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Tibby und ich lagen im Gras und dösten in der Sonne, als wir einen Dieselmotor tuckern hörten.

»Das ist Jeff!« Tibby sprang auf. »Aber der ist doch in Deutschland?!«

Ich raffte meine Kleider zusammen und zog mich in Windeseile an.

Ein hochgewachsener, dünner Mann kam durch den Rosenbogen. Nackt, wie sie war, stürmte Tibby auf ihn zu.

Das also war der unvergleichliche Jeff. Er war nicht dunkelhäutig, wie ich erwartet hatte, sondern so weiß wie ich, trug einen Lederhut und hatte das lange Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

»Hi, sweet pea of mine.« Er sprach langsam, mit starkem amerikanischem Akzent. Und strich über Tibbys Zöpfchen. »Du warst schwimmen, was?«

Sweet pea?, dachte ich. Süßerbse? Wer nennt denn seine Tochter Süßerbse? Er war doch kein Indianer.

»Du bist früh zurück, Jeff«, sagte Tibby, während sie ihre Sachen anzog. »Das hier ist übrigens Anna.«

»Hi, Anna. Great to meet you.«

»Hallo, Jeff«, sagte ich.

Er nickte mir zu. »Als Erstes brauch ich einen Kaffee«, sagte er. »Und dann laden wir den Bulli aus.«

»Erst ausladen, dann Kaffee – ich kenn dich«, sagte Tibby resolut. Mit einem Mal ähnelte sie ihrer Ma. Ich fühlte mich unsicher und war froh, mithelfen zu können.

Der Kleinbus war voller großer schwarzer Kisten, wahrscheinlich lauter Musiksachen. Schweigend schleppten wir sie hinein, und als alles im Flur stand, kochte Tibby Kaffee.

Ich ließ mich auf das orangefarbene Sofa fallen und kam mir ziemlich überflüssig vor.

Jeff saß am Küchentisch, drehte sich eine Zigarette und streute etwas Grünliches in den Tabak. War das etwa ein Joint? Ich staunte nicht schlecht und wartete auf eine Reaktion von Tibby. Aber sie nahm nur die Gitarre von der Wand und gab sie Jeff. Er begann zu spielen.

Es klang so einzigartig schön, dass ich ins Träumen geriet. Tibby hantierte in der Küche herum und machte hin und wieder eine Bemerkung, ganz so, als wäre es die normalste Sache der Welt, dass ihr Pa supertoll Gitarre spielte und sich dabei einen Joint reinzog.

Ich hörte kaum, was sie sagte, und überließ mich ganz der Musik. Jeff spielte Stücke, die ich auch ohne Worte verstand. Sorge dich nicht, genieße den Tag … Ich schaute verträumt aus dem Fenster.

»What do you think?«, sagte Jeff nach einer Weile zu Tibby. »Ist genug Brokkoli da? Für ein Festessen zu viert? Wanna join us, Anna? Du isst doch mit, oder?«

Ich rief Ma an. Kaum zu glauben: Ich durfte tatsächlich bleiben, wenn auch mit der Auflage, nicht zu spät nach Hause zu kommen, denn ich müsse morgen wieder früh raus … bla-bla-bla …

Ja, Ma, in Ordnung, Ma, alles klar, Ma, bis später.

Jeff deckte den Tisch und schenkte sich ein großes Glas Whisky ein. Dann griff er wieder zu seiner Gitarre.

Tibby holte Brokkoli aus dem Garten, zerpflückte ihn in Röschen, wusch sie und gab sie in ein Sieb. Dann panierte sie dicke Käsescheiben in Eigelb und Semmelbröseln.

»Du kannst ja richtig kochen«, sagte ich. »Bringst du mir das bei?«

»Klar. Schneide doch schon mal die Kartoffeln in Scheiben.«

Ich machte mich daran. »Was für Käse hast du genommen?«, fragte ich.

»Mittelalten Gouda. Der schmilzt am besten.«

»Wann kommt Sharima nach Hause?«, fragte Jeff.

Tibby zuckte mit den Schultern. »Nicht so bald, schätze ich.«

»Aha.« Jeff griff nach dem Telefonhörer und tippte eine Nummer ein. »Hi, darling, I’m home

»Sie hat noch zu tun«, sagte er, als er kurze Zeit später auflegte. »Aber es wird nicht allzu spät.« Dabei grinste er, als wäre das ein Running Gag.

Es war bereits Viertel nach sieben. Ob Sharima oft so spät von der Arbeit nach Hause kam? Musste Tibby abends immer allein essen, wenn Jeff verreist war?

Sie briet die Kartoffeln und die Käsescheiben in der Pfanne an, wendete sie und gab dann die gedünsteten Brokkoliröschen dazu, alles ganz routiniert.

Wir aßen draußen in der Abendsonne. Der Brokkoli war knusprig, die Kartoffeln auch. Und der Käse war innen zergangen und hatte eine leckere Kruste.

Auf dem Dach sang eine Amsel, die Rosen glühten dunkelrot im Sonnenuntergang und die Hühner hatten sich, dicht aneinandergekauert, auf dem Fenstersims für die Nacht eingerichtet.

»Du wolltest doch noch die ganze Woche in Deutschland sein«, sagte Tibby nach dem Essen.

»Wollte ich, aber es gab Probleme mit dem Bus. Nicht weiter tragisch …« Jeff machte eine wegwerfende Handbewegung, aber Tibby ließ nicht locker.

»Was für Probleme?«

»Ich hab Gitarre gespielt, you know. Die kann ich im Bus einstöpseln. Und plötzlich gab’s ’nen Knall. Kurzschluss oder so. Jedenfalls brannten die Sicherungen durch.«

»Wie? Alle auf einmal? Was war denn sonst noch angeschlossen?«

»Nicht der Rede wert«, sagte Jeff ausweichend. »Irgendwas eben, keine Ahnung …«

»Aber so konntest du doch nicht fahren!«

»Stimmt. Erst ging gar nichts mehr, weder vor noch zurück, und ich kriegte einfach nicht raus, woran’s lag. Am Ende hab ich die Zündung kurzgeschlossen. So konnte ich fahren, aber frag nicht, wie. Ohne Licht, Blinker, Radio … Ich hab gebetet, dass es nicht regnet, denn die Scheibenwischer taten’s natürlich auch nicht mehr. Da dachte ich, ich fahr besser nach Hause und seh mir das Ganze in Ruhe an.«

»Mann, Paps, so was ist irre gefährlich!«

»Das kannst du laut sagen. War das ’ne Fahrt! Aber jetzt bin ich ja hier.«

»Und weiter?«

Jeff zuckte mit den Schultern. »We’ll have to fix it, I guess.«

»Wird das sehr teuer?«

»Ach was, ich schau die Tage mal bei Piet vorbei. Das ist der Typ mit der Werkstatt, du weißt schon.«

»Und dein Job? Die brauchen dich doch bei ihrer Tournee, oder?« Tibbys Stimme klang leicht schrill und auf ihrer Stirn erschien eine steile Sorgenfalte.

»Oh, well, die finden schon wen.«

»Aber dann verdienst du doch nichts!« Die Panik war ihr jetzt deutlich anzusehen.

Jeff strich ihr über die schwarzen Rastazöpfe. »Take it easy. Vertrau mir, okay?«

»Darum geht’s nicht, Paps!«, rief Tibby. »Ich vertrau dir ja, aber … so kann das doch nicht weitergehen. Wir brauchen Geld fürs Einkaufen, ich muss meine Handykarte neu aufladen und die Wand in meinem Zimmer hat einen Riss, das hab ich dir neulich schon gezeigt. Außerdem ist mein Hinterreifen ständig platt, mein Taschengeld ist überfällig und bald brauch ich neue Schulbücher …«

»Immer mit der Ruhe, bisher war immer genug Geld da«, sagte Jeff gelassen.

Ich wollte gehen, das Ganze war mir unangenehm. Die Geldsorgen von Tibbys Eltern gingen mich nun wirklich nichts an. »Du, Tibs, ich … äh …«

Sie schien mich überhaupt nicht zu hören.

Ich stand auf und nahm meine Tasche. »Tut mir leid, aber ich muss …«

Jetzt sah sie mich an. »Anna, du willst doch nicht gehen? Bleib noch, bitte!« Sie warf mir einen so flehenden Blick zu, dass ich mich wieder hinsetzte.

Whisky tauchte auf und sprang auf meinen Schoß.

Jeff strich Tibby noch einmal übers Haar, dann nahm er wieder die Gitarre. »Don’t worry, sweet pea, wir schaffen das schon. Wir haben Freunde, die uns helfen, im Garten wächst Salat, und die Bohnen sind auch schon so weit, hast du’s gesehen? We’re alive, that’s what counts.«

Er grinste aufmunternd. »Also: Was soll ich für dich spielen? Your song?« Er stimmte ein Lied von MaiZZ an. Tibbys Lieblingslied.

Kaum hatte er die ersten Akkorde angeschlagen, entspannte sich die Situation. Tibby lehnte sich zurück. Das Thema Geld war vorläufig abgehakt. Trotzdem fiel mir die Situation im Laden ihrer Mutter wieder ein, als Tibby Geld zum Einkaufen gebraucht hatte. Und ich spürte, dass die Musik und die lockere, zwanglose Stimmung etwas übertünchten, etwas Unschönes, das ich nicht so recht verstand und das mir Angst machte.