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KAPITEL DREI 

 

Bon de Savrille öffnete langsam seine geschwollenen Augen. Ein Übermaß an Wein und Weibern zur Begehung der Christmette – und auch noch den Abend davor. Und den Tag darauf. 

Sein Schädel dröhnte und das Tageslicht, das sich hell in das Innere der Schenke ergoss war viel zu grell. Verna die Üppige, wie er sie nur noch nannte, rührte sich neben ihm. Er klatschte mit der Hand hart an ihre Schenkel, was sie endgültig weckte und ihr auch ein helles Quietschen entlockte. Sie rollte sich langsam zu ihm hin und gab ihm einen langen, feuchten Kuss. 

Seine Hand griff sich ihre große Brust und drückte sie, bis sie vor Schmerz ein lustvolles Stöhnen von sich hören ließ, dann biss er in den tiefrosafarbenen Zipfel Fleisch. Verna schnurrte, als Bons Hand ihr den Bauch runter zwischen die Beine fuhr. Ihre rauen Dienstmagdhände schlossen sich um seine Erektion und fuhren dort fort ihn zu martern, bis er sie endlich auf den Rücken warf, so dass er wüst in sie reinstoßen konnte. 

Scharfe Nägel zerkratzen ihm den Rücken und der Schmerz und der Geruch von Blut stachelten seine Lust nur noch an. Das Dröhnen in seinem Schädel war verschwunden und er hielt pure Fleischeslust in seinen Händen. Das Rammeln mit Verna war so ziemlich das Beste seit Jahren. Es war einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass er ihr auf der Schwelle zu Merle Lareuxs Burghof über den Weg gelaufen war. 

Als sie mit ihrem wütenden, brutalen Kopulieren durch waren, lag er da und starrte nach oben zur niedrigen, dunklen Decke des Zimmers. Er hatte aus der Entfernung zugesehen, wie Merle Lareux nach Hause zurückgekehrt war, hatte gesehen, wie die Leute ihn begrüßten – und ganz besonders wie seine Tochter Maris sich an ihn geheftet hatte. Es war offenkundig, wie der Mann seine Tochter verehrte – und das machte Bons Plan nur noch brillanter. Allegra, seine dämliche Schwester, würde nicht wagen einen Keil zwischen ihren Ehemann und ihre Tochter zu treiben. Nicht wenn sie weiterhin die Herrin auf Langumont bleiben wollte. 

Lustvolle Genugtuung legte sich über ihn, als seine Gedanken zu dem Vergnügen wanderten, wie es sein würde, die junge und wunderschöne Maris in seinem Bett zu haben. Er hatte sie beobachtet, wie sie zwei Tage zuvor der alten Frau ins Dorf gefolgt war. Sie hatte den größten Teil des Nachmittags in einer winzigen, verdreckten Hütte zugebracht, wo sie sich hingebungsvoll um ein paar Bauern kümmerte. Sie würden ein gutes Gespann abgeben – sie die Frau, die was hermachte, die allseits beliebte Burgherrin, die Heilerin, und er der mächtige Herr, der alle Leute unter ihm seine Gerechtigkeit erfahren ließ. 

Und im Bett ... sein Schwanz zuckte in Vorfreude, wie er sich ihr Gesicht gesättigt nach ihrer beider Leidenschaft vorstellte, die haselnussbraunen Augen umschleiert von Lust. 

Vanessa spürte, wie er heiß gegen sie schlug, und sie drehte sich träge zu ihm, um ihn über ihre Schulter hinweg anzublicken. „Mylord, heute Morgen seid Ihr aber gut brünstig“, murmelte sie und presste ihren drallen Hintern in seine Erektion. 

Er erwiderte nichts, aber als seine Hand sie zwischen den Schenkeln befingerte, fand er auch sie wieder bereit für ihn. Bon stieß von hinten in sie rein, überraschte sie damit. Sie wand sich vor Verzückung und er stieß wieder und wieder hart zu, hinein in Maris von Langumont, bis er sie mit seinem Samen füllte. 

„Schon bald, Mylady“, versprach er leise, weil er wusste, dass er heute aufsitzen und von Langumont aufbrechen musste. Aber er würde wiederkommen. „Sehr bald.“ 

 

~*~

 

Merle Lareux saß einem fremden Ritter gegenüber und hörte sich dessen Erzählung an. Der Mann mit dem Namen Dirick de Arlande war an dem Morgen früh in den Hof von Langumont eingeritten. Er hatte sich im Auftrag des Königs ein Gespräch unter vier Augen mit ihm erbeten und Merle blieb keine andere Wahl, als sich die Zeit zu nehmen ihn willkommen zu heißen. 

Er war froh, dass er sich die Zeit genommen hatte. 

Aufmerksam betrachtete Merle die Gestalt, die da so selbstbewusst vor ihm stand. Die schwarzblaue Standarte des Ritters, die ihm nicht geläufig war, stellte ein Schwert und einen Schild auf dem Hintergrund eines lodernden Feuers dar und der junge Mann war von Erscheinung imposant, ohne bedrohlich zu wirken. 

Im Gegenzug stellte Merle fest, dass auch ihn ein kühles Paar grauer Augen beobachtete, und er spürte die Ungeduld und Rastlosigkeit des Mannes. Und, so dachte er, noch etwas anderes. Sorge oder Trauer. 

„Zur Beglaubigung meiner Worte“, schloss Dirick seine Erklärungen ab und zeigte auf ein dickes Stück Pergament, das er soeben seinem Gastgeber ausgehändigt hatte, „habe ich hier ein Schreiben Seiner Majestät bei mir.“ 

Merle drehte das Pergament in seinen Händen hin und her und betrachtete das rote Wachssiegel seines Königs. Der Mann hier vor ihm war nicht ein einfacher Bote. Nachdem er das Siegel aufgebrochen und das Dokument ausgebreitet in Händen hielt, las er aufmerksam die Botschaft des Königs. 

„Der König spricht gut von Euch, Sir Dirick“, sagte er, als er das Pergament wieder zusammenfaltete. Etwas nagte ihm im Hinterkopf und es dauerte eine Weile, bis es ihm einfiel. Und dann ... ah. „Ihr seid Dirick von Derkland – Haralds Sohn? Ihr verwendet einen anderen Namen.“ 

„So ist es.“ 

„Ohne Zweifel habt Ihr Kunde davon, dass ich es war, der jenen Ort entdeckte, an dem Euer Vater den Tod fand.“ Merles Hand schloss sich fester um das Papier, als er sich an den Geruch völliger Entartung erinnerte, der über jener Wiese gelegen hatte, wo er Haralds verstümmelte Leiche aufgefunden hatte. Noch nie zuvor hatte er dergleichen gesehen, nicht einmal auf dem blutigsten aller Schlachtfelder. Ein Wahnsinniger hatte dort gewütet ... und selbst noch als Merle versuchte festzustellen, ob es irgendwelche Überlebenden gäbe, spürte er, wie das Böse schwer auf dieser kleinen, stillen Lichtung lastete. In seinen Augen brannten Tränen, die ein hartgesottener Mann, wie er es sonst war, nur sehr widerwillig vergoss. „Ich bedauere, dass Euer Vater tot ist und noch dazu auf eine solche Weise. Es war unvorstellbar. Wer auch immer eine solche Tat vollbracht hat, der lebt sicherlich jetzt schon in der Hölle.“ 

„Ich danke Euch“, erwiderte Dirick, seine grauen Augen immer noch voll aufrichtiger Trauer. 

„Der König schreibt, dass Ihr Euch auf der Suche nach dem Mörder Eures Vaters befindet“, fuhr Merle fort und schwenkte das Pergament in einer Hand. „Ich wäre froh, wenn ich Euch in welcher Weise auch immer dabei helfen kann.“ Sein Angebot war ehrlich gemeint, obschon er keinen Drang verspürte die Erfahrung dieses blutigen Anblicks noch einmal zu durchleben. 

Dirick nickte kurz und jetzt flackerte da auch noch ein bisschen Wut hinter der Trauer auf. „Auch wenn es sicherlich nicht leicht für Euch ist, würde ich gerne alle Einzelheiten über das erfahren, was Ihr gesehen habt.“ 

„Natürlich“, erwiderte Merle. „Und es ist sicherlich nicht schwerer für mich, es wieder zu erzählen, wie es für Euch sein wird, alles darüber zu hören. Noch einmal. Ich bedauere es ... und jetzt noch mehr, weil ich Euch nun erzähle, was ich erzählen muss.“ 

Er schloss kurz die Augen, um sich den Anblick wieder ins Gedächtnis zu rufen, und begann dann zu beschreiben, wie er Derkland dort angetroffen hatte. „Wir reisten an der Grenze zwischen Maitland und dem Forst des Königs entlang – mein Waffenknecht Raymond, meine Schildknappen und dann noch ein paar Soldaten ritten mit mir. Es war spät am Tage, schon fast die Stunde der Dämmerung, und wir waren müde, auf der Suche nach Burg Maitland für die Nacht. Als wir so weiter dahin ritten, drang mir ein schriller, grauenerregender Schrei ans Ohr. Es war der Schrei eines Pferdes in höchster Pein. Mein Ross reagierte, als wäre es selber in Gefahr. Aber als ich die Zügel schießen ließ, brach es sich einen Weg durch das Unterholz hin zu jener Lichtung.“ Merle schluckte, als er sich an den übermächtigen Gestank von Blut überall dort erinnerte, der ihm in die Nase gestiegen war, noch bevor er das Grauen dort erblickt hatte. 

Als würde er spüren, dass sein Gastgeber einen Augenblick brauchte, um sich zu sammeln, trank Dirick einen Schluck seines Weines. „Es gab keine Überlebenden?“, fragte er, nachdem er fertig getrunken hatte. 

„Nein. Wir haben das Pferd von seinem Leid erlöst – drei Läufe waren gebrochen und man hatte es an einen Baum gebunden. Ich habe noch nie ein solches Gemetzel gesehen. Und solch grausame Folter.“ Merle musste die Zähne zusammenbeißen. „Es war sinnlose Verschwendung und schreckliche Verhöhnung zugleich.“ 

„Mein Vater?“ 

Merle holte tief Luft und erinnerte sich an das letzte Mal, als er Lord Harald gesund und wohlauf gesehen hatte. „Keinen einzigen Menschen hätte ich an der Stelle zu sehen gewünscht, ganz besonders nicht Euren Vater. Ich habe ihm zweimal begegnen dürfen und er war ein guter Mann. Wir sprachen davon, meine Maris Eurem älteren Bruder zu vermählen, aber leider wurde daraus nichts. Maris und Bernard fanden keinen rechten Gefallen aneinander. Eurem Vater hätte diese Vereinigung unserer Häuser zugesagt.“ 

Er nippte etwas, um seinen ausgetrockneten Hals zu befeuchten und fuhr mit seiner Beschreibung jenes Schauplatzes fort. „Euer Vater fand den Tod durch mehrere Dolchstöße, aber der Schweinehund hatte ihm auch noch den Hals aufgeschlitzt. Es war nur wenig Blut auf dem Boden dort versickert, also schien es uns klar, dass er schon tot war, als man ihm den Hals aufschlitzte. Und dann...“ Er rieb sich die Schläfen mit Zeigefinger und Daumen. „Ich sah einen Hufabdruck hinten am Nacken Eures Vaters. Es war diese Kraft eines Pferdes, die Eurem Vater das Rückgrat gebrochen zu haben schien, und das war so stark, dass es seinen durchtrennten Hals in den Boden rammte. Und“, Merle schluckte schwer, denn jetzt kam er zum schlimmsten Teil, „sein Gesicht hatte man so weit verdreht, dass es himmelwärts blickte.“ 

„Beim Allmächtigen Heiland im Himmel“, murmelte Dirick. 

Merle blickte hinüber und sah, wie das Gesicht seines gutaussehenden Gasts auf einmal finster und wie versteinert war, und erneut wünschte er sich, dass er einen solchen Anblick niemals erschaut hätte. Aber da war noch mehr. „Euer Vater war nicht alleine. Man hatte einen weiteren Mann ihm gegenüber so angeordnet, dass ihre Hände sich am Handgelenk hielten.“ 

„Bei Gott, ich schwöre, ich finde dieses Ungeheuer.“ Sein Schwur war leise und unerbittlich zugleich. „Dass mein Vater starb, ohne Gelegenheit zu haben mit seinem Schöpfer im Reinen zu sein ... auf so unaussprechliche Weise starb.“ 

„Nicht so. Er starb versöhnt mit Gott, mein Junge“, erzählte Merle ihm. „Es befand sich ein Priester in meinem Tross und erteilte Eurem Vater und seinen Begleitern die letzte Ölung.“ 

„Dem Herren sei dafür gedankt, wenigstens das“, sprach Dirick leise. „Gibt es sonst noch etwas zu erzählen, was mir bei meiner Suche helfen könnte?“ 

Für einen Augenblick schwieg Merle. „Mir ist nichts erinnerlich. Man hatte den Männern alles Gold und die Waffen abgenommen, die sie vielleicht bei sich trugen, und ein paar Pferde fehlten ... und doch ... ich glaube nicht, dass es nur ein Raubüberfall war.“ 

„Nein, es gleicht eher einem Abschlachten. Gott stehe dem Mann bei, der das getan hat.“ 

„Ich fragte die Dörfer in der Umgegend dort nach Kunde von einer umherstreifenden Diebesbande oder Wegelagerern aus, aber sie hatten entweder zu viel Angst, um mir zu antworten, oder sie haben niemanden zu Gesicht bekommen. Das ist zu meinem Bedauern alles, was ich Euch zu berichten vermag.“ 

Als Dirick da nickte, klopfte es an der Tür zu Merles privaten Gemächern. 

„Tretet ein“, rief er zur Tür. 

Diese öffnete sich und ein Page trat ein, der ein zusammengefaltetes Schreiben aus Pergament in Händen hielt. „Mylord, dies brachte uns soeben ein Bote. Man hat ihm geheißen, nicht auf Eure Antwort zu warten.“ 

„Danke“, Merle nahm das Schreiben entgegen und mit einem Blick auf das Siegel lächelte er zufrieden. „Ah, ausgezeichnet.“ Das Papier raschelte, als er es zum Lesen auseinander faltete. 

Dirick war hin und her gerissen, zwischen dem Versuch die Bilder von der Ermordung seines Vaters aus seinem Kopf zu bannen und der Hoffnung, dass ein Nachdanken über die grausigen Einzelheiten ihm irgendwie eine Antwort, ganz gleich welcher Art, geben würde. Während Lord Merle das Dokument wieder zusammenfaltete, verlegte Dirick sich darauf, die Einzelheiten des kleinen, holzgetäfelten Zimmers zu begutachten. „Gute Nachrichten sind immer willkommen“, sagte er mit einem Nicken zu dem Schreiben hin. 

„In der Tat, so ist es. Es ist eine Botschaft von dem Mann, mit dem ich Maris zu vermählen hoffe“, erklärte der Mann. „Er und sein Vater Lord d’Arcy werden voraussichtlich hier eintreffen, noch bevor zwei Wochen um sind.“ 

„Ihr hofft sie zu vermählen?“, wiederholte er und fragte sich, was an dieser Frau seinen Bruder und ganz offensichtlich zahllose andere Bewerber davon abgehalten hatte, durch ein Ehegelöbnis Anspruch auf ihre vielen Ländereien zu erhalten. Ohne es zu wollen, war Dirick neugierig geworden. Vielleicht war sie hässlicher als die Nacht finster – dennoch, wenige Männer würden eine Gelegenheit, in den Besitz so vieler Ländereien zu kommen, verstreichen lassen, egal wie die Frau nun aussehen mochte. Oder vielleicht war sie zu jung. Obwohl es durchaus üblich war, Mädchen im Alter von acht oder neun Jahren einem Bräutigam zu versprechen und sie dann mit fünfzehn oder sechzehn zu verheiraten. 

„Maris ist eher ungewöhnlich“, sagte Merle mit einem nachsichtigen Lächeln. „Sie zählt schon an die siebzehn Lenze und es ist mir bislang noch nicht gelungen, einen passenden Bräutigam zu finden. Aber es ist jetzt fast vollbracht – es müssen nur noch die Verträge unterzeichnet werden, sobald Victor d’Arcy eingetroffen ist.“ 

„Ungewöhnlich?“ War sie hässlich oder irgendwie verkrüppelt ... oder vielleicht nicht ganz bei Sinnen? Kein Wunder hatte Bernard sich bei der Frau nicht als „passend“ erwiesen. Seine Frau Joanna war der Liebreiz selbst, in Aussehen und Charakter, und sie waren nunmehr seit etwas über einem Jahr verheiratet. 

Merle überging Diricks Frage zu Lady Maris und sagte stattdessen, „Ihr leistet uns doch heute Abend an meinem Tisch Gesellschaft?“ 

„Sehr gerne. Aber, Mylord, ich muss darum bitten, dass ich außerhalb dieses Zimmers hier lediglich Dirick de Arlande bin – unlängst von Frankreich wieder eingetroffen. Ich bin nicht ein Mann des Königs, sondern vielmehr ein Ritter auf Wanderschaft und auf der Suche nach Arbeit. Mir wurde von Seiner Majestät noch eine Aufgabe aufgetragen, bei der es um das Lehen von Breakston geht. Weder der König noch ich wünschen, dass Bon de Savrille etwas von meiner Identität erfährt, bevor ich dort anlange.“ 

„Der König hat ein wachsames Auge auf Bon de Savrille geworfen? Ich habe ihn schon lange im Verdacht andere Loyalitäten zu verfolgen. Er hätte mir Männer bereitstellen und in Wales an meiner Seite mitstreiten sollen. Er zeigte sich dort kaum drei Tage lang, blieb in seinem Zelt und ließ dann letztendlich seine Männer zurück, um nach Breakston zurückzukehren. Er hinterließ Nachricht, dass er Kunde aus Breakston erhalten habe, die seine Anwesenheit dort erforderte. Mich deucht, der Mann ist ein Feigling, und es würde mich aber nicht wundern, wenn er als Anhänger der walisischen Aufrührer in Erscheinung treten würde.“ 

„Mit Eurer Erlaubnis breche ich nicht sofort nach Breakston auf. Ich möchte erst Gewissheit haben, dass er sich an seinem Stammsitz befindet, bevor ich die Reise antrete, und es wäre von Vorteil noch eine Weile hier zu sein, falls Euch noch etwas anderes zu meinem Vater einfallen sollte.“ 

„Selbstverständlich – bleibt so lange Ihr wollt. Soll ich Euch etwas Arbeit geben, um Eurer Geschichte etwas Glaubwürdigkeit zu verleihen und auch um Eurem Verstand und Eurem Körper Beschäftigung zu geben?“ 

Dirick lächelte. „Ich bitte darum, Mylord. Ich werde heute Abend an Eurer Tafel Platz nehmen und es wird mir ein Vergnügen sein, die Bekanntschaft Eurer Tochter zu machen.“ Dirick malte sich schon aus, wie er Bernard von seinem Essen mit der Dame erzählte, die seine Werbung abgewiesen hatte. 

Der Abend versprach interessant zu werden und ihm darüber hinaus reichlich Zerstreuung zu bieten. 

 

~*~

Als Maris früh am nächsten Morgen erfuhr, dass ein Mann eingetroffen war, der ihren Vater zu sprechen wünschte, hatte sie fluchtartig den Burghof verlassen. Sie wünschte noch nicht, ihrem zukünftigen Bräutigam zu begegnen, und steckte daher zwei Äpfel und ein Stück Käse ein und ging ins Dorf. Es gab mehrere Leute, die sie besuchen musste, darunter auch den Küfer Thomas und seine Frau, und sie wollte in ihrem Garten noch verschiedene Kräuter für Wundheilung sammeln, welche in dieser kalten Jahreszeit bald nicht mehr wachsen würden. Sie beabsichtigte sich an diesem Tag möglichst wenig zu zeigen. 

Und so war die Dämmerung schon fast hereingebrochen, bis sie endlich wieder im Burghof eintraf. Es gelang ihr, ihrem Vater, ihrer Mutter und dem etwaigen Bewerber aus dem Weg zu gehen, indem sie die riesigen Stufen aus Stein hochschlich, die zu den Frauengemächern über der großen Halle führten. Verna erwartete Maris bereits in der Kemenate, um sie für das Abendessen umzukleiden. 

„Es ist schon spät, Herrin. Lord Merle wird sein Missvergnügen bald sehr deutlich kundtun, falls Ihr zum dritten Mal beim Abendessen fehlt“, bemerkte Verna, als sie Maris aus ihrem Arbeitsgewand half. 

„Ich weiß.“ Maris’ Zähne klapperten, als sie nur mit ihrem Untergewand bekleidet in dem kühlen Raum dastand. „Ich konnte keinen triftigen Grund finden, auch heute Abend dem Essen fernzubleiben wie in den letzten beiden Tagen. Nein, ich denke, ich nehme den goldenen Bliaut, Verna.“ 

Ihre Zofe holte pflichtschuldig das goldene Untergewand aus der Kleidertruhe ihrer Herrin. In die Tunika hatte man einzelne Goldfäden eingewirkt, was das enganliegende Gewand aussehen ließ wie den Ozean unter einem sonnigen Himmel. Verna schnürte es an beiden Seiten eng zu und wandte sich dann wieder den Truhen zu. 

„Die grüne Tunika, Mylady?“, fragte sie, als sie ein Übergewand hervorzog, das von goldenem Faden umsäumt war. 

„Ja.“ Sie würde ihr bestes Gewand anziehen, für diesen Mann, den sie sicherlich verabscheuen würde, der nur darauf wartete, sie überall am Leib zu begrabschen, und sich mit den gleichen Pranken ihre Ländereien nahm. Obwohl sie neugierig war und auch wusste, dass Verna sicherlich den Klatsch über den Mann mitbekommen hatte, den ihr Vater zu ihrem Gemahl auserkoren hatte, ließ Maris sich nicht zu einer Frage über ihn herab. 

Sie würde noch früh genug alles über ihn erfahren. 

Verna streifte Maris die lange, weite Tunika über den Kopf. Die Tunika war an den Seiten offen, lediglich ein Loch für ihren Kopf war darin und der tiefe Ausschnitt diente dazu, den goldenen Bliaut darunter zur Geltung zu bringen. Ein goldener Gürtel, geformt wie eine locker geflochtene Girlande aus Blüten und Blättern hielt die Tunika an ihrer Taille zusammen. 

Eine seltsame Unruhe befiel Maris bei dem Gedanken, heute Abend die Stufen zum Abendessen hinabzuschreiten. Sie wusste, ihr Vater war fest entschlossen und unten erwartete sie der Mann, den sie schon bald heiraten sollte. So sehr sie den Gedanken an das Heiraten auch verabscheute, Maris hatte mittlerweile eingesehen, dass sie zum Wohle von Langumont über kurz oder lang heiraten musste ... dass es ihr nichts nützen würde, ihren Vater zu erzürnen, indem sie dem von ihm erwählten Bräutigam eine Abfuhr erteilte. 

Es blieb nicht genug Zeit, um ihr Haar neu zu frisieren, also beließ Verna es bei dem schweren Zopf, der ihr hinten gerade am Rücken runter hing. Ein paar widerspenstige Haarsträhnen von sattem Kastanienbraun hatten sich gelöst und rahmten ihr Gesicht ein. Verna steckte sie unter dem blütenweißen, golddurchwirkten Brusttuch fest, das Kopf und Hals ihrer Herrin bedeckte. Ein schmaler Reif aus getriebenem Gold sorgte dafür, dass das Tuch nicht verrutschte – und Maris war fertig für das abendliche Mahl. 

Mit Bedacht schritt sie langsam zur Halle und zu den Treppen hin, die sie hinab zur abendlichen Tischgesellschaft ihres Vaters führten. Widerwillig setzte sie den Fuß auf die Treppe und genoss noch kurz, von hier aus die gesamte Halle zu überblicken. 

Vertraute Geräusche der Vorbereitungen für das Essen drangen nach oben bis zu ihr hin. Leibeigene eilten geschäftig hin und her, Soldaten stellten die einfachen Holztische in langen Reihen auf und platzierten Bänke rechts und links davon. Weibliche Leibeigene standen abseits schon bereit mit Holztellern und einfach geschnitzten Bechern, um diese auf die Tische zu stellen. Die drei Hunde, die sich in der Halle aufhalten durften, schliefen neben dem Feuer und wussten schon, dass die Essensreste für sie noch etwas auf sich warten lassen würden. Maris erlaubte diesen drei Tieren hier zu sein, weil sie die drei Lieblingsjagdhunde ihres Vaters waren – oder gewesen waren, bevor einer von ihnen blind wurde, der andere ein Bein verlor und der Dritte in ein Alter kam, wo das Laufen nicht mehr möglich war. 

Eine Gruppe von Männern saß am hell lodernden Feuer. Ein paar von ihnen waren vertieft ins Schachspiel oder in andere Glücksspiele und andere tranken Ale und erzählten einander Witze. Wiederum andere schäkerten mit den weiblichen Leibeigenen, ohne Zweifel in der Hoffnung eine zu finden, um das Lager mit ihr zu teilen. 

Maris’ Schritte brachten sie dem unteren Ende der Treppe immer näher – zu der Ecke direkt gegenüber von dem Tisch ihres Vaters. Sie bahnte sich vorsichtig ihren Weg zwischen den Tischen, den Leibeigenen und den Soldaten hindurch, auf das leicht erhöhte Podium zu. Sobald die Sicht auf das Podium frei war, sah sie, dass ihr Vater in eine Unterhaltung mit einem Mann vertieft war, der zweifellos ihr ungebetener Bräutigam war. 

Ihr Magen sackte aus Enttäuschung etwas ab. Das hier musste der Mann sein, den ihr Vater erwartete. Ihr Verlobter. Dem Himmel sei Dank – wenigstens schien sein Alter dem ihren zu entsprechen und er hatte noch alle seine Haare. Wenn sie wirklich Glück hatte, dann war er auch noch im Besitz all seiner Zähne. Und selbst wie er da neben ihrem sehr breitschultrigen Vater saß, sah der Gast immer noch stark und imposant aus. 

Maris straffte die Schultern, hob das Kinn und holte tief Luft. Sie hatte in der Angelegenheit keine Wahl, also war es das Beste, sie fing das Ganze zu ihren Konditionen an: stark und mit Selbstbewusstsein. 

Genau in dem Moment sah der dunkelhaarige Mann hoch und ihr genau in die Augen. Und in diesem einen schrecklichen Moment erkannte sie ihn wieder. 

Der Mann, der sie gestern fast zertrampelt hätte. 

 

~*~

Von seinem Platz am Tisch des Hausherren aus kämpfte auch Dirick mit dem gleichen Schock und Ärger, der sich – wenn auch nur kurz – dort auf dem Gesicht der Frau widerspiegelte. Denn kaum hatten ihre beiden Blicke sich gekreuzt, verschwand die Überraschung aus ihrem Gesicht. 

Daher versuchte er es sich auszureden – vielleicht hatte er sich den Schock des Wiedererkennens dort nur eingebildet. Schuld war das schlechte Licht hier in der Halle und die Entfernung ... sie konnte ganz einfach nicht die Frau von gestern Nacht sein. Die er fast zertrampelt hätte, die er beschimpft und der er dann ein Schäferstündchen angetragen hatte? 

Ihm war entfallen, was er gerade zu Lord Merle gesagt hatte, und während sie sich ihren Weg auf das Podium zu bahnte, konnte er die Augen nicht von ihr losreißen. Ob es an der Schönheit der jungen Frau lag – die nicht abzustreiten war, selbst quer durch die große Halle hinweg – oder weil es ihm schien, als würde ein schreckliches Verhängnis sich wie ein schwarzer Sturm auf ihn zubewegen ... Dirick war sich da nicht sicher. 

Sie schien goldene Funken zu schlagen: von dem hauchzarten Schleier auf ihrem Haupt zu den langen Ärmeln ihres Gewands. Er beobachtete genauestens, wie sie sich näherte – und etwas geistesabwesend beteiligte er sich weiterhin an der Unterhaltung mit Merle. Während er sich immer noch an die rasch schwindende Hoffnung klammerte, er könne sich irren. Aber nein, je näher sie kam, desto deutlicher wurde ihm sein fataler Irrtum. Eine warme Röte stieg Dirick da allmählich ins Gesicht, als er sich an die groben und zornigen Worte erinnerte, mit denen er sie vorige Nacht angeschrien hatte. Die Tatsache, dass er sie fast zu Boden geworfen hatte. 

Seine nächste Frage – wer war sie? – wurde ihm rasch beantwortet, aber nicht bevor er stillschweigend entsetzliche Pein durchlitt, ob er nun die Gemahlin seines Gastgebers, seine Geliebte oder – Herr im Himmel! – die Tochter Maris beleidigt hatte. 

Als sie auf dem Podium anlangte, glitt ein Blick von kühler Unnahbarkeit über ihn hinweg, bevor sie ihren Vater dann anblickte. 

„Ah, mein Liebes“, Merle erhob sich, um ihre Hand zu ergreifen. Seine Zuneigung zu ihr war deutlich im Klang seiner Stimme zu erkennen und auch an dem Funkeln in seinen Augen. 

Das verursachte Dirick noch mehr Pein. Er erhob sich steif neben seinem Gastgeber, wobei er verzweifelt nach Worten der Verteidigung suchte, um seine gestrigen Handlungen zu entschuldigen. Und was zum Teufel hatte eine Dame edler Abkunft auch mitten in der Nacht alleine durch die Stadt zu streifen, gekleidet wie ein einfache Magd? 

Dann kam ihm ein Gedanke. Vielleicht war sie ebenso wenig wie Dirick daran interessiert, ihre gestrige Begegnung zu erwähnen? Was hatte sie denn nachts alleine dort getrieben? 

„Sir Dirick de Arlande, gestattet mir Euch meine Tochter vorzustellen, Maris Lareux, Lady von Langumont“, sagte Merle. 

Seine Tochter. Gebeine Gottes, von allen Frauen, an die er sich hätte heranmachen können... 

„Es ist mir ein Vergnügen, Mylady“, schaffte er noch zu sagen, als er einen leichten Kuss auf ihre Fingerspitzen presste und sich fragte, was Bernard sich nur dabei gedacht hatte, dieses herrliche Geschöpf hier vor ihm zurückzuweisen. Ihm fielen Flecken und Kratzer an einer Hand auf, die eigentlich lilienweiß und zart hätte sein müssen, und er fragte sich interessiert, was sie außer Stickerei noch so trieb. 

„Guten Abend, Sir Dirick“, sagte sie sehr beherrscht. 

Ihre Weigerung, ihm in die Augen zu blicken, bestätigten nur seinen Verdacht, dass sie ihre erste Begegnung zu verschweigen wünschte, und ihm wurde etwas leichter ums Herz. 

Während sie an der anderen Seite ihres Vaters Platz nahm, sagte Merle, „Sir Dirick ist erst kürzlich von Frankreich wieder hier eingetroffen – aus Paris, glaube ich. Ich kannte seinen Vater recht gut und er wird wohl eine Weile bei uns bleiben.“ 

In dem Moment traf Allegra, Merles Ehefrau, ein. Dirick fielen sofort die Unterschiede zwischen den beiden Frauen auf, die jetzt am Tisch des Hausherren saßen. Außer dem gleichen, sehr sinnlich geschwungenen Mund und einem Teint wie Milch und Honig, ließ nichts hier auf Mutter und Tochter schließen. 

Während die Herrin des Hauses sicherlich schön zu nennen war, war sie dies auf eine fast verblasste Art, die nur teilwiese auf das Alter zurückzuführen war. Dagegen funkelte ihre Tochter nicht nur durch die Wahl ihrer Gewänder und wegen ihres Schmucks, sondern auch wegen ihrer Augen und ihrer Haltung. Sie war das unbändige Leben selbst, während ihre Mutter zurückhaltend und unterwürfig war. 

Dirick teilte sich den Brotteller mit Lady Allegra und während Gedanken ihm fieberhaft durch den Kopf schossen, beschäftigte er seine Hände damit, sie so ausgesucht elegant zu bedienen, wie er es als vollendeter Höfling gelernt hatte. Kaum hatte sie von ihrem Wein genippt, füllte er ihr den Becher auf. Mit dem Messer, das er an seiner Hüfte trug, war ihr Fleisch rasch in mundgerechte Bissen zerteilt. Sie hatte die besten Stücke des Brotes und die süßest duftenden Fischportionen. Und sie kam in den Genuss charmanter, höflich galanter Unterhaltung – etwas, worin Dirick reichlich Übung hatte. 

Er merkte erst, nachdem das Abendessen etwa halb vorüber war, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte, weil er einen wütenden Aufschrei von Merle erwartete, wenn Maris ihm dann von ihrer Begegnung berichtete. Als der ausblieb, begann er sich zu entspannen und Allegras Gesellschaft zu genießen. Obwohl sie nicht viel redete, stellte sie doch ein paar Fragen und kicherte bei seinen Scherzen wie ein junges Mädchen. In solchen Momenten blitzten ihre Augen etwas auf und sie sah nicht mehr ganz so verblasst aus, wie sie ihm vorher erschienen war. 

„Man sagt, jetzt wo die Christmette vorüber ist, wird der König über den Kanal setzen, um mit Geoffrey abzurechnen“, sprach Merle zu Dirick, als einer der Pagen eine neue Platte brachte. Auf dieser war gefüllter Steinbutt angerichtet. 

Dirick nickte und kaute langsam an seinem Brot. Zwar musste er darauf Acht geben, was er sagte – denn schließlich war er erst kürzlich aus Paris eingetroffen, und nicht aus Westminster von der Seite des Königs. Aber dann wiederum: vieles von dem, was hier gesagt wurde, würde nur von ihnen vier gehört werden. Keine der beiden Damen wäre imstande viel von seinen Worten zu verstehen, also musste er nicht übermäßig vorsichtig sein. 

„So ist es“, erwiderte er. „Ich hörte, dass Geoffrey seine Länder zum Krieg rüstet – und behauptet, dass der alte König Heinrich wollte, dass sein Sohn Anjou an Geoffrey abgibt, sobald er den Thron Englands bestiegen hat.“ 

„Ist Matilda immer noch in Westminster bei Heinrich?“, fragte Merle. 

„Ja. Sie war es, die ihn davon abgehalten hat, nach Irland überzusetzen, um Länder für seinen Bruder William zu erobern. Mit Geoffrey, der die Dinge in Anjou aufmischt, hat der König schon genug Ärger jenseits des Kanals, so dass er hier keinen weiteren Krieg anzuzetteln braucht. Die Gerüchte sagen auch, dass die Vasallen des Königs ihn nicht sonderlich lieben.“ 

Merle schnaubte leise in seinen Weinbecher, als er einen großen Schluck nahm. „Der König hat alle Hände voll zu tun“, sagte er und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. „Aber er ist ein rastloser Mann, der den Krieg liebt.“ 

„So ist es. Und während es in Aquitanien brodelt und man nach Eleonore verlangt, ist Geoffrey gerade dabei, sich Anjou einzuverleiben.“ Dirick wischte sich die Hände an einem feuchten Tuch ab, das ein Page ihm anbot. „Und die Königin ist wieder enceinte“, fügte er noch mit leiser Stimme hinzu. 

„Dann wird sie ihren Mann nicht über den Kanal begleiten?“, fragte Maris, die sich um ihren Vater herum nach vorne lehnte, um ihn anzublicken. 

Dirick zuckte zusammen, weil er angenommen hatte, dass die Unterhaltung nur von ihm und Merle gehört worden war, aber er fasste sich rasch wieder. „Nein, Mylady. Sie bleibt in Westminster – so lauten die Gerüchte –, weil sie in anderen Umständen ist.“ 

Eine Augenbraue von Maris zuckte ganz allerliebst. „Es wäre der Sache des Königs unter Umständen nicht abträglich, wenn Ihre Majestät Aquitanien einen Besuch abstatten würde. Wenn es dort so brodelt.“ 

„So schlimm ist es auch wieder nicht ... und Heinrich hat mit Geoffrey in Anjou genug Probleme. Der König wird den Kanal überqueren und Richard von Luci als den offiziellen Verwalter Englands einsetzen. Aber die Königin wird immer noch dort sein.“ 

Maris gab leise Laut, dass sie verstünde. „Der König mag Luci offiziell ernennen, aber die Königin wird sich sicherlich durchzusetzen wissen. Sie wird es sein, die letztendlich die Zügel in der Hand hält.“ 

Dirick verschluckte sich vor Überraschung fast an einem Stück Brot, angesichts ihrer glasklaren Sicht auf die Dinge und ihrer messerscharfen Einschätzung der Lage. Frauen unterhielten sich nicht über Politik – zumindest keine Frauen außer Matilda und Eleonore – und die beiden waren verdammt noch mal ja auch Königinnen. „Ja, Mylady, ich glaube auch, dass Ihr Recht habt. Die Königin hat niemand über sich außer ihrem Gemahl selbst.“ 

Dann drehte er sich wieder zu Merle und Dirick fragte, „wie geht es dem Lordkanzler des Königs? Man sagt, er habe den Hof im Sturm erobert.“ 

„So ist es, Thomas Becket ist sowohl der Freund des Königs als auch sein Lordkanzler. Wenn man bedenkt, dass es der Erzbischof von Canterbury war, der Heinrich zwang, ihn zu seinem Lordkanzler zu machen ... und jetzt sind die beiden fast unzertrennlich“, erwiderte Merle. 

„Ich habe sagen hören, es halte eher der Lordkanzler Hof als der König“, warf Maris ein. „Der König geht an den Hof von Becket und nicht Becket an den Hof des Königs. Selbst die Diplomaten machen eher Becket ihre Aufwartung denn der Königin – ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr das gefällt.“ 

„Nein, das würde ich auch so sehen“, sagte Dirick. Er warf Merle kurz einen Blick zu und fragte sich, ob der Mann lediglich nachsichtig war, was die selbstbewussten Reden seiner Tochter betraf, oder ob er es geradezu ermutigte. Und er fragte sich, woher Maris ihre Informationen erhielt – indem sie Gesprächen wie diesem hier beiwohnte oder von ihrem Vater. 

Oder vielleicht von wem auch immer sie nachts im Dorf traf. 

Auf einmal erschien ihm die Lady Maris nicht mehr ganz so naiv und unschuldig, wie man annehmen könnte. 

„Becket kleidet sich im neuesten Tand und lässt an seiner Tafel nur das Üppigste auftischen“, fuhr Maris fort. „Man erzählt, dass der König eines Abends sogar mit dem Pferd in Beckets Halle zum Abendessen eingeritten kam!“ 

Sie hielt inne, um sich mit einer zierlichen Hand den Mund abzutupfen und Diricks Aufmerksamkeit folgte ihrer Hand, als diese über ein Paar voller, reifer Lippen strich. Er erwischte sich dabei, wie seine Augen dort einen kurzen Moment lang hängen blieben und der Mund wurde ihm trocken. 

Eine unerwartete Hitzewelle fuhr durch ihn hindurch bei dem Gedanken von diesem sinnlichen Mund zu kosten – ungeachtet der Tatsache, dass dieser seinen Redefluss kaum zu unterbrechen schien. Er riss seine Augen los, während er diesen Gedanken weiterspann und nahm dazu mit einem inneren Lächeln einen großen Schluck Wein. Er war offensichtlich schon zu lange ohne ein Weib gewesen – ein Zustand, den er heute beenden würde. Bis dahin würde er seine Gedanken in andere, sichere Bahnen lenken, weg von der Tochter seines Gastgebers. 

„Maris, verbreite hier keine Lügengeschichten“, ermahnte Merle sie jetzt gutmütig. 

„Ja, Papa“, gab sie mit einem Lächeln nach. „Obwohl Ihr es doch wart, der mir eben diese Geschichte gestern Abend erzählte.“ 

Merle schmunzelte und wechselte das Thema, als er weiterhin mit seiner Tochter sprach – was Dirick die Gelegenheit gab, seine lüsternen Gedanken wegzulenken von der zauberhaften Frau neben ihrem Vater. „Ist die Frau des Küfers mit ihren beiden Kindern wohlauf?“, fragte Merle. 

„Die Frau ist etwas geschwächt, denn sie hat viel Blut dafür lassen müssen“, sagte sie. „Die Kleinen sind putzmunter und ich habe nach Bernice, der Tochter des Schmieds, schicken lassen, um ihnen die Brust zu geben, während Thomas’ Frau sich noch erholt. Ihr eigenes Kind verstarb vor etwas über einer Woche und sie freute sich, hier aushelfen zu können.“

„Maris hat das Talent zur Heilerin und sie verbringt viel Zeit im Dorf, wo sie sich um die Menschen dort kümmert“, erklärte Merle seinem Gast. 

„Die Frau des Küfers gebar zwei Kinder?“, fragte Dirick, wobei er seine Aufmerksamkeit auf ihre grüngoldenen Augen richtete, um nicht weiter nach unten zu wandern. 

„Ja, zwei kräftige Buben, obwohl es ein grauenvolles Kreißen war“, erwiderte sie. „Sie wäre fast selbst im Kindbett gestorben und wird noch lange Ruhe brauchen.“ 

„Du hast für den Küfer getan, was du konntest. Und mit der Tochter des Schmieds, um für die Kleinen zu sorgen, wird die Mühle sicherlich ohne Unterbrechung weiterarbeiten. Ich werde ihm morgen einen Besuch abstatten, um ihm selbst auch zu gratulieren“, sprach Merle, als noch die letzten Platten von ihrem Tisch abgetragen wurden. 

Dirick erinnerte sich, wie viel es ihm bedeutet hatte, als sein Dienstherr ihm seine Anteilnahme an seinem, Diricks eigenem, schweren Verlust ausgesprochen hatte, und seine Bewunderung für Merle Lareux wuchs noch, wo er jetzt wusste, dass dieser das Gleiche für einen einfachen Dorfbewohner tat. Plötzlich überraschte ihn ein großes Gähnen, dessen Intensität seinen Kiefer fast zum Knacken brachte. Dirick unterdrückte es mit einer großen Hand und sagte, „ich bitte um Verzeihung, meine Damen, es ist nicht Eure Gesellschaft, die mich ermüdet. Ich hatte eine lange Reise und der Tag war sogar noch länger.“ 

„Natürlich“, stimmte ihm Merle zu. „Maris, würdest du bitte Sir Dirick zeigen, wo die Soldaten und Ritter ihre Nachtstatt aufschlagen? Und auch für alle anderen Bedürfnisse sorgen, die er vielleicht hat? Kommt, Allegra, lasst uns nach oben gehen.“ 

Maris erhob sich widerstrebend, bestürzt von dem arglos dahingesagten Befehl ihres Vaters. Das Letzte, was sie wollte, war mit diesem Mann alleine sein. Sie hatte gespürt, wie seine Aufmerksamkeit im Laufe des Abends wieder und wieder zu ihr zurückgewandert war, und war außerstande gewesen das Interesse in seinem Blick zu ignorieren. So sehr sie es auch versuchte, sie hatte ihren Mund nicht halten können, hatte geredet, wo sie sich besser auf das Essen konzentriert hätte – wie ihre Mutter sie schon so oft ermahnt hatte. Nein, wenn der Mann sich ihr vermählen würde, sollte er gleich zu Beginn wissen, dass sie sich ihre eigenen Gedanken machte, ihre eigene Meinung auch vertrat und sich für die Welt jenseits der Mauern von Langumont interessierte. 

„Wie Ihr wünscht, Papa“, sagte sie mit einer Stimme, die ihr Unbehagen geschickt verbarg. 

Offensichtlich hatte Sir Dirick ihr Missfallen an der Situation deutlich gemerkt, denn sobald Merle und Allegra außer Sichtweite waren, sagte er, „Lady Maris, ich bin durchaus in der Lage meine Schlafstatt selbst zu finden.“ 

„Nein, mein Vater wünscht es so. Ich sehe nach all unseren Gästen“, sie lächelte ihm zu und legte ihren Zorn darüber, in die Ehe hinein gezwungen zu werden, erst einmal beiseite. Um ganz ehrlich zu sein, der Mann hier trug nicht die Schuld daran. Und er schien ihr nunmehr angenehm genug – jetzt da er nicht mehr zu Pferd saß. „Habt Ihr gebadet?“ 

„Nein“, er schüttelte den Kopf und Überraschung blitzte in seinen graublauen Augen auf. 

„Darf ich Euch ein warmes Bad antragen, bevor ich Euch zu Eurer Schlafstatt geleite?“, fragte sie. „Gustave wird das Wasser herbeischaffen. Ich werde es recht schnell beschafft haben und Ihr werdet Euch bald zur Ruhe begeben können.“ 

„Ihr?“ Diese Augen brannten plötzlich mit einer solchen Intensität auf ihr und er schaute sie einen Moment lang an, ein ganz leises Lächeln um die Mundwinkel. 

Maris war die Kehle plötzlich wie ausgedörrt und sie tat beinahe einen Schritt von ihm weg angesichts der unerwarteten Gefühle in ihrer Magengrube. Das Bild von dem Mann, auf einmal ohne seine Beinkleider und das Oberhemd, in einer Badewanne sitzend, die kaum genug Raum für seinen großen Körper bot, schoss ihr durch den Kopf. Sein dunkles Haar, das sich jetzt wild um sein Gesicht und Kinn lockte, wäre glatt und nass, seine breiten Schultern nackt und Dampf würde von dunkler Haut aufsteigen– 

Maris biss sich auf die Lippen, während ihr die Wangen ganz heiß wurden. Was war nur mit ihr los? Sie hatte bei einer solch alltäglichen Verrichtung noch nie derlei lustvolle Gedanken gehabt. „Ja, selbstverständlich“, schaffte sie noch als Antwort auf seine Frage zu sagen, die ihr schon fast entfallen war. 

„Nein.“ Sir Dirick sprach erst nach einer, wie es ihr schien, kleinen Ewigkeit, mit einem leisem Grollen in der Stimme. Seine glatte, leise Stimme gelangte ohne Weiteres bis zu ihr herüber, selbst noch durch all den Lärm der Diener, während diese die Tische abräumten und die Bänke wieder stapelten. „Ich glaube kaum, dass ich mich einer solchen Marter aussetzen möchte.“ 

Das Herz schlug ihr bis zum Hals und ihre Gedanken zerstoben – unsicher, was er mit dieser Bemerkung genau meinte. Maris wandte sich jäh ab, um ihre Unsicherheit zu verbergen. „Wenn Ihr mir dann folgen würdet“, murmelte sie und suchte sich beinahe blind einen Weg durch die fast abgeräumten Tische. Nur möglichst schnell fort aus seiner Gesellschaft. 

Als sie sich einem Grüppchen von grölenden Rittern näherten, hielt Maris an und legte ihre Hand auf die Schulter eines kräftig gebauten Rothaarigen. Sie wurden still. Fast so, als hätte sie es befohlen. „Sir Raymond, wie geht es Eurer Schulter? Hat der Schmerz schon nachgelassen?“ 

Das Gesicht des Mannes hatte fast dieselbe Farbe wie sein Haar, als er den Kopf zu ihr hoch drehte. „Ja, Mylady. Der Schmerz ist fast verschwunden.“ Er bewegte zum Beweis seinen Arm. 

„Ihr werdet morgen in den Kräutergarten kommen und ich werde sie mir noch einmal anschauen“, befahl sie. „Das letzte Mal, als ich Euch einen Wundverband anlegte, kamt Ihr nur einmal zu mir – und Ihr wisst, wie das geendet ist. Und das nur wegen Eurer Unachtsamkeit!“ 

Er grinste zu ihr hoch, „jawohl, Mylady. Schon morgen werde ich Euch gestatten, mich noch ein weiteres Mal zu foltern. Es ist nur, weil Eure Berührung so süß ist, dass ich bei all dem Schmerz ruhig zu sitzen vermag“, schäkerte er leicht mit ihr wie ein älterer Bruder. 

Maris, die mit einem Raymond aufgewachsen war, der ihr die Zöpfe langzog und sie mit Spinnen durch den Burghof gejagt hatte, stemmte die Hände in die Hüften, als die anderen Männer lachten. „So ist es, und Ihr solltet solch Süßes für Euch behalten oder ich werde mir weitere Folter für Euch ausdenken, wenn Ihr hier mit Geschichten prahlt. Habe ich Euch nicht gewarnt, der Tag würde kommen, da Ihr für den Frosch in meinem Bett Abbitte leisten würdet?“ 

Da war nicht die Spur von Koketterie in ihren Handlungen, dachte Dirick bei sich, wie er da zuschaute. Sie machte sich keinen Begriff davon, was sie einem Mann antat, mit diesen vor Witz strahlenden goldgrünen Augen und dem lebhaften Lachen – ganz besonders dem rothaarigen Ritter hier, dessen verliebter Gesichtsausdruck nicht ganz von brüderlichen Gefühlen geleitet schien. Aus welchem Grund auch immer sie sich im Dorf herumgetrieben haben mochte, ein Stelldichein war sicher nicht der Grund gewesen – da war er sich jetzt sicher. 

Diricks Haut prickelte noch bei der Erinnerung an ihr unschuldiges Angebot, ihn zu baden, und er fragte sich, ob ihr Vater wusste, dass sie derlei Dienste anbot. Ein jäher Blitz aus heißer Lust schoss durch ihn hindurch, wenn er sich ihre zerkratzten und rauen Hände vorstellte, wie sie seinen Körper einseiften ... aber er verwarf den Gedanken auf der Stelle wieder. Er würde gut daran tun, sich eine Frau für die Nacht zu besorgen. Vielleicht würde eine der Dienstmägde ihm hier behilflich sein. 

Nicht zum ersten Mal an dem Abend fragte er sich, warum er nichts von der wunderschönen Erbin von Langumont gehört hatte – weder von seinem Bruder noch am Hofe. Sicherlich würde eine Jungfer so reich an Ländereien nicht der Aufmerksamkeit der unverheirateten, gierigen Barone des Hofes entgehen. 

Lady Maris’ Stimme unterbrach Dirick in seinem Grübeln, als sie ihn nach hinten in den Bereich führte, der für die Soldaten und andere wichtige Besucher vorgesehen war. Es war ein großes Zimmer, abgetrennt vom Rest der großen Halle durch eine schwere Eichentür – viel angenehmer als die meisten anderen Männerquartiere, in denen er in ganz England und auch Frankreich schon genächtigt hatte. Ein Feuer brannte hell in der Ecke dort und ein Leibeigener schlief schnarchend, zusammengesunken an die Wand daneben gelehnt, mit einem Stapel Feuerholz griffbereit. 

„Ihr könnt Eure Schlafstatt aufstellen, wo Ihr wünscht, Sir Dirick“, bot Maris ihm an. Sie reichte ihm einen Stapel Bettdecken, mehr als genug, um einen warm zu halten – ganz besonders mit einem knisternden Feuer im Zimmer. 

„Ich danke Euch, Mylady“, er nahm das Bündel. 

Sie sagte da erst gar nichts, als wollte sie ihre nächsten Worte besser abwägen, und als sie dann sprach, lag ihr ein kleines Grinsen auf dem entzückenden Mund. 

Aber ihre Worte, kaum waren sie ausgesprochen, widerlegten jede unschuldige Vorstellung gründlich. „Papa bat mich nach Euren Bedürfnissen zu sehen. Wenn Euer Bedürfnis so drängend ist wie gestrige Nacht, werde ich eine Frau zu Euch schicken lassen.“ 

Dirick spürte, wie ihm das Gesicht heiß anlief, als er die Zähne zusammenbiss, in dem Versuch seine Würde zu bewahren. Die rechten Worte wollten ihm nicht einfallen und bevor er seine sieben Sinne wieder beieinander hatte, fasste die kleine Hexe dies als eine abschlägige Antwort auf und entschwand rasch in den dunklen Gang draußen. 

Er konnte ihr nur noch hinterherstarren und versuchen zu ergründen, ob er sie lieber erwürgen oder abküssen wollte.