11

In dieser Nacht bekam ich kein Auge zu. Ich saß erst auf dem Sofa, dann auf dem Bett, das Telefon neben mir. Nicht einmal eine Kanne Tee und eine Flut von E-Mails konnten mich von den Ereignissen des vergangenen Tages ablenken. Der Gedanke, dass meine Eltern womöglich von Hexen umgebracht worden waren, überstieg meine Vorstellungskraft. Also verdrängte ich das Ganze und zerbrach mir stattdessen den Kopf darüber, unter welchem Bann Ashmole 782 stehen mochte und warum sich Knox so dafür interessierte.

Als ich in der Morgendämmerung immer noch wach war, ging ich erst duschen und zog mich dann um. Anders als sonst lockte mich der Gedanke an ein Frühstück überhaupt nicht. Statt etwas zu essen, hockte ich an der Tür, bis die Bibliothek öffnete, und ging dann die kurze Strecke zur Bodleian, wo ich meinen Stammplatz einnahm. Das Handy steckte in meiner Tasche, mit aktiviertem Vibrationsalarm, obwohl ich es nicht ausstehen konnte, wenn anderer Leute Handys in der Stille zu summen und zu tanzen begannen.

Um halb elf spazierte Peter Knox in den Lesesaal und ließ sich am anderen Ende nieder. Unter dem Vorwand, eine Handschrift zurückzugeben, kehrte ich an die Ausleihtheke zurück, um mich zu überzeugen, dass Miriam immer noch in der Bibliothek war. Sie war da  – und sie war wütend.

»Bitte sagen Sie mir, dass sich dieser Hexer nicht da drüben hingesetzt hat.«

»O doch. Er starrt mir auf den Rücken, während ich arbeite.«

»Ich wünschte, ich wäre größer«, sagte Miriam stirnrunzelnd.

»Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Sie nur größer sein müssten, um ihn zu vertreiben.« Ich schenkte ihr ein schiefes Lächeln.

Als vielleicht eine Stunde später Matthew ins Selden End trat, lautlos und ohne Vorwarnung, spürte ich seinen Blick nicht mehr als eisigen Fleck. Stattdessen schienen kühle Schneeflocken auf meinen Haaren, meinen Schultern und meinem Rücken zu landen, so als wollte er sich in aller Eile überzeugen, dass ich noch in einem Stück war.

Meine Finger krallten sich in die Tischplatte. Im ersten Moment brachte ich nicht den Mut auf, mich umzudrehen, solche Angst hatte ich, es könnte nur Miriam sein. Als ich erkannte, dass es tatsächlich Matthew war, reagierte mein Herz mit einem einzigen festen Schlag.

Doch der Vampir sah schon nicht mehr in meine Richtung. Er starrte mit wutverzerrtem Gesicht Peter Knox an.

»Matthew«, rief ich ihn leise und stand auf.

Er riss den Blick von dem Hexer los und kam zu mir. Als ich verunsichert in sein wütendes Gesicht sah, schenkte er mir ein aufmunterndes Lächeln. »Wie ich gehört habe, gab es hier einige Aufregung.« Er stand so dicht vor mir, dass die Kühle, die von ihm ausging, so erfrischend wirkte wie eine Brise an einem Sommertag.

»Nichts, womit wir nicht fertig geworden wären«, antwortete ich ruhig und in dem Bewusstsein, dass Peter Knox uns beobachtete.

»Kann unsere Unterhaltung warten  – nur bis heute Abend?«, fragte er. Matthews Finger wanderten aufwärts und strichen über etwas, das sich unter den weichen Fasern seines Pullovers abzeichnete. Ich fragte mich, was er wohl über dem Herzen trug. »Wir könnten zum Yoga gehen.«

Ich hatte zwar nicht geschlafen, trotzdem hörte sich ein Ausflug nach Woodstock in einem extrem gut isolierten Wagen, gefolgt von anderthalb Stunden meditativer Bewegung, ausgesprochen verlockend an.

»Ich bin dabei«, erklärte ich aufrichtig.

»Möchtest du, dass ich hier neben dir arbeite?«, fragte er und beugte sich dabei leicht vor. Sein Duft war so mächtig, dass mir schwindlig wurde.

»Das ist nicht nötig«, bekundete ich fest.

»Lass es mich wissen, falls du deine Meinung änderst. Ansonsten treffen wir uns um sechs vor dem Hertford College.« Matthew sah mir tief in die Augen. Dann schoss er einen hasserfüllten Blick auf Peter Knox ab und kehrte an seinen Platz zurück.

Als ich auf dem Weg zum Mittagessen an seinem Tisch vorbeikam, räusperte sich Matthew. Gereizt knallte Miriam den Stift auf die Tischplatte und begleitete mich. Knox würde mir nicht zu Blackwell’s folgen. Dafür sorgte Matthew.

Der Nachmittag zog sich endlos in die Länge; wach zu bleiben, war beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Um fünf konnte ich es kaum noch erwarten, die Bibliothek zu verlassen. Knox blieb im Selden End inmitten eines bunten Sortiments von Menschen zurück. Matthew brachte mich nach unten, und meine Stimmung heiterte sich zusehends auf, während ich ins College zurücklief, mich umzog und meine Yogamatte holte. Als sein Wagen vor dem Eisengitter des Hertford hielt, wartete ich schon auf ihn.

»Du bist früh dran«, bemerkte Matthew lächelnd, nahm mir die Matte ab und legte sie in den Kofferraum. Er holte scharf Luft, als er mir beim Einsteigen half, und ich fragte mich, welche Botschaften mein Körper ihm wohl gerade übermittelt hatte.

»Wir müssen uns unterhalten.«

»Das hat keine Eile. Erst sollten wir aus Oxford hinausfahren.« Er klappte die Beifahrertür zu und ließ sich auf den Fahrersitz sinken.

Nachdem die Studenten und Universitätsangestellten wieder in der Stadt waren, war der Verkehr auf der Woodstock Road dichter, aber Matthew umfuhr geschickt alle Nadelöhre.

»Wie war es in Schottland?«, fragte ich, als wir die Stadtgrenze passiert hatten, denn es war mir egal, worüber er redete, solange er nur redete.

Matthew sah mich kurz an und dann wieder auf die Straße. »Schön.«

»Miriam sagte, du wärst jagen gegangen.«

Er atmete langsam aus und legte die Finger wieder auf den Knoten unter seinem Pullover. »Das hätte sie nicht tun sollen.«

»Warum?«

»Weil manche Dinge in gemischter Gesellschaft unausgesprochen bleiben sollten«, erklärte er leicht ungeduldig. »Erzählen Hexen etwa anderen Geschöpfen, dass sie gerade vier Tage lang Zaubersprüche aufgesagt und Fledermäuse gekocht haben?«

»Hexen kochen keine Fledermäuse!«, wehrte ich mich entrüstet.

»Nichtsdestotrotz.«

»Warst du allein?«, fragte ich.

Matthew blieb lange stumm, bevor er antwortete. »Nein.«

»Ich war in Oxford auch nicht allein«, setzte ich an. »Die ganzen Geschöpfe …«

»Miriam hat es mir erzählt.« Seine Hände fassten das Lenkrad fester. »Wenn ich gewusst hätte, dass Peter Knox der Hexer ist, der dich belästigt, wäre ich bestimmt nicht nach Schottland gereist.«

»Du hattest recht«, platzte es aus mir heraus, denn bevor ich das Thema Knox anging, musste ich ihm noch etwas gestehen. »Ich habe nie wirklich ohne Magie gelebt. Ich habe sie bei der Arbeit benutzt, ohne dass ich es gemerkt habe. Sie ist überall. Ich habe mir seit Jahren etwas vorgemacht.« Die Worte purzelten aus meinem Mund. Matthew konzentrierte sich auf den Verkehr. »Und das macht mir Angst.«

Seine kalte Hand strich über mein Knie. »Ich weiß.«

»Was soll ich nur tun?«, flüsterte ich.

»Das werden wir schon noch herausfinden«, sagte er ruhig und bog durch das Tor vor der Old Lodge. Prüfend betrachtete er mein Gesicht, während wir die Anhöhe nahmen und in die kreisförmige Auffahrt bogen. »Du bist müde. Stehst du das Yoga noch durch?«

Ich nickte.

Matthew stieg aus und öffnete mir die Tür. Diesmal reichte er mir nicht die Hand. Stattdessen kramte er im Kofferraum herum, zog unsere Matten heraus und schulterte beide. Vereinzelt kamen andere Teilnehmer unseres Kurses vorbei und sahen uns neugierig zu.

Er wartete, bis außer uns niemand mehr auf der Auffahrt stand. Dann sah er mich lange an und schien mit sich zu ringen. Ich zog die Stirn in Falten und legte den Kopf in den Nacken, um zu ihm aufzusehen. Ich hatte ihm gerade gestanden, dass ich Magie einsetzte, ohne es zu merken. Was war da noch so schrecklich, dass er es mir nicht erzählen wollte?

»Ich war mit einem alten Freund in Schottland. Hamish Osborne«, sagte er schließlich.

»Der Mann, den die Zeitungen gern als Parlamentskandidaten sehen würden, damit er zum Finanzminister ernannt werden kann?«, fragte ich erstaunt.

»Hamish wird sich nicht aufstellen lassen«, erwiderte Matthew knapp und zupfte den Träger seiner Yogatasche zurecht.

»Er ist also doch schwul!« Ich musste an die Spätnachrichtensendung denken, die ich vor kurzem gesehen hatte.

Matthew bedachte mich mit einem vernichtenden Blick. »Ja. Aber vor allem ist er ein Dämon.« Ich wusste nicht viel über die Welt der nichtmenschlichen Geschöpfe, aber dass es uns verboten war, in die Politik oder Religion der Menschen einzugreifen, wusste ich.

»Dass ein Dämon im Finanzsektor Karriere macht, ist ungewöhnlich.« Ich dachte kurz nach. »Das erklärt allerdings, warum er so scharfsinnig ist, wenn es um Geldanlagen geht.«

»Er ist auch sonst überaus scharfsinnig.« Das Schweigen dehnte sich, ohne dass Matthew Anstalten gemacht hätte, zur Tür zu gehen. »Ich musste weg und jagen gehen.«

Ich sah ihn verständnislos an.

»Du hast deinen Pullover in meinem Wagen liegen lassen«, sagte er, als würde das alles erklären.

»Miriam hat ihn mir schon zurückgegeben.«

»Ich weiß. Ich konnte ihn nicht bei mir behalten. Begreifst du, warum?«

Als ich den Kopf schüttelte, stieß er seufzend einen französischen Fluch aus. »Dein Duft hat den ganzen Wagen durchdrungen, Diana. Ich musste aus Oxford verschwinden.«

»Ich verstehe immer noch nicht«, gestand ich.

»Ich musste immerzu an dich denken.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schaute über die Auffahrt.

Mein Herzschlag war aus dem Takt geraten, und der verzögerte Blutfluss verlangsamte meine Denkprozesse. Doch dann begann ich zu begreifen.

»Du hast doch nicht etwa Angst, dass du mir etwas antun könntest?« Ich hatte einen gesunden Respekt vor Vampiren, aber bei Matthew fühlte ich mich sicher.

»Ich kann nicht sicher sein.« Seine Augen blickten argwöhnisch, und in seiner Stimme schwang eine leise Warnung.

»Du bist also nicht wegen Freitagabend gefahren?« Ich atmete erleichtert auf.

»Nein«, sagte er sanft. »Damit hatte es nichts zu tun.«

»Kommt ihr beiden herein, oder wollt ihr eure Übungen da draußen absolvieren?«, rief Amira von der offenen Tür aus.

Wir gingen in den Kurs und beobachteten einander immer wieder verstohlen, wenn wir glaubten, dass der andere nicht hersah. Unser erster aufrichtiger Informationsaustausch hatte einiges verändert. Jetzt rätselten wir beide, was als Nächstes passieren würde.

Als Matthew nach dem Ende des Kurses den Pullover über seinen Kopf zog, stach mir ein silbernes Glänzen ins Auge. Das Objekt hing an einem dünnen Lederband um seinen Hals. Dieses Ding hatte er immer wieder durch den Pullover hindurch berührt wie einen Talisman.

»Was ist das?« Ich deutete darauf.

»Das soll mich an etwas erinnern.«

»Woran?«

»Daran, wie zerstörerisch Zorn sein kann.«

Peter Knox hatte mich gewarnt, ich solle mich vor Matthew in Acht nehmen.

»Ist das etwa ein Pilgerzeichen?« Die Form erinnerte mich an ein Zeichen aus dem British Museum. Es sah sehr alt aus.

Er nickte und zog es am Band nach vorn. Es baumelte zwischen seinen Fingern und blinkte, wenn das Licht darauf fiel. »Es ist eine Ampulle aus Bethanien.« Sie war wie ein Sarg geformt und gerade groß genug, um ein paar Tropfen Weihwasser zu enthalten.

»Lazarus«, sagte ich schwach und nahm den Sarg genauer in Augenschein. In Bethanien hatte Christus Lazarus von den Toten auferweckt. Und obwohl ich heidnisch erzogen worden war, wusste ich genau, warum Christen auf Pilgerfahrt gingen. Sie taten es, um für ihre Sünden zu büßen.

Matthew ließ die Ampulle wieder unter seinen Pullover gleiten und entzog sie damit den Blicken der anderen Geschöpfe, die gerade nacheinander den Raum verließen.

Wir verabschiedeten uns von Amira und blieben vor der Old Lodge in der frischen Herbstluft stehen. Trotz der Scheinwerfer, die das Mauerwerk in Licht badeten, war es hier, etwas abseits von dem Gebäude, dunkel.

»Geht es dir jetzt besser?«, riss Matthew mich aus meinen Gedanken. Ich nickte. »Dann erzähl mir, was passiert ist.«

»Es geht um das Manuskript. Knox will es haben. Agatha Wilson  – die Dämonin, der ich bei Blackwell’s begegnet bin  – hat gesagt, dass die Dämonen es haben wollen. Du willst es auch. Aber Ashmole 782 steht unter einem Bann.«

»Ich weiß«, sagte er wieder.

Eine weiße Eule flatterte vor uns nieder und schlug wütend mit den Flügeln. Überzeugt, dass sie gleich mit ihrem Schnabel und ihren Fängen auf mich einhacken würde, zuckte ich zusammen und hob schützend die Arme. Aber im nächsten Moment hatte die Eule das Interesse an mir verloren und erhob sich in die Bäume entlang der Auffahrt.

Mein Herz klopfte wie wild, und eine Panikattacke breitete sich von den Füßen her durch meinen Körper aus. Ohne jede Vorwarnung zog Matthew die hintere Tür des Jaguars auf und schubste mich auf die Rückbank. »Atme tief ein und aus«, befahl er, über mich gebeugt und mit einer Hand auf meinem Knie. Magensäure schoss durch meine Speiseröhre  – ich hatte nichts als Wasser im Magen  – und presste sich durch die Kehle, bis ich kaum noch Luft bekam. Ich drückte die Hand vor den Mund und würgte krampfhaft. Er hob die Hand und strich mit kühlen, beruhigenden Fingern eine lose Haarsträhne hinter mein Ohr.

»Dir kann nichts passieren«, sagte er.

»Das tut mir so leid.« Ich strich mir zitternd über den Mund und spürte gleichzeitig, wie die Übelkeit abklang. »Die Panikattacken haben gestern Abend eingesetzt, nachdem ich mit Knox gesprochen hatte.«

»Möchtest du ein paar Schritte gehen?«

»Nein«, lehnte ich hastig ab. Der Park kam mir viel zu groß und schwarz vor, und meine Beine fühlten sich an wie aus Gummi.

Matthew musterte mich. »Ich bringe dich heim. Der Rest der Unterhaltung kann warten.«

Er zog mich von der Rückbank hoch und hielt meine Hand, bis ich mich auf den Beifahrersitz gesetzt hatte. Ich schloss die Augen. Einen Moment saßen wir stumm nebeneinander, dann drehte Matthew den Zündschlüssel. Der Jaguar sprang sofort an.

»Passiert dir das oft?«, fragte er.

»Gott sei Dank nicht«, sagte ich. »Als Kind hatte ich das dauernd, aber inzwischen ist es viel besser geworden. Eine Adrenalin-Überdosis, mehr ist das nicht.« Matthews Blick kam auf meinen Händen zu ruhen, während ich mir die Haare aus dem Gesicht strich.

»Ich weiß«, sagte er schon wieder, löste die Handbremse und fuhr los.

»Kannst du es riechen?«

Er nickte. »Es hat sich aufgestaut, seit du mir erzählt hast, dass du Magie einsetzt. Treibst du darum ständig Sport — Joggen, Rudern, Yoga?«

»Ich nehme nicht gern Medikamente. Davon wird mir so schummrig.«

»Wahrscheinlich ist Sport sowieso effektiver.«

»Diesmal hat er nicht geholfen«, murmelte ich und dachte an meine elektrisierten Hände von neulich.

Matthew bog aus dem Tor der Old Lodge auf die Straße. Er konzentrierte sich aufs Fahren, während ich mich vom sanften Schaukeln des Wagens beruhigen ließ.

»Warum hast du mich angerufen?«, fragte Matthew abrupt und riss mich damit aus meinen Gedanken.

»Wegen Knox und wegen Ashmole 782.« Die Panik flackerte wieder auf, als er so unvermittelt sachlich wurde.

»Das ist mir klar. Mich würde aber interessieren, warum du mich angerufen hast. Du hast doch bestimmt Freunde  – Hexen oder Menschen  –, die dir helfen könnten.«

»Eigentlich nicht. Keiner meiner menschlichen Freunde weiß, dass ich eine Hexe bin. Es würde Tage dauern, bis ich ihnen erklärt hätte, was tatsächlich in dieser Welt abläuft  – falls sie es so lange in meiner Nähe aushalten würden, wohlgemerkt. Ich habe unter den Hexen keine Freunde, und meine Tanten will ich keinesfalls in die Sache hineinziehen. Schließlich können sie nichts dafür, dass ich so dumm war, das Manuskript zurückzugeben, obwohl ich nicht wusste, was es damit auf sich hat.« Ich biss mir auf die Lippe. »Hätte ich dich lieber nicht anrufen sollen?«

»Ich weiß es nicht, Diana. Am Freitag hast du noch gesagt, Hexen und Vampire könnten nicht befreundet sein.«

»Am Freitag habe ich vieles gesagt.«

Matthew schwieg und konzentrierte sich auf die kurvige Straße.

»Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.« Ich verstummte und legte mir die nächsten Worte zurecht. »Aber eines weiß ich mit Sicherheit. Ich bin lieber mit dir in der Bibliothek als mit Knox.«

»Einem Vampir kann man nie völlig vertrauen  – nicht in Gegenwart von Warmblütern.« Matthews Blick erfasste mich für eine kurze, kalte Sekunde.

»Warmblüter?«, fragte ich stirnrunzelnd.

»Menschen, Hexen, Dämonen  – jeder, der kein Vampir ist.«

»Lieber riskiere ich, von dir gebissen zu werden, als dass sich Knox in mein Gehirn schleicht und dort nach Informationen wühlt.«

»Hat er das versucht?« Matthew war nicht lauter geworden, aber ich hörte die Wut in seiner Frage.

»Es war keine große Sache«, beteuerte ich hastig. »Er wollte mich nur vor dir warnen.«

»Das sollte er auch. Niemand kann etwas sein, das er nicht ist, sosehr er sich auch bemüht. Du darfst uns Vampire nicht verklären. Knox ist vielleicht nicht an deinem persönlichen Wohl interessiert, aber was mich betrifft, hat er recht.«

»Ich lasse mir nicht vorschreiben, mit wem ich befreundet sein darf  – und schon gar nicht von einem Eiferer wie Knox.« Meine Finger begannen vor Zorn zu prickeln, und ich schob sie unter meine Schenkel.

»Sind wir das? Freunde?«

»Ich glaube schon. Freunde sagen einander die Wahrheit, selbst wenn es schwerfällt.« Die Ernsthaftigkeit unseres Gesprächs verunsicherte mich so, dass ich meine Hose über den Knien glattzustreichen begann.

»Vampire sind keine besonders guten Freunde.« Er klang wieder wütend.

»Hör zu, wenn du möchtest, dass ich mich von dir fernhalte …«

»Natürlich nicht«, fiel Matthew mir ins Wort. »Es ist nur so, Beziehungen mit Vampiren sind … kompliziert. Wir haben einen ausgeprägten Beschützerinstinkt  – wir können ziemlich besitzergreifend sein. Das ist nicht immer angenehm.«

»Beschützer hört sich für mich momentan ganz gut an.«

Im selben Moment sah ich nackte Verletzlichkeit in Matthews Blick. »Ich werde dich daran erinnern, wenn du dich beklagst.« Sofort war die Verletzlichkeit einer gutmütigen Ironie gewichen.

Er bog von der Holywell Street ab und fuhr durch das Tor vor meiner Unterkunft. Fred warf einen Blick auf den Wagen und grinste, bevor er diskret wegsah. Ich wartete, bis Matthew mir die Tür öffnete, und sah mich währenddessen im Wagen um, damit ich nichts zurückließ  – nicht einmal einen Haargummi  –, weil ich ihn nicht wieder nach Schottland treiben wollte.

»Aber es geht bei alldem nicht nur um Knox und das Manuskript«, erklärte ich ihm eindringlich, als er mir die Matte reichte. So wie er sich verhielt, hätte man meinen können, dass sich von allen Seiten die verschiedensten Geschöpfe an mich heranmachten.

»Das kann warten, Diana. Und mach dir keine Sorgen. Peter Knox wird dir nicht noch einmal nahekommen.« Er klang grimmig und hatte dabei eine Hand auf die Ampulle unter seinem Pullover gelegt.

Wir mussten mehr Zeit miteinander verbringen  – und zwar nicht in der Bibliothek, sondern allein.

»Möchtest du morgen zum Abendessen kommen?«, fragte ich ihn leise. »Dann könnten wir über alles reden, was passiert ist.«

Matthew stockte, und über sein Gesicht zuckte Verwirrung und etwas anderes, das ich nicht benennen konnte. Seine Finger schlossen sich kurz um das Pilgerzeichen, dann ließ er es wieder los.

»Gern«, antwortete er langsam.

»Gut.« Ich lächelte. »Wie wäre es um halb acht?«

Er nickte und erwiderte mein Lächeln fast schüchtern. Ich war schon zwei Schritte gegangen, als mir einfiel, dass es eine Frage gab, die wir noch vor dem morgigen Abend klären mussten.

»Was isst du?«

»Eigentlich alles.« Matthews Gesicht hellte sich zu einem weiteren Lächeln auf, das mein Herz ins Stolpern brachte.

»Dann bis halb acht.« Ich wandte mich ab und lachte kopfschüttelnd über seine wenig hilfreiche Antwort. »Ach ja, noch etwas.« Ich drehte mich noch einmal um. »Lass Miriam ihre Arbeit machen. Ich kann wirklich auf mich selbst aufpassen.«

»Das hat sie mir auch schon erklärt.« Matthew ging um den Wagen herum auf die Fahrerseite. »Ich werde es mir überlegen. Aber du wirst mich morgen wie üblich im Duke Humfrey’s finden.« Er stieg ein und ließ, als ich mich nicht vom Fleck rührte, das Fenster herunter.

»Ich fahre erst los, wenn du im Haus bist«, sagte er und sah mich tadelnd an.

»Vampire«, murmelte ich kopfschüttelnd.