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KAPITEL SIEBZEHN

 

Der raue Aprilwind peitschte wüst und brannte Dirick an Wangen und Nase. Er zog das Futter aus Fell von seinem Umhang enger um sich und vergrub den Mund in dessen Wärme. Merren, der königliche Bote, ritt genau vor ihm und er war es, der dieses erbarmungslose Tempo vorlegte. 

Wenn er keinen Grund zur Eile gehabt hätte, hätte Dirick noch einen oder zwei Tage abgewartet, bis das Frühlingswetter etwas gemütlicher geworden wäre. Er wäre dann jetzt immer noch bei Hofe und würde ein warmes, sättigendes Mahl in der großen Halle zu sich nehmen. Ein Gang würde dem anderen folgen und dort dem Hofstaat serviert werden, alle nur zubereitet, um den König zu beeindrucken. Narren und Troubadoure würden sich darin abwechseln, die Damen und Herren zu unterhalten, die sich auf Wunsch des Königs dort versammelten – darunter auch die unlängst eingetroffene Maris von Langumont. 

Selbst in der kalten Winterluft brachte der Gedanke an diese Frau noch sein Blut zum Kochen ... Sie war ungestümer als ein Hengst vor einer rossigen Stute und verfügte über mehr weibliche List als Königin Eleonore. Die Art, wie sie mit diesen großen, goldbraunen Augen seinen König angeschaut und Dirick ganz unverblümt als Verräter bezeichnet hatte ... und dann, nur wenige Augenblicke später, wie sie dann einfältig getan hatte, es wäre alles nur ein Irrtum gewesen ... Gebeine Gottes, legte das blöde Weib es denn darauf an, ihn am Galgen baumeln zu sehen oder wollte sie ihn nur lebenslänglich im Kerker siechen lassen? 

Im Laufe der letzten Monate, seit er von seinem Abenteuer auf Breakston zurückgekehrt war, war Diricks Leben bei Hofe ein Kommen und Gehen gewesen, während er die Ermordung seines Vaters erforschte und auch die von anderen, ähnlich gelagerten Meuchelmorden. Es war ein sehr glücklicher Zufall gewesen, dass er nicht nur in Westminster war, sondern obendrein bei Heinrich saß, als die Nachricht von Maris’ Ankunft in das königliche Gemach getragen wurde. Dirick hatte seinen Lehensherren bereits in Kenntnis gesetzt, was die Ereignisse von Langumont und Breakston betraf. Der einzige Teil, den er sich geweigert hatte zu erzählen, war, wie Maris sich ganz zuletzt an ihm gerächt hatte. 

Heinrich war heute gut aufgelegt und tatendurstig gewesen und hatte ausrichten lassen, dass Maris sofort zu ihm kommen solle. Zu Diricks Überraschung hatte er ihn gebeten bei der Audienz ebenfalls zugegen zu sein. Es wäre vielleicht klüger gewesen, seine Anwesenheit gleich von Anfang an kundzutun, aber diese unmögliche Frau löste einen derartigen Widerspruchsgeist in ihm aus, dass er das Überraschungsmoment auf seiner Seite haben wollte. 

Sie war immer noch unverändert schön, genau wie er sie in seiner Erinnerung wieder und wieder beschworen hatte im Laufe dieser vergangenen Monde. Auch erschöpft von der Reise und ausgelaugt, wie sie sein musste, und mit Gewändern von einem Schnitt, den man seit König Stephan nicht mehr bei Hof gesehen hatte, hätte Maris von Langumont immer noch heller gestrahlt als jede andere Dame bei Hofe, wäre jemand nur zugegen gewesen, um sie zu sehen. Vielleicht mit Ausnahme von Königin Eleonore ... aber auch Maris würde viele dazu bringen, sich zwei oder drei Mal nach ihr umzuschauen, selbst in Gegenwart der Königin. 

Ja, die Frau war wunderschön ... und temperamentvoll ... und listenreich ... und, ja, intelligent – obschon die meisten Männer das nicht als vorteilhaft betrachten würden. Bei ihr ging selbst ihm die Geduld allzu schnell aus und sie war etwas zu feurig, ihre Zunge zu spitz und sie zu scharfsinnig. Es fiel Dirick da erst auf, wie oft er sich schon insgeheim geschworen hatte Maris von Langumont zu erwürgen und er musste kurz auflachen. 

„Mylord“, unterbrach Merrens Stimme seine Gedanken. „Bleibt jetzt nah bei mir und ich werde Euch die Stelle zeigen.“ 

Jedweder Gedanke an Maris war wie fortgeblasen und Dirick trieb Nick nach vorne, so dass er Brust an Brust mit dem Reittier des Boten ging. „Die Leichname befinden sich hier?“ 

„Ja, Mylord, dort.“ Merren zeigte auf zwei kleine Haufen, die der Schnee dort leicht bedeckte. 

Sie näherten sich den Leichnamen von Sir Harris von Bristol und seinem Schildknappen. Die Nachricht vom Tod beider hatte die Audienz des Königs mit Maris unterbrochen. Als Heinrich erfuhr, dass man sie in einer ähnlichen Anordnung vorgefunden hatte wie den Leichnam von Harold von Derkland, entsandte er Dirick augenblicklich an den Ort des Verbrechens. 

Dirick stieg jetzt ab und befahl Nick stehen zu bleiben, während er sich mit äußerstem Bedacht auf den größeren der zwei Leichname zubewegte. Der Neuschnee, der den Mann bedeckte, war nicht dicht genug, um die Blutspritzer zu verbergen, die den älteren, schon vereisten Schnee verfärbten. Noch war angesichts der Stellung von dem Mann und der seines Knappen hier ein Irrtum möglich. 

Es war alles genau so, wie man es bei den zurückliegenden Vorkommnissen beschrieben hatte: beide Männer lagen bäuchlings hilflos auf der Erde, mit den Armen nach oben verrenkt, bis über ihre Köpfe, jede Hand hielt eine Hand des anderen fest. Es sah aus, als wären sie irgendwie aus großer Höhe herabgefallen und hätten sich dabei an den Handgelenken festgehalten. Sir Harris hatte man den Hals gebrochen und die Kehle durchschnitten, so dass sein Kopf auf grausame Weise nach hinten auf seine Schultern gekippt werden konnte, auf den starr nach oben gerichteten Blick fiel der herabfallende Schnee. 

 

~*~

„Versucht diesen hier, Herrin.“ Agnes kniete Maris vor den Füßen und hielt einen kunstvoll gearbeiteten Lederschuh in der Hand. 

Maris glitt mit dem einen Fuß in den bestickten Schuh, dann mit dem zweiten Fuß in den anderen. „Sie passen ausgezeichnet“, sagte sie da. „Ich war mir nicht so sicher, wo wir doch solche Eile bei der Herstellung hiervon hatten, aber Lady Madelyne hatte mir versichert, der Schuster würde all meine Wünsche gut ausführen.“ 

„In der Tat, genau wie die Näherinnen“, nickte ihre Zofe zustimmend, als sie aufstand, um ihre Herrin zu betrachten. „Das Gewand kleidet Euch gut, Herrin.“ 

„Zumindest ist es etwas modischer“, erwiderte Maris mit einem Schulterzucken. Aber sie war zufriedener, als ihre Worte den Anschein gaben. 

Auf Lady Madelynes Anraten hin hatte sie einen Schneider und seine Näherinnen angeheuert, um ein Gewand aus den Stoffen zu schneidern, die sie von Langumont mitgebracht hatte. Jetzt – nur zwei Tage nach ihrer Ankunft – glich ihre Aufmachung schon eher der von den anderen Damen, die sich in den Gemächern der Königin um diese drängten. 

Das Untergewand und der Bliaut waren enger geschnitten als ihre früheren Gewänder, was ihr ein wenig Unbehagen bereitete, angesichts der Tatsache wie eng sie sich um ihre Brüste und Hüften schmiegten. Der Gürtel aus Gold reichte ihr dreimal um die Taille und seine Enden hingen fast bis zum Boden herab. Und die Ärmel ihres Bliaut von der Farbe dunkler Pinien waren so lang und so weit, dass Agnes Knoten in die Enden davon geschlungen hatte, damit Maris nicht auf die gelben und orangenen Stickereien trat, die ihre Manschetten zierten. 

Eine schweres Geschmeide aus Rubinen und einem großen Smaragd hing ihr um den Hals und drei Ringe schmückten ihre Finger. Obgleich Maris auf Langumont niemals solche Mengen von Juwelen trug, hatte Allegra sie gewarnt, dass sie sich bei Hofe so herausputzen müsse, andernfalls würden Zweifel an der Macht und am Reichtum ihres Titels aufkommen. Agnes hatte ihr das lange rotbraune Haar zu vier Zöpfen geflochten und diese in Haarnetze von purem Gold eingewickelt und dann ihren Kopf mit einem hauchzarten Goldschleier bedeckt. 

Von der Tür kam ein Klopfen und die Zofe machte auf, um dort Lady Madelyne zu sehen, zusammen mit ihrer angeheirateten Kusine, Lady Judith von Kentworth. 

„Ihr seht bezaubernd aus“, sagte Madelyne, ihre hellgrauen Augen funkelten anerkennend wie Mondsteine. „Ich vermag kaum zu glauben, wie flink die Näherinnen gearbeitet haben.“ Ihre Hand ruhte auf einem leicht gerundeten Bäuchlein, der aus ihrem Gewand hervorstand, allerdings kaum bemerkbar unter all den Falten des schweren Stoffes. 

Judith, deren kupferfarbenes Haar unter einem fast durchsichtigen Kopftuch vorleuchtete, stimmte ihr zu. „Es ist nicht, dass Ihr nicht zuvor schon nicht prächtig gekleidet gewesen wärt, aber jetzt können diese Damen, jene lauernden Katzen, ihre Krallen wieder einfahren und ihre bissigen Kommentare über die Unschuld vom Lande für sich behalten“, sagte sie. „Obwohl“, fügte sie hinzu, wobei sie Maris mit spitzbübischen Augen anschaute, „ich denke nicht, dass Ihr irgendwelche Probleme hättet, einer, die Euch zu nah kommt, die Krallen zu stutzen. Fürwahr, dieser Smaragd da hat die Größe von einem Gänseei!“ 

Maris schaute runter zu dem Schmuckstück, auf einmal unsicher. „Ist es zu groß? Wird die Königin verärgert sein?“ Es bekümmerte sie wenig, wenn die anderen Ladys ihr ihren Schmuck neideten, aber sie wollte ihren Reichtum ganz sicher nicht zur Schau stellen, wenn das die Königin beleidigte. 

„Oh, nein“, sagte Judith und lachte vergnügt. „Es wird sie nur dazu bringen, ihrem Gemahl vorzuschlagen die Abgaben und Steuern auf Langumont zu erhöhen. Sie wird sagen, Ihr habt offensichtlich zu viel in Euren Schatullen.“ Immer noch grinsend blickte sie zu Madelyne. „Zumindest versteckt Ihr sie nicht in Euren Kleidertruhen, wie Maddie es einmal versucht hat.“ 

Madelyne musste leise lachen, als Maris sie erstaunt anblickte. „Judith sagt die Wahrheit. Ich musste mich daran gewöhnen solche Klunker zu tragen, als ich an den Hof kam, denn ich hatte fast zehn Jahre in der Abgeschiedenheit eines Klosters verbracht, wo alles sehr schlicht war. Selbst jetzt verspürt Gavin immer noch den Drang mich dazu anzuhalten, meine Geschmeide und Ringe mit Stolz zu tragen.“ 

„Nun gut. Also dann“, sagte Maris jetzt beruhigt, „dann werde ich meine Juwelen mit Stolz tragen und wenn es unter der Nase der Königin selbst sein sollte. Sollen wir gehen?“ 

Als sie die große Halle betraten, gingen die drei Frauen rasch zu den aufgebockten Tischen hinüber, wo die anderen Hofdamen Eleonores schon saßen. Nach ihrer kurzen Audienz mit der schönen, aber recht strengen Königin zwei Tage zuvor hatte man Maris eine offizielle Einladung zukommen lassen – die nichts anderes war als ein Befehl – dem Hof Eleonores bis auf Weiteres beizutreten. 

Die Damen mussten an dem königlichen Podest vorbeigehen, während sie sich ihren Weg durch die vielen Reihen kreuz und quer aufgestellter Tische und durch die Massen von selbstsüchtigen Höflingen suchen mussten. Völlig konzentriert auf ihre Füße und wo sie die hinsetzte, schaute Maris nicht zu dem königlichen Paar und ihren Gästen am heutigen Abend hoch, bis Madelyne stehenblieb, um sich elegant vor der Königin zu verneigen. 

„Ihr seht gesund aus, Lady Madelyne“, sprach Eleonore von ihrem erhöhten Sitz aus. „Freudiger Hoffnung zu sein scheint Euch gut zu bekommen und stimmt auch Euren Gatten freudig, wie mir scheint.“ 

„Ich danke Euch, Eure Majestät“, gab Madelyne mit der ihr üblichen ruhigen Heiterkeit zur Antwort. „Ich kann nur hoffen, dass ich ebenso gesund und schön aussehe wie Ihr, wenn das Baby erst einmal da ist.“ 

Eleonore, die kaum einen Monat zuvor niedergekommen war, lächelte und schenkte ihr einen Blick, der zu sagen schien, Vielleicht werdet Ihr ebensolches Glück haben ... aber es ist eher unwahrscheinlich. „Und guten Abend Euch, Lady Maris“, sagte die Königin, als sie ihre Augen von Madelyne abwandte. „Ich sehe, Ihr habt Besuch von einer Näherin erhalten seit gestern Abend. Und was habt Ihr auch für herrliche Juwelen in Euren Schatullen gefunden.“ 

„Ja, so ist es, Eure Majestät“, murmelte Maris und knickste erst vor Eleonore und dann vor Heinrich. Als sie sich aufrichtete, fiel ihr Blick auf eine groß gewachsene Gestalt, die sich soeben auf einem Platz in der Nähe des Königs niederließ. 

Sir Dirick. 

Ihre Blicke kreuzten sich für einen kurzen, heftigen Moment – sein wütender, blau und grau, distanziert und unbeteiligt –, bevor Maris ihren losriss. 

Aber das Herz hämmerte ihr und ihre Handflächen fühlten sich feucht an, und selbst ihr Mageninneres fühlte sich an, als hätte man darin einen ganzen Schwarm von Vögeln aufgescheucht. Während das Herz ihr ganz hoch oben im Hals schlug, hielt Maris den Blick von ihm abgewandt und ihr Kinn stolz erhoben. Sie sammelte ihre Röcke um sich und folgte Madelyne und Judith, als diese sich von dem Podest wegdrehten. 

Es war das erste Mal, dass sie Diricks seit ihrer Begegnung in den Gemächern des Königs zwei Tage zuvor wieder ansichtig wurde. Eine der Ladys hatte getratscht, dass Sir Dirick im Auftrag des Königs entsandt worden wäre und Maris hatte gehofft, dass seine Rückkehr lange auf sich warten ließ. 

Aber selbst dann noch, als sie ihren Platz einnahm, wobei sie ihr Gewand anmutig anhob, um es über die Holzbank zu schwenken – selbst da noch drängte sich das Bild von seinem ernsten Gesicht vor alle anderen Gedanken in ihrem Kopf. In jenem kurzen Augenblick hatte sie erkannt, wie erschöpft er aussah. Sein Gesicht war angespannt und tiefe Falten zogen Furchen über seine hageren, gebräunten Wangen. Sein dichtes, schwarzes Haar war ganz unmodisch aus dem Gesicht nach hinten gekämmt und im Nacken zusammengebunden. 

Mit dem Vorwand sich ihren Becher wieder mit Wein aufzufüllen, erschlich Maris sich noch einen kurzen Blick auf ihn. Er war in eine Unterhaltung mit dem König vertieft, nachdem er sich einen Platz neben seinem Souverän ausgesucht hatte, anstatt einen neben einer Dame, wie es sich eigentlich geziemte. Ihre Unterhaltung schien angespannt und sehr ernst, und sie fragte sich, worüber die beiden sich unterhielten. Aber selbst während sie noch darüber nachgrübelte, fiel ihr die Breite seiner Schultern neben denen des Königs auf und die Art und Weise, wie sein dunkler Kopf viel höher schien als der des rotblonden Königs. Ein Ärmel von Diricks Untergewand war bis zum Ellbogen zurückgefallen und gab die Stärke seines muskulösen, gebräunten Unterarms preis. 

Genau in dem Moment blickte er hoch und Maris schaute abrupt weg und hob ihren Becher rasch an die Lippen, um ihr Gesicht zu verbergen. Es war ihr Pech, dass ihr hastiges Trinken von dem süßen Rotwein sie fast erstickte und ein Hustenanfall sie überkam. Als sie dann ihre Fassung wiedererlangt hatte, verriet ihr ein selbstgefälliges Grinsen auf Diricks Gesicht nur zu deutlich, dass er jetzt über sie lachte. 

Weil sie spürte, wie ein hitziges Erröten sich auf ihren Wangen breit machte, beugte Maris sich zu Judith und Madelyne hinüber und zwang sich, sich auf deren Unterhaltung zu konzentrieren. 

„Ja, und es tut auch nicht weh ihn anzuschauen“, sagte Judith mit einem wissenden Blick zur Tafel des Königs. „Aber ich würde schwören, das weiß er selbst auch schon. Die Sorte weiß derlei immer. Gavin kennt den Mann doch recht gut, nicht wahr, Maddie?“ 

„Ja. Es ist in der Tat so, dass den beiden vom König ein dringender Auftrag auferlegt wurde, von einem Problem, das wohl vor kurzem in irgendeinem Lehen im Westen aufgetreten ist. Gavin musste in den letzten zwei Monden deswegen recht viel reisen, zwischen dem Hof hier in London und dort, und er hat mir nicht sagen wollen, worum es geht.“ Madelyne strich sich mit den Händen über ihren schwangeren Bauch, als wolle sie damit die Zurückhaltung ihres Mannes erklären. „Aber Seine Majestät war sehr zufrieden mit den Ergebnissen und hat meinen Gemahl reichlich entlohnt.“ 

Begierig darauf, sich an der Unterhaltung – egal welcher – zu beteiligen, fragte Maris, „von wem sprecht Ihr da?“ 

„Kennt Ihr denn Sir Dirick etwa nicht?“, erwiderte Madelyne. 

Ihr Gesicht wurde wieder warm und Maris schüttelte den Kopf und knabberte an einem Stückchen Fasanenbraten. „Er und ich sind uns nur kurz begegnet und haben wenig Gefallen aneinander gefunden.“ 

„Ach, wirklich?“ Judith warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Ich kann mir nicht vorstellen, was einer an einem solchen Mann nicht gefallen würde. Wenn ich der König wäre, ich schwöre, ich würde dem Mann nicht gestatten neben mir zu stehen.“ 

„Dirick de Arlande–“, begann Maris, aber Judith unterbrach sie. 

„Dirick de Arlande? Nein, Ihr wolltet wohl sagen Dirick von Derkland, oder etwa nicht?“ 

„Derkland?“, Maris blinzelte und erinnerte sich an den freundlichen Riesen von einem Mann, mit dem ihr Vater versucht hatte sie zu verheiraten. Aber er hatte nur Augen für Joanna von Swerthmore gehabt und das war Maris überhaupt nicht ungelegen gekommen. „Hat er einen Bruder mit dem Namen Bernard?“ 

„So ist es“, sagte Madelyne und betrachtete sie mit Interesse. „Gavin kennt die Familie recht gut. Es gibt auch noch den mittleren Bruder Thomas, der Priester ist.“ 

Maris blickte kurz zu dem Tisch des Königs und sah, dass Dirick sie mit einem schalkhaftem Blick anschaute. „Wie auch immer der Name des Mannes lauten mag“, fuhr sie schnippisch fort und drehte sich weg, „Dirick von Was-Weiß-Ich gleicht seinem älteren Bruder in gar nichts, denn Dirick ist nichts als ein überheblicher, grober Soldat, mit wenig mehr als seinem Namen und einem prächtigen Schlachtross, das er sicherlich der Gunst der Stunde in einer Schlacht verdankt. Er mag den König hinters Licht geführt haben, aber er hat einer Frau wenig mehr zu bieten als Lug und Trug.“ 

Madelyne und Judith tauschten Blicke aus, aber keine von beiden sagte noch etwas in der Sache, obwohl Maris fühlte, wie die Augen von Judith forschend auf ihr verweilten. 

Sie wandte sich ab und nahm sich etwas von einer weichen, gerösteten Rübe und achtete nicht weiter auf den scharfen Schmerz in ihrer Magengrube. Der Mann war unausstehlich. Und trotz allem, was Madelyne gesagt hatte, sie hatte immer noch keinen Grund nicht zu glauben, dass er nicht aus freien Stücken bei ihrer Entführung mitgewirkt hatte, Vertrauter des Königs oder nicht. 

Sie war gerade dabei, endlich ihr Mahl zu genießen, als eine schwere Hand sich auf ihre Schulter legte. 

„Meine teure Lady Maris“, schnurrte eine nicht unbekannte Stimme ihr ins Ohr. „Es bereitet mir viel Freude zu sehen, dass Ihr Euch bester Gesundheit erfreut.“ 

Überrascht schaute sie hoch, um da Victor d’Arcy mit einem kalten Lächeln auf seinem Gesicht zu erblicken. 

 

~*~

Dirick stopfte sich ein großes Stück Brot in den Mund, während er beobachtete, wie Victor d’Arcy sich Maris näherte. Die wohlvertraute Abneigung kroch wieder in ihm hoch beim Anblick des blonden Mannes und er verschlang das Brot hastig. 

Der Klang des tiefen, angenehmen Lachens der Königin wurde neben ihm vernehmbar und sie beugte sich nah genug zu ihm hin, um ihm ins Ohr zu flüstern. Ihr exotischer Duft umgarnte ihn und riss Dirick gegen seinen Willen aus seinen Gedanken. 

„Was betrübt Euch denn am heutigen Abend, Sir Dirick? Ihr habt das Gesicht von einem, der gerade eine Zitrone verspeist hat.“ 

Weil er doch gerne abgelenkt werden wollte, wandte er sich ihr zu, und setzte sein galantestes Lächeln auf. „Eure Majestät, nichts, was von Belang wäre. Es ist nur, dass ich gehofft hatte dem Auffinden jenes Mannes schon näher zu sein, der meinen Vater ermordet hat – und auch noch andere Männer. Und ich habe wieder und wieder mit denen gesprochen, welche die grausigen Schauplätze gesehen haben, und den jüngsten davon habe ich selber untersucht und dennoch scheine ich keine Fährte zu finden, der ich folgen kann.“ Und daher hatte er in den letzten Monaten seit seiner Rückkehr von Langumont und Breakston seine Zeit mit anderen Aufgaben zugebracht, die ihm der König aufgetragen hatte. 

Das Lächeln der Königin erlosch. Obwohl sie dem ersten Anschein nach eine Frau zu sein schien, deren Welt nur aus Frivolität und Sinnenfreunden bestand, war Eleonore genauso ernsthaft und klug wie ihr Ehemann, wenn es sich um ihr Land und die Menschen darin handelte. „In der Tat, es bereitet auch meinem Gemahl Sorgen, denn wann und wo wird dieser Wahnsinnige das nächste Mal zuschlagen? Aber er hat großes Vertrauen zu Euch, Sir, und bislang habt Ihr ihn noch nie enttäuscht. Ich weiß, dass es kaum einen Mond her ist, dass Ihr und Gavin de Mal Verne Euch in Wales um eine andere Angelegenheit gekümmert habt, und der König war überaus zufrieden mit Euren Ergebnissen.“ 

„In der Tat“, erwiderte Dirick, als er sich auf das Problem in Wales bezog, das ihn mehr als nur ein paar Wochen sehr beschäftigt gehalten hatte. „Keiner musste sein Leben lassen und ein schurkischer Schlossvogt sitzt nun im Kerker wegen seiner Unverschämtheit.“ 

„Und ein Lehen, das nicht unter einer Belagerung Schaden litt, untersteht wieder meinem Gemahl“, erinnerte Eleonore ihn. „Ich weiß, Ihr wart nicht sehr erfreut von Eurer anderen Aufgabe abgezogen worden zu sein, aber vielleicht hat etwas Abstand dazu Eurem Kopf auch gestattet sich ein wenig mehr Klarheit zu verschaffen?“ 

„Ja, vielleicht habt Ihr Recht“, antwortete er. „Aber der Tod von Sir Harris vor nicht einmal drei Tagen macht deutlich, dass dieser Mörder immer noch unter uns weilt und sich sogar ganz in der Nähe befinden muss.“ 

Eleonore nickte. „So ist es und die Erschöpfung und die Verdrossenheit lässt sich Euch an Gesicht und Haltung ablesen. Ihr seid in den letzten paar Tagen weit geritten und habt einen schrecklichen Anblick ertragen müssen. Oh ja, mein Gemahl hat mir alles erzählt“, fügte sie hinzu, als er sie überrascht anschaute. „Er erspart mir nichts, wofür ich sowohl dankbar, aber weswegen ich bisweilen auch verzagt bin. Aber für heute Nacht, Sir Dirick, warum macht Ihr Euren Verstand nicht frei von solch bösen Gedanken und leistet meinen Damen Gesellschaft? Sie finden immer Vergnügen an einem Ritter mit einer Vorliebe für die Dichtkunst wie Ihr und ich habe Euch heute Abend mehr als einmal einen Blick in jene Richtung werfen sehen.“ 

Unbehagen beschlich ihn bei dem Gedanken Maris mit den schnöden, leeren Phrasen gegenüberzutreten, welche die Lippen und das Haar und die Gestalt anderer Frauen priesen. Er hatte sich unter den Damen des berühmten Hofes der Liebeskunst vor einigen Jahren recht großer Beliebtheit erfreut, als Heinrich nach Aquitanien gereist war, um dort um Eleonore zu freien. Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass Maris solche oberflächlichen Lobpreisungen entgegennahm, ohne ihm das Gefühl zu geben ein Narr zu sein. 

„Ich bitte Euch, Majestät, entbindet mich heute Abend von der Pflicht Eurer Aufforderung Folge zu leisten. Ich bin recht ermattet und fürchte, dass meine Talente mich unter solchen Bedingungen im Stich lassen werden.“ 

Eleonore schaute ihn hintersinnig an. „Dirick von Derkland“, ein spöttisches Lächeln verzog ihren wohlgeformten Mund, „tischt mir nicht derlei Lügen auf. Der Tag, an dem Eure Talente bei den Frauen Euch im Stich lassen, ist der Tag, an dem es mir nicht mehr gelingt, einen Mann an mich zu fesseln, sollte mir daran gelegen sein.“ Trotz ihrer selbstsicheren Worte wussten sie beide, dass ihre Loyalität dem König gegenüber unverbrüchlich war. Jetzt, da der Ernst aus ihrer Unterhaltung verschwunden war, blitzten ihre Augen vergnügt auf, als sie die Lippen zu einem kleinen Schmollen verzog. Sie drückte sachte einen Finger samt langem Nagel auf seinen Unterarm und neckte ihn, „ich schwöre, Euer Desinteresse kann nur eins bedeuten.“ 

Da er aber auch mit Leib und Seele Mann war, konnte Dirick nicht anders, als auf die Weiblichkeit der Königin zu reagieren, denn sie roch betörend und verheißungsvoll, und ihre Haut und Gestalt waren weiblich und wunderschön. „So ist es, Eure königliche Hoheit“, entgegnete er mit gleichermaßen koketter Manier und in der Art, wie sie es von ihm erwartete. „Mein Desinteresse kann nur dies bedeuten: da Ihr, Mylady, außerhalb meiner Reichweite seid, steht mir nicht der Sinn danach, mich Tändeleien ohne jeden Reiz für mich hinzugeben, mit anderen, die mir nichts bedeuten.“ Zumindest der letztere Teil des Gesagten entsprach der Wahrheit. 

Und auch wenn sein bezauberndes Lächeln eine Frau mit weniger Erfahrung in Liebesdingen hätte täuschen können, fiel Eleonore nicht auf ihn herein. „Solch süße Worte tropfen Euch da von Eurem schönen Mund. Wahrhaft, ich beneide die Frau, die einmal Euer Herz bezwingt. Und ich freue mich auf den Tag, an dem ich Euch derart berauscht sehen werde.“ Während sie einen Schluck von dem Wein aus Ihrem Heimatland nahm, beobachteten ihn die dicht bewimperten Augen über dem Rand ihres Weinkelchs sehr genau. 

Als sie den Weinkelch wieder absetzte, hatte sich ihr Gesichtsausdruck von dem einer koketten Frau zu dem einer Frau gewandelt, die alles durchschaut hatte. „Und beim Kreuze Christi, es ist passiert, nicht wahr?“ Bevor er den Mund öffnen konnte, hatte sie ihm eine Hand auf denselben gelegt. „Erspart mir Eure Beteuerungen des Gegenteils, Dirick. Auch wenn die Höfe der Liebeskunst, an denen ich geherrscht habe, sich in einer Anbetung aus der Ferne üben, wo Ritter ihre Aufmerksamkeit in ziemlicher Weise den Damen aus diesem Reich erweisen, so glaube ich auch, dass es einen Platz gibt für eine realere, eine greifbare Liebe – so wie ich sie mit meinem Gemahl teile.“ Ein aufrichtiges Lächeln wärmte ihre Züge. „Ja, Dirick, man kann sogar Liebe finden in einer solchen Allianz wie der zwischen dem Reich von Anjou und dem Haus von Aquitanien.“ 

„Eure Majestät–“

„Ihr seid meinem Ehemann gegenüber schon lange stets loyal gewesen und durch ihn auch mir gegenüber. Auch wenn Heinrich oft nicht das zu erkennen vermag, was sich unter seiner Nase abspielt, und sich auch nicht eilt die zu entlohnen, die ihm treu ergeben sind, bei mir ist es anders.“ Ihr Blick wanderte da rasch zu dem Tisch ihrer Damen und langsam über diese hinweg, als wolle sie abschätzen, welche von ihnen er wohl liebte. „Ihr werdet sie bekommen, Dirick. Ich werde dafür sorgen.“ 

„Aber ich sagte nicht, dass ich sie liebe. Ich liebe sie nicht. Ich liebe niemanden“, stammelte er, weil er sich aus unerfindlichen Gründen von Eleonores allwissendem Betragen überrumpelt fühlte. „Und wo ich doch keiner Eurer Damen besondere Gunst erwiesen habe – wie könnt Ihr dies nur annehmen?“ 

Sie lachte wieder ihr tiefes Lachen. „Wenn es wahre Liebe ist, wird es Euch nicht gelingen, sie vor mir zu verbergen – oder vor jedem anderen, der sich die Mühe macht Euch zu beobachten. Ihr werdet sie bekommen, Dirick, es sei denn sie ist einem anderen versprochen.“ Und damit wandte sie sich von ihm ab, um wieder an der Unterhaltung ihres Ehemannes teilzunehmen.