Kapitel 19

Geräuschvoll schlug Donner die Wagentür zu. Er schaute hinauf zur Straßenlaterne. Vor zwei Stunden war die Beleuchtung in der Stadt angegangen, aber weder Anne noch der seltsame Typ neben ihr schienen ihn zu bemerken. Sie hatte Donner vor vierzig Minuten angerufen und darum gebeten, er möge vorbeikommen. Es gäbe eine Sache zu klären. Er ahnte, dass es um Malte ging.

Donner hatte sein Versprechen gehalten. Bisher hatte er niemandem auch nur ein Wort von dem Vier-Augen-Gespräch mit dem Jungen verraten. Auch nicht von den fünf Euro, die Malte von dem seltsamen Mann mit dem Fotoapparat erhalten hatte.

Natürlich wäre Anne keine gute Ermittlerin, wenn sie nicht selbst herausbekommen hätte, warum Malte aus Linzes Wohnung abgehauen war. Der Junge war enttäuscht gewesen. Über seinen Vater.

So wie es aussah, stand der Erzeuger diesmal leibhaftig vor dem Haus und diskutierte mit Anne, dass es das ganze Viertel mithörte. Die beiden waren kurz davor, sich die Köpfe abzureißen.

Während Donner die Straße überquerte, bewegte er den Hals hin und her, um die Nackenmuskulatur zu lockern. Exakt auf die Weise, wie er es früher vor Boxkämpfen getan hatte. Und in der Tat fühlte er sich, als ginge er zum Ring vor einem wichtigen Kampf.

Er näherte sich dem Zauntor.

»Ich will auf der Stelle meinen Sohn sehen!«, zürnte Linze unterdessen.

»Aber er dich nicht«, verweigerte Kolka ihm den Besuch. »Er ist erschrocken über deinen schlampigen Lebensstil.«

»Faule Ausreden! Der Junge hat den Kontakt aus freien Stücken zu mir aufgenommen.«

»Und jetzt hat er ihn beendet.«

»Warum bist du nur so verdammt spießig? Dabei warst du mal so ein obercooler Feger. Ich hatte mich in dich verknallt.«

»Ja, und leider ich mich in dich …«

Inzwischen stand Donner direkt hinter Linze. Der redete sich gerade in Rage und hatte ihn bis jetzt nicht bemerkt.

»Probleme?«

Erst als Donner die Stimme erhob, schwang Linze sichtlich überrascht herum. Er war ziemlich genau einen Kopf kleiner als Donner und sah hohlwangig aus. Spitze Schultern stachen unter einer abgewetzten Jacke hervor und die Ärmchen baumelten wie zwei Fremdkörper an den Seiten. Laut Annes Aussage war Linze fast vierzig, also nur unwesentlich jünger als Donner. Doch die Akne im Gesicht wies ihn als jemanden aus, der mit Körperhygiene eher sparsam umging. Natürlich konnten die Pickel ebenso gut vom Drogenkonsum kommen. Angeblich war er jedoch längst clean. Zumindest hatte Anne das vor einiger Zeit behauptet.

Donner braucht Linze nur anzusehen, um zu wissen, dass er ein Lügner war. Ein Betrüger, der obendrein jede Menge Ärger anschleppte.

»Nein, Erik«, sprach Anne. »Keine Probleme. Ich regle nur kurz was Privates. Geh schon mal rein.«

Doch Donner kam nicht weit.

»Ist das dein neuer Stecher?« Linze lachte dreckig. »Der Bulle, von dem mir mein Sohn erzählt hat? Stehst du mittlerweile auf Sex mit Tieren?« Mit einem überheblichen Lippenspiel wandte er sich direkt an Donner. »Hallo Kommissar Rindvieh!«

»Halt deinen Mund!«, reagierte Anne als Erste und gab Linze einen leichten Schubs.

Zum Glück fasste er sie nicht an, sonst wäre Donner auf der Stelle eingeschritten. Vorerst blieb er gelassen stehen. Die Hände steckten fest in den Manteltaschen. In der Rechten knetete er Mister Fiesling.

»Du hast es gehört, der Junge will dich nicht sehen«, wiederholte er Annes Aussage im beherrschten Ton.

»Wer bist du?«, zischte Linze. »Willst du dich als neuer Vater aufspielen? Sie mal an, Superdad ist da!«

»Ich bin der, der dir sagt, wo es langgeht.«

»Du bist ne Pussy! Glaubst du, ich habe Angst vor dir? Ich habe schon ganz andere Typen kleingekriegt.«

»Lass ihn, Erik!«, schritt Anne erneut ein. »Er ist es nicht wert.«

»Klar«, antwortete Donner.

Oh doch, er ist es in jedem Fall wert.

»Weißt du, was sich auf Linze reimt?«

»Was denn?«, reagierte Linze auf Donners Frage.

»Plinse.«

»Das reicht«, zischte Linze und wischte sich mit einem Arm quer über den Mund die Spucke weg. »Ich erteile dir jetzt mal eine Lektion!«

Ein Springmesser klackte.

Anne reagierte sofort und griff nach dem Arm, der die Klinge führte. Daneben! Anscheinend hatte Linze damit gerechnet, denn er ließ sie ins Leere laufen.

Dein Fehler, Pickelfresse!

Für Donner wurde es Zeit, das Monster rauszulassen. In einer fließenden Bewegung zog er Mister Fiesling aus der Manteltasche und warf den Ball nach Linze. Wie erwartet, wehrte der den Wurf mit der messerführenden Hand ab, doch da war Donner längst bei ihm. Mit der Handkante schlug er ihn gegen den Kehlkopf. Gerade so fest, dass der Getroffene keine Langzeitschäden davontrug.

Linze entglitt das Messer. Donner fegte es mit dem Fuß beiseite. Dann packte er den Gegner an den verkeimten Haaren und schob ihn Richtung Straße. Das kurzzeitige Röcheln des Verjagten war Musik in seinen Ohren.

»Na warte!«, drohte Linze, wobei er mehr krächzte und sich an den Hals fasste. »Das hast du nicht umsonst getan.«

Damit verschwand er in die Nacht.

»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte Donner sich bei Anne. Er wollte sie stützen, doch sie wehrte ab.

»Die Sache ist mir so was von peinlich. Ich wollte nicht, dass du das mitbekommst.«

»Was denn? Dass du früher mit so einem Charmebolzen zusammen warst?« Er hob Mister Fiesling und das Messer auf.

»Er ist ein Arschloch.«

»Irgendwie bin ich ihm dankbar dafür, sonst hätte ich dich höchstwahrscheinlich nie kennengelernt.«

Im Obergeschoss wurde das Fenster zugeworfen. Malte hatte gelauscht und die Szene garantiert mitbekommen.

»Das auch noch«, stöhnte Anne.

»Du solltest mit ihm darüber reden.«

»Das werde ich, aber zuerst reden wir, denn anscheinend hast du dich mit Malte unter vier Augen unterhalten. Was hast du von meinem Sohn erfahren? Stimmt es, dass er von den Jungs in seiner Klasse gemobbt wird?«

Donner schaute hinauf zum Zimmer von Malte. Scheinbar kannte sie längst die Wahrheit. Es konnte also nicht schaden, offen über das zu sprechen, was ihren Sohn in letzter Zeit zusetzte.

»Sie halten ihn für einen Schwächling, weil er weniger Muskelmasse mitbringt als der Rest. Sport ist vermutlich auch nicht sein Lieblingsfach. So was macht einen leicht zum Opfer. Ich meine, kennst du jemanden, der als Letzter ins Team gewählt werden will?«

Anne schüttelte den Kopf und hörte weiter zu.

»Das führt ständig zu Problemen. Und anscheinend gibt es da ein Mädchen in seiner Klasse, auf die er steht. Wie soll er ihr imponieren, wenn er immer Spott und Häme abbekommt? Und einen Streber will auch niemand. Zumindest nicht die heißen Bräute.«

»Und da dachtest du, du bringst ihm ein paar Boxschläge bei? Deiner Meinung nach soll er also die Dinge mit den Fäusten regeln und sich ein Negativimage aufbauen? Na toll, vielleicht als Kopie von dir?«

»Hey, ich wollte nur, dass er sich notfalls verteidigen kann. Außerdem hatte er mir versprochen, es dir nicht zu verraten.«

»Zum Glück ist er mein Junge. Er erzählt mir alles.«

»Komisch, die Sache mit seinen Klassenkameraden wusstest du bis vor Kurzem nicht. Nur damit du es weißt: Ich habe ihn gefragt, ob er vielleicht ein Probetraining bei meinem alten Lehrmeister machen will. Und nun schauen wir nach deinem Jungen.«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging Donner ins Haus. Weil Anne nicht gleich folgte, drehte er sich zu ihr um.

»Was ist?«

»Ich habe Angst, dass Gerry etwas Unüberlegtes tut.«

Asche und alter Zorn
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