8
Am Freitag fehlte Tibby noch immer. Ich machte mir allmählich Sorgen, aber viel Zeit, darüber nachzudenken, hatte ich nicht, denn auch Eileen wollte wissen, was mit Easy gelaufen war.
»Dass er einfach vorbeigekommen ist! Wahnsinn!«, kicherte sie. »Ich an deiner Stelle wär durchgedreht.«
Ich musste jede Einzelheit erzählen: was Easy gesagt und gemacht hatte, wie meine Eltern reagiert hatten und was Sam dazu meinte.
Wilkes sah ein paarmal her, deshalb flüsterten wir ganz leise und behalfen uns zwischendurch mit Zetteln.
Eileen wiederum war gestern Abend mit Timo ausgegangen und berichtete aufgeregt, was er angehabt und gesagt hatte. Ich freute mich darauf, nach der Schule mit ihr zur Orchesterprobe zu gehen.
In der Pause erzählte ich ihr, dass mir die Sache mit Tibby zu schaffen mache und dass der Ofen bei ihr zu Hause kaputt sei.
»Sie ist krank und das bei der Kälte im Haus.«
»Bestimmt ist der Ofen inzwischen repariert«, versuchte Eileen mich zu beruhigen.
»Möglich. Trotzdem hab ich ein ungutes Gefühl. Seit unserem Streit im Sisters herrscht ziemliche Funkstille bei uns. Trotz Tibbys Entschuldigungsmails. Ich versteh einfach nicht, warum sie so gut wie nie ans Telefon geht. Einerseits ärgert mich das, aber irgendwie mache ich mir auch Sorgen.«
»Schick ihr doch eine SMS«, schlug Eileen vor. »Und mach dir keinen Kopf. Wenn irgendwas passiert wäre, wüssten wir es längst.«
»Sie mailt auch nicht«, redete ich weiter. »Womöglich hat sie was Schlimmes. Liegt mit Lungenentzündung im Krankenhaus oder so.«
»Dann wär’s nur logisch, dass du nichts hörst. Als du krank warst, hast du dich auch tagelang nicht gemeldet. Weißt du was, wir schauen heute Nachmittag kurz bei ihr vorbei, dann geht es dir bestimmt besser.«
Das fand ich superlieb von Eileen.
Nach der Schule kauften wir eine Packung von Tibbys Lieblingskeksen und kurz darauf standen wir vor ihrem Haus mit dem jetzt kahlen Rosenbogen.
»Nicht direkt einladend«, meinte Eileen.
»Im Sommer ist es hier einfach traumhaft«, sagte ich. »Dann blüht ein Wasserfall von Rosen, und das Geißblatt duftet so herrlich, wie du dir es nicht vorstellen kannst.«
»Fällt schwer«, gab Eileen zu. »Guck mal, da.« Sie deutete auf den langen Riss in der Fassade.
Weil die Haustür abgeschlossen war, klopfte ich.
Tibby machte auf.
»Hallo«, sagte sie matt. »Kommt rein.«
Sie schlurfte vor uns her in die Küche. Dort war es nicht mehr so kalt, dafür schlug uns ein strenger Geruch entgegen: eine Mischung aus angebranntem Essen und Hasch.
Eileen rümpfte die Nase.
Ich gab Tibby die Kekse.
»Oh, danke.« Sie legte sie achtlos auf die Spüle. Normalerweise hätte sie die Packung sofort aufgerissen und wir hätten die Kekse zusammen verdrückt.
»Wollt ihr was trinken?«, fragte sie mechanisch, so als wäre ihr die Antwort egal.
»Nein danke. Wir müssen gleich weiter. Zur Orchesterprobe«, sagte Eileen. »Wie geht’s dir denn? Schon ein bisschen besser?«
»Mhja.«
Tibbys Stimme klang flach, völlig ohne Ausdruck. »Tonlos« würde in einem Roman stehen, obwohl tonlos sprechen ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber falls da ein Ton war, dann war er grau und trostlos.
»Weißt du schon das Neueste von Anna und Easy?«, fragte Eileen.
»Ich weiß von nichts.«
Ich begann zu erzählen: »Also, das war so: Ich hab mit ihm gechattet, und als er wissen wollte, was für eine Überraschung ich für ihn hätte, hab ich geschrieben, komm vorbei, nur so zum Spaß, und …«
»Stell dir vor, er ist tatsächlich gekommen!«, fiel Eileen mir mit leuchtenden Augen ins Wort. »Wahnsinnig romantisch, oder?«
Tibby schwieg.
»Wie läuft’s denn bei dir und Tarik?«, fragte Eileen.
»Verschon mich mit dem.« Tibby nahm Whisky auf den Schoß.
»Hör mal, Tibby, warum rufst du mich nie zurück oder mailst mir mal?«, fragte ich unvermittelt.
»Mein Guthaben ist alle.«
Wieder dieser flache Ton.
»Ich mach mir Sorgen um dich. Willst du vielleicht mein altes Handy haben? Da ist noch Guthaben drauf und fotografieren kannst du damit auch.«
»Nicht nötig.«
»Meinst du das Handy? Oder dass ich mir Sorgen mache?«, fragte ich.
»Ja«, sagte Tibby.
Jetzt kapierte ich überhaupt nichts mehr und hatte das Ganze allmählich auch satt.
Dann rutsch mir doch den Buckel runter mit deiner Mitleidsmasche, dachte ich verärgert, auch wenn ich das nicht wollte. Ich sagte nichts.
»Kommst du Montag wieder in die Schule?«, fragte Eileen.
»Ja. Montag. Glaub schon«, sagte Tibby.
Eileen stand auf. »Wir müssen los. Gute Besserung weiterhin. Erhol dich schön.«
Wir machten uns auf den Weg zur Orchesterprobe.
»Na denn, ist doch alles in Butter«, sagte Eileen.
»Findest du? Ist dir nicht aufgefallen, dass sie völlig apathisch war?«
»Das ist normal bei ’ner Grippe. Als du nach deiner Erkältung wieder in der Schule warst, bist du auch erst wie ein halber Zombie rumgelaufen.«
Tja, vielleicht hatte Eileen recht. Vielleicht musste Tibby sich einfach noch erholen. Trotzdem, ihr leerer Blick ging mir nicht aus dem Kopf.
Abends rief ich noch mal bei Tibby an.
»Ja?« Es klang barsch.
»Ich bin’s. Anna.«
»Ach. Hallo.« Mehr nicht.
»Ist bei dir wirklich alles okay?«, fragte ich. »Ich muss die ganze Zeit an dich denken.«
»Alles okay.«
Ich wusste nicht weiter. »Kommst du nun am Montag wieder in die Schule?«, fragte ich.
»Ja. Mal sehn.«
»Komm doch. Du fehlst mir.«
Schweigen.
»In der Schule ist es schön warm.«
»Ach ja«, sagte sie. »Dann will ich dich mal nicht länger aufhalten. Du hast bestimmt zu tun.«
»Wir können ruhig …«
Völlig verdattert starrte ich den Hörer an, der in meiner Hand tutete.
Was sollte das nun wieder? Da stimmte etwas nicht, ganz eindeutig! Ich fasste einen Entschluss: Wenn Tibby am Montag nicht in die Schule kam, würde ich zu JP gehen.