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»Hi, Anna, du bist ja noch da.«
Ich drehte mich um.
Easy! Allein. Und mit einem Lächeln im Gesicht.
»Hi!« Ich wurde knallrot.
»Du guckst so traurig. Ist was?«
»Tibby will, dass ich mit ihr zur Christmas-Party im Sisters gehe.«
»Gute Idee von ihr«, sagte er. »Du kommst doch hoffentlich?«
»Ich fürchte, die Dinge liegen nicht ganz unkompliziert«, sagte ich, noch so in Gedanken, dass ich versehentlich in Spießer-Blabla redete. Erst als Easy mich irritiert ansah, merkte ich es und musste lachen.
»Hast du in den Weihnachtsferien viele DJ-Auftritte?«, wechselte ich das Thema.
»Ein paar. Magst du mal mitkommen?«
Wahnsinn! Und das fragte er mich einfach so nebenbei. Ich atmete tief durch, sonst wäre ich ihm wohl spontan um den Hals gefallen. »Wenn du auch in Ägypten auflegst, dann gern.«
»Du fliegst nach Ägypten? Wow, ist ja irre! Da werd ich glatt neidisch.«
»Im Januar könnte ich aber mal mitkommen«, schlug ich vor.
»Da hab ich leider keine Auftritte.« Er räusperte sich.
Ich wartete gespannt.
»Hast du es sehr eilig? Ich muss noch rasch was einkaufen. Wenn du nichts vorhast, könnten wir danach was zusammen trinken.«
»Wie? Jetzt gleich!?«
Er nickte.
Geißblatt! Schlagartig waren die Fahrradständer komplett überwuchert und ein betörender, überwältigender Duft hüllte mich ein. Mitten im Dezember!
»Äh … ja, gern«, brachte ich mühsam heraus.
Wie im Rausch und nur halb bei Sinnen schwebte ich mit Easy in die Einkaufsstraße. Er lud mich auf ein Glas frisch gepressten Saft ein und wir stießen auf die Weihnachtsferien an.
»Mit viel Schnee«, sagte er.
»Im Gegenteil: mit viel Sonne. Damit ich braun gebrannt wiederkomme. Erst besichtigen wir die Pyramiden und das Tal der Könige in Luxor. Und danach ist Schwimmen im Roten Meer angesagt.«
»Dann wirst du wohl eher krebsrot wiederkommen«, sagte er. »Wetten?«
»Um was?«
»Um einen Kuss?« Er sah mich herausfordernd an. Herausfordernd und irgendwie auch ein wenig verlegen.
Meine Haut kribbelte am ganzen Körper und in meinem Magen schlug der Fruchtsaft hohe Wellen.
»Ich weiß, dass ich gewinne«, lachte ich. »Also ist ein Vorschuss fällig.«
Er beugte sich prompt zu mir.
Ich roch den Duft seiner Haare … mhmm!
Und dann küsste er mich. Auf die Wange.
So hatte ich mir das zwar nicht vorgestellt. Aber es war besser als nichts.
»Hast du morgen Zeit?«, fragte er. »Dann könntest du mitkommen und mir helfen, die Lampen für das Fest auszusuchen.«
»Die Lampen? Ich dachte, du machst es mit Danny.«
»Du dachtest, ich mach’s mit Danny? Soso …« Er grinste anzüglich.
»So hab ich das nicht gemeint!« Ich spürte, wie ich schon wieder rot wurde. Voll peinlich.
»War bloß ein Witz.«
»Ha-ha!«
»Sorry.«
War das Ganze vielleicht doch nur ein Spiel für ihn? Mit einem Mal war ich verunsichert. War ich ein Versuchskaninchen? Wollte er nur mal testen, wie weit er bei Freundin Nummer 343 gehen konnte?
»Du solltest dich beeilen mit den Lampen. Das Fest ist schon im Februar«, sagte ich schroff.
Damit war die Sache gelaufen. Keine Verabredung für Januar, kein weiterer Kuss, kein Regenbogen.
Auf dem Nachhauseweg drehte sich mein Magen fast schneller als die Pedale. Bei dem Gedanken, dass ich mir vielleicht gerade die Chance meines Lebens verbaut hatte, wurde mir beinahe schlecht. Sollte ich besser doch zur Christmas-Party gehen?
Ach, warum sind Jungs nur so furchtbar kompliziert?
Beim Abendessen wagte ich einen Vorstoß.
»Am Freitagabend bin ich bei Tibby. Bisschen chillen und vielleicht gehen wir noch aus.« Ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. »Tibby hat vorgeschlagen, dass ich bei ihr übernachte. Ich komm dann am Samstagmorgen wieder.«
»Gut«, sagte Pa. »Freitag bei Tibby übernachten: ja. Ausgehen oder Weihnachtsparty: nein.«
Verdammt! Warum wusste er das mit der Party noch? Ich hätte Sam verfluchen können. Und ich blöde Kuh machte immer treu und brav, was meine Eltern wollten. Ich dachte an das Gespräch mit Easy am Nachmittag, als ich mich urplötzlich wie meine Eltern angehört hatte. Wenn ich nicht bald was dagegen unternahm, wurde ich noch genauso spießig wie sie.
Mir blieb nur eine Möglichkeit: Ich lächelte gehorsam, und nach dem Essen rannte ich sofort in mein Zimmer, um Tibby zu simsen, dass ich doch mitginge. Danach durchwühlte ich den Kleiderschrank nach einem coolen Outfit.
Ich hatte gerade ein paar Sachen auf dem Bett ausgebreitet, da brummte es hinter mir: »Sag mal, was machst du da?«
Pa!
Das Herz sprang mir fast aus der Brust.
Erst stand ich da wie versteinert, dann drehte ich mich um. Langsam, schuldbewusst.
Es war gar nicht Pa. Es war Sam, und er begann, wie ein Irrer zu lachen. So sehr, dass er sich die Seiten halten musste.
»Du Arsch!«, fauchte ich. »Wenn du …« Leider konnte ich nicht schreien, denn dann würden Ma und Pa alles mitkriegen. Ich versuchte zu flüstern, aber heraus kam eher eine Art Zischen, wie von einer fiesen Giftschlange. »Wenn du dein blödes Maul gehalten hättest, müsste ich jetzt nicht heimlich davonschleichen!«
»Welche Rede, mein Kind, ist deinen Lippen entflohen?«, säuselte er und wieherte wieder los.
»Halt den Mund!«
»Du bleibst besser schön brav zu Hause, Schwesterherz.«
»Hör auf, mich zu belehren! Ich weiß selber, was ich tue!«, sagte ich pampig.
Sam nickte mir väterlich zu. »Darf ich dann vielleicht hoffen, dass Madame sich in Bälde bequemen, meinen Becher zu kleben?«
»Wozu die Eile?«, fragte ich.
»Och, man weiß ja nie. Nicht dass ich mich noch aus Versehen verplappere.«
Das war eine Drohung, eindeutig. Klar, ich hätte den blöden Autogramm-Becher längst kleben sollen, aber mich damit zu erpressen, das war echt eine Gemeinheit. Nie und nimmer hätte ich Sam das zugetraut.