
KAPITEL NEUN
Breakston besaß eine wenig gastfreundliche, finster aussehende Festung, die nahe am Gipfel eines niedrig gelegenen Berges lag. Sie war viel kleiner als die Festungen von sowohl Derkland als auch Langumont, und sie befand sich auch nicht in einem so guten Zustand wie jene Ländereien und die Gebäude auf dem Land derselben. Selbst aus der Entfernung konnte Dirick erkennen, dass Teile der Mauern am Einfallen waren.
Das Dorf, ebenfalls kleiner, war voll von einfachen Menschen, die Dirick rasch aus dem Weg gingen und hinter verschlossenen Türen spähten sie nach draußen, als er durchritt. Die Mehrzahl der Dächer schienen in leidlich gutem Zustand zu sein, aber das Schweigen, das im Dorf herrschte, war wie ein tiefer Schnitt ins Fleisch.
Die Reise hatte nicht lange gedauert. Er war den ganzen Tag über hart geritten, wobei er die aufgestaute Energie von Nick aufgebraucht hatte. Jetzt, wo er sich dem Fallgitter näherte und die Sonne gerade unterging, war Dirick die Aussicht auf eine Lagerstatt überaus willkommen. Kalter Wind blies ihm schneidend ins Gesicht und der Proviant, den Maris ihm mitgegeben hatte, war schon lange verzehrt.
Maris.
Er hatte oft an sie denken müssen, an diesem Tag auf Reisen. Viel zu oft.
Als die riesigen Eisentore bedrohlich vor ihm auftauchten, zog Dirick plötzlich an den Zügeln.
„Wer da?“, erscholl eine Stimme von oben.
„Dirick de Arlande, mit der Bitte um Beistand“, rief er zur Antwort und legte den Kopf nach hinten, um nach oben zu sehen.
Es folgte eine lange Pause, dann kam die Stimme wieder, „woher des Wegs, Sir Dirick?“
„Ich komme ursprünglich aus Paris und gerade kürzlich aus Dover“, entgegnete er. „Ich bin seit Tagen unterwegs, auf der Suche nach Arbeit. Ich habe recht viel Übung an der Waffe.“
Wieder folgte hierauf eine lange Pause. Dann, „Ihr seid Franzose?“
„So ist es. Ich stamme aus der Nähe von Brest“, erwiderte Dirick, wobei er versuchte seine Stimme nicht allzu ärgerlich klingen zu lassen. Außer es lagen ungewöhnliche Umstände vor, hob man sich Fragen wie diese meistens für einen Zeitpunkt nach dem Einlassen eines einsamen Ritters auf.
Endlich begann das Fallgitter zu ächzen und heftig zu erzittern, als es nach oben gezogen wurde. Dirick trieb Nick vorwärts und war sich nicht sicher, ob das schwächelnde Tor sich in einem Zustand befand, der ihm ein sicheres Passieren gewährleisten würde. Einmal im Burghof angelangt wurde er von einem untersetzten, pockennarbigen Mann, überaus voll der eigenen Wichtigkeit, begrüßt.
„Seid willkommen auf Breakston, Sir de Arlande“, sagte er. Ein Mann lungerte im Hintergrund herum, bis er herrisch nach vorn gewinkt wurde, „kümmere dich um das Pferd dieses Mannes, Severn.“
Dirick übergab Nick dem Burschen erst nach einigem Zögern, aber der Mann schien sich mit Pferden auszukennen und führte das Schlachtross ohne viel Mühe weg. „Ich danke Euch vielmals, dass Ihr mir Eintritt gewährt habt“, sprach er zum ersten der beiden Männer.
„Ich bin Sir Robert, der Burgvogt auf Breakston. Mein Herr, Bon de Savrille, erwartet seinen Gast im Saal.“ Dabei blieb es. Kein Lächeln, kein freundlicher Gruß – gerade mal der fast unverhohlene Befehl, dass Dirick sich hineinzubegeben habe.
Er verzog innerlich das Gesicht und folgte Robert über den kleinen, vollgestellten Burghof – mit einem immer stärker werdenden Gefühl, dass König Heinrich Recht hatte. Zumindest der Verdacht, dass de Savrille sein Lehen verkommen ließ, stimmte wohl. Was wiederum weniger Einkünfte und Steuern für den König verhieß.
Dirick fiel auf, dass der Wohnturm ein paar Reparaturen vertragen könnte, aber er war beileibe nicht dabei, um ihn herum zusammenzukrachen. Es gab nicht viele Leibeigene, noch waren viele Soldaten zu sehen. Es war ein wesentlich leiserer, unfreundlicherer Ort als sein eigenes Zuhause und als Langumont.
Sir Robert führte ihn durch die verrauchte Halle, deren Boden von so altem und verrottetem Stroh bedeckt war, dass es unter ihren Stiefeltritten zerbröselte. Mehrere Hunde begrüßten sie, schnüffelten an ihren Absätzen, bis Sir Robert einen Fuß hob, um nach ihnen zu treten. Da trollten sie sich zu einer Stelle unter einem der Tische. Rauch hing viel zu tief in der Luft, zusammen mit dem Gestank von altem Fett und fauligem Essen. Während er vorsichtig durch die Nase einatmete, hoffte Dirick, dass er nicht allzu lange Gast auf Breakston sein würde.
Bon de Savrille, so nahm Dirick an, war der stämmige, bärtige Mann, der nahe beim Feuer auf einem großen Stuhl saß. Zumindest der Glut hier mangelte es an nichts. De Savrilles dunkle Augen bohrten sich in ihn, als Dirick näher kam, das Misstrauen machte sie fast zu Schlitzen. Sofort entspannte Dirick seine Gesichtszüge und setzte eine ausdruckslose Miene auf.
„Mylord de Savrille“, begrüßte er ihn, kaum hatte er die Wärme des Feuers erreicht. Er machte eine formvollendete Verbeugung und als er elegant wieder hochkam, fügte er schon hinzu, „meinen aufrichtigsten Dank für einen Platz zum Schlafen für die Nacht.“
„Es ist gut“, antwortete Bon und nahm einen Schluck aus einem Pokal.
Dirick verneigte seinen Kopf vor dem anderen Mann am Feuer, ein kürzer geratener, mit Sommersprossen übersäter Mensch mit einem wirren Schopf von rotem Haar. Sein Bauch hatte fast den Umfang von Lord Savrilles. Seine Augen blickten zwar nicht halb so stechend, aber auch auf seinen Gesichtszügen lag etwas wie Misstrauen. „Mylord“, grüßte er den anderen Mann, unsicher, welchen Titel er wohl innehatte.
„Darf ich vorstellen, Edwin Baegot“, sagte Bon ohne viel Umstände.
„Seid gegrüßt, Sire“, antwortete Dirick und setzte sich dann ohne viel Umschweife auf einen grob gehobelten Hocker gleich bei Bon de Savrille.
„Agnes!“, brüllte Bon. „Bring diesem Mann etwas Essen und mehr Ale für mich!“
Ein Schatten kam aus einer nahe gelegenen Ecke hervorgekrochen und nahm die Gestalt einer vermummten, verängstigten Frau an, um dann aus dem Zimmer zu eilen. Als Diricks Augen ihr folgten, fiel ihm auf, dass in der großen Halle fast gar keine Soldaten, Leibeigene oder irgendwelche anderen Anzeichen von Leben zu sehen waren, bis auf die räudigen Köter, die ihnen ins Zimmer gefolgt waren. Da er spürte, wie schwer die misstrauischen Blicke von Edwin auf ihm lasteten, behielt Dirick sein ausdrucksloses Gesicht bei, trotz der Tatsache, dass sein Verstand gerade überaus eifrig nachdachte. Als Allererstes würde Heinrich einen anderen Vasallen für Breakston finden müssen.
Edwin erkundigte sich nach seiner Reise und Dirick füllte das Schweigen mit belanglosem Gebrabbel über die Straßen und die Löcher darin, zusammen mit Bemerkungen zum Wetter.
„Ah, endlich bist du zurückgekehrt, du nichtsnutzige Kreatur!“, grüßte Bon da Agnes, die fast über einen der Hunde stolperte. „Dumme Schlampe“, murmelte er, als sie vorsichtig eine großzügige Portion Ale in seinen Pokal einschenkte und dabei nicht einen Tropfen vergoss.
Als sie sich umdrehte, um Dirick ein Stück harten Brotes und einen bleichen, gelben Käse anzubieten, bemerkte er die lange, fast violette Narbe, die ein ansonsten hübsches Gesicht verunzierte. Normalerweise hätte ihr Haar es verdeckt, aber als sie nach vorne trat, schwang es ihr nach hinten, aus dem Gesicht.
„Ich danke Euch, Mylady.“
„Lady?“, schnaubte Bon verächtlich und spuckte fast das Ale in Diricks Gesicht. „Wenn Ihr Gefallen an der da findet, wird sie die Beine so schnell breit machen, dass sie Euch dabei umwirft. Lady! Ha!“
Agnes zog den Kopf ein und ihr Haar verdeckte jetzt wieder ihr Gesicht. Sie wandte sich ab, in Richtung ihrer Ecke, und zog die Falten ihres weiten Gewandes etwas hoch, damit sie nicht wieder stolperte. Dirick wandte sich seinem Essen zu und unterdrückte alle sichtbaren Anzeichen des Mitleids für diese Frau.
Als Ale ihm an seinem schön gestutzten Bart entlangtropfte, wischte Bon sich mit einer Hand breit über den Mund und fragte, „wie geht es dem Earl von Chantresse? Ist es wahr, dass seine Tochter Enrique du Mathilde heiraten sollte?“
Dirick kratzte abwesend ein bisschen Schimmel von dem letzten Stück Käse und war sich darüber im Klaren, dass de Savrille wahrscheinlich gerade dabei war, die Geschichte zu überprüfen, ob sein Gast auch wirklich französisch war. Die Tatsache, dass er das für notwendig hielt, war recht aufschlussreich.
„So ist es, Mylord, sie wurden letzten Mittsommer vermählt. Man sagt, die Tochter – Elisabet – wurde gewissermaßen zum Alter geschleift und dass ihr Papa ihr Jawort sprach.“ Er gab ein kurzes, grunzendes Lachen von sich in der Gewissheit, dass Bon die Geschichte amüsant finden würde.
„Möge der Herrgott dafür sorgen, dass an meinem Hochzeitstag derlei nicht notwendig sei“, grübelte Bon da hinter der Hand, die seinen Bart wieder trocken wischte. Die Worte waren leise gesprochen und nicht für seine Ohren bestimmt, aber Dirick vernahm die Bemerkung ohne viel Schwierigkeiten.
„Es ist kaum wahrscheinlich, dass es hier anders zugehen wird“, murmelte Edwin etwas lauter.
Bon schoss ihm einen wütenden Blick zu, was aber Diricks harmlos daher geplauderte Frage nicht verhinderte. „Wird es hier bald Hochzeit geben?“ Er sah sich betont offensichtlich nicht in der öd daliegenden Halle um.
„Ja, wenn das Weib mich nimmt“, antwortete Bon. Er und Edwin tauschten vielsagende Blicke aus, gefolgt von heiteren Lachausbrüchen.
„Und das glückliche Weib? Hat sie denn eine große Mitgift zu bieten?“ Vielleicht benötigte de Savrille mehr Gelder, um die Burg wieder herzustellen und beabsichtigte sich diese bei seiner Angetrauten zu holen.
Bons Augen wurden zu Schlitzen, als ihm plötzlich aufging, dass die Wendung, welche die Unterhaltung genommen hatte, nicht seinem Geschmack entsprach. „Es ist eine Liebesheirat“, fuhr er Dirick böse an.
Das verursachte einen Hustenreiz bei Edwin. Er drohte an seinem Ale zu ersticken und war gezwungen es auf den Boden auszuspucken. Die Hunde rannten freudig herbei und schlichen sich dann wieder fort, als sie merkten, dass es nur Ale war.
Bon funkelte seinen amüsierten Begleiter wütend an und stand abrupt auf. „Dort ist ein Platz für Eure Schlafstatt. Ihr werdet uns morgen bei einer Jagd begleiten, Sir Dirick.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und brüllte zu dem Lumpen in der Ecke. „Agnes, komm!“
Dirick beobachtete, wie sie weggingen und dann sammelte er unter dem scharfen Blick von Edwin seine Habseligkeiten zusammen und trollte sich in die ihm vorhin von de Savrille angezeigte Ecke. Dort schliefen nicht mehr als fünf Mann, in einem Raum, von dem er annahm, dass er das Quartier für die Ritter war, und während er seine Decke ausbreitete, schoss ein kleines, pelziges Tierchen daraus hervor und davon. Ratten.
Sein Magen verdrehte sich und beinahe hätte er seinen König verflucht, weil dieser ihn losschickte, nur um hier zwei Vollidioten auszuspionieren, wie sie zwischen ihren Ratten lebten. Aber er verbiss es sich gerade noch, denn seinen, ihm von Gott gegebenen, obersten Herrscher zu verfluchen, so würde ihn sein Bruder der Mönch warnen, würde entweder am Galgen enden, wenn er es laut aussprach, oder in der Hölle der Verdammnis, wenn er es lautlos tat.
Stattdessen streckte Dirick seinen von der Reise ausgelaugten Körper auf der einzigen sauberen Oberfläche in dieser Burg aus und schloss die Augen.
~*~
Maris saß wohlerzogen in ihrem Sattel, die goldenen Röcke flattern leicht. Der leuchtend blaue Mantel, den Dirick de Arlande so bewundert hatte, bedeckte sie von den Schultern bis zu den Füßen und auch noch ein gutes Stück von Hickorys Hinterteil. Maris’ kastanienbraunes Haar war züchtig bedeckt von einer schweren, goldenen Stola, von Nerz umsäumt, und ihrer Hände waren in den mit Eichhörnchenfell umsäumten Falten ihres Umhangs verborgen.
Jeder Zoll von ihr sah aus wie die wohlerzogene, anständige Herrin des Anwesens. Aber innerlich kochte sie.
„Seid Ihr sicher, dass Ihr noch nicht zu erschöpft seid, Mylady?“, fragte Sir Victor gerade zum wahrscheinlich zwölften Mal, seit sie das Eingangstor von Langumont passiert hatten.
„Nein“, erwiderte sie zum zwölften Mal, zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. Um die Wahrheit zu sagen, war sie müder davon geworden, Hickory von einem munteren Trab – oder gar einem schnellen Galopp – abzuhalten, nach dem die Stute ebenso lechzte wie ihre Herrin.
Von der Seite warf Maris einen Blick zu dem Mann hin, der ganz entspannt neben ihr her ritt. Er saß aufrecht hoch zu Ross, hielt die Zügel locker in der Hand, wobei er seinem Blick gestattete, über die Dorfbewohner und die Häuser der Ansiedlung zu wandern.
Victors Kappe aus glattem Haar, so bleich wie der Weizen, der auf den Feldern Langumonts wuchs, bewegte sich kaum, als er in seinem Sattel auf und ab wippte. Er war durchaus nicht hässlich zu nennen, musste sie sich eingestehen – genauer gesagt war er ein recht netter Anblick. Er schien auch einen ausgeglichenen Charakter zu haben, auch wenn er wie ihre Mutter dazu neigte, sie zu beschützen, als wäre sie ein Kind. Es war Victor gewesen, der den Ausritt vorgeschlagen hatte und Maris – die sich schon ein schnelles Wettrennen über das große Feld im Nordwesten in Richtung Wald ausmalte – hatte mit Begeisterung zugestimmt. Aber, oh je, als sie Hickory die Zügel lang schießen ließ und sie sich, kurz nachdem sie die Burgmauern hinter sich gelassen hatten, in einem Trab in Bewegung setzte, hatte ihr Begleiter sich zu ihr rüber gebeugt und hatte ihre Stute durch festes Zupacken an ihren Zügeln zu einer langsameren Gangart gezwungen.
Es hatte sie jedes Quäntchen eiserner Selbstbeherrschung gekostet, die sie besaß, um nicht wie eine Furie über ihn herzufallen. Stattdessen hatte Maris, eingedenk der Wünsche ihres Vaters, ihre wütenden Worte ob seiner Anmaßung heruntergeschluckt und sich widerstandslos auf die langsame Gangart eingelassen. Vielleicht wusste er nicht von Frauen, die sich wie sie auf einem Pferderücken wie zu Hause fühlten, dachte sie bei sich, als sie sich vorsichtig ihren Weg an der Hauptstraße des Dorfes entlang bahnten.
„Einen guten Tag, Mistress Beth“, rief sie in Englisch der Frau des Hufschmieds mit einem Handwinken zu.
„Auch Euch einen guten Tag, Herrin“, antwortete die andere Frau mit einem strahlenden Lächeln. Sie hatte ihr jüngstes Kind an der Hand und machte dem Kleinkind klar, auch er solle der großen Dame zuwinken, die gerade vorbeiritt.
„Ihr gebt Euch viel zu vertraulich mit den einfachen Leuten, Mylady“, murmelte Victor angewidert. „Und warum um Himmels Willen wünscht Ihr denn ihre grobe Sprache zu sprechen?“
Maris starrte ihn schockiert an. „Und wie sonst sollte ich mich denn mit ihnen verständigen, wenn ich nicht ihre Sprache spreche?“, purzelte es aus ihr heraus.
Victor drehte sich überrascht zu ihr um. „Wie ich – und der Rest des Adels – es tun: mit Hilfe eines Übersetzers. Es wäre nur zu Eurem eigenen Vorteil, dass Ihr, wenn Ihr an den Hof kommt, vergesst, dass Ihr Englisch sprecht ... andernfalls werdet Ihr Euch und damit auch mich zum Gespött der Leute machen.“
Maris starrte ihn jetzt wütend an. „Dann dürfte mein Vater in Euren Augen nicht zum Adel gehören, denn es war eben genau er, der mich dazu ermuntert hat, die Sprache zu lernen. Er selbst spricht sie noch besser als ich!“
Victors Antlitz verfärbte sich ganz leicht. Es hätte im Grunde auch nur eine besonders kalte Windböe sein können, die seine Wangen rosa färbte. Er sah überrascht aus. „Mylady, ich–“
„Es ist nur zu meinem Besten, Sir Victor, mich auf niemanden zu verlassen als auf mich selbst, wenn es um das geht, was man so zu mir spricht. Übersetzer sind dafür bekannt, dass sie die Wörter anderer zu ihren eigenen verdrehen. Selbst der König und die Königin lesen und schreiben ihre Worte selbst, sprechen die Sprache ihrer Untertanen ebenso wie ihre eigene.“
„Lady Maris–“
Sie ließ ihn nicht ausreden. Ihr Temperament war jetzt mit ihr durchgegangen und die Wünsche ihres Vaters wurden jetzt von ihr in den Wind geschlagen. „Und ich bin die Herrin auf Langumont“, sie setzte sich in ihrem Sattel zu ihrer ganzen, kleinen Länge auf. „Es bekümmert mich nicht, was die Ladys – oder auch die Männer – bei Hofe von mir denken könnten. Und ganz besonders wenig bekümmert es mich, ob Ihr zum Gespött werdet, weil ich mich dafür entscheide mit meinen Leuten zu reden. Und“, sie lehnte sich in ihrem Sattel jetzt ein wenig zu Victor hin, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, „Ihr, Sir, maßt Euch allzu viel an, denn ein Verlöbnis ist weder angekündigt noch ist der Vertrag dazu bereits unterzeichnet worden!“ Sie lehnte sich wieder zurück und holte einmal tief Luft, bereit noch einmal in dieses Gefecht zu ziehen.
„Ah, aber Mylady, da irrt Ihr Euch aber nun.“ Victors Stimme war ganz sanft ... zu sanft und ein unerwartetes Zittern rann ihr schaudernd den Rücken runter. „Gerade in diesem Moment, wo wir so gemächlich dahintrotten, nehmen unsere Väter letzte Änderungen an den Eheverträgen vor. Die Übereinkunft soll heute Abend bei Tisch bekanntgegeben werden und wir werden den Verträgen in zwei Tagen das Siegel aufsetzen.“
Als Victors Worte ihr ins Bewusstsein drangen und Maris aufging, dass ihre Verlobung wirklich eintreten würde, gab sie dem Verlangen, auf der Stelle wegzurennen, nach.
Mit einer raschen Bewegung, die sie schon vor Jahren meisterlich eingeübt hatte, raffte sie ihre Röcke zusammen und brachte ihr rechtes Bein über den Sattel, so dass sie nun ihre Stute mit einer zwar wenig damenhaften, aber überaus praktischen Sitzstellung zwischen den Schenkeln hatte. Zugleich trat sie rasch mit den Fersen in die Flanken von Hickory und ließ die Zügel schießen. Hickory schoss vorwärts. Sie hörte Victors lauten Überraschungsschrei hinter sich und als sie über ihre Schulter zurück blickte, sah sie, dass er ihnen jetzt nachgesetzt hatte.
Sie unterdrückte ihren Freudenschrei angesichts der Freiheit in vollem Galopp über ein unberührtes Feld von weißem Schnee zu fegen und drängte Hickory immer weiter, wobei sie das Risiko, das sie auf sich nahm, ihren Verlobten zu verärgern, in vollen Zügen genoss. Es wäre die unvermeidliche Schelte wert, dachte sie bei sich, als sie in Hickorys Mähne grinste.
Die Steinmauer zu überspringen war ihnen ein Leichtes, die dort das Ende von dem Weizenfeld des Lord von Langumont markierte. Jetzt hielten sie direkt auf den dichten Wald zu. Maris’ Kopfbedeckung löste sich und fiel flatternd auf einen niedrigen Busch. Ihr langer Zopf flog jetzt frei im Wind, das Ende davon schlug immer wieder auf Hickorys Rumpf auf, im Rhythmus der Galoppschritte der Stute.
Bei einem Blick nach hinten über ihre Schulter sah sie Victor, der tief über den Hals seines Pferdes gebeugt über das Feld raste. Mit einem inneren Seufzer der Kapitulation ließ sie Hickory langsamer werden, gerade als sie an den Ausläufern des Waldes angekommen waren. Sie drehte sich um und Maris beobachtete, wie Victor in rasendem Galopp neben ihr anlangte, wobei er sie fast beide zertrampelt hätte. Entweder war er außer sich vor Wut und es bekümmerte ihn nicht, ob er ihr ein Leid antat, oder er konnte nicht so gut mit seinem Reittier umgehen, wie es ratsam gewesen wäre.
Bevor sie noch einen Gedanken fassen und sprechen konnte, riss er ihr die Zügel aus der Hand und zog Hickorys Kopf in Richtung des Hinterteils von seinem Hengst, so dass er und Maris sehr nahe beieinander waren und sich ansahen. Seine Augen waren fast schwarz und sein Mund zusammengepresst zu einem harten Strich. „Seid Ihr von Sinnen, Weib?“, waren seine ersten Worte. „Werde ich mich mit einer Wahnsinnigen vermählen?“
„Nein, ich–“
„Schweigt!“, polterte er derart wütend los, dass sie ihren Satz lieber nicht zu Ende brachte. Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und während er immer noch die Zügel ihrer Stute festhielt, glitt er von seinem Pferd und landete im Schnee, der ihm bis halb die Unterschenkel hinauf reichte. Er legte sich die eigenen Zügel über den Arm, reichte zu ihr hoch und packte sie am Handgelenk. „Lasst Euch von mir vom Pferd helfen“, sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, und zerrte sie fast vom Sattel herunter. Sie kam anmutig herabgeglitten und landete da dann in seinen Armen.
Er ließ die Zügel fahren, zerrte sie näher an sich und die andere Hand streckte sich aus, um sich fest um ihr Kinn zu legen. Sein Gesichtsausdruck war finster und entschlossen und zum ersten Male verspürte Maris einen Anflug echter Sorge und sie trat instinktiv einen Schritt zurück, wobei sie ihr Gesicht zur Seite wegzerrte.
„Oh nein“, flüsterte er, als er sie da wieder an sich riss, seine Finger packten sie fester am Arm. „Ihr tretet nicht von mir weg, Eheweib“,
„Ich bin nicht Eure–“
Ihre Worte wurden unterbrochen, als er seinen Mund brutal auf ihren drückte. Bei ihrem unwillkürlichen Keuchen ging seine Hand an ihren Hinterkopf, seine Finger krümmten sich rücksichtslos in ihr Haar, zogen es runter, um sie ruhig zu halten. Er hielt sie auf diese Weise umklammert, während seine Lippen und seine Zunge brutal ihren Mund in Besitz nahmen. Die Hand an ihrem Handgelenk löste sich, um sich um ihre Taille zu legen und sie fester an seine Hüften zu zerren, während die Finger seiner anderen Hand von hinten gegen ihren Schädel pressten.
Maris kämpfte die Übelkeit nieder, die ihr angesichts seines zornigen Übergriffs in den Hals stieg. Ihre Augen schlossen sich und sie stieß wutentbrannt gegen ihn. Sie hätte es besser wissen müssen als ihn derart zu verärgern.
Endlich löste er sich von ihrem Mund, schwer atmend, und schaute mit lustverschleierten Augen auf sie herab. „Ja, Ihr werdet mir ein gutes Eheweib sein“, er atmete ihr Frost ins Gesicht, „wenn Ihr erst einmal gelernt habt, dass man mir in allen Dingen gehorchen muss.“ Als sie wie erstarrt dastand, streckte er die Hände aus und machte sich an den Schnüren ihres Umhangs zu schaffen.
„Was–“
„Ich gebot Euch doch zu schweigen.“ Seine Hand schoss hoch, um sie am Kinn zu kneifen, wo er dann seine Finger heimtückisch verdrehte. „Ich begehre zu erfahren, welche anderen Reichtümer ich noch erhalte, zusammen mit den Ländereien von Langumont.“ Bevor sie ihm widersprechen konnte, fiel ihr Umhang wie ein Meer aus Blau zu Boden in den Schnee. Entsetzt begriff sie, was er da gerade tat. Sicherlich beabsichtigte er nicht sie hier zu ... entkleiden.
„Nein“, schrie sie, wobei sie ihre äußere Tunika fest um ihren Hals schloss.
Er packte ihre Handgelenke und zwang diese nach hinten, hinter ihren Rücken, und legte seine Hand wie ein V an ihr Kinn an, wo er sie am Hals gepackt festhielt. Maris spürte die raue Baumrinde hinter sich, die ihr an den Händen schürfte, als er seinen Mund auf ihren zwang. Als der Kuss tiefer wurde, glitt seine Hand von ihrem Kinn hinab, um eine ihrer Brüste zu umfassen. Sie zuckte vor Schreck zusammen und riss mit einer verzweifelten Verdrehung ihren Mund weg.
„Last mich los“, forderte sie, ihre Stimme unsicher vor Schock. Zu ihrem eigenen Entsetzen spürte sie, wie ihr eine Träne die Wange herunterrann.
Victor beachtete ihren Befehl nicht und presste seine Hüften gegen ihre. Sie fühlte dort das Ansteigen seiner Lust, hart und bedrohlich an ihrer Hüfte und Maris kämpfte darum, ihren Atem ruhig zu halten. Sicherlich würde er nicht ... hier. Sicherlich. Solche Gedanken waren das Einzige, was sie noch halbwegs bei Sinnen hielt.
Victor lächelte mit kalter Genugtuung, während er ihre Brust durch drei Lagen Wolle knetete, wobei er sie ausgiebig kniff und streichelte. „Es ist nur zu offensichtlich, dass Ihr derlei Berührungen nicht gewohnt seid, andernfalls gäbe es noch andere Dinge, die Ihr lernen müsstet.“ Er presste ihr einen fast zärtlichen Kuss auf die zerschundenen Lippen.
Maris drehte sich verzweifelt weg. „Lasst mich los“, sagte sie erneut und versuchte sich ihm zu entwinden.
„Schon bald werdet Ihr meine Gemahlin sein“, sagte er mit harter Stimme, seine Hand packte sie fester an Brust und Handgelenken. „Und ich bin entschlossen, dass wir gut zueinander passen werden, Mylady. Nein, ich werde sicherstellen, dass wir zueinander passen werden.“
Das Letze war wie geplaudert, während seine Finger die Brustwarze fanden und damit spielten, die schon ganz steif vor Kälte war. Er kniff sie hart genug, so dass sie ein Keuchen nicht unterdrücken konnte. Und indem er sein Knie etwas beugte, presste er seine Hüften gegen ihre Hüfte, als er mit seinen Zähnen abermals ihren Mund aufzwang. Ein leises Stöhnen entwischte ihm da, als er lange seine pochende Erektion an der Stelle zwischen ihrem Oberkörper und ihrem Schenkel rieb.
Er löste sich und sah zu ihr hinunter. Während er immer noch ihre Handgelenke festhielt, benutzte er seine andere Hand als Kamm, in ihrem zerwühlten Zopf.
„Wunderschön“, atmete er befriedigt aus. „Wenn wir bei Hofe sind, werdet Ihr das hier mit nichts als einem Netz aus Juwelen bedecken.“ Mit einer raschen Drehung des Handgelenks, packte er eine Handvoll ihres Haars und zerrte sie jäh und brutal genug, so dass ihr Kopf nach hinten schnappte und sie ihm ins Gesicht sah.
Victor sah ihr in die weit aufgerissenen Augen. „Ihr habt mich verärgert, Mylady. Ihr habt mich verärgert mit Eurer scharfen Zunge und Eurem ungebührlichen Betragen – als Ihr da über die Feder losgerast seid. Gebt Acht, dass Ihr mich zukünftig nicht mehr verärgert, Maris, und wir werden es gut miteinander haben.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und stapfte durch den tiefen Schnee davon. Er sammelte die Zügel seines Reittiers wieder ein, schwang sich in den Sattel und – ohne einen Blick zurück – trieb er das Pferd zu einem lockeren Trab in Richtung Burg an.
Zitternd und wie betäubt hob Maris mit steifen Händen ihren Umhang vom Boden auf. Als sie sich den Umhang um die zitternden Schultern legte, versuchte sie die Tränen zurückzuhalten. Die Herrin von Langumont würde nicht weinen. Sie drehte sich um, um sich umzusehen, und erblickte da Hickory. Mit einem Pfeifen holte sie die Stute zu sich.
Wie eine schwere Last lag all das auf ihr, als sie in den Sattel stieg und ihre zitternden Hände nach den Zügeln griffen. Schon in zwei Tagen würde er ihr Verlobter sein. Als ihr angetrauter Ehemann besaß er sie dann restlos – besaß sie – und konnte tun, wie ihm beliebte. Er konnte sie schlagen, sie gegen ihren Willen nehmen und sogar töten, wenn er so wollte. Maris hatte vor knapp einem Jahr eine junge Frau getroffen und sich um sie gekümmert. Die Frau, Lady Joanna, war von ihrem Ehemann fast zu Tode geprügelt worden.
Mit einem traurigen, schaudernden Seufzen trieb sie Hickory zu einem langsamen Trab an. Tränen brannten ihr in den Augenwinkeln, als sie die Zügel so fest umklammert hielt, dass ihre Nägel sich spitz in ihre Handflächen eingruben.
Noch nie in ihrem Leben war Maris Opfer solch brutalen Zorns gewesen wie dem von Victor. Ihr Vater hatte nie Hand an sie oder Allegra gelegt – obwohl die Wut in seiner Stimme gelegentlich die Dachbalken über ihnen zum Einsturz zu bringen drohte. Ihr Herz fand langsam zu einem Rhythmus zurück, der nicht ganz so rasend war, und als Maris anfing allmählich über ihren Schrecken hinwegzukommen, wurde sie wütend.
Viel von dieser Wut richtete sich gegen sie selbst, denn auch wenn sie impulsiv und starrköpfig sein konnte, wusste Maris, dass sie genug Schwächen hatte, um einen Mann zornig werden zu lassen.
Teilweise war sie wütend auf sich selbst, weil sie sich entschlossen hatte einen Mann zur Weißglut zu treiben, bevor sie sein Wesen und seinen Charakter kannte ... aber größtenteils war sie enttäuscht von sich selber, weil sie seine Handlungen einfach so hingenommen hatte, ohne sich entschlossener gegen ihn zur Wehr zu setzen. Victors Zorn und die erniedrigende Art und Wiese, wie er ihn ausgelebt hatte, hatte eine lähmende Wirkung auf sie ausgeübt ... sie war nicht geistesgegenwärtig genug gewesen die Hand zu beißen, die sie am Kinn festgehalten hatte, oder ihr Knie in seine pochende Leistengegend zu heben.
Die Erinnerung an diese harte Länge, die sich in ihre Schenkel gepresst hatte, machte, dass ihr Bitterkeit im Hals hochstieg und sie fast erstickte. Sie schluckte es wieder runter. Wie könnte sie ihm nur gestatten, sie wieder zu berühren? Wie würde sie es je über sich ergehen lassen, wenn er seine ehelichen Rechte einforderte?
~*~
Michael d’Arcy unterdrückte ein Rülpsen und wischte sich mit der Hand über den Mund, während sein Blick durch die große Halle schweifte. Sie war leer und verlassen, bis auf ein paar Leibeigene, die alles für das abendliche Mahl vorbereiteten, und er nutzte diesen Moment, um sich der genüsslichen Gewissheit hinzugeben, dass all das hier bald ihm gehören würde ... ihm und seinem Sohn.
Am Morgen eben dieses Tages hatte Merle dem Ehevertrag zugestimmt und er würde die lang erwartete Ankündigung heute Abend bei Tisch bekannt geben. Sie würden in zwei Tagen nach einer Zeremonie den Vertrag unterzeichnen und alles wäre dann sein.
Während er einen weiteren Schluck Ale runterschluckte, bemühte Michael sich ein selbstgefälliges Lächeln davon abzuhalten, sich allzu offensichtlich auf seinem Gesicht abzuzeichnen, als er an all die Macht dachte, die Langumont ihm einbringen würde. Seine eigenen Ländereien waren bei Weitem nicht genug, um ihm einen Einfluss beim König zu sichern, aber mit Langumont, Edena und Damona hinter sich, würde selbst Heinrich auf ihn hören müssen.
In dem Augenblick zog eine Bewegung in der Nähe der Wendeltreppe seine Aufmerksamkeit auf sich und Allegra erschien da. Wie stets reagierte sein Körper schon beim bloßen Anblick der Frau und er streckte sich genüsslich auf Merles Stuhl. Jesù, hatte diese Frau ihn am Gemächt.
In all diesen Jahren hatte er sie nie vergessen, denn sie hatte ihm das Bett gewärmt und sich besser um seine Bedürfnisse gekümmert als jede Hure, Edelfrau oder auch seine Frau es vermocht hatte. Er nahm an, dass all das Liebe war, denn selbst jetzt noch, nach achtzehn Jahren, konnte er nicht genug von ihrem Körper kriegen. Heute in der Früh schon hatten sie sich in einer abgelegenen Ecke in den Stallungen getroffen, als Victor und Maris ihre Reittiere für einen Ausritt sattelten ... und Michael hatte da selber einen angenehmen Ritt ganz nach seinem Geschmack genossen.
Er war nicht mehr in der Lage das selbstgefällige Grinsen von seinem Lippen zu bannen, aber versteckte es hinter dem Pokal mit Ale.
Seit ihrer Ankunft auf Langumont hatten ihn diese rasenden Schmerzen in seinem Schädel nicht mehr heimgesucht und auch das war ein Grund zur Zufriedenheit. Diese Attacken erschreckten ihn ob ihrer Intensität und auch wegen der schwarzen Erinnerungen und Bilder, die sie begleiteten. Er suchte stets nach Wegen sich diese unbändige Wut auszutreiben, die ihn innerlich zerfraß, wenn diese Attacken eintraten, aber je mehr Jahre vergingen, desto schwieriger wurde es.
Michael schob derlei kleinere Ärgernisse beiseite, als er Allegra in der Nähe vorbeigehen sah. Er wollte sie wieder haben. „Mylady“, rief er ihr zu und hob den Pokal, „kommt, es dürstet mich wieder.“
~*~
Es war ein interessantes Grüppchen, das sich an jenem Abend am Ehrentisch versammelt hatte: ein Abend, der für alle Beteiligten von höchster Wichtigkeit war.
Auch für jemanden, der nur den flüchtigsten Blick über sie wandern ließ, erschien Lady Allegras Gesicht angespannt und abgehärmt. Unter ihren Augen lagen die Schatten von schlaflosen Nächten und ihre sonst so ordentlich gerichtete Frisur war ungeordnet, mit einigen Strähnen, die sich daraus gelöst hatten und ihr ins Gesicht hingen.
Neben ihr saß Lord Michael, der geradezu unverschämt selbstzufrieden mit sich zu sein schien. Er ließ der Frau neben ihm am Tisch ganz besonders viel Aufmerksamkeit zuteil werden – aber sie schien nichts um sich herum wahrzunehmen und verbrachte die meiste Zeit des Mahls damit, ins Leere zu starren, mit einem zerquälten Ausdruck in ihren Augen.
Sir Victor vermochte kaum seinen brennenden Blick von der bald offiziell mit ihm verlobten Frau zu lösen. Auch um ihn schien ein besitzergreifender Zug von Selbstgefälligkeit zu liegen.
Maris war recht kleinlaut. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit nur auf das Essen und nahm die ausgesuchten Leckerbissen von Kapaun und Gans, dargeboten von Victor, ohne ein Wort entgegen.
Als das Mahl fast sein Ende erreicht hatte – gerade noch bevor der letzte, süße Gang aus der Küche hereingetragen wurde –, stand Lord Merle auf, stellte sich vorsichtig hinter die lange Bank, auf der er und seine Gäste an dem Abend saßen. Er bat um Aufmerksamkeit, auch wenn der Klatsch schon die Runde gemacht hatte in der Burg und alle schon auf die Verkündung der Verlobung ihrer Herrin warteten.
„In zwei Tagen“, begann er laut und beherzt mit einem vollen Kelch Ale in der Hand, „werden wir ein höchst erfreuliches Ereignis zu begehen haben. Es hat viele Jahre gebraucht, bis die Entscheidung fiel, und heute Abend möchte ich Euch allen den zukünftigen Ehemann meiner Tochter Maris von Langumont vorstellen.“
Während er hinter seinem silbrigen Bart nur so strahlte, half Merle seiner Tochter aufzustehen, als der Saal in lauten Jubel ausbrach – sowohl bei der Erwartung von einem Tag des ausgiebigen Feierns, als auch angesichts der Ankündigung der Hochzeit an sich.
„In zwei Tagen“, sagte er noch einmal, während er auf seine Tochter hinunter lächelte – die zur Antwort ein kleines, zittriges Lächeln zustande brachte, „treffen die Burgvögte von Cleonis, Firmain, Shawdon, Edena und Damona hier ein, um ihre Treue zu mir und auch die zu meiner Erbin Lady Maris noch einmal zu geloben. Und zur gleichen Zeit werden sie auch den Verlobungsschwur meiner Tochter mit Lord Victor d’Arcy bezeugen.“
Der Raum brach in jubelnde Freude aus, genau als Lady Allegra dann ohnmächtig zu Boden glitt.