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KAPITEL SIEBEN 

 

Verna zog sich den Umhang enger ums Gesicht, während sie das offene, lange Haar, das ihr die Sicht zu nehmen drohte, nach hinten schob. Sie stapfte durch die Schneeverwehungen, stieg vorsichtig über die Zweige dort, die tief im Forst um das Dorf von Langumont herum auf dem Weg lagen. Das Päckchen, das sie mit sich schleppte, mit einer dicken Kordel sicher verschnürt, befand sich an ihrer Hüfte und sie klopfte ein paar Male darauf, um sicher zu gehen, dass es immer noch da war. 

Nach einer sehr langen Wanderung kam Verna endlich zu einer winzigen Hütte, fast versteckt von Bäumen. Sie schauderte, aber dann zog sie mit dem Mantel um sich auch ihren Mut wieder fester zusammen und näherte sich der armseligen Behausung. Der Wald um sie schwieg wie das Grab selbst. Selbst die Vögel waren hier verstummt. Sie blickte über ihre Schulter zurück, halb erwartete sie dort einen Wolf zu sehen, der sie mit roten Augen beobachtete. 

Etwas berührte sie am Bein durch den langen Umhang hindurch, der sich im Schnee verfing. Verna sprang zurück, bevor sie sich beherrschen konnte, und stolperte fast über eine riesige, schwarze Katze. 

Sie fauchte Verna an, um sich dann durch einen Spalt in die Hütte zu drängeln, während Verna noch von Furcht wie angewurzelt dastand. Ihre Augen waren groß geworden und sie starrte die Hütte an, wobei sie sich fragte, ob die Katze nun die alte Vettel selbst war. 

Ihre Furcht erwies sich dann als wohl begründet, als wenige Augenblicke später, ohne dass sie auch nur die Hand zum Anklopfen erhoben hätte, die Tür sich geräuschlos öffnete. Da war niemand. Sie rührte sich nicht, nur das Päckchen an ihrer Seite – das umklammerte sie noch fester. 

Schließlich tat sie einen zögerlichen Schritt nach vorn, und dann noch einen, bis sie ins dunkle, höhlenähnliche Innere blicken konnte. Ein loderndes Feuer in der Ecke gegenüber gab das einzige Licht. 

„Kommste jetzt rinn oder nich’?“, kreischte auf einmal eine Stimme. 

Verna zuckte zusammen, aber wurde dadurch auch angetrieben sich vorwärts zu bewegen. „Frau Marthe“, flüsterte sie, als sie die Türschwelle der Behausung überschritt. 

Drinnen fand sie ein Zimmer vor, das mit einer Ansammlung von Tischen und Schemeln vollgestellt war, und jede Oberfläche des Mobiliars war vollgestellt mit grobgeschnitzten Schüsseln aus Holz und anderen Utensilien. Ein schwerer Geruch hing im Raum und auf einem nahe gelegenen Tisch erblickte sie etwas, was wie die Überreste von einigen Tieren aussah. Die riesige, schwarze Katze war nirgends zu erblicken. 

Zuerst sah Verna die winzige, uralte Dame nicht, die dort in einer Ecke auf einem Stuhl saß. Aber als ihre Augen schließlich auf Frau Marthe zu ruhen kamen, wurden sie dort von einem kalten, rheumatisch aussehenden, blauen Augenpaar festgehalten. Das alte Weib hatte mehr Falten als ein Altartuch aus Leinen und ihr Mund war eine weitere, tiefe Spalte. Ein verästeltes Wirrwarr wie Spinnweben breitete sich von dort aus, wo üblicherweise Lippen waren, und als sie die Spalte ohne Lippen drum herum zum Sprechen öffnete, erhaschte Verna den Anblick eines einzigen Zahnstummels. 

„Schau an, schau an! Eine hübsche Maid ist uns da hereingeschneit!“, die Alte gackerte und machte keinen Hehl aus ihrer Abneigung. „Und wer magst du wohl sein?“ 

Verna schluckte, aber zwang sich dann zuversichtlich weiterzusprechen. „Verna von Langumont“, antwortete sie. „Lady von Langumont.“ 

Da überkam Frau Marthe eine so große Heiterkeit, dass sie fast von ihrem altersschwachen Stuhl herabgepurzelt wäre. „Lady von Langumont, vielleicht bei den Schweinen im Stall, biste das!“, gab sie grob zurück. „Du bist ebenso wenig die Lady, wie ich die Heilige Jungfrau bin!“ 

Verna erbleichte fast bei dieser Gotteslästerung. Aber sie war schon viel zu weit vom rechten Weg abgekommen, um sich noch wegen so unwichtiger Dinge wie Gotteslästerung bekümmern zu lassen. „Ich werde die Lady von Langumont sein, altes Weib – meine Zeit wird kommen. Meine Zeit wird kommen. Mit deiner Hilfe.“ 

Die Vettel hörte auf zu lachen, dann wurden ihre wässrigen Augen zu Schlitzen. Schleim tropfte aus einem und troff ihr in die tiefen Falten ihrer Wange. „Verna, sagste? Verna vom Müller, oder nich’?“ 

Die Zofe nickte langsam. „So ist es, Frau Marthe. Wenn du von mir weißt ... dann kennst du auch meine Nöte. Ich habe dir etwas mitgebracht. Ich brauche Hilfe, alte Frau. Man wird dich reich belohnen, wenn du dein Werk vollbracht hast.“ 

Sie zog ein in Tuch eingewickeltes Päckchen von ihrer Hüfte. Mit einer raschen Handbewegung öffnete sie es und ein Stuck Tuch aus Goldfaden fiel auf den schmutzigen Tisch. „Und wenn wir damit fertig sind“, sagte sie mit einem erwartungsvollen Blick zu Frau Marthe, „dann wirst du mir noch heute meine Zukunft weissagen.“ 

 

~*~

 

Die Christmette und die Rückkehr Lord Merles lagen schon über zwei Wochen zurück, als Lord Merle eines Nachmittags kurz nach dem Mittagsmahl seufzte und sich in seinem Sessel zurechtsetzte. 

Allegra schaute auf und fragte sich, ob ihn die Wunde wohl noch schmerzte. „Mein Gemahl, darf ich Euch noch etwas Ale einschenken? Euer Becher geht zur Neige.“ Sie saß in dem Sessel neben ihm und arbeitete an ihrer Stickerei. Das kleine Podest, auf dem sie beide saßen, war nah am Feuer, aber nicht nahe genug, um hell erleuchtet zu sein. Merle hatte Fackeln und Kerzen an hoher Stelle anbringen lassen, so dass seine Ehefrau ihre Augen nicht zu sehr anstrengen musste. 

„Ja, meine Liebe, mehr Ale. Und vielleicht etwas Käse?“ 

„Wie Ihr wünscht, mein Gemahl.“ Allegra sah zu, dass all seinen Wünschen entsprochen wurde, während er Maris und Dirick bei einem Schachspiel zusah. 

Allegra spielte kein Schach; sie fand es zu aufwändig, sich all die Spielfiguren und ihre Positionen zu merken und wie sie über das Brett wanderten – geschweige denn, ein paar Züge im Voraus zu planen. Aber wenn man die Anzahl der Spielfiguren betrachtete, die jeder schon auf seiner Seite des Tisches angesammelt hatte, so war ihre Tochter nicht gerade dabei, dem gutaussehenden Ritter klein beizugeben. 

Gerade als sie sich in ihrem Sessel wieder zurücklehnte, wurde Allegra von einer leisen Stimme an ihrem Ohr überrascht. „Mylady, Allegra.“ Sie drehte sich um und erblickte da Maris’ Zofe Verna. 

„Was ist, Verna?“ 

„Man braucht Euch in der Küche“, flüsterte Verna, wobei sie am Ärmel ihrer Herrin zupfte. 

„Man braucht mich in der Küche?“, wiederholte sie. 

Während sie sich von Merle entfernten, sprach Verna unterwürfig, „so ist es, Mylady. Da ist jemand, der begehrt mit Euch zu sprechen. Er wünschte nicht, dass Lord Merle davon erfahre.“ 

Furcht breitete ihre Krallen in Allegras Brust aus und sie spürte, wie ihr Herz wild zu schlagen begann. Sie hatte gehofft und gebetet, dass Bon seine Drohung vergessen hätte oder es aufgegeben hätte, als sie ihm keine Nachricht sandte. 

Denn fürwahr, sie besaß nicht den Mut das Thema von Maris’ Verlobten anzusprechen, denn sie selbst sah keine Lösung für das Problem. Wenn Maris heiratete, wie ihr Gemahl das wünschte, würde Bon seine Drohung wahr machen und ihre wahre Vaterschaft enthüllen. Aber Allegra konnte nicht zulassen, dass Maris ihren eigenen Halb-Onkel heiratete – ganz besonders nicht einen Mann wie Bon de Savrille. 

Noch schien sie in der Lage, ihren Gemahl von der Entscheidung abzubringen, die er bereits getroffen hatte. Gerade heute Abend hatte Merle noch gesagt, dass der Mann, auf den er wartete, am morgigen Tage eintreffen würde und dass die Verträge in Kürze unterzeichnet wären. 

In ihrer Verzweiflung erinnerte Allegra sich an ihren eigenen Hochzeitstag und den geheimen Schwur, den sie damals geleistet hatte, dass ihre Tochter niemals gegen ihren Willen verheiratet werden sollte. In all diesen Jahren hatte Allegra Michael nicht vergessen, noch hatte ihre Liebe zu dem Mann, an den sie sich erinnerte, abgenommen. 

Eines Tages, so schwor sie sich, würde sie wieder mit ihm vereint sein oder Gott sollte sie auf der Stelle niederstrecken. Sie hatte nie diese Art von Liebe für Merle empfinden können. Auch wenn sie ihm eine gute Ehefrau gewesen war und ihm gehorsam gedient hatte, empfand sie nicht die Leidenschaft und blinde Liebe für ihn, die sie immer noch für Lord Michael hegte. 

Die Magd hielt kurz vor der Küchentür an und zeigte auf den Eingang zum Burghof. „Herrin, ein Mann wartet bei den Ställen auf Euch. Ich wollte Euch in der Gegenwart von Lord Merle nicht erschrecken.“ 

Der Wind war kalt und Allegra hatte sich keinen Umhang übergeworfen. Ihre böse Vorahnungen steigerten sich noch und machten, dass sich ihr der Magen umdrehte, und sie zwang sich dazu, mit gebücktem Kopf über den Hof zu gehen. Sie zitterte und stolperte zu den Ställen, wobei ihr bewusst wurde, dass Verna ihr nicht mehr folgte. 

Zögerlich trat sie dort ein und sie atmete erleichtert auf, angesichts der Wärme da drinnen, angefüllt von leise schnaubenden Pferden. Der Stall lag im Dunkeln, aber eine schemenhafte Figur stand dort hinten. 

„Was ist Euer Begehr?“, fragte sie mit zittriger Stimme. 

„Lady Allegra“, ein dünner Mann trat vor, so dass sie gerade noch seine Gesichtszüge erkennen konnte. „Ich bringe Euch ein Andenken von meinem Herrn.“ Er streckte den Arm aus und sie wich erschrocken zurück. Er war jedoch schneller als sie und seine Finger schlossen sich um ihre Hand. Etwas Schweres wurde ihr in die Handfläche gedrückt, dann schloss er ihre Finger fest darum. Metall drückte gegen ihre zarte Haut und Allegra schrie auf vor Schmerz. 

Der Mann lachte und beugte sich zu ihr vor. „Mein Herr beharrt darauf: Wenn Ihr seine Warnung nicht ernst nehmt, so wird Eure Pein noch viel größer sein. Guten Abend, Mylady.“ Er schob sich grob an ihr vorbei und auf einmal war sie alleine. 

Allegra stolperte wenige Augenblicke später zum Stall hinaus, in der Hand hielt sie immer noch das schwere, metallene Objekt. Als sie sich gegen die schwere Tür der Kapelle lehnte, fiel sie beinahe in diesen Ort der Zuflucht hinein. 

Kerzen flackerten an dem Alter und in jeder Ecke der Kapelle. Langsam öffnete Allegra ihre zusammengeballte Hand. Selbst in diesem unbeständigen Licht vermochte sie die Gravur auf der Metallbrosche zu erkennen. Bon de Savrille. 

Wenn sie je einen Zweifel gehegt hatte, dass Bon immer noch beabsichtigte ihre Tochter zu heiraten, dann war der jetzt verschwunden. 

 

~*~

 

Der folgende Tag war ungewöhnlich milde für Januar. Hoch droben am Himmel strahlte die Sonne unermüdlich und die Leibeigenen, Soldaten und Ritter ließen Umhänge sowie Handschuhe sein, während sie ihren unterschiedlichen Beschäftigungen nachgingen. 

Merle war gerade im Burghof und schaute seinen Männer dabei zu, wie sie ihre Schwertkunst übten, als die Besucher eintrafen. Dirick, der gerade sein eigenes Schwert beiseite gelegt hatte, schaute neugierig auf, als Gustave sich näherte. 

„Herr“, verkündete der Truchsess, „die Lordschaften d’Arcy stehen am Fallgitter und begehren Einlass. Ich werde sie in die große Halle geleiten und sie bitten, sich dort heimisch einzurichten, aber Ihr wünschtet unterrichtet zu werden, sobald sie eingetroffen wären.“ 

„Danke, Gustave. Dirick, begleitet Ihr mich?“ 

„Ich bin sicher, Ihr habt einiges zu bereden, was mich nichts angeht. Ich kann mich bis zum Essen bei Tisch heute Abend selbst beschäftigen, so dass ich Eure Geschäfte nicht störe.“ Dirick wischte sich mit einem Arm den Schweiß von der Stirn und schob in dieser einen geschmeidigen Bewegung sogleich seine Haare glatt aus dem Gesicht. 

„Nein, nein“, sagte Merle mit einer solchen Jovialität – und so nachdrücklich, dass Dirick keine weiteren Einwände erhob. „Kommt mit mir und lernt meinen teuren Freund und seinen Sohn kennen. Sie werden sicherlich mit Neuigkeiten aufwarten können, denn sie kommen aus dem Süden und werden dort alles gehört haben.“ 

Merle ging voran in Richtung des riesigen Eingangstores am Burggraben und machte Dirick ein Zeichen ihm zu folgen. Resigniert zog er sich die Tunika wieder über und folgte ihm, wobei er sich fragte, warum Merle nur darauf bestand, dass er die Gäste kennenlernte. 

In der großen Halle steckte Dirick sein Schwert in die Scheide und legte es auf einer der schweren Eichenbänke ab, die an einem aufgebockten Tisch standen. Merle hatte die beiden Männer bereits begrüßt, die sich auf zwei Stühlen in der Nähe des hell flackernden Feuers niedergelassen hatten. Dirick ging auf sie zu, wobei er sich die Lords d’Arcy genau betrachtete. 

Der Ältere – vermutlich der Vater – saß auf einem dreibeinigen Schemel und räkelte sich jetzt derart wohlig, dass er mit dem Rücken geradezu auf dem Tisch hinter ihm lag. Blasses Haar von einer Farbe wie Weizen umgab seinen Kopf gleich einer Kappe, genau über den Ohren abgeschnitten und ebenso quer seine Stirn entlang. Es sah aus wie ein silbriger Helm. Blassblaue Augen wanderten flink zu Dirick, als der sich näherte, dann zu Merle, dann wieder zu Dirick. 

Der jüngere Besucher war offensichtlich blutsverwandt mit dem älteren: er hatte die gleichen, blassblauen Augen, die etwa so farblos wie Eis waren und dünnes Haar von dem gleichen Farbton hing ihm strähnig bis zu den Schultern herab. Er war ein recht großer Mann – sicherlich so groß wie Dirick – mit einem sonnengebräunten, breiten Gesicht und vollen Lippen. 

Als Dirick dem Vater die Hand zum Gruße reichte, fühlte er, wie der jüngere d’Arcy ihn mit Blicken durchbohrte. Ein unerklärlicher Anflug von Widerwillen erfasste ihn und in einem Moment ehrlicher Selbsterkenntnis verstand Dirick auch warum. 

Dieser Mann sollte Maris bekommen. 

„Sir Dirick de Arlande, bitte begrüßt Lord Michael d’Arcy von Gladwythe und seinen Sohn, Sir Victor.“ 

Dirick umschloss das von Michael d’Arcy angebotene Handgelenk mit festen Griff. Erneut spürte er ein prickelndes Unwohlsein bei dem seltsam Widerschein in diesen blassen Augen. Hatte der Mann Fieber oder war er lediglich erschöpft von der Reise? 

Dann drehte er sich um, um den Sohn zu begrüßen, wobei er den Widerwillen und die Abneigung, die ihn jäh überfallen hatten, unterdrückte. „Sir Victor“, sprach er und nahm sich viel Zeit, den anderen Mann zu betrachten, als er noch überlegte, woher er den Namen kannte. 

„Sir Dirick de Arlande“, sagte Lord Michael da nachdenklich, wobei er sich mit einem Finger langsam an seiner vollen Unterlippe entlangfuhr. „Ich glaube nicht, dass ich zu Hofe von Euch habe reden hören.“ 

„Wohl schwerlich“, Diricks Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln, „das wäre recht unwahrscheinlich, denn ich bin erst kürzlich aus Paris zurückgekehrt und habe nicht viel Zeit am Hofe Eures Plantagenet verbracht.“ Seine Worte waren schwer eingefärbt mit dem echten, französischen Akzent, den er sich im Dienste der Königin von Aquitaine zugelegt hatte. Er war entschlossen seine wahre Beziehung zum König und zur Königin nicht preiszugeben. 

Merle mischte sich ein. „Sir Dirick hat für seine Reise durch England um Beistand gebeten. Ich habe ihm vielerlei Aufgaben aufgetragen in den letzten beiden Wochen hier auf Langumont.“ 

Michael trank von einem Kelch warmen Weins, wischte sich dann anmutig die Lippen mit seinen Fingern ab und schaute sich in der großen Halle um. „Und wo mag die liebliche Lady Maris sein? Ich bin sehr gespannt sie bald kennenzulernen. Und Victor ebenso, da bin ich mir sicher.“ 

Dirick nahm den kleinen Stachel von Verärgerung bei sich wahr und erkannte ihn zu gut als solchen, bei dieser Erwähnung der bevorstehenden Verlobung – dann schob er es wütend von sich. Warum sollte er auch nur einen weiteren Gedanken daran verschwenden, dass der Mann hier Maris von Langumont ehelichen würde? 

Die Lady bot dem Auge viel Hübsches – und den Lippen ausgesucht Köstliches –, aber Diricks Interesse an ihr ging nicht darüber hinaus, selbst wenn er zu heiraten wünschte. Es stimmte, sie war eine gute Schachspielerin und auch geistreich, aber das machte keinen Unterschied für Dirick. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen, für seinen König wie auch für seinen Vater – und er hatte ohnehin schon genug Zeit hier auf Langumont vergeudet. 

In dem Augenblick rief Merle quer durch die Halle, „Allegra, meine Gemahlin, kommt und begrüßt unsere Gäste!“ 

Die zarte Frau hatte soeben die Halle betreten, sehr wahrscheinlich hatte man sie beim Eintreffen der Besucher aus ihrer Kemenate rufen lassen. Sie glitt über den mit Stroh ausgelegten Boden. 

Merle streckte die Hand nach ihr aus und zog sie in den Kreis aus Männern dort am Feuer, wo sie dann endlich die Augen hob. „Frau, darf ich Euch Victor d’Arcy und seinen Vater Lord Michael von Gladwythe vorstellen.“ 

Diricks Aufmerksamkeit war ganz auf Allegra gerichtet, als sie knickste und ihrem zukünftigen Schwiegersohn zunickte. Sie wandte sich zu Sir Michael um und Dirick sah, wie ihre Augen riesig wurden, ihr Mund sich zu einem stummen Schrei öffnete und er schaute zu, wie sie ohne einen Laut ohnmächtig auf dem Boden zusammensackte. 

Der Raum befand sich sofort in höchster Aufregung. Merle sprang mit einem Aufbrüllen auf die Beine und starrte hilflos auf den kleinen Haufen zu seinen Füßen. Auf Michaels Gesicht war kein Schock zu erkennen und Dirick hatte in der Tat bemerkt, dass er unter ihnen allen noch am gelassensten blieb, er beugte sich lediglich vor und verschaffte Allegra Erleichterung, indem er die Schnüre ihres Bliaut lockerte. 

Bis Dirick all diese widersprüchlichen Eindrücke recht begriffen hatte, waren Witwe Maggie und Maella schon hurtig an die Seite ihrer Herrin geeilt. Die Heilerin wedelte mit einem kleinen Büschel von Kräutern vor Allegras Nase herum und Dirick war erleichtert zu sehen, dass sie wieder zu sich kam. 

Allegras Augen öffneten sich flatternd und ihr Blick ruhte auf dem Gesicht, das dem ihren am Nächsten war, eins, das sich voller Sorge über sie beugte. 

Ihre Lippen bewegten sich da und obwohl er die Silben nicht hören konnte, las Dirick ihr das Wort von den Lippen ab. Michael. 

Michael d’Arcys Name. Das stachelte die Neugier von Dirick an und ihn überkam auch kurz das Gefühl böser Vorahnung, als er da kurz zu Merle blickte. Aber das Gesicht des älteren Mannes verriet nur Sorge um Allegra, als er dieser wieder auf die Beine half. 

„Allegra, ist Euch unwohl? Kann man etwas für Euch tun?“, fragte er gerade besorgt. 

„Nein, Mylord“, antwortete sie. „Nein, Mylord, ich – es war nur ein vorübergehender Schwindel.“ Sie holte noch etwas zittrig Luft und stand wieder kerzengerade, wobei ihre Augen Sir Michael sorgfältig mieden. 

Die Zofe Maella sah schrecklich betroffen drein und Witwe Maggie drängte ihrer Herrin gerade eine Tasse dampfenden Gebräus auf. „Soll ich nach Lady Maris rufen lassen, damit sie sich um unsere Gäste kümmert?“, fragte Maella. 

Nein. Nein“, Allegra zwang sich dazu, ruhig zu klingen, zwang die roten Flecken, die ihr vor den Augen tanzten, zu verschwinden. Sie konnte Maris nicht in dieses Durcheinander mit hineinziehen, bis sie nicht selbst wusste, wie sie es lösen könnte. „Maris ist im Dorf“, erklärte sie, „und der Schmerz in meinem Kopf ist verschwunden.“ Sie verzog ihre Lippen zu einem Lächeln und drehte sich tapfer zu Sir Michael um. 

Oh, Gott, es ist Michael. Nach so vielen Jahren, wie hast Du ihn mir nur wiedergebracht? 

„Darf ich Eurer Lordschaft ein Bad bereiten?“, sagte sie und versuchte, dabei nicht zu eifrig zu erscheinen. „Ihr seid sicher müde von der langen Reise.“ 

„In der Tat, ein Bad wäre wirklich mehr, als man sich erträumen könnte!“ 

Allegra erinnerte sich an den anderen Gast des Hauses und drehte sich zu dem jüngeren Mann hin. „Ich kann mich nicht selbst um Euch kümmern, Sir Victor, aber es wird auch Euch ein Bad bereitet werden.“ 

„Es wäre mir überaus willkommen. Vielleicht könnte Lady Maris sich um mich kümmern“, schlug Victor vor. 

Merle sprach. „Maris ist im Dorfe, wo sie sich um die Kranken kümmert. Ich habe einen Soldaten nach ihr geschickt, aber sie wird sehr wahrscheinlich nicht vor der Zeit zum Essen heute Abend hier eintreffen.“ 

„Nun denn“, entgegnete Victor, offenkundig enttäuscht. 

Aber Allegra bekümmerte sich nur wenig um die Enttäuschung des jungen Mannes. Eine der Mägde konnte nach ihm sehen; es gab genügend, die das tun würden. Sie hatte derzeit nur einen einzigen Gedanken und das war Michael. 

Hier. Jetzt. 

Sie hoffe inbrünstig, dass die heiße Röte, die ihr Gesicht glühen ließ, nicht allzu sichtbar war und dass ihrem Ehemann nichts aufgefallen war, woran er Anstoß nehmen könnte, und führte ihre Gäste dann aus der Halle zu einem der großen Gemächer für Gäste. 

Wenige Augenblicke später waren sie allein, bis auf die Leibeigenen, die Eimer über Eimer heißen Wassers für sein Bad herbeischafften. 

Allegra konnte nicht verhindern, dass ihr die Finger zitterten, als sie die Schnüre an Michaels Wadenkleidern löste. Sie musste sich ganz auf die Aufgabe konzentrieren, andernfalls wären ihre Hände an seiner Wade nach oben gewandert, um wieder die Kraft in diesem gewölbten Muskel zu erkunden. 

Ihn zu berühren. 

Wie kann es sein? Wie kann das hier sein? Ihr gelähmter Verstand fragte sich wieder und wieder, ein Echo von Ungläubigkeit erklang in ihr, jedes Mal wenn sie den Mann anschaute, nach dem sie sich verzehrt hatte, der ihre nächtlichen Träume füllte, den zu besitzen sie Gott angefleht hatte, seit dem Tag, an dem sie vor über siebzehn Jahren Lord Merle geheiratet hatte. Wie konnte er hierher kommen, hier sein ... mit der Absicht seinen Sohn mit seiner eigenen Tochter zu verheiraten? 

Allegra kämpfte die Panik in sich nieder und konzentrierte ihre Gedanken stattdessen auf die Tatsache, dass er schließlich zu ihr zurückgekehrt war. Dass er hier war. 

Denn natürlich wusste Michael nicht, dass Allegra seine Tochter war. Sie würde ihm alles erzählen und dann würde alles gut werden. Und dann würde es ihr – vielleicht – gelingen, Bon als einen Ehemann vorzuschlagen... 

Nein. Das brachte sie nicht über sich. Es würde eine andere Lösung geben. 

Michael würde sich darum kümmern. 

Eine Magd eilte geschäftig im Zimmer hin und her, legte eine Tunika sowie Beinkleider aus Michaels Truhen heraus, um ihn nachher anzukleiden. Jungen aus der Küche kamen und gingen mit Eimern voll von dampfendem Wasser. Maella streute getrockneten Lavendel in die Wanne, die sich allmählich füllte. Der Raum war voll und barst vor Aktivität, so sehr, dass es Allegras Nerven stark anging und sie mit aller Kraft an sich halten musste, nicht alle anzuschreien, sie sollten jetzt gehen ... gehen und sie mit Michael alleine zurücklassen. 

„Maella, geht bitte und seht zu, ob Verna die andere Wanne gefunden hat und sich um Sir Victor kümmert“, sprach sie schließlich und ignorierte den fragenden Blick, den ihre Zofe ihr da zuwarf. 

„Jawohl, Herrin.“ Widerwillig wandte Maella sich zum Gehen und blickte noch zu den beiden verbliebenen Mägden, die ihrer Herrin jetzt halfen. 

Kaum war Maella zur Tür hinausbefördert worden, fand Allegra auch schon weitere Vorwände, um die verbliebenen Diener fortzuschicken ... und dann war sie endlich alleine mit Michael. 

Er lag ganz entspannt mit geschlossenen Augen in der Wanne, die groß genug war, um einen Mann von der Größe Merles zu beherbergen. Ein Polster aus weichem Leinen diente ihm auf dem rauen Holzrand der ovalen Wanne als Kopfstütze. Allegra kniete sich nieder, faltete seine Tunika zusammen und sah zu, wie Dampf aus dem Wasser emporstieg. Sein feines, blondes Haar klebte ihm jetzt am Hals und die feingeschnittenen Gesichtszüge, die sie niemals vergessen hatte, waren warm von den Dämpfen. Er atmete ganz ruhig und sie gestattete sich kurz, in der Erinnerung zu schwelgen, die Erinnerung an die Wärme seiner glatten, muskulösen Brust. 

Während sie ihn so betrachtete, öffnete sich ein Auge, blau wie Eis, und sein Blick ruhte auf ihr. Er hatte verstanden. „Endlich“, murmelte er, als ein Lächeln um seinen großzügig geschnittenen Mund spielte. „Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass wir alleine wären.“ 

„Ja“, hauchte Allegra und schloss die Hände in ihrem Schoß fest umeinander, um sie davon abzuhalten, ihm eine dichte Locke aus der Stirn zu streichen. 

Seine Augen – mittlerweile waren beide ganz geöffnet – wanderten gierig über seine frühere Geliebte. Sie wusste, sie war immer noch eine sehr schöne Frau und als er sich in der Wanne aufsetzte, verschaffte es ihr Befriedigung zu sehen, dass seine Reaktion auf sie ebenso offensichtlich und unumwunden war, wie sie es vor achtzehn Jahren gewesen war. „Ihr habt Euch nicht sehr verändert, Allegra“, sagte er leise. 

„Ihr ebenso wenig.“ Ihre Brust schwoll an vor Liebe und Zuneigung, machte das Atmen schier unmöglich. 

„Kommt, seift mir den Rücken ein“, lud er sie ein und setzte sich ganz gerade auf. 

Allegra zitterten die Hände, als sie ein dünnes Leintuch aus dem Wasser zog und über die ganze Breite seines Rückens wischte. Dort waren jetzt mehr Narben, welche die goldene Oberfläche verunzierten, und die einzelnen Muskeln, an die sie sich erinnerte, waren nicht mehr so hart wie einst. Aber es war Michael. 

Die kräftige Kernseife, die man normalerweise für das Baden verwendete, hatte man mit einer von Maris’ Spezialitäten ersetzt: eine Seife mit Duftnoten von Rosmarin und Basilikum. Der würzige Duft davon hing überall in der Luft, wurde von dem schweren Dampf aus der Wanne überall hingetragen. Michael lehnte sich wieder in der Wanne nach hinten, so dass Allegra ihm die Haare mit der gleichen Seife massieren konnte. Und als er die Augen schloss, wollte sie nichts lieber, als sich zu ihm runter zu beugen und ihm einen Kuss auf die Lippen zu geben. 

Sie sagte kein Wort mehr zu ihm, bis sie fast fertig damit war, seinen Körper abzuschrubben. Sie erkundete aufs Neue jeden Winkel, fand jede neue Narbe und jedes neue Merkmal. 

Dann endlich brach sie ihr Schweigen. „Michael, wusstet Ihr – wusstet Ihr denn nicht, dass Merle mein Gemahl ist? Wusstet Ihr nicht schon vor Eurer Abreise hierher, dass ich hier wäre?“ 

Da stand er auf, Wasser strömte an seinem langen, schlanken Körper herab. Allegra stockte der Atem und sie wandte sich rasch ab, um ein Tuch zu holen, das man vor dem Feuer zum Wärmen aufgehängt hatte. Als er auf einen schweren Wollteppich zu stehen kam, der vor der Feuerstelle lag, sagte er , „doch, Geliebte, ich hatte gehofft Euch wiederzusehen.“ 

Eingewickelt in das Handtuch, strichen ihre Hände über seine Beine und hoch zu seinen Hüften. Sie war nicht fähig zu denken, konnte keinen Sinn darin erkennen, was er hier tat... 

Als sie seine Brust erreichte, streichelte sie ihm die Schultern mit dem Handtuch. „Allegra“, sprach er leise. 

Sie hob ihr Gesicht hoch und seine Arme waren plötzlich um ihre Hüften, zogen sie an seinen Körper, als er seinen Mund zu ihrem herabsenkte. Mit einem Aufstöhnen der Erleichterung ließ sie das Handtuch fallen und fand sich in seinen Armen wieder. Sein feuchter Körper presste sich an ihren Bliaut und hinterließ Flecken an ihren Brüsten und Hüften und seine Arme waren jetzt ein starkes Band um ihre Taille. 

In den Jahren ihrer Ehe mit Merle hatte sie dergleichen nie empfunden. Ja, er war geduldig gewesen, hatte ihr Zeit gelassen, als er noch dachte, sie wäre Jungfrau, und ja, er war zärtlich und leidenschaftlich gewesen, in den Nächten, in denen sie sich miteinander vereinigt hatten ... aber nie hatte er vermocht derartige Leidenschaft in ihr zu entfachen wie Michael. 

Seine Hände waren jetzt an ihren Brüsten und sein Mund hinterließ eine feuchte Spur an ihrem Hals. Sie spürte wie seine Lust an ihrem Bein pochte und ihre Hand glitt hinab, ihn zu berühren. Plötzlich waren sie auf dem Boden vor der Feuerstelle und sie fühlte, wie seine Hände an ihren Beinen hochwanderten. Das Gewicht von Michael presste ihren Kopf nach hinten auf den Boden, als er sie ausgiebig küsste. Sie hob ihre Hüften, ihm entgegen, noch während er erst dabei war, ihren Bliaut hochzuschieben, um zwei Handvoll Brüste in Besitz zu nehmen und eine Brustwarze mit seinem Mund zu umfangen. Allegra schrie da fast auf vor Lust, ihr Atem kam heftig und stoßweise. 

Endlich, endlich. 

Auf das Drängen seiner grausamen Finger hin spreizte sie die Beine und auf einmal füllte er sie wieder, wie er es achtzehn Jahre zuvor getan hatte. Er stöhnte ihren Namen, als seine Finger durch die dicht gelockte Masse ihres Haars fuhren. Allegra fuhr mit ihren Fingern hart an seinem Rücken runter, zerkratzte ihm die Haut, als sie spürte, wie er zum Höhepunkt kam und an ihr erbebte. 

Tränen standen ihr in den Augen, als sie sich wieder öffneten, als er sich wenige Augenblicke später zurückzog, um sich wieder aufzusetzen. „Michael ... ich habe Euch so sehr vermisst“, sagte sie zu ihm. 

Er bekam keine Gelegenheit ihr zu antworten, denn in dem Augenblick trat Maella unangekündigt ins Zimmer, die beim Anblick, der sich ihr dort darbot, abrupt stehen blieb. 

Allegra hatte sich wieder auf die Knie gerollt, als Michael sich aus ihr herausgezogen hatte, aber ihr Haar und ihre Gewänder waren arg durcheinander und da waren nasse Spuren auf ihrem Bliaut. 

„Was ist, Maella?“, fragte Allegra mit scharfer Stimme, einfach nur um ihre Schuldgefühle zu verbergen. Sie hatte nicht daran gedacht, die Tür zu verriegeln, es war alles so schnell geschehen. Ihre Lippen waren ein schmaler Strich, als sie sich auf die Füße hochkämpfte. Sie wusste, dass ihre Zofe ihr absolut ergeben und loyal war, und das verlieh ihr den Mut so zu tun, als wäre nichts geschehen. 

„Mein Herr, Lord Merle, wünscht Euch in der großen Halle zu sehen“, sagte ihre Dienerin mit warnender Stimme zu ihr. „Er trug mir auf Lord d’Arcy beim Ende seines Bades zur Hand zu gehen und Euch zu holen, weil er mit Euch zu sprechen wünscht.“ 

„Die Tunika und die Beinkleider von seiner Lordschaft Michael sind dort beim Feuer“, sagte Allegra mit aller damenhaften Eleganz, die ihr noch verblieben war, bevor sie fluchtartig aus dem Zimmer eilte. 

Maella hingegen warf Michael einen strengen Blick zu, als sie sich anschickte ihm beim Ankleiden zu helfen.