tat umsetzten, die gerade übervolle Eimer von Wasser in das Zimmer brachten, zusammen mit Leintüchern und anderen raschelnden Dingen. 

Als sie dort still lag und lauschte, wirbelten ihr die Gedanken ungehindert im Kopf herum. 

Der größte Schock bei all dem war nicht die Entführung an sich – denn Bon de Savrilles Absichten lagen klar zutage –, sondern dass Dirick de Arlande hier war. Im Haus ihres Entführers. 

Tief in ihrer Magengrube – die im Grunde leer war, denn die Kost auf ihrer Reise hierher hatte aus wenig mehr als hartem Brot und altem Käse bestanden – verdrehte sich ihr alles vor Furcht und Wut. Hatte er sie und auch ihren Vater nur bezirzt, als Teil des Plans, sie für Bon de Savrille zu entführen? 

Jetzt ergaben viele Dinge auch einen Sinn, dachte sie und versuchte ihre Lippen davon abzuhalten, sich bitter zu verdrehen. Sein Schlachtross war viel zu gut und teuer, um nur einem fahrenden Ritter zu gehören ... und seine Kenntnisse über den Hof Heinrichs waren so vorzüglich, dass sie sich schon gefragt hatte, wie ein fahrenden Ritter aus Frankreich so viele Einzelheiten wissen konnte. Und Papa – wie auch sie selbst – hatten ihm aufs Wort geglaubt, ihn in ihr Zuhause eingeladen und ihn als Gast mit aller Ehre behandelt, während er die ganze Zeit über Intrigen gesponnen hatte, um sie für seinen Herrn zu entführen! 

Maris schluckte, während sie Tränen zurückhielt. Und er hatte sie sogar geküsst, hatte ihr das Gefühl gegeben, er– 

Nein. Da würde sie jetzt nicht mit ihren Gedanken verweilen. 

Endlich herrschte Stille im Zimmer. Maris hörte, wie sich die Tür schloss und auch das unverkennbare Geräusch von einem Riegel, der dort vor die Tür geschoben wurde. Sie war drauf und dran die Augen zu öffnen, als ein klitzekleines Geräusch ihr verriet, dass noch jemand im Zimmer war. 

„Herrin, Ihr könnt jetzt die Augen aufmachen“, ertönte da eine leise Stimme. „Alle außer mir sind gegangen. Aber habt Acht, denn der Herr hat eine Wache draußen vor Eurem Gemach aufstellen lassen.“ 

Maris’ Augen öffneten sich überrascht. Sie kamen auf einer Frau zu ruhen, die etwa in ihrem Alter war, mit dichtem, honigfarbenem Haar und einer langen lila Narbe, die ihr von einem Auge bis zu ihrem Kieferknochen unten reichte. Die Narbe war alt genug, um ganz ausgeheilt zu sein, aber bei der Heilung hatte sich eines ihrer Augenlider böse vernarbt. 

Agnes legte ihren Kopf schüchtern auf eine Seite. „Ich selbst habe mich oft ohnmächtig gestellt, Herrin. Ich wusste, dass Ihr bei Sinnen seid.“ Sie trat an das Bett heran, während Maris’ Blick zum ersten Mal durch das Zimmer wanderte. 

Es war größer, als sie erwartet hatte, und wenn es auch nicht so luxuriös ausgestattet war wie ihr eigenes Gemach auf Langumont, war das Bett doch recht komfortabel und es gab da Wandteppiche – allerdings etwas zerschlissen – über den schlitzartigen Fenstern, um die Zugluft draußen zu halten. Zumindest das Feuer im Zimmer war munter, wenn der Rest des Zimmers auch etwas zu wünschen übrig ließ. 

„Wünscht Ihr ein Bad zu nehmen, Herrin?“, fragte Agnes. „Das warme Wasser wird die Schmerzen Eurer Wunden lindern.“ 

Maris konnte in der Tat den tröstlichen Geruch von Rosmarin wahrnehmen, der aus der Wanne zu ihr wehte, die man vor dem Feuer aufgestellt hatte. „Ja gewiss, ich denke, zumindest das sollte ich tun.“ 

Sie erhob sich mühsam aus ihrer Ruhelage auf dem Bett und Agnes, obwohl sie nicht ganz so anstellig war wie ihre eigene Zofe Verna, war doch recht geschickt darin, ihr das schmutzige, verdreckte Gewand abzustreifen und ihr in die Wanne zu helfen. 

Verna. 

Der Gedanke an ihre Zofe schoss Maris durch den Kopf und Angst und Zorn kamen ihr übermächtig hoch. Wie konnte ihre eigene Zofe es wagen, sie auf solche Weise zu verraten! Es bestand kein Zweifel daran, dass Verna sie aus der Behaglichkeit ihres eigenen Bettes fort und direkt in die offenen Arme ihrer Entführer gelockt hatte. Maris wurde übel. Sie war von zwei Menschen, denen sie vertraut hatte, verraten worden. 

Dann erinnerte sich Maris an die brutalen Geräusche von Vernas eigenem Schicksal. Sie schluckte einen dicken Kloß herunter und versuchte nicht daran zu denken, was jene Geräusche zu bedeuten hatten. 

Auch wenn sie etwas ungeschickt war, ging Agnes sanft vor, als sie das Gewirr von Maris’ Haaren wusch und sie mit einer schwach parfümierten Seife von Rosmarin abwusch. Während sie versuchte eine Strategie auszuarbeiten, wurde Maris doch tatsächlich etwas eingelullt von diesen vertrauten Bequemlichkeiten. Sie musste einen Plan haben, denn sie hatte nicht vor sich mit dem ungehobelten, schmierigen Bon de Savrille zu vermählen. 

Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte ihr Vater mittlerweile ihre Abwesenheit bemerkt. Diese Erkenntnis verschaffte ihr etwas Zuversicht. Wenn irgendjemand dazu imstande war, sie zu retten, dann war das ihr Vater. Alles, was Maris tun musste, so begriff sie jetzt, war Bons Absichten hinauszuzögern – denn es machte keinen Sinn, dass er vorhatte seiner zukünftigen Braut ein Leid zuzufügen –, bis ihr Vater hier eintreffen konnte. Er würde die Burg belagern, sie Stein für Stein, Ziegel für Ziegel schleifen lassen, um sie wiederzubekommen. 

Da tat Maris den ersten erleichterten Atemzug seit ihrer Entführung vor zwei Tagen. Sie musste Zeit schinden und alle hinhalten, während sie zugleich gute Miene zu Bon de Savrille und seinem Spiel machte. 

Agnes half ihr aus der Wanne und auf einen Schemel, der direkt vor dem Feuer stand. Eingewickelt in eine Decke aus Wolle starrte Maris in die Flammen, während die Magd einen Holzkamm durch ihr hoffnungslos verheddertes Haar zog. 

„Euer Haar ist wunderschön, Herrin“, sprach Agnes da und unterbrach die Stille. 

Auch wenn Maris nicht der Sinn nach Unterhaltung stand, antwortete sie, „vielen Dank, Agnes.“ 

„Mein Herr wünscht heute Abend mit Euch zu speisen“, erklärte ihr Agnes. „Is’ es Euer Wunsch, dass ich ihm sag’, Euch is’ noch nicht wohl genug?“ 

Maris schwieg einen Moment lang und dachte nach. Wie gerne würde sie sich weiterhin hier in diesem Zimmer verstecken, fernab der zudringlichen, gierigen Augen ihres Entführers ... aber der Keim eines Plans war bereits in ihrem Kopf angelegt und sie brauchte mehr Informationen, wenn sie wissen wollte, ob er auch gelingen könnte. 

„Nein, Agnes“, entgegnete sie kurz darauf. „Ich werde mit Lord Bon, wie er es wünscht, speisen. Es erscheint mir nicht allzu klug, seinen Zorn zu erregen, ist es nicht so?“ In der Hoffnung mehr über ihren Entführer zu erfahren, und immer noch unsicher, ob Agnes eher ein Hindernis oder eine Hilfe für sie sein würde, drehte sie den Kopf so weit wie möglich nach hinten, um die Magd anzuschauen. 

„Oh ja, Herrin, der Herr ist recht jähzornig von Natur aus“, stimmte ihr Agnes zu. „Und keiner weiß nich’, wann’s wieder zuschlägt.“ Sie vermochte ein Schaudern nicht zu unterdrücken. „Aber, Herrin, er scheint Euch über die Maßen zugeneigt zu sein ... und mir sind auch Geschichten zu Ohren gekommen, wenn er einen oder zwei über den Durst getrunken hat, dass er dann zu Eurer Lobpreisung Liebesballaden singt.“ 

„Wirklich?“ Maris konnte ihren schockierten Gesichtsausdruck nicht ganz verbergen. 

„Herrin“, setzte Agnes zögernd an. Sie holte einmal tief Luft und setzte dann erneut an, „Herrin, Ihr habt nich’ aus freien Stücken hierher gefunden, nehm’ ich an.“ 

Maris stieß kurz ein wenig heiteres Lachen aus, das in etwa wie ein Bellen klang. „Nein, Agnes, natürlich tat ich das nicht. Wenn es nach meinem Willen ginge, würde ich keinem Mann die Hand zur Ehe reichen. Aber ich habe einen Verlobten, ausgewählt für mich von meinem Vater, dem man mich entrissen hat ... auch wenn er als Gemahl nicht viel besser zu werden verspricht als Lord Bon.“ 

„Herrin, ich würd’–ich würd’ alles tun, was ich kann, um Euch beizusteh’n ... un’...“ Agnes schluckte zitternd, ihre Augen voller Angst, als sie diese wieder aufschlug und auf Maris richtete. „Ich würd’ um einen Gefallen bitten, Herrin. Ich weiß, ‘s ziemt sich nicht, dass ich Euch frag’, Herrin“, die Worte purzelten jetzt aus ihr heraus, als wäre sie nicht in der Lage ihnen Einhalt zu gebieten, „aber ich würd’ darum bitten, hier fortgeh’n zu dürf’n, im Tausch für–dass ich–dass ich Euch helfe.“ 

Maris ließ ihren kühlen Blick auf der verängstigten Magd vor ihr ruhen. Ein kleines Prickeln von Misstrauen wanderte ihr da hinten am Rücken hoch. „Wie kann ich Euch helfen fortzugehen, wo ich doch selbst hier eine Gefangene bin?“, fragte sie. 

„Herrin, Ihr seid Tochter von einem mächtig’n Lord, ‘s gilt als sicher, dass er oder Euer Verlobter kommen werden, Euch holen“, flüsterte Agnes, wobei sie sich aber schon zusammenkrümmte, als würde sie mit Schlägen rechnen. „Un’ ich würd’ mit Euch geh’n, wenn sie kommen.“ 

„Man schlägt Euch hier?“, fragte Maris sanft. 

Obwohl noch nie ein Diener mit der Bitte um Beistand an sie herangetreten war, kam es durchaus häufig vor. Die Leibeigenen, die zum Land gehörten, gehörten auch dem Herren desselben, und selbst wenn ihr mit der Hilfe ihres Vaters die Flucht gelang, so war der Diebstahl eines Leibeigenen eine ganz andere Sache. „Ich kann Euch Eurem Herren nicht wegnehmen.“ 

„Herrin.“ Agnes schluckte schwer und fuhr dann fort, „ich bin keine Leibeig’ne, son’ern freie Tochter eines Kaufmanns aus York, bis man mich von ihm raubte. Ich wünsch’ nur frei von Lord Bon zu sein.“ Unwillkürlich fasste sie an ihre lila Narbe. „Das hier is’ nur einer der Denkzettel, den ich seinem Zorn verdank’.“ Tränen stiegen ihr in die Augen und trotz ihrer Bedenken fühlte Maris, wie sie das Mitleid da überkam. 

„Da Ihr vorhabt mir zu helfen, werde ich es Euch mit gleichem vergelten“, sprach sie zu der Frau, die ihr hier nur wegen eines Irrtums des blinden Schicksals diente, anstatt das Leben einer freien Frau an der Seite eines Kaufmanns zu führen. Bisweilen war die Familie eines Kaufmannes reicher als Familien aus der Aristokratie, deren Reichtum eher aus Landbesitz bestand und nicht auf Verkauf von Waren gründete. Sie konnte Agnes hier nicht zurücklassen. 

„Ich dank’ Euch, Herrin!“, Agnes fiel auf die Knie, die Tränen strömten ihr nur so aus den Augen. „Der Herr sei gepries’n und Euch Dank!“ 

„Wohlan denn.“ Maris wurde ernst und zog das Mädchen vom Boden hoch. „Wir müssen eine Strategie haben. Ihr müsst mir alles sagen, was Ihr über den Herren des Hauses und seine Pläne wisst, und dann entscheiden wir, wie wir vorgehen.“ 

Während die Frauen in den oberen Gemächern ihre Intrigen spannen, wobei sie ihre Stimmen bewusst sehr leise hielten, bekam man unten eine ganz andere Art von Schauspiel geboten. 

Dirick war der schockierte und dann hasserfüllte Gesichtsausdruck nicht entgangen, der Maris über das Gesicht gehuscht war, als sie ihn erblickt hatte. Glücklicherweise war sie bewusstlos zu Boden gegangen, bevor sie es aller Welt dort in der großen Halle verkünden konnte, und das betrachtete er als ein nicht unwesentliches Quäntchen Glück. 

Und auch wenn anscheinend niemand anderem ihre Reaktion aufgefallen war, spürte er geradezu, wie ihre Wut ihn dort in Stücke riss, gefolgt von einer lähmenden Angst, als Bon de Savrille sie in die Arme nahm und hochhob, um sie nach oben zu tragen. Fast hätte Dirick ihnen nachgesetzt, wild entschlossen alles zu tun, um die Tugend der Lady zu beschützen. 

Das hätte er auch tatsächlich gemacht, wenn ihm nicht aufgefallen wäre, wie Edwin Baegot ihn aufmerksam beobachtete. Trotz seines drängenden Bedürfnisses sie zu beschützen, zwang Dirick sich dazu, stillzuhalten. 

Er wäre Maris von Langumont keine Hilfe, wenn Bon den wahren Grund seines Aufenthaltes hier erfuhr. 

Als Dirick hörte, wie der Burgherr brüllte, man möge heißes Wasser nach oben in die Gemächer schaffen, sowie gleich darauf auch das Poltern von Bon, wie der zur Halle zurückkam, begriff er, dass er noch etwas Zeit hatte, bevor Maris und ihr Jungfernkranz in Gefahr sein würden – vorausgesetzt, dass Victor d’Arcy sich nicht schon ans Pflücken desselben gemacht hatte. 

Nachdem er auf einen kleinen Hocker niedergesunken war, starrte Dirick in das Feuer, das dort auf der Feuerstelle gefährlich prasselte. 

Als Erstes musste er Merle von Langumont Nachricht zukommen lassen. Jemanden im Dorf hier zu finden, dem man vertrauen könnte – schon das alleine würde eine Schlacht sein. Aber eine satte Handvoll Münzen würde ihm dabei gute Dienste leisten. 

Dann, so grübelte er, während er an einem losen Faden seiner Tunika zupfte, musste er einen Weg finden die unmittelbar bevorstehende Hochzeit hinauszuzögern und gleichzeitig Maris’ Tugend zu beschützen: und all das, ohne bei seinem Gastgeber Verdacht zu erregen. 

 

 
~*~

Dirick kehrte gerade von seinem Aufenthalt im Dorf – angeblich, um einer Hure einen Besuch abzustatten – zurück, als die Einwohner der Burg sich gerade um einen Platz an den Tischen für das abendliche Mahl stritten und drängelten. Er hatte tief in seinen Geldbeutel greifen müssen, um einen jungen Mann dafür zu bezahlen, die Botschaft nach Langumont zu tragen, und ihm ebenso versprechen müssen, dass Merle ihm einen Platz in seinem Haushalt zuteilen würde, als Belohnung dafür, gegen Bon de Savrille zu arbeiten. 

Er schob sich zwischen zwei Soldaten durch, die sich gerade über die wünschenswerteste Eigenschaft in einem Schlachtross stritten – sein Gewicht oder seinen Blutdurst – und es gelang ihm, einen Platz an einem Tisch nur drei Tische von dem Podest entfernt zu finden. Als er sein Bein über die grob gezimmerte Bank schob, stupste er einen der Hunde weg, der dort unter dem Tisch schlief. Indem er den Hund beiseite schob, konnte er bequem Platz nehmen. 

Er blickte kurz zum Ehrentisch und sah dort Bon auf seinem Thron-ähnlichen Stuhl sitzen. Der bärtige Mann warf während seiner Unterhaltung mit Edwin, der zu seiner Linken saß, immer wieder erwartungsvolle Blicke zur Treppe. Dirick war überrascht zu sehen, dass Bon sich anscheinend um eine bessere äußere Erscheinung bemüht hatte. Zum ersten Mal in den drei Tagen hier war sein Bart ordentlich gestutzt und die Tunika, die er trug, wies weder irgendwelche Flecken noch Löcher auf. Selbst das dunkle Haar des Mannes hatte man gebändigt und von seiner hohen Stirn zurückgekämmt, was die grauen Tupfer an seinen Schläfen sehen ließ. 

Ein Gemurmel war jetzt von hinten in der Halle zu hören und mit einem Nacken, an dem hinten die Haare plötzlich wie elektrisiert hochstanden, drehte Dirick sich um, nur um Maris zu erblicken, wie sie gerade die Treppe herunterkam. Die Stimmen im Saal verstummten und Bons Aufmerksamkeit war da auf einmal ganz und gar bei der Frau, die sich hier entlang und dort entlang einen Weg zwischen den Bänken und Tischen hindurch bahnte. Ein groß gewachsener Mann von verschlagenem Aussehen mit einer Hakennase folgte ihr auf dem Fuße. 

In der großen Halle schien die Zeit stillzustehen, jegliche Unterhaltung war verstummt, während Maris da voranschritt. Sie sah ganz und gar nicht aus wie eine Jungfer, die man der Obhut ihres geliebten Vaters entrissen hatte, den Tag in einen Teppich eingewickelt verbracht hatte, den Blicken von einem Haufen glotzender Männer ausgesetzt hatte und über der das Damoklesschwert einer erzwungenen Heirat hing. Sie sah königlich, selbstbewusst und unvorstellbar schön aus. 

Jemand – Dirick nahm an, das war Agnes mit dem Narbengesicht gewesen – hatte sich mit einem Kamm durch die Masse ihrer langen, braunen Haare durchgearbeitet und sie dann hinten an ihrem Nacken kunstvoll zu einem schweren Knoten geschlungen. Sie trug kein Kopftuch und jede Menge Locken, die im Kerzenlicht golden und kastanienfarben leuchteten, fielen aus dem Knoten heraus, und streiften hinten ihre Schenkel, als sie durch den Saal ging. Das Gewand, das sie trug, war vielleicht nicht von so feinem Tuch wie das, was sie auf Langumont tragen mochte, war aber dieser etwas heruntergekommenen Halle eher angemessen. Das Blau ihres Gewands war so dunkel, dass es wie der Himmel zu mitternächtlicher Stunde funkelte, und strahlend gelbe Stickerei umsäumte die Enden ihrer Ärmel, die fast bis auf den Boden reichten. Ein Gürtel schnürte sich eng um ihre Taille und am Hals trug sie eine Kette aus schwerem Gold. 

Dirick holte zur eigenen Beruhigung tief Luft. Wie brachte sie es fertig, so schön und sorglos auszusehen, wo sie doch in höchster Gefahr schwebte? Hatte sie mittlerweile verstanden, dass er ihr helfen würde und sie nichts von ihm zu befürchten hatte? 

Maris ließ sich auf ihrem Weg zum Ehrentisch, wo Bon sie erwartete, recht viel Zeit. Der Mann mit der Hakennase, der ihr auf der Schleppe herumtrampelte war Sensel, der Wachtposten, den man zu ihrer Bewachung abgestellt hatte. Ihr Atem kam schnell und unruhig und sie versuchte ihre Schritte zu verlangsamen, während sie darum kämpfte, Haltung zu bewahren. 

Papa ist auf dem Weg hierher. Papa wird kommen. Wieder und wieder sagte sie diese Litanei zu sich selbst auf. 

Als Maris an dem Tisch auf dem Podium anlangte, ließen die Nerven sie fast im Stich. Sie wappnete sich innerlich und tat dann auch noch den letzten Schritt dort ans Podest und sank in einem anmutigen Knicks vor Bons Füßen nieder. „Mylord“, murmelte sie, während sie auf die arg mitgenommenen Stiefel blickte, die er trug. 

Zunächst war nur überraschtes Schweigen zu hören und dann hörte sie eine tiefe, grollende Stimme. „Seht nur her, Edwin, welch Ehre mir meine Gemahlin zuteil werden lässt.“ Bon stieg von dem Podest herab, ergriff die Hand von Maris und gebot ihr sich wieder zur vollen Höhe aufzurichten. Sie hielt die Augen züchtig gesenkt, bis er sagte, „Mylady, ich bin es, den Eure Gegenwart hier ehrt. Kommt nur und brecht mit mir das Brot zum abendlichen Mahl.“ 

Maris vermochte kaum ein nervöses Kichern zu unterdrücken. Geehrt von ihrer Gegenwart, in der Tat. Als ob sie den Weg nach Breakston freiwillig eingeschlagen hätte – wo auch immer es lag. „Ich danke Euch, Mylord.“ 

Bon war höchst zuvorkommend, als er ihr auf die Bank neben seinem Stuhl half. „Ich hatte fast erwartet, Euch kreischend und mit Gewalt hier runterschleifen zu müssen, um mit mir zu speisen“, sprach er, während er ihren Kelch mit dünnem Wein füllte. „Sensel hatte Befehl von mir. Es erfüllt mich mit Freude, dass Ihr es vorgezogen habt, meinen Wünschen zu gehorchen.“ Sein kalter, dunkelbrauner Blick starrte sie unverwandt an. 

Maris warf ihm unter langen, gesenkten Wimpern einen Blick zu, entschlossen sich von seinem Starren nicht einschüchtern zu lassen. „Gewiss, Mylord, Euer Wunsch nach meiner Gesellschaft – und nicht nur beim Essen – war recht deutlich“, gab sie sittsam zurück. „Dennoch bitte ich Euch inständig, dass zukünftige Reisepläne jedweder Art, die Ihr vielleicht für mich im Schilde führt, etwas mehr Rücksicht nehmen, was meine Bequemlichkeit anbelangt als diese letzte Reise.“ 

Überrascht lachte Bon da auf, was jeden Kopf im Saal dazu brachte, sich zum Podest umzudrehen. Er legte den Kopf auf eine Seite und nahm einen großen Schluck Wein zu sich. „Und habt Ihr sonst noch irgendwelche Wünsche bezüglich Eurer Bequemlichkeit, Mylady?“ 

Einer der Leibeigenen näherte sich mit einem Holzbrett mit Speisen, gefolgt von einem weiteren, der mehrere Brotteller trug. Ebenso galant wie jeder Höfling sonst auch suchte Bon Fleischstückchen und Kartoffeln für sie beide aus und legte die zartesten Stücke Kaninchen auf ihrer Seite des Brottellers ab. 

Maris schenkte ihm da ein strahlendes Lächeln und dieses Strahlen schien überraschenderweise sogar dafür auszureichen, den miesepetrigen Edwin in bessere Laune zu versetzen, denn er lächelte zurück. 

„Mylord, wie gut Ihr doch seid nach meinem Wohlergehen zu fragen“, sagte sie honigsüß, während sie ein Stück harter Brotrinde durch die Soße von dem Fleisch zog. „Da wären ein paar Vorschläge, die ich machen könnte, Mylord. Denn ich soll doch die Herrin der Burg werden, an Eurer Seite, oder nicht? Ich würde nicht sehen wollen, dass es Eurer Halle an Gästen mangelt.“ 

Bon blieb ganz still sitzen und drehte sich zu ihr um. Sie konnte förmlich sehen, wie das Misstrauen ihm durch den Kopf schoss, wie ein Kaninchen in seinem Bau. „Ihr sollt meine Schlossherrin und meine Gemahlin sein“, sagte er finster. „Ihr scheint Euch allzu schnell an diese Vorstellung gewöhnt zu haben, Mylady. Was für ein Spiel treibt Ihr hier?“ 

Insgeheim fragte Maris sich, ob sie hier zu weit gegangen war, aber jetzt war es zu spät und sie musste seinem Schlag ausweichen und ihren eigenen Hieb ausführen. „Mylord“, sie blickte ihm jetzt direkt in die Augen, „es scheint, mir bleibt keine Wahl in der Sache. Und in der Tat, muss ich mich schon vermählen, so deucht mir, dass ich mich lieber einem Mann gebe, dessen Begehren für mich so stark ist, dass er alles riskiert und mich direkt vor der Nase meines Vaters entführt – als das Milchgesicht von Mann zu heiraten, den mein Vater für mich aussuchte.“ 

Bon blickte da kurz etwas überrascht drein und dann legte sich ein hochzufriedener Gesichtsausdruck auf seine Gesichtszüge. „Ich glaube, ich habe gerade mein erstes Kompliment von der Lady bekommen“, sagte er zu Edwin. 

„So ist es, Mylord“, stimmte Maris ihm zu, „und dürfte ich jetzt Euch um einen Wunsch bitten?“ 

„Nur zu, Mylady.“ 

„Würdet Ihr mir die Aufsicht über Euren Meier und Euren Koch übertragen?“ 

Sein Gesichtsausdruck wäre geradezu komisch gewesen, wenn sie in der Stimmung dafür gewesen wäre. „Mein Meier und mein Koch?“ 

„Ja, Mylord. Der Zustand dieser Halle ist grauenvoll ... und dieses Essen würde man nicht mal den Hunden hier zum Fraß vorwerfen, die mir um die Füße streichen.“ Zum ersten Mal an diesem Abend sprach sie da aufrichtige Worte. 

Maris glaubte nicht, dass sie überleben würde, bis ihr Vater eintraf, um sie zu retten, wenn sie weiterhin das essen musste, was man hier auf dieser Burg bei Tisch servierte. 

„Wann wurde dieses Stroh das letzte Mal gewechselt?“, fragte sie und stieß unter dem Tisch mit dem Fuß hinein, wobei sie ihre Schuhspitze einem Hund in die wohlgenährten Rippen bohrte. „Und auch wenn meine Kammer bequem genug ist, so könnte sie doch ein gründliches Saubermachen vertragen. Das muss noch geschehen, bevor wir uns das Jawort geben.“ 

„Wir werden uns morgen schon das Jawort geben, Mylady.“ 

„Morgen?“ Maris gelang es noch, ihren entsetzten Gesichtsausdruck in einen der freudigen Überraschung umzuwandeln, bevor er den Unterschied bemerkte. „Mylord, welche Ehre Ihr mir erweist!“ Dann ließ sie aber den Kopf in die Hände fallen, als würde sie sich schämen. 

Nachdem sie sich mit einem Fingernagel rasch in die Augenwinkel gezwickt hatte, hob Maris das Gesicht wieder hoch, falsche Tränen standen ihr jetzt in den großen Augen. „Aber Lord Bon, ich habe nichts anzuziehen ... und gewisslich wünscht Ihr nicht, mich so zu entehren, dass Ihr unsere Gäste in diese Halle – in ihrem derzeitigen Zustand – einladet. Wenn wir uns wirklich morgen schon vermählen sollen–ja, dann bleibt mir nicht einmal die Zeit ein anständiges Mahl für Eure Vasallen und Eure Männer vorzubereiten. Ich weiß nicht, wie die Vorratskammern bestückt sind, noch kenne ich die Kochkünste Eures Kochs.“ 

Er taxierte sie mit einem schlauen Blick und ihr blieb das Herz stehen. War ihr Vorgehen hier zu offensichtlich gewesen? „Mich deucht, Ihr bringt hier Ausflüchte vor, Mylady“, sagte Bon. „Ich werde mich nicht davon abbringen lassen, Euch zur Meinen zu machen.“ 

„Nein, Mylord, ich bin mir nur zu bewusst, wie Ihr sagt, dass wir die Ehe miteinander eingehen werden ... aber ich flehe Euch an ... bitte entehrt mich nicht so.“ Sie wischte sich abermals eine Träne ab. „Zumindest wünsche ich, das Schlafgemach für unsere Hochzeitsnacht geziemend herzurichten.“ Maris musste sehr daran arbeiten, diese Worte überzeugend klingen zu lassen, sie konnte kaum fassen, dass ihr diese Worte über die Lippen kamen, ohne dass sie ihr Übelkeit verursachten. Scheu blickte sie ihn unter gesenkten Wimpern hervor an und drehte sich dann wieder ab, damit er sie nicht für allzu kühn hielt. 

„Ah ... in der Tat, unsere Hochzeitsnacht“, antwortete er nachdenklich. „Vielleicht mache ich schon die heutige Nacht zu unserer Hochzeitsnacht, Mylady, und verschiebe die Hochzeitszeremonie, wie Ihr es wünscht.“ 

Maris spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. „Mylord, Ihr würdet mir solche Schande nicht antun!“, erwiderte sie vorsichtig und versuchte dabei, nur ängstlich zu klingen und nicht verzweifelt, wie sie sich wirklich fühlte. „Wenn wir am Morgen nach unserer Hochzeitnacht nicht die blutigen Laken zum Beweis vorzeigen können, wird man sich gewisslich fragen, ob wir auch wirklich vermählt sind. Verleumderische Stimmen werden unser Ehegelübde verhöhnen und vielleicht wird man mich Euch wegnehmen und meinem Verlobten wiedergeben.“ 

Bon antwortete ihr nicht sofort. Sie wusste, sie hatte Recht, auch wenn er es vielleicht hasste, das hier zugeben zu müssen. Sich eine Braut mit Gewalt zu nehmen, war eine Sache, aber der Haken an der Sache war dann, die Rechtsgültigkeit einer Ehe sowie das rechtmäßige Vollziehen derselben nachweisen zu können. Alles lief darauf hinaus, nicht nur die Braut zu besitzen, sondern auch den Anspruch auf den Jungfernkranz zu behaupten. 

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis Bon antwortete. Seine Worte klangen großzügig, als würde er ihr einen großen Gefallen erweisen. „Nun, Mylady, da Ihr so hübsch die Worte wählt, werde ich Eure Wünsche erfüllen und Euch gestatten meinen Meier und meinen Koch herumzukommandieren. Die Hochzeit werde ich aber lediglich um einen weiteren Tag verschieben, nicht mehr, Mylady, also gebt Acht auf meine Worte und seid flink bei der Arbeit. Morgen und dann noch einen Tag, und dann werdet Ihr die Meine.“ Sein Gesicht grinste jetzt lüstern nahe an ihrem, „und ich sehe diesem Abend mit großer Vorfreude entgegen.“ 

Maris nahm einen großen Schluck Wein zu sich. Nachdem sie die Hände in ihrem Schoß sittsam gefaltet hatte, fragte sie dann schüchtern, „dürfte ich mich dann von Eurer Tafel erheben, Mylord, da viele Aufgaben meiner harren, die mich den morgigen Tag über ausgiebig beschäftigen werden. Und fürwahr, diese Speisen hier zu essen, bringe ich nicht über mich.“ 

„Nur zu, Lady Maris, begebt Euch in Euer Gemach. Sensel wird heute Nacht an Eurer Tür Wache stehen, so dass Euer Schlaf ungestört bleibt.“ 

Hoch erhobenen Hauptes raffte Maris ihre Röcke zusammen, hob die Beine über die Sitzbank und trat von dem Podest herunter. Vorsichtig bahnte sie sich ihren Weg durch die Halle, wobei ihr nicht nur bewusst war, dass ein Mann ihr auf Schritt und Tritt folgte, sondern auch dass viele Augenpaare ihr hier folgten. 

Da war ein Antlitz, das sie im Meer der vielen Gesichter erkannte. Und diesem Gesicht warf sie einen Blick von so viel Verachtung und Ekel zu, dass Dirick de Arlande kaum vermochte ihrem Blick standzuhalten, bevor er sich wieder seinem Bierpokal widmete.