Prolog

Custos Kopf wurde zur Seite geschleudert, als eine Faust gegen sein Kinn krachte. Sein Ohr rauschte und auf seiner Wange und hinter dem linken Auge breitete sich eine heiße Welle aus. Bei jedem Herzschlag schoss ein blitzartiger Schmerz durch seinen Kopf, und langsam vernebelten dunkle Wolken seinen Verstand.

Konzentriere dich.

Er drückte die Hände gegen die Fesseln, die in seine Handgelenke schnitten nicht, um sich zu befreien, das war unmöglich , sondern um die Angst zu beherrschen, die sich in einem schwachen Augenblick leicht in einem unkontrollierten Keuchen äußern konnte.

Er würde sterben. Jetzt kam es darauf an, gut zu sterben. Heulen kam nicht infrage.

Verschwommen tauchte Spencers Gesicht in Custos Blickfeld auf. Seine kurz geschorenen braunen Haare bildeten lediglich einen Schatten auf seiner Kopfhaut. Über einen schwarzen Knopf in seinem Ohr war Spencer mit dem Rest seines Teams verbunden, der geheimen Regierungsabteilung zur Erforschung übersinnlicher Aktivitäten. Eigentlich gehörten sie zu den Guten, aber etwas war komplett schiefgelaufen. Spencer war immer ein Mistkerl gewesen, aber dass er heimlich mit den Geistern kollaborierte, machte ihn zum Verräter.

»Sag mir, wo Adam ist, und ich lasse dich gehen. Du musst dir wirklich nicht so viel Mühe geben wir finden ihn ohnehin. Er muss ja nicht wissen, dass du ihn verraten hast«, sagte Spencer.

Ein warmes Rinnsal bahnte sich einen Weg aus Custos Nase. Er nahm den Geruch von Kupfer wahr.

Adam würde es herausfinden und noch schlimmer ihm vergeben.

Ein lautes Geräusch Metall schabte über den Boden. Ein runder Gegenstand drückte leicht auf seinen Fuß.

Custo schlug die Augen auf. Was jetzt …?

Spencer hatte einen von Adams eleganten Stühlen so vor ihm platziert, dass sich ihre Knie berührten, als er sich hinsetzte. Nachdem Spencers Gewicht auf dem Stuhl lastete, verstärkte sich der Druck auf Custos Fuß. Ein Knochen schmerzte, brannte und brach, weiße Funken schossen seine Wade hinauf. Für den Bruchteil eines Augenblicks verlor er das Bewusstsein.

Spencer lehnte sich freundlich lächelnd auf dem Stuhl zurück. »Ehrlich, ich würde dich sofort gehen lassen. Sag mir einfach, wo Adam ist.«

Spencer spielte gern und gewann gern. Man konnte ihn nur aufhalten, indem man ihn plattmachte oder nicht mitspielte. Gewinnen klappte heute nicht. Besser, er ließ sich etwas anderes einfallen.

Custo konzentrierte sich auf den Raum hinter Spencer und suchte nach einem Ausweg. Das New Yorker Loft war typisch für Adam Thorne klare Linien, eine moderne hochwertige Einrichtung in Grau und Schwarz, kontrastiert von knalligen Farben im Schlafzimmer fand sich ein kräftiges Rot in dem niedrigen asiatischen Bett in der Mitte der gegenüberliegenden Wand und dem Nachtisch daneben. In dem abstrakten Gemälde darüber verwandelte sich die Farbe in Spritzer aus Sangre.

Sangre. Blut. Custos Blick glitt zu den breiten Holzplanken im Fußboden.

»Du musst wissen, wo er ist.« Spencer ergriff drängend Custos Hand. Seine vorherige Heiterkeit war verschwunden.

Ich dachte, er wäre hier. Wir wollten uns hier treffen. Adam hatte Talia in das Loft gebracht, wo er sie in Sicherheit wähnte. Custo war hier mit ihnen verabredet gewesen, zusammen wollten sie den Angriff auf die Machtzentrale der Geister planen. Adam hatte Custo sogar mehrmals am Abend angerufen, um sich zu vergewissern, wie weit er war.

Es musste etwas passiert sein, das Adam und Talia zur Flucht veranlasst hatte.

»Er erzählt dir alles.« Spencer ergriff Custos Zeigefinger und löste ihn von der Armlehne.

Dehne das hier so lange wie möglich aus, vielleicht können sie entkommen.

Custo stockte der Atem, als sein Finger in einem schmerzhaften rechten Winkel zu seinem Handrücken stand. Er biss die Zähne zusammen ein Backenzahn hatte sich gelöst und wartete auf das

Pop. Custo zitterte, ihm brach der kalte Schweiß aus. Er stemmte sich gegen die Fesseln, die ihn auf dem Stuhl hielten. Sie waren so verdammt fest.

Er musste nur noch ein bisschen durchhalten. Nur so lange, bis Adam und Talia in Sicherheit waren.

»Es tut mir ja so leid«, sagte Spencer und zerrte den Finger zurück zwischen die anderen. Er drehte ihn hin und her. Die kleinen Knochen kreischten. »Ich glaube, er ist gebrochen.«

Sehr witzig. Blieben nur noch neun.

»Was ist mit Talia, dieser komischen Person?« Spencer bog den Mittelfinger nach oben. Custo versuchte, seine Hand zurückzuziehen, aber die verdammten Fesseln ließen das nicht zu.

Talia. Ja, sie war etwas seltsam. Zweifellos. Ein Schrei, und schon kam ihr finsterer Schattenmannpapa, um sie zu retten. Ziemlich praktisch, den Tod zum Vater zu haben.

Der Tod. Custo beobachtete, wie ein weiblicher Geist aus einer Zimmerecke glitt, sich auf Adams Bett niederließ und sich auf den Kissen räkelte, wobei er ihm mit gierigem Blick in die Augen sah. Eine blasse, dünne Brünette. Sie sah menschlich aus, schließlich war sie das einst gewesen, aber irgendetwas hatte sie verändert und ein Monster aus ihr gemacht. Einen Seelensauger. Das Segue Institut, eine private Organisation, die mit Spencers Regierungsabteilung kooperierte, sollte herausfinden, wieso sich Menschen in Geister verwandelten, und dem möglichst ein Ende bereiten. Als Talia darauf gekommen war, dass die Geister sich freiwillig in Monster verwandelt und ihr Menschsein gegen die Unsterblichkeit eingetauscht hatten, war es zum Krieg gekommen.

Pop. Custos Hand zuckte bei dem heftigen Schmerz, der doppelt so stark war wie beim ersten Finger. Er atmete tief ein und bemühte sich, die Kontrolle zu behalten.

Spencer wählte einen weiteren Finger aus.

Custos Herz hämmerte. Als sich der Druck auf seinen Daumen in flüssiges Feuer verwandelte, biss er die Zähne zusammen und machte sich dennoch in die Hose.

Spencer warf sich lachend zurück. »He, Kumpel! Du hast doch nicht etwa Angst zu sterben?«

»Nicht so wie du.« Custos Stimme klang heiser, kam tief aus seiner Brust.

»Ich habe mir nicht in die Hose gemacht.«

Der süßsaure Gestank breitete sich im Zimmer aus und mischte sich mit dem metallischen Geruch des Bluts.

»Du « Custo betastete mit der Zunge seinen losen Zahn »… du bist in jenem Moment zum Feigling geworden, als du dich mit den Geistern zusammengetan hast.«

Die Geisterfrau zwinkerte ihm zu. »Ganz im Gegenteil. Man braucht starke Nerven, wenn man sich in einem Raum mit einem hungrigen Geist aufhält.«

Spencer ignorierte sie. Er seufzte schwer und drehte die Augen verzweifelt gen Himmel. »Du begreifst das einfach nicht, Custo. Hast es noch nie begriffen. Es gibt keinen Grund, die Unsterblichkeit zu bekämpfen. Adam und ich haben das immer wieder diskutiert. Was die Geister tun, ist vielleicht nicht schön sie ernähren sich von dem Lebensgeist ihrer menschlichen Ahnen , aber es ist ein natürlicher Entwicklungsschritt auf dem Weg, den Tod zu überwinden. Ich habe nur die Zeichen der Zeit erkannt.«

»Du hast Angst. Ich habe immer gewusst, dass du ein Angsthase bist.«

»Ich bin schlau.« Spencer erhob wütend die Stimme. »Was bildest du dir eigentlich ein? Ich weiß, was du getan hast.«

Was ich getan habe?

»Heinrich Graf zum Beispiel.«

Ach. Der deutsche Mistkerl, der den Auftrag hatte, Adam umzubringen. Er hatte ihn mit einem Fernschuss erledigt. »Abschaum.«

»Du hast seine Tochter verführt, um herauszufinden, wo er sich aufhält. Du bist Abschaum.«

»Ich habe nicht ihre Seele ausgesaugt.« Custo bedachte den Geist mit einem bohrenden Blick.

»Haarspalterei. Du hast sie benutzt, um ihren eigenen Vater zu töten.«

Ein Fehler, und nicht der schlimmste von allen. Ein paar Sachen mussten einfach getan werden, und Adam konnte das nicht. Seine dunkle Seite war nicht stark genug, um das durchzuziehen. Sollte es einen Gott geben, würde der kein Erbarmen mit ihm haben, wenn das hier vorbei war. Er würde in einer anderen Hölle landen. Aber sobald er dort war, konnte er wenigstens schreien. Nicht hier. Nicht vor einem Stück Dreck wie Spencer.

Das Leben ist schlecht. Der Tod ist gut, sagte er sich zur Beruhigung.

»Wo ist Adam?«, wiederholte Spencer. »Du wirst es mir verraten, bevor wir hier durch sind.«

Custo schenkte ihm sein bestes, blutiges Lächeln. Wenn Spencer und seine Geister den Notausgang nicht gefunden hatten, würde er ihnen ganz sicher nicht verraten, wo er sich befand. Nicht einmal, um sein eigenes Leben zu retten.

Custo sammelte Blut und Speichel in seinem Mund und spuckte Spencer ins Gesicht. Er traf den Mistkerl an Kinn und Hals.

Spencer zog seine Faustfeuerwaffe, drückte die Pistole brutal gegen Custos Stirn und wischte sich mit dem Ärmel angewidert das Gesicht ab.

Die Geisterfrau setzte sich auf dem Bett auf und jammerte. »Überlass ihn mir, wenn du mit deiner Fragerei fertig bist. Ich habe Hunger.«

Spencers Auge zuckte. »Nein. Er gehört mir.«

Er zog den Arm zurück. Und schlug zu. Custo wurde schwarz vor Augen.

Schmerz schoss durch seinen Wangenknochen und sprengte seinen Schädel. Custo blinzelte heftig gegen einen dichten Film an, der seinen Blick verschleierte, und konnte dennoch seltsamerweise ganz klar sehen. Der Raum veränderte sich, wurde heller. Lange fluoreszierende Lichter blendeten ihn von oben, wobei das Schlafzimmer eigentlich von Deckenstrahlern beleuchtet wurde. Seine Brust war auf eine andere, bedrückend unangenehme Art beengt. Intensive, derbe Gerüche von Blut, Körperflüssigkeit und Schweiß stiegen ihm in die Nase.

Ein Mann mit einer hellen blaugrünen Maske vor dem Gesicht starrte auf ihn herab und befahl: »Noch ein Klaps!«

Oh, Gott. Seine Geburt.

Es folgte ein Schrei: das laute Kreischen eines Kindes, das aus seinem eigenen Hals stammte.

Ein Stups gegen sein Kinn beförderte Custo zurück in das Schlafzimmer des Lofts.

Spencer beugte sich zu ihm vor, und Custo spürte den Atem in seinem Gesicht. »Du kannst schnell und einfach oder langsam und elend sterben.«

Custos Herz pumpte, denn er weigerte sich zu atmen keine gebrauchte Luft von Spencer, nein danke.

»Es ist deine Entscheidung.« Spencer kratzte sich mit dem Pistolenlauf an der Wange.

»Lang…« Custos Kiefer arbeitete nicht richtig. Er versuchte noch einmal langsam und elend zu sagen. Adam Zeit zu verschaffen.

»Überlass ihn mir«, nörgelte der Geist. »Adam und das Mädchen sind wahrscheinlich sowieso schon lange weg.«

»Nein. Und halte dich aus meinen Angelegenheiten heraus«, erwiderte Spencer.

Der Geist stand auf und legte die Hand auf die Türklinke. »Was für eine Verschwendung «

Spencer stieß noch einmal mit der schweren Waffe in der Hand zu.

Eine dunkle Welle schwappte über Custo hinweg und bescherte ihm ein zweites Mal völlig klare Erinnerungen. Eine private Bibliothek, glänzende Holzregale. Ein junger Mann in einem dunklen Anzug thronte hinter einem breiten Schreibtisch, während Custo auf einem harten, gestreiften Sofa saß, über dem Boden mit den Füßen schwang und versuchte, nicht zu … – wie hatte seine Mom ihn genannt? Zappelphilipp. Einer seiner Schnürsenkel hatte sich geöffnet.

»Ich habe gesagt, ich würde für seine Schulausbildung bezahlen, aber das war’s.« Die Stimme des Mannes tönte kühl.

»Er ist dein Sohn«, entgegnete seine Mutter. Sie trug eine Bluse, unter der ihr Büstenhalter hervorlugte. Custo hasste diese Bluse wieso schloss sie nicht den obersten Knopf?

»Er ist mein Bastard das ist ein bisschen etwas anderes , und ich will nichts mit ihm zu tun haben.«

Die Realität drängte zurück in Custos Bewusstsein, Spencer ohrfeigte ihn. Custo versuchte, den Kopf zu heben, aber sein Kinn sank immer wieder zurück auf die Brust. In seinen Ohren rauschten Meer und Wind, was mitten in der Stadt keinen Sinn ergab.

»Das würde Adam nicht für dich tun«, behauptete Spencer. »Er sollte wissen, dass du hier bist und was ich mit dir anstelle. Letzte Chance.«

Nicht einmal, wenn es seine erste Chance wäre. »Nein.«

»Du kannst ihn nicht retten. Nicht einmal, wenn er heute entkommt.« Spencer beugte sich zu Custos Ohr herab. »Ein kleines Geheimnis, ganz unter uns. Es gibt noch jemanden in Segue, der mit den Geistern zusammenarbeitet. Jemanden, dem ihr beide vertraut. In dem Augenblick, in dem Adam ihm den Rücken zudreht, «

Spencer richtete sich auf, um Schwung zu holen, schlug zu, und die Welt teilte sich erneut. Custo befand sich auf einem Schulhof, umgeben von großen weißen Gebäuden und dem intensiven Geruch von Geißblatt. Das war der erste Tag an der Shelby-Schule für Jungen.

Irgendein blaublütiger Schönling rammte ihm eine Faust ins Gesicht.

Custo schüttelte sich überrascht und sah sich nach dem Angreifer um. Das Kind war groß und dürr, sein Gesicht gerötet, und aus den blauen Augen sprach blanke Angst. Ein Pulk Jungen feuerte ihn an.

»Schlag zu! Schlag zu! Schlag zu!«, skandierten die Jungen.

Das durfte einfach werden. Als der Waschlappen wild um sich schlug, wich Custo zur Seite aus und donnerte ihm die Faust gegen den Kiefer.

Der Junge fiel der Länge nach auf den Boden.

Custo trat nach vorn und machte Anstalten, den Jungen in den Bauch zu treten, denn er wollte jedem zeigen, was passierte, wenn es einer wagte, die Hand gegen den armen, dummen neuen Schüler zu erheben. Aber jemand riss ihn am Kragen zurück. Der Stoff brannte an seinem Hals.

»Er hat mich zuerst geschlagen!«, schrie Custo dem Lehrer zu, der es geschafft hatte, ihn rechtzeitig aufzuhalten. Sie konnten ihn doch nicht etwa am ersten Tag hinauswerfen, oder?

»Und du hast zurückgeschlagen. Das reicht.«

Kein Lehrer. Ein älterer Schüler. Nun, Custo konnte es auch mit ihm aufnehmen. Er warf sich mit dem Körper nach vorn und wirbelte herum. Seine Knöpfe sprangen ab, aber der andere Junge ließ ihn nicht los.

»Ich bin Adam Thorne«, stellte er sich scheinbar unbeeindruckt vor, »und wir werden Freunde.«

Custo wehrte sich gegen Adams Griff. Er trat auf die zierlichen Slipper des älteren Jungen ein alberner Trick, aber Adam brachte ihn zu sehr aus dem Gleichgewicht, als dass er mehr ausrichten konnte.

»Beste Freunde«, ergänzte Adam grimmig mit leiser Stimme. »Ihr anderen geht jetzt. Es ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort, Jungs.«

Der dürre Junge rappelte sich aus dem Dreck auf und verschwand mit dem Rest der Gruppe. Als sie sich noch einmal zu ihm umdrehten, hob Custo drohend das Kinn. Wagt es ja nicht.

Adam hatte ihm an jenem Tag das Leben gerettet. Wäre er noch einmal von der Schule geflogen, hätte man ihn zurück auf die Straße geschickt. Für immer.

Spencers Funkgerät surrte durch Custos verschwommene Erinnerungen.

»Sag das noch mal«, forderte Spencer. »Adam ist hier?«

Custos Herz zog sich zusammen. Verflixter dummer Held.

»Ich glaube, wir brauchen dich nicht mehr«, zischte Spencer Custo böse ins Gesicht. »Das war viel zu einfach.«

Nein! Warte! Er musste ihn warnen.

Ein heftiger Schmerz, und Custos Bewusstsein floss aus ihm heraus wie Wasser aus einem Terrakottatopf, sein Leben zerfiel in Stücke. Auf einmal konnte er das gesamte Loft überblicken, ein sechster Sinn, der offenbar verstärkt auftrat, nachdem alle anderen ausgefallen waren.

Adam und Talia befanden sich in dem großen Raum neben dem Fahrstuhl, dunkle Schatten strömten in seidigen Wellen aus Talias Richtung. Sie stand am Rande der Zwielichtlande, einen Fuß in der sterblichen Welt, den anderen im Jenseits und trieb die dunklen Schatten von dort in den Raum, sodass die anderen sie nicht sehen und fassen konnten.

Auch um Custos Verstand waberten Schatten. Aus der Dunkelheit blitzten Erinnerungen auf. Seine erste Freundin, Janet Summerton, mit ihren tollen Brüsten und den rotblonden Haaren. An der Universität, immer noch auf Vaters Kosten, sein Zimmergenosse ein Streber mit Stipendium. Adams verzweifelter Hilferuf, als sein Bruder Jacob verrückt geworden war sich in einen Geist verwandelt und seine Eltern umgebracht hatte. Die Erinnerungsblitze näherten sich mit jedem Herzschlag der Entscheidung, das Loftgebäude zu betreten, um Adam und Talia zu treffen, obwohl dort ganz offensichtlich Gefahr lauerte.

Und Custo würde es wieder tun. Mein Leben für seines.

Spencer durchquerte den Raum und stellte sich mit der Waffe vor der Brust vor die Schlafzimmertür. Er bemerkte nicht, dass sich die Wände auflösten und an ihrer Stelle dunkle Bäume zu einem Wald heranwuchsen. Schwarze Stämme und skelettartige Zweige ragten in einen violetten Himmel mit funkelnden Sternen auf, an jedem ein Kometenschweif, der durch den Gang der Zeit wehte.

Als gerade ein grauer Wind durch das Zimmer peitschte, trat Adam die Tür zum Schlafzimmer ein und jagte der Geisterfrau zwei Kugeln in den Kopf. Die Frau sackte mit weit aufgerissenen Augen in sich zusammen, aber sie wollte, konnte nicht sterben. So lautete der Handel sie musste ein grausames Dasein führen und sich von Seelen ernähren, dafür war sie unsterblich.

Adam und Spencer sprachen wütend miteinander, doch die Worte gingen im Zischen der peitschenden Schatten unter. Als Adam Custos geschundenen Körper auf dem Stuhl entdeckte, verschwand Spencer aus dem Raum.

Adam, es gibt noch einen Verräter in Segue, sagte Custo.

Aber Adam gab nicht zu erkennen, dass er die Warnung gehört hatte. Er sank vor Custos Stuhl auf die Knie.

Adam! Hör mir zu!

Die Bäume wuchsen zu voller Größe, ihre Äste formten einen dunklen Tunnel Gott weiß wohin.

Adam!

Custo blickte sich ein letztes Mal zur sterblichen Welt um. Adam hatte seine Fesseln zerschnitten und versuchte, ihn mit von Wut und Kummer verzerrtem Gesicht auf das Bett zu schleppen.

Nicht nötig. Das ist es nicht wert. Das ist es niemals wert. Aber natürlich konnte Adam ihn nicht hören.

Die Dunkelheit bebte, Schatten über Schatten. Etwas kam auf ihn zu.

In der Tiefe schimmerte etwas Silbernes, das sich als gefährliche Sichel entpuppte. Eine Sense. Die Schatten teilten sich, und eine in einen schwarzen Umhang gehüllte Gestalt trat hervor. Der Schattenmann war zum Teil verdeckt, doch die Sterne beleuchteten sein Gesicht. Er war wunderschön, aber aus seinen Augen sprach nichts als Einsamkeit. Kein Wunder eine einsame, finstere Aufgabe bestimmte sein Dasein. Custo konnte der armen Seele nicht vorwerfen, dass sie in einem Augenblick der Schwäche geliebt hatte, selbst wenn dadurch ein Dämon auf die Welt gelangt war und eine Armee von Geistern geschaffen hatte. Wenn irgendjemand einen Weg finden konnte, den Dämon zu töten, waren es Adam und die Tochter des Schattenmannes, die Todesfee Talia.

Ich muss ihn warnen. Bitte.

Der Schattenmann wirkte unerbittlich, seine Miene gnadenlos, wie versteinert. Mit seiner Hand umfasste er die Sense und holte langsam Schwung, als würde er ein Tor zum Vergessen öffnen.

Tod. Dann Hölle. Custo nahm seinen letzten Mut zusammen und unterdrückte die nackte Angst tief in seinem Inneren. Heulen kam nicht infrage.

Er glitt aus dem Schmerz in die Unsicherheit, der Tunnel mit den scharfen Ästen öffnete sich zu einem hellen Licht. Wahrscheinlich ein heißes Feuer, das sich an dem Blut entzündete, das auf ewig seine Seele befleckte.

Flüstern ertönte auf beiden Seiten des Weges. Augen blitzten auf. Magie versuchte, ihn vom Weg fortzulocken. Der Tunnel führte zu einer urzeitlichen Küste, an der eine schmale Barke wartete, um sie über einen grauen Kanal zu einem riesigen hohen Tor zu bringen. Die umgebende Mauer leuchtete in allen Farben des Regenbogens, erst blau und gelb, dann himmelblau und leuchtend grün.

Es musste sich um einen Irrtum handeln selbst Spencer kannte die Wahrheit.

Der Schattenmann brachte ihn zu dem glänzenden Tor, das sich öffnete und ihn willkommen hieß. Das Licht blendete. Der Gastgeber begrüßte seinen Neuzugang mit einer Melodie überschwänglicher Freude.

Custo drehte sich zu dem Schattenmann um, aber der Tod war schon gegangen.

Also nicht die Hölle. Noch schlimmer. Ein kosmischer Scherz. Eine blutige Seele unter Engeln.

Er war ein Lügner, ein Mörder, ein Dieb, aber kein Heuchler. Er gehörte nicht hierher.

Das glänzende Tor schloss sich hinter ihm und läutete dabei wie eine sonntägliche Kirchenglocke.

Custo stützte sich mit den Händen an der eindrucksvollen Oberfläche ab. Es musste einen Weg hier heraus geben. Einen Weg, das Tor zu öffnen und einen Weg, Adam zu warnen.

Custo schlug mit der Faust gegen das Tor.

Und wenn nicht, gute Menschen starben schließlich jeden Tag. Der Tod würde irgendwann zurückkommen, und dann war Custo bereit.