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Unsere Straße wirkte ordentlicher und öder denn je und es goss in Strömen. Wehmütig dachte ich an Ägypten, an das Wiegen der Palmen im Wind, an die besonderen Menschen, die gewundenen Gassen und die mageren roten Katzen, die frühmorgens aus den Abfallsäcken naschten.
Wer einmal aus dem Nil trinkt, kommt wieder zu ihm zurück, sagt ein ägyptisches Sprichwort. Ich hatte natürlich nicht von dem schmutzigen Wasser getrunken, aber mir war, als würde der Nil durch meine Adern strömen, so groß war die Sehnsucht.
Dass meine Strafe jetzt fällig wurde, machte die Sache nicht besser. Ich musste Pa beim Aufräumen des Gartenschuppens helfen, was eine echte Katastrophe war, denn der Mann ist ein Perfektionist. Als endlich die letzte Schraube, schön nach Größe sortiert, in der richtigen Schachtel lag, musste ich Ma helfen, das Silber zu putzen. Und zwar alles, auch Sachen, die selten oder nie in Gebrauch waren, wie zum Beispiel das Fischbesteck, die Kerzenleuchter, die Vasen, Pas uralte Rassel und Mas Kinderbecher. Zu meiner Überraschung war das richtig nett und gemütlich. Denn Ma erzählte von früher, wie sie eine ganze Nacht von zu Hause weggeblieben und ein anderes Mal per Anhalter mit einem wildfremden Lkw-Fahrer bis Antwerpen gefahren war, weil sie reisen und etwas von der Welt sehen wollte. Als ich meinte, seitdem habe sie sich aber schwer verändert, wurde sie nicht mal böse. Sie lachte, so wie nur Ma das kann.
In meinem Postfach waren gut zehn Entschuldigungsmails von Tibby. Anscheinend funktionierte ihr PC wieder und ihr Gewissen ebenfalls.
Sehr gut.
Easy hatte mir zwei nette Mails geschrieben. Ich schrieb sofort zurück, das Rote Meer sei blau und voller bunter Fische. Und dass ich eine Überraschung für ihn hätte.
Die Rassel legte ich, hübsch verpackt, in meine Schreibtischschublade, bis sich eine gute Gelegenheit bot, sie Easy zu geben.
Als ich meine ägyptische Katze ins Regal stellte, blinkte und glitzerte ihr Ohrring, und ich glaubte zu hören, dass sie vor Behagen schnurrte.
Plötzlich musste ich an die Geschichte von Osiris denken, dem ägyptischen König, der von seinem eigenen Bruder lebendig in einen Sarg gesteckt und auf dem Nil ausgesetzt wurde. Seine Geliebte Isis war untröstlich und suchte zusammen mit seinem Sohn Anubis überall nach ihm.
»Anubis war ein Meister im Trösten«, hatte es in der Geschichte geheißen, und in diesem Moment war die hässliche Schachtel auf meinem Schreibtisch, in der Tibbys Anubis-Figur lag, von einem goldenen Glanz umgeben.
Ob sie sich wohl über mein Geschenk freute? Oder würde sie sich über die schmutzig graue Verpackung beschweren?
Sicherheitshalber nahm ich Anubis heraus. Er war so schön, dass ich ihn am liebsten selber behalten hätte.
Ich wickelte ihn in weißes Seidenpapier, wie eine Minimumie. Doch dann zögerte ich. Würde Tibby begreifen, dass das Päckchen eine Mumie darstellen sollte? Oder würde sie nur das knittrige weiße Papier sehen und glauben, ich wolle ihr irgendwelchen Plunder andrehen?
Ich suchte nach blauem Papier, in das ich die Mumie wickelte.
Jetzt war es ein echtes Tibby-Päckchen. Noch goldenes Geschenkband drum. Prima …
Oder wirkte es nun zu protzig?
Ich merkte, dass etwas gerissen war, trotz der Entschuldigungsmails. Etwas hatte sich unwiederbringlich verändert. Ich wusste einfach nicht mehr, wie ich Tibby eine Freude machen konnte. Und ich wusste auch nicht mehr, ob ich das überhaupt noch wollte.