Kapitel 40

Ein schriller Ton übertönte sämtlichen Verkehrslärm. Ein Soundcheck auf der Bühne vor dem Dachkonzert. Für zwei Sekunden hielt sich Donner die Ohren zu. Hinter ihm krachte die Gebäudetür ins Schloss.

Er war aus dem Büro auf die Straße gestürmt und schaute hinüber zur anderen Seite. In wenigen Minuten würde die Band Kraftklub auftreten. Wummernde Bässe unter bewölktem Himmel. Gitarrenakkorde und Rock mit deutschem Sprechgesang. So hatte Malte es Donner beschrieben, als der Junge ihn besucht und sie sich über den Musikgeschmack ausgetauscht hatten.

Und Malte war hier irgendwo zwischen all den Menschen. Anne hatte es Donner mitgeteilt, nachdem er sie angerufen hatte. Und sein Anruf war wirklich dringend gewesen, denn er hatte wieder eine Botschaft von Weller erhalten. Vor zehn Minuten.

Sicherheitshalber las Donner die Handynachricht erneut durch.

 

Ich bin überall. Vor allem dort, wo es kracht.

 

Zum Text gab es ein Foto. Es zeigte unverkennbar die Musikkneipe Flowerpower, auf deren Dach nun die Musiktechnik stand. Der Absender hatte das Bild mit dem Kopf einer Grinsekatze verziert.

In Alice war die Katze auch überall …

Fluchend reihte sich Donner in den Besucherpulk ein. Bei all dem Andrang konnte er Malte nur mit Glück finden. Die Leute strömten von zwei Seiten herzu und versammelten sich mitten auf der Fahrbahn. Es mussten mehr als tausend Zuschauer sein. Kraftklub hatte seinen Auftritt erst wenige Stunden zuvor angekündigt. Eine Art Musikflashmob. Sie nannten es Guerillakonzert.

Links und rechts der Brückenstraße sperrten Funkstreifenwagen mit Blaulicht den Bereich ab. Ein Durchkommen mit einem Fahrzeug war nicht mehr möglich.

Es war Freitagnachmittag, doch das Konzert sorgte bereits für beträchtliches Chaos im Verkehr. Donner ahnte, vor welchem Problem die Polizeidirektion gerade stand, zumal man um diese Uhrzeit niemanden mehr vom Ordnungsamt erreichte. Zumindest nicht offiziell. Höchstens über die Bereitschaftsnummern, aber selbst da hatte Donner in der Vergangenheit die eine oder andere Pleite erlebt. Am Ende redete sich der Verantwortliche einfach mit einem defekten Bereitschaftshandy heraus. Dann musste die Polizei eigenständig einen Entschluss fassen, unter welchen Auflagen das Konzert stattfinden durfte. Notfalls konnte man es auch komplett verbieten.

In Anbetracht der Tatsache, dass zwischen den Versammelten möglicherweise ein Serienmörder herumlief, hielt Donner das für die einzig richtige Entscheidung. Jedoch lag die beim Außendienstleiter.

Bereits von Weitem erkannte Donner das Fahrzeug mit der Aufschrift Einsatzleitung. Er musste Kroll erreichen.

Den Leuten, die Donner umringten, schienen die Befindlichkeiten der Ordnungshüter einerlei zu sein. Sie kreischten und skandierten Kraftklub-Rufe. Mittlerweile drängten sich die Körper dicht an dicht.

Donner hielt Ausschau nach Malte und nach Weller. Gedeckt von den Besuchern konnte der Psychopath sich unbemerkt an sein Opfer heranschleichen und es abstechen. Dazu bedurfte es keiner großen Kunst.

Nachdem Donner die Leute ohne Rücksicht auf Verluste beiseitegeschoben hatte, erreichte er Krolls Fahrzeug. Allerdings fand er am Wagen nur den Führungsgehilfen Ben Lichtenberg. Der lange Kerl stand an die Motorhaube gelehnt und unterhielt sich auffällig fröhlich mit einem Mädchen dunkler Hautfarbe und dichtem schwarzen Haar. Offenkundig eine Afrikanerin.

»Wo ist Martin?«, unterbrach Donner die Zweisamkeit. Er packte das Mädchen am Arm und schob es zur Seite.

»Hey, langsam!«, protestierte Lichtenberg und sprang ihr schützend zu Hilfe.

Erst da begriff Donner, dass die beiden wohl zusammengehörten.

»Sag mir nicht, dass das deine Schwester ist«, kommentierte er die Situation.

»Was passt dir an meiner Freundin nicht?«

Die Freundin ist okay. Hätte nur nicht gedacht, dass du dich für Frauen interessierst.

»So, jetzt mal zurück zum Dienst!« Donner tippte Lichtenberg auf die Schutzweste, wo in weißen Buchstaben das Wort Polizei stand. »Also, wo finde ich Martin?«

»Wir reden später, Inaya«, verabschiedete Lichtenberg seine Freundin und stellte sich breitbeinig vor Donner hin. »Was soll der Aufstand? Du siehst doch, was hier los ist. Dino hat zu tun. Erst vor gut einer Stunde tauchte die Ankündigung der Band bei Facebook auf.«

»Weller ist hier irgendwo.«

»Was sagst du da? Woher willst du das wissen?«

»Eine neue Botschaft. Ihr müsst das Konzert abblasen. Weller befindet sich unter den Besuchern.«

»Selbst wenn ich dir glauben würde: Weißt du, was hier losgeht, wenn Martin die Party vorzeitig beendet? Momentan handelt er mit dem Veranstalter die Länge des Auftritts aus. Drei Lieder wird Kraftklub mindestens spielen müssen, sonst nehmen uns die Leute die Innenstadt auseinander.« Er knibbelte an der Sprechmuschel seines Funkgeräts. »Aber ich werde ihm deine Bedenken durchgeben.«

Was Lichtenberg sagte, klang vernünftig. Trotzdem war es Wahnsinn, das Konzert stattfinden zu lassen. Vor allem, da die Dämmerung einsetzte.

Gerade als Lichtenberg in sein Funkgerät sprach, wurde Donner herumgerissen. Es war Anne.

»Hast du Malte gefunden?«, fragte sie. »Er geht nicht an sein Handy.«

Donner fasste ihre Schultern mit beiden Händen. »Beruhige dich. Bei dem Lärm wird er den Klingelton wahrscheinlich nicht hören. Warum ist er überhaupt hier? Ich dachte, es geht ihm nicht gut.«

»Ach, Teenager! Anscheinend hat er dank deiner Kampfkünste neue Kumpels in der Schule gefunden. Da wollte er wohl nicht kneifen. Erik, ich habe Angst um Malte!«

»Wir finden ihn. Außerdem ist gar nicht gesagt, dass ihm etwas passiert.«

»Warum schreibt Weller ausgerechnet dir?«

Donner schaute zur Seite. Es war Stark, der die Frage gestellt hatte. Zusammen mit Marie Lehnhard und zwei weiteren Kollegen aus dem Kommissariat stand er plötzlich neben Donner.

»Spielt das jetzt eine Rolle?«, verteidigte Donner sich, obwohl er selbst nicht wusste, warum Weller ihn mit Informationen versorgte. »Wir müssen den Bereich abriegeln und Weller suchen. Gebt sofort eine Fahndung raus!«

»Schon geschehen«, verkündete Lichtenberg. »Dino ist auf dem Weg hierher. Er hat Verstärkung angefordert, allerdings sieht es Freitagnachmittag regelmäßig dünn mit Kräften aus.«

»Ich könnte helfen.« Es war Felix Meissner, der hinzukam. »Kurz nach Bekanntwerden des Guerillakonzerts hat das Lagezentrum beim KDD und beim Revierkriminaldienst von Nordost um Unterstützung gefragt. Deshalb bin ich mit einer Kollegin hier.«

»Keine gute Idee«, befand Donner. »Du stehst immerhin auf Wellers Liste.«

»Das sehe ich genauso«, stimmte Stark überraschend mit ein. »Du musst dich nicht in Gefahr begeben. Das Risiko ist zu groß.«

»Und ihr?«, konterte Meissner. »Wir wissen doch gar nicht, wen er als nächstes Opfer erkoren hat. Wenn wir zusammenhalten, haben wir eine Chance.«

»Sind die lieben K-Leute endlich fertig mit Streiten?« Es war Lichtenberg, der die Diskussion unterbrach. Donner fand, dass er sich auf einmal wie Kroll anhörte. Nichtsdestotrotz hatte er recht. »Wir suchen Weller gemeinsam.«

»Meinetwegen«, entschied Stark.

»Anne und ich bleiben zusammen«, bestimmte Donner.

Nacheinander bekam jeder eine Richtung zugeteilt. Alle überprüften ihre Funkgeräte, dann ging die Suche los.

Doch gerade als Donner davoneilte, spürte er die Vibration seines Handys. Hoffentlich war es nicht der zu kurz aufgeladene Akku.

Er zog das Handy aus der Tasche und entdeckte eine neue SMS.

 

Wie groß willst du werden, Monster? Entscheide dich für eine Seite. CL

 

Nachdenklich hielt er Anne das Handy hin. »Hast du eine Ahnung, was das bedeuten soll?«

Sie las den Text. Mit erschrockener Miene schaute sie auf. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, etwas Ähnliches sagt in Alice die rauchende Raupe!«

Kroll!

In diesem Moment donnerte es.

Asche und alter Zorn
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