Nein
»Machst du neuerdings eine auf Musterschülerin, oder was?«, fragte Tibby, als ich am Freitag darauf bei ihr am Küchentisch saß. Ich hatte Wodka auf dem Schoß und kraulte ihm das Fell. »Warum hast du mir heute bei der Mathearbeit nicht geholfen? Ging doch bloß um eine lumpige Aufgabe.«
»Ich will nicht von der Schule fliegen. Du weißt doch, dass JP mich gewarnt hat.«
»Als ob man wegen so was von der Schule fliegt! Hilfst du mir beim nächsten Mal? Bitte, Anna. Du kannst mich doch nicht hängen lassen!«
Ich hatte keine Lust, das jetzt zu diskutieren. Davon würde ich bloß wieder Bauchschmerzen bekommen.
»Was ziehst du eigentlich heute Abend an?«, wechselte ich rasch das Thema. Wir wollten ins Sisters. Ich freute mich schon tagelang darauf. »Tarik kommt übrigens auch.«
»Ach ja?« Sie gähnte scheinbar gelangweilt.
»Was ist? Stehst du nicht mehr auf ihn?«
Sie zögerte. »Wie findest du Tarik denn? Nett oder eher albern?«, fragte sie plötzlich.
»Er ist ein witziger Typ, ich mag ihn ganz gern.«
Sie spielte mit einem ihrer Zöpfe herum.
»Warum fragst du? Wichtiger ist doch, wie du ihn findest.« Ich streichelte Wodka über seine weichen Ohren. Das mochte er anscheinend nicht, denn mit einem Mal sprang er von meinem Schoß und begann, in der Küche herumzuspazieren. Erst schnüffelte er an der Waschmaschine, dann an einem Tischbein und schließlich am Computergehäuse. Dort hockte er sich hin und pinkelte einfach dagegen.
Der PC gab ein dumpfes Brummen von sich und ging dann schlagartig aus.
Mit einem Schrei sprang Tibby auf. »Du Miststück!« Sie versetzte Wodka einen heftigen Tritt mit dem Fuß. Er miaute kläglich und sauste wie der Blitz davon. Tibby wollte hinter ihm her.
Ich hielt sie am Ärmel fest. »Lass die Katze in Ruhe!«, rief ich.
Ich machte mich daran, mit einem Küchenhandtuch die Lache aufzuwischen.
Tibby stand daneben, völlig außer sich. »Verdammte Kacke!«, schrie sie. »Pisst das elende Vieh einfach an den PC! Den mach ich alle!«
»Immer mit der Ruhe.«
»Von wegen Ruhe! Auf dem Computer war mein Erdkundereferat für nächste Woche gespeichert! Jetzt muss ich alles noch mal machen! Und auch noch von Hand!«
Ich spülte das Tuch aus und wusch mir die Hände. Ich hatte nicht gewusst, dass Katzenpisse so ekelhaft stinken kann. Und auch nicht, dass Tibby zu den Leuten gehört, die ihre Katzen treten. Dann setzte ich mich an den PC und versuchte, ihn wieder in Gang zu bringen. Nachdem er zweimal stockend hochgefahren und gleich wieder abgestürzt war, herrschte Funkstille.
»Was mach ich denn jetzt?«, jammerte Tibby.
»Wie wär’s, wenn du mal nachsiehst, ob Wodka noch lebt?«
»Ach was! Katzen haben neun Leben. Dann sind es jetzt halt nur noch acht«, sagte sie barsch.
Dann kannst du ihn ja noch sieben Mal treten, dachte ich.
»Du erklärst in der Schule einfach, was passiert ist«, versuchte ich, sie zu beschwichtigen. »Schließlich war es nicht deine Schuld.«
»Das stellst du dir ja einfach vor! Garantiert muss ich beim Rektor antanzen, mir eine lange Litanei anhören und am Ende werfen sie mich dann doch raus. Genau wie beim letzten Mal.«
»Beim letzten Mal? Bist du denn von deiner vorigen Schule geflogen?«
»Du hast es erfasst!«, fauchte sie. »Und zwar, weil ich schwarz bin! Wenn du wüsstest, was das für blöde Ärsche waren! Lauter Rassisten …« Sie vergrub das Gesicht in den Händen.
»Weil du schwarz bist? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Was ist denn da genau gelaufen?«
»Erst haben sie mich wegen jeder Kleinigkeit angemeckert und am Ende rausgeschmissen. Und jetzt läuft’s wieder so. Du wirst schon sehen!«
»Wegen eines verpatzten Referats fliegt keiner von der Schule«, sagte ich. »Am besten gehst du zu JP und redest mit ihm, auch wegen deiner Noten. Er ist echt okay und bei der Sache mit den Büchern hat er dir schließlich auch geholfen.«
»Der glaubt mir doch nie, dass Wodka den PC vollgepisst hat.«
»Dann bezeuge ich es eben.«
»Klar! Der heiligen Jungfrau glauben natürlich alle!«
»Danke für das Kompliment!«
»Tut mir leid, war nicht so gemeint …«
Es kam ein wenig zu schnell und zu automatisch.
»Mach jetzt keinen Aufstand wegen des Referats«, sagte ich. »Geh einfach in die Bibliothek und schreib es dort neu. Und wenn du nicht weiterkommst, suchst du dir notfalls was aus dem Internet zusammen.«
Sie warf mir einen herablassenden Blick zu. »Was denn sonst!?«
Na klar, wie dumm von mir! Tibby hatte sich derart in die Sache reingesteigert, dass ich davon ausgegangen war, sie hätte das Referat selbst geschrieben. Naiv und gutgläubig, wie ich war! »Machst du überhaupt noch was selber?«, fragte ich schroff.
»Das fragst ausgerechnet du? Du hast ja lauter Einsen.«
Was sollte das nun wieder?
»Und wenn«, sagte ich. »Krieg ich eine Antwort?«
»Ich schufte mich halbtot, das kannst du mir glauben. Aber davon hat jemand wie du, dem alles zufällt, null Ahnung. Und dass ich mit ins Sisters geh, kannst du vergessen. Ich muss nämlich noch in die Bibliothek, ein Referat machen, stell dir vor!«
»Dann viel Erfolg damit!« Verärgert suchte ich meine Sachen zusammen. »Und das Aufwischen ist gern geschehen. Tschüss!«
Im Flur hockte Wodka unter der Garderobe. Er miaute, aber als ich auf ihn zuging, fauchte er. Am liebsten hätte ich das Gleiche gemacht. Blöde Tibby! Blödes Haus! Blöde Katze!
Sobald ich zu Hause war, rief ich bei Eileen an, danach bei Jeske und Lianne. Irgendwen würde ich schon finden, der mit mir ins Sisters ging, dachte ich.
Aber keine konnte und allein gehen wollte ich auf keinen Fall.
Schließlich wählte ich Tibbys Nummer.
»Tut mir leid wegen vorhin«, sagte ich.
»Was denn?« Es klang patzig.
»Du weißt schon … Sag mal, Tibby, willst du heute Abend nicht doch mitkommen? Ich könnte dich um neun abholen.«
»Keine Chance«, sagte sie. »Ich muss das Referat schreiben und kochen und außerdem zwei Hühner suchen, die abgehauen sind. Jeff rastet sonst aus, dem sind die Hühner total wichtig.«
»Mann, du bist doch nicht Aschenputtel! Jeff soll seine Hühner selber suchen. Und statt zu kochen, isst du einfach ein Brot und kommst mit«, sagte ich. »Wir gehen heute Abend zum Ball, Tibs. Mit Prinz Tarik und Prinz Easy.«
Aber sie wollte nicht. »Ich sehe total daneben aus und zum Anziehen hab ich auch nichts.«
»Wenn du lachst, siehst du auch in ’ner alten Jeans gut aus«, sagte ich, ganz die liebenswürdige gute Fee.
Aber es nützte nichts. Sie wollte nicht.
Ich schrieb Easy bei Facebook eine kurze Nachricht und musste prompt heulen, als ich sah, dass Danny ihm heute schon fünf geistreiche Botschaften geschickt hatte. Offenbar war sie dick mit ihm befreundet. Ich wusste, dass sie ab und zu in der Disco kellnerte – garantiert war sie also heute Abend dort.