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Am nächsten Abend hatte Tibby sich über Facebook gemeldet.

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Ich war erleichtert. Also doch nur Grippe.

Kurz darauf meldete sich Easy im Chat.

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Ich schrieb gleich zurück:

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Easy antwortete:

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fragte ich neckisch.

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Ich schrieb:

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Er darauf:

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antwortete ich aus Spaß.

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Und weg war er. Wie, was? Wollte er im Ernst herkommen? Jetzt? Oh nein!

Ich rannte zum Spiegel, löste meinen Pferdeschwanz, band ihn neu, löste ihn wieder.

Ich bürstete mein Haar ausgiebig, damit es schön glänzte. Durch das Bürsten war es plötzlich elektrisch aufgeladen und sah schuppig aus. Schnell, ein Tuch umbinden! Blau, passend zu meinen Augen.

In aller Eile probierte ich meine sämtlichen Ohrringe an. Ich tuschte mir die Wimpern nach, legte Lidschatten auf … und entdeckte am Kinn einen neuen Pickel. Hilfe! Und auf der Stirn noch einen …

Da klingelte es.

Nein!

Die hektischen Flecken in meinem Gesicht fielen kaum noch auf, so rot wurde ich. Schnell betupfte ich meine Wangen mit einem feuchten Waschlappen und spähte dann die Treppe hinab.

Easy stand schon in der Diele!

Charmant begrüßte er meine Eltern und fragte, ob ihnen der Ägyptenurlaub gefallen habe und wie es am Roten Meer gewesen sei. Dann sagte er etwas über Musik und das Kunstfest und den Ausschuss und dass er deswegen etwas mit mir zu besprechen habe.

Pa hob den Blick und zwinkerte mir zu.

Ich stürmte die Treppe hinunter.

»Hi, Anna!«, sagte Easy und lächelte strahlend.

»Hallo.« Meine Wangen brannten.

Ma musste zu einer Sitzung, und Pa verzog sich zum Glück nach oben, um die Würmer in seinem PC zu killen. Und Sam war – welch unfassbares Glück! – beim Volleyballtraining.

Dann saß ich mit Easy auf dem Sofa, den Bauch voller Schmetterlinge. Ich zupfte an einem Kissen herum. Vor lauter Nervosität konnte ich kaum still sitzen.

»Willst du was trinken?«

»Ja, gern«, sagte er. Es klang total lässig – wie machte er das bloß?

Prompt verschüttete ich etwas Cola auf meiner Hose.

»Ich hab ein paar CDs mitgebracht«, sagte er und leerte seinen Rucksack aus. »Damit wir was fürs Fest zusammenmixen können.«

Er spielte mir eine nach der anderen vor. Es waren ziemlich gute Stücke dabei. Langsam entspannte ich mich ein wenig. »Wie weißt du, welche Songs du ineinandermixen kannst?«, fragte ich.

»Man muss gut hinhören«, sagte er. »Auf die Instrumente und vor allem auf den Rhythmus. Die Stücke dürfen sich nicht allzu stark unterscheiden. Der Beat muss passen, das ist das A und O.«

»Und so was kannst du raushören?«

»Klar, kein Problem. Ich hör ja ständig Musik. Manchmal denke ich, dass ich im Hinterkopf ’ne Art Computer hab, der das alles analysiert.«

»Und wie funktioniert das genau mit dem Mixen?«, fragte ich.

»Komm einfach vorbei, wenn du mal zugucken willst. Ich hab zu Hause ein neues Mischpult, das G8 von BB, und zwei gute Plattenspieler von Klinky und …« Es folgte eine technische Aufzählung von Geräten und Markennamen, die ich noch nie gehört hatte, wie zum Beispiel A16, Klinky Klonky, Zoom und Blitzbo … oder so ähnlich …

Ich musste unwillkürlich gähnen. Da saß ich und hörte mir seltsame Namen an, dabei faszinierten mich vielmehr die Hände, die eine Platte nach der anderen auflegten, und ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, in seinen blonden Haaren zu wuscheln.

»Entschuldige«, sagte er. »Für dich ist das wahrscheinlich nicht so spannend. Du kennst die Marken ja nicht.«

»Ich kenne Marken genug: Apple, Fruity Cuties, H&M und Miss Helen für Wimperntusche. Man muss aber die wasserfeste nehmen, die andere schmiert grässlich.«

Er musste lachen und ich auch.

Wir saßen dicht beisammen, und Easy redete in einem fort, erst über seine Musiksachen, später dann auch von sich. Er kam aus Den Haag und seine Eltern hatten sich vor Kurzem scheiden lassen. Mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder war er hierher gezogen.

Während ich zuhörte, legte er wie zufällig den Arm auf die Sofalehne hinter mir und berührte sanft meine Schulter. Seine Nähe machte mich total kribbelig. Und dann dieser Blick! Am liebsten hätte ich ihn auf der Stelle geküsst. Stattdessen sagte ich: »Willst du sehen, was ich dir mitgebracht habe?«

Er nickte, und ich lief die Treppe hinauf, um die Rassel zu holen.

»Als ich die entdeckt hab, musste ich sofort an dich denken.«

Er öffnete das Päckchen, schüttelte die Rassel rhythmisch, lachte und rasselte dann ein paarmal links und rechts an meinem Kopf vorbei. Sein Gesicht war ganz nah.

»Die ist schön«, sagte er. »Vielen Dank.«

Jetzt waren seine Augen direkt vor mir, grün mit goldenen Sprenkeln.

»Danke«, flüsterte er noch mal. Sein Haar duftete so aufregend, dass ich die Strähne, die ihm in die Stirn fiel, einfach anfassen musste. Ich strich sie zur Seite, sie fühlte sich seidenweich an, und meine Finger zitterten leicht, als ich kurz sein Gesicht berührte.

Easy lächelte. Gleich würde er mich küssen … Ich schloss die Augen. In diesem Moment ging die Haustür auf. Sam kam vom Training.

Easy setzte sich rasch wieder gerade hin.

»Ey Mann, du hier?« Sam hob den Daumen. Ich hatte den Eindruck, dass er etwas ahnte. »Na, dann will ich euch nicht beim Turteln stören. Ich geh duschen!« Und weg war er, die Treppe hinauf.

Easy lächelte mich an, aber der Zauber war gebrochen. Jedes Mal wenn wir einander berührten und unsere Gesichter sich näher kamen, war da irgendein Geräusch, das uns zusammenschrecken ließ.

»Willst du mein Zimmer sehen?«, fragte ich. Genial, Anna! Einfach genial!

Doch als wir auf dem Bett saßen, hörten wir noch mehr Geräusche. Sam kam aus der Dusche, Pa ging pfeifend über den Flur – von Ruhe und Ungestörtheit konnte keine Rede sein.

Ich fragte ihn, ob er seine Freunde in Den Haag nicht sehr vermisse.

»Doch, ein wenig schon, aber wir haben über Facebook weiterhin Kontakt.«

Und dein Vater?, wollte ich fragen, aber ich ließ es im letzten Moment. Bestimmt fehlte ihm sein Vater sehr, obwohl er kein Wort darüber verloren hatte.

»Du findest hier schnell neue Freunde«, sagte ich. »Mir geht’s gerade ähnlich. Sam meint, dass ich zu oft mit Tibby abhänge und meine anderen Freundinnen vernachlässige. Ich denke, er hat recht: Eine Freundin ist zu wenig.«

»Mir würde eine durchaus reichen.« Easy lachte. Dann senkte er den Blick und fummelte verlegen an der Rassel herum.

»Besuchst du mich bald mal und siehst dir meine Anlage an?«

Jetzt wurde mir doch wieder warm.

»Gern«, sagte ich.

Später brachte ich ihn zur Haustür. »Also, bis demnächst«, sagte er.

Ich zögerte kurz, dann stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund.

Das glückselige Lächeln auf seinem Gesicht, als er ging, werde ich nie vergessen.

Im Bett ließ ich den wunderbaren Abend in Gedanken noch einmal Revue passieren, vom ersten Satz im Chat bis hin zu Easys Lächeln nach dem Kuss.

Ich war viel zu aufgekratzt, um schlafen zu können, und hatte das dringende Bedürfnis, jemandem von Easy und mir zu erzählen. Es war zwar schon ziemlich spät, aber Tibby war bestimmt noch auf, krank oder nicht. Vielleicht ging sie jetzt endlich ans Telefon.

Nach viermal klingeln meldete sich ihre Mailbox.

Dann eben nicht, dachte ich.

Eileen nahm auch nicht ab.

Als Nächstes wählte ich Jeskes Nummer.

»He, Anna! Wie nett«, sagte Jeske. »Du rufst spät an. Ist was passiert?«

»Ja-ha«, sagte ich. »Hast du kurz Zeit? Ich muss dir was erzählen.«

»Klingt spannend, leg los.«

Höchst interessiert hörte Jeske sich meine Geschichte an.

»Wow, ist ja irre romantisch. Küsst er gut?«

»Muss ich noch rausfinden«, sagte ich. Wenn ich Jeske die Sache mit dem Kuss erzählte, wusste es morgen die ganze Schule.

»Wird schon werden. Jedenfalls mag er dich.« Sie freute sich mit mir und das tat gut.

»Hoffen wir’s.«

»Mit Sicherheit. Liebe auf den ersten Blick. Superromantisch! Dann gute Nacht. Träum schön.«

Auf den ersten Blick? Ich schwärmte zwar schon seit Monaten für Easy, aber egal. Ich war froh, dass ich Jeske angerufen hatte. Wann hatte ich das letzte Mal mit Tibby so locker geplaudert?

Es war lange her. Viel zu lange.