4.

Eds Schuluniform:

Tweedjacke (weiß nicht mehr)

Schmale Seidenkrawatte (Krebsforschungszentrum)

Kariertes Hemd (Hackett’s über Annie)

Khakihose (Gap)

Abgeschabte Aktentasche (seine Mum)

 

Geschätzte Gesamtkosten: keine Ahnung

»Ich bin dran, Kekse mitzubringen.«

Also, wenn du sagst, du weißt nicht, was du anziehen sollst, was genau meinst du dann?«

Ed lag noch im Bett, obwohl vor genau sieben Minuten der Wecker geklingelt hatte.

Annie war bereits aufgestanden. Sie hatte unruhig geschlafen und war früh aufgewacht. Geschlagene vierzig Minuten hatte sie im Bad verbracht, mit Make-up und Pinzette hantiert und ihren Pferdeschwanz wohl siebenundzwanzig Mal neu frisiert, bevor sie zufrieden war.

Denn heute war der erste Tag ihres neuen Lebens. Heute um Punkt neun Uhr morgens sollte ein Auto kommen und sie zu dem Studio bringen, in dem sie den Rest des Produktionsteams kennenlernen und erste Schritte in Richtung Filmaufnahmen unternehmen würde.

Am Vorabend hatte Annie gedacht, sie hätte alles geklärt, was ihr entscheidend wichtiges erstes Outfit für den ersten Tag betraf. Sie hatte alles so sorgfältig bereitgelegt: die neue Bluse von Chloé, einen engen roten Rock, eine lila Strumpfhose und die schwarzen Lackleder-Stiefelchen, die erst einfach so sexy, so aufreizend und perfekt ausgesehen hatten. Aber jetzt, als sie die Stiefel vor dem mannshohen Schlafzimmerspiegel in die Höhe hielt, war sie nicht mehr so sicher. War dieses Outfit nicht ein bisschen übertrieben? Ein bisschen zu viel für den ersten Tag? Heute waren noch keine Filmaufnahmen vorgesehen, es ging nur um »Teamgespräche« und »Kennenlernen« und so. Das hatte Finn zumindest gesagt.

»Du bekommst doch keine Zweifel, oder?«, fragte Ed und stützte sich auf seinen Ellbogen auf, um Annie besser sehen zu können. »Du hast in den letzten Tagen Stunden um Stunden mit der Zusammenstellung deiner Fernsehgarderobe zugebracht, oder? Und waren nicht auch ein paar ausgesprochen teure Einkäufe dabei?«

»Ein paar davon gebe ich zurück«, erinnerte sie ihn.

»Ja … vielleicht keine schlechte Idee«, pflichtete er ihr bei.

An dem Abend, als sie mit den Neuigkeiten über ihren Fernsehvertrag und das magere Honorar von Svetlana zurückgekommen war, hatte sie ihnen beiden ein großes Glas Wein einschenken müssen.

Zuerst war Ed schockierter und enttäuschter als sie selbst gewesen.

»Willst du es trotzdem durchziehen?«, erkundigte er sich dann, beantwortete seine Frage aber selbst. »Natürlich willst du. Du hast bei The Store gekündigt, und es ist eine große Chance für dich.«

»Schaffen wir das?«, hatte sie überlegt. »Es sind nur drei Monate, und ich versuche, ein paar Sachen bei eBay zu verkaufen … So kommen wenigstens ein paar Pfund rein. Trotzdem bleiben aber noch die Hypothek und das Schulgeld und …«

»Du musst deine Chance beim Fernsehen nutzen. Wir schaffen das«, hatte er ihr versichert. »Ich habe ein paar Ersparnisse, die uns helfen, über die Runden zu kommen.«

»Du hast Ersparnisse?« Das verblüffte Annie.

Als Frau, die absolut an der Grenze ihres Budgets lebte, deren Kreditkarten allmonatlich Grund zur Sorge boten, war die Vorstellung von Ersparnissen einfach so befremdlich. Aber hier ging es ja auch um Ed, und Ed war eine völlig anders gestrickte Persönlichkeit.

»Warum weiß ich nichts von deinen Ersparnissen?«, hatte sie wissen wollen.

»Warum wohl nicht?«, fragte er mit einem Lächeln zurück. »Vielleicht, weil ich nicht will, dass meine Ersparnisse in ›wirklich tolle Investitionen‹ wie Miu-Miu-Schuhe oder Hermès-Handtaschen übertragen werden.«

»Ach, Hermès!«, hatte sie ihn aufgeklärt, »Hermès ist völlig out, nur Firmenanwältinnen schleppen diese Dinger noch mit sich herum.«

Nun, vor dem Spiegel, den engen orangeroten Rock in der einen und die Stiefeletten in der anderen Hand, musste Annie zugeben: »Ich habe Lampenfieber. Das ist gar nicht so ungewöhnlich, weißt du?«

»Stimmt«, pflichtete Ed ihr bei. Er warf die Bettdecke von sich und absolvierte sein liebenswertes Morgenritual, das daraus bestand, dass er gähnte, seine Arme reckte, sich dann mit einer Hand durch seinen verfilzten braunen Lockenschopf fuhr, bevor er aufstand und nackt hinter ihr Aufstellung nahm.

Er legte seine Arme um ihre Taille, gab ihr einen zärtlichen Kuss in den Nacken, und dann sahen sie einander im Spiegel vor ihnen an.

»Hör bitte auf, so viele Umstände zu machen!«, bat er. »Du wirst klasse aussehen, denn du siehst einfach immer klasse aus.«

»Aber nur, weil ich viele Umstände mache«, erklärte sie.

»Gut, ich weiß, aber mach dir bitte keine Sorgen! Du wirst brillieren. Ich weiß es einfach«, versicherte er ihr. »Du gehst unheimlich gut mit Menschen um, und im Fernsehen bist du bestimmt ein Naturtalent.«

Als Annie Eds warme Hände auf ihrem Bauch spürte, beruhigten sich ihre vibrierenden Nerven. Wenn seine warmen Hände sie hielten, konnte sie seinen besänftigenden Worten beinahe Glauben schenken. Manchmal hatte sie das Gefühl, alles zu können, wenn Ed sie nur unterstützte.

»Du bist klasse!«, ließ sie ihn wissen und legte ihre Hände über seine. »Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne dich tun würde.«

»Ohne mich wärst du genauso phantastisch«, beteuerte er.

»Nein, ganz bestimmt nicht!«, widersprach sie. »Und das sollst du auch wissen.«

Sie drückte einen Moment lang fest seine Hände. »Danke dafür, dass du so an mich glaubst«, sagte sie. »Das hilft mir sehr. Ganz bestimmt!«

»Zieh die Stiefel an!«, drängte er. »Und in diesem Rock liebe ich dich, darin sieht dein Po aus wie eine reife …« Um seine Worte zu betonen, kniff er sie in den Hintern.

Aber das gab ihr den Rest; sie ließ den Rock entsetzt zu Boden fallen. Wenn die Kamera ihrem ohnehin schon recht ansehnlichen Gesäß noch zehn Pfund hinzufügte, musste der Rock zu Hause bleiben.

»Lass uns einfach versuchen, in den nächsten paar Monaten kein allzu großes Loch in meine Ersparnisse zu reißen«, warnte Ed sie und sah zu, wie Annie den Rock beiseitewarf.

»Ja! Ganz bestimmt, denn ich werde so hart arbeiten«, entgegnete sie, »dass ich kaum Gelegenheit zum Einkaufen oder Geldausgeben habe.«

Daraufhin zog Ed die Brauen hoch und lächelte breit. »So, so … das wird ja interessant!«, murmelte er – überzeugt, dass Annie, nur weil sie nicht mehr in einem Modegeschäft arbeitete, kaum der Verführung durch schöne Dinge widerstehen würde.

»Und keinen Schwindel mit deinen Kreditkarten!«, ermahnte er sie. »Du bist auf ein sehr kleines Budget gesetzt!«

Mit einem Abschiedskuss ging er ins Bad, um zu duschen, und ließ Annie, immer noch panisch vor Unentschlossenheit, vor dem Spiegel zurück.

»KINDER!«, schickte sie einen lauten Ruf zur Zimmerdecke hinauf, denn Owen und Lana bewohnten Dachzimmer direkt über ihnen. »AUFSTEHEN

 

Es war zehn nach acht, als Ed, Lana und Owen endlich angezogen waren, gefrühstückt hatten und zur Schule aufbrechen konnten. Annie stand an der Haustür und gab jedem einen Abschiedskuss.

Zuerst kam Ed in seiner Musiklehrer-Uniform: Tweedjacke, schmale Seidenkrawatte, etwas ausgebeulte Chinos, eine abgeschabte Aktentasche in der Hand. Sein Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab, weil er es so mochte, doch Annie befahl ihm, still zu halten, nahm die kleine goldgerahmte Brille von seiner Nase und putzte sie.

»Mach schon!«, drängelte er. »Ich muss heute früh im Lehrerzimmer sein …«

»Uuuh, der Direktor gibt großartige Beförderungen bekannt!« Sie zwinkerte ihm zu.

»Nein, ich bin dran, Kekse mitzubringen.«

»Ah.«

»Tolle Leistung, wie?« Er legte ihr den Arm um die Taille und küsste sie herzhaft auf den Mund.

»Viel Glück, du machst das schon!«

Dann war Lana an der Reihe.

»Bye-bye, Schätzchen«, sagte Annie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Zurzeit war sie sehr stolz auf ihre Tochter. Die nervtötende, mürrische Gothic-Phase war vorüber, stattdessen hatte Annie jetzt eine vorbildliche Teenie-Tochter. Vielleicht war auch das nur eine Phase. Aber, bitte, bitte, diese Phase durfte gern ewig dauern!

Lanas lange schwarzgefärbte Locken waren einem naturbraunen stufigen Bob gewichen, ihre Schuluniform war adrett und gebügelt, der Rock endete in respektabler Knienähe. Außerdem arbeitete sie bewundernswert hart für ihre Prüfungen. Sie war kürzlich, als sie abends von der Party heimkamen, sogar gleich in ihr Zimmer gegangen, um Hausaufgaben zu erledigen.

Annie wusste, wem sie diese Veränderungen zum Besseren verdankte. Lana war mit diesem entzückenden Andrei zusammen gewesen (ja, ja, Annie hatte seinen Charme vielleicht nicht richtig zu schätzen gewusst, als Andrei noch Teil von Lanas Leben war), aber obwohl Lana und Andrei Schluss gemacht hatten, schien sein arbeitsamer, sportlicher Einfluss noch sehr positive Auswirkungen auf Lana zu haben.

Owen, inzwischen zwölf, hatte vielleicht seinerseits guten Einfluss nötig. Als Annie sich hinabbeugte, um ihm einen Kuss zu geben, stachen ihr sein viel zu langer, ungekämmter Haarschopf und sein Anorak ins Auge, halb an-, halb ausgezogen, die Kapuze verdreht im Kragen feststeckend. Sogar seine Taschen waren verdreht; die Riemen von Rucksack und Schwimmbeutel hatten sich auf dem Weg über seine Schultern verfangen. Er trug Schuhe, die noch genauso abgeschabt und verdreckt waren wie am Morgen des Vortags, als sie beschlossen hatte, sie einmal gründlich zu putzen. Und sie hatten immer noch Klettverschlüsse, weil Owens Kampf mit Schnürsenkeln beim eiligen Aufbruch zur Schule alle an den Rand des Wahnsinns getrieben hätte.

»Die Brotboxen!«, erinnerte Annie sich und hastete zurück in die Küche, um die drei Frühstücksschatullen zu holen.

Sie alle waren durchaus in der Lage, sich selbst ein Schulfrühstück zu bereiten, doch das blieb Annies Aufgabe. Gewöhnlich war sie nicht rechtzeitig zu Hause, um das Abendessen zu kochen, außerdem kochte Ed so gern, und deshalb floss Annies Liebe und Fürsorge eben in die Frühstücksboxen. Jeden Tag enthielten sie ein frisch zubereitetes Sandwich und einen Joghurt, dazu noch eine Auswahl an Extras: frisches Obst, Beeren oder Rohkosthäppchen in kleinen Tupperdosen. Oder Nüsse, Trockenobst, Saftpäckchen und immer auch eine kleine Besonderheit: eine abgepackte Süßigkeit, einen Schokoriegel, eine Mandarine mit einem eingeschnitzten Herzchen an der Seite, eine auf eine Serviette gemalte Reihe von Küsschen. Sie sollten wissen, dass sie, obwohl sie schwer beschäftigt war, unaufhörlich an sie dachte.

Als sie Owen seine Lunchbox reichte, musste Annie ihn fragen: »Was willst du mit dem Plakat?«, obwohl Ed die Haustür offen hielt und es wirklich Zeit war aufzubrechen.

»Lotterielose«, antwortete Owen.

»Ja, das sehe ich«, ließ Annie ihn wissen, denn das Wort LOTTERIELOSE stand in orange, rot und gelb ausgemalten Großbuchstaben auf dem Plakat, »aber wofür?«

»Ich bin im Öko-Komitee«, erklärte Owen lebhaft.

»Tatsächlich?« Annie hörte zum ersten Mal davon.

»Ja!«, bestätigte Ed. »Hat er es dir nicht erzählt? Er freut sich wie ein Schneekönig, sie veranstalten einen großen Ausverkauf …«

»Um Geld für den WWF zu sammeln«, ergänzte Owen.

Als Annie ihn fragend ansah, klärte Lana sie mit einem gereizten Seufzer auf: »Der World Wide Fund for Nature, Mum.«

»Wir müssen jetzt wirklich los«, erinnerte Ed.

»Na, das ist ja toll«, bemerkte Annie voller Stolz, »aber warum erfahre ich immer als Letzte von solchen Dingen?«

Ed zwinkerte ihr beruhigend zu. Er mochte es nicht, wenn sie sich selbst niedermachte. Sie war eine gute Mutter, nur ein bisschen sehr beschäftigt – wie so ziemlich jede Mutter, die er kannte.

»Eure Mum kauft heute Abend für zehn Pfund Lose«, versprach Ed Owen und drängte ihn zur Tür hinaus.

»Hey, ich dachte, ich wäre auf ein ganz kleines Budget gesetzt!«, warnte Annie.

»Wirst du jetzt gehen und dich anziehen?«, befahl Ed und tippte auf seine Armbanduhr.

Sobald ihre Familie sich für den Tag verzogen hatte, flüchtete Annie zurück nach oben ins Schlafzimmer. In einem Ausbruch von Panik durchwühlte sie ihre Garderobe, wählte etwa zwanzig verschiedene Outfits aus, kombinierte, probierte in einigen Fällen sogar an und verwarf ihre Wahl dann wieder.

Das war der Fluch der persönlichen Einkaufsberaterin: Annie stand unter zu großem Druck, das perfekte Outfit zu tragen.

Das Problem war, dass sie sich, was diesen Tag betraf, total unsicher fühlte. Es war ihr erstes Treffen mit allen Beteiligten … Musste sie sich in Schale werfen? Leger kleiden? Respekteinflößend auftreten? Oder liebenswürdig? Als Gleichberechtigte? Oder als der Star der Truppe? Sie hätte schreien mögen.

Sorgfältig begutachtete sie ihr letztes Outfit im Spiegel und überlegte, ob es das Richtige wäre. Nachdem sie fünf verschiedene Kleider und mehrere Röcke anprobiert hatte, trug sie jetzt Hosen, was äußerst ungewöhnlich für sie war. Sie war eine eingefleischte Kleiderträgerin. Doch die Hose mit den weitgeschnittenen Beinen sah mit High Heels, einer Weste und der flippigen pinkfarbenen Bluse ziemlich gut aus, und sie würde dazu noch ein paar Halsketten und ein langes wehendes Tuch umlegen. War das fernsehmäßig? Ein bisschen kreativ? Künstlerisch?

Vielleicht doch nicht.

Nein.

Sie musste sich umziehen – etwas anderes probieren.

Ein lauter Hupton drang in ihre Gedanken.

Sie waren da! Ihr Wagen war gekommen! Jetzt oder nie; sie musste ihre Handtasche holen und los. Sie sah in den Spiegel und fand die Hose abscheulich. Abscheulich! Es war ein grauenhafter Fehler. Trotzdem schnappte sie sich ihre liebste, luxuriöseste Handtasche, warf ihre Geldbörse hinein und lief aus dem Haus.

 

Am Straßenrand wartete ein ziemlich angeschlagen wirkender Kombi auf sie. Der Mann hinterm Steuer winkte ihr fröhlich zu. Als sie näher kam, kurbelte er das Fenster herunter und rief: »Hallo, Glamour-Girl, du bist dann wohl Annie Valentine?«

»Hallo«, erwiderte sie. »Bringst du mich zum Studio?«

»Ja, Bob Barratt, Kameramann von Wonder Women, stets zu Diensten.« Er salutierte scherzhaft, lehnte sich über den Beifahrersitz und öffnete ihr die Tür.

»Komm, setz dich neben mich, da ist es nett und freundlich, und du gehst nicht in all dem Gerümpel auf dem Rücksitz verloren.«

Annie stieg ein und schüttelte Bob begeistert die Hand. Mit einem Blick über die Schulter sah sie, dass der gesamte Rücksitz mit Ausrüstung vollgestopft war: Kameras, Kamerataschen, Dreibeine, Kabel, Leuchten und eine Auswahl an Jacken – wasserdicht, gewachst, Daunen, dazu ein Stapel Baseballkappen.

»Ich reise gern mit leichtem Gepäck«, witzelte Bob und ließ den Motor an. »Also … die Fahrt dauert vierzig Minuten. Zeit genug, uns kennenzulernen.« Er wandte sich ihr zu, lächelte sie vergnügt an und schob den Schirm seiner Baseballkappe höher, um Annie besser ansehen zu können. »Du wohnst ungefähr auf meinem Weg, deshalb meinte Finn, ich sollte dich abholen. Um die Taxikosten zu sparen, schätze ich. Ich glaube, Sparen ist die Devise bei dieser Show. Das ist mittlerweile allerdings beim Fernsehen überall das Gleiche … Ich bin seit achtundzwanzig Jahren im Geschäft und habe so etwas noch nie erlebt.«

»Seit achtundzwanzig Jahren? Du siehst nicht annähernd alt genug dafür aus«, versicherte Annie ihm rasch.

»Aha!« Bob tat das Kompliment mit einem Lachen ab.

Wenn er mit achtzehn angefangen hatte, müsste er jetzt etwa sechsundvierzig sein, schätzte Annie. Er war ein fit wirkender Sechsundvierziger, die enge Jeans und die robuste braune Lederjacke standen ihm gut. Stahlgraues Haar lockte sich unter der Kappe, Lachfältchen hatten sich tief in sein dunkel gebräuntes Gesicht eingegraben. Entweder fuhr er häufig in Urlaub, oder er war ein wettergegerbter Frischluftfanatiker-Typ. Er wirkte entspannt, lachte und scherzte gern, und deshalb versuchte Annie, sich ebenfalls zu entspannen.

»Du bist also neu beim Fernsehen?«, fragte Bob, als der Wagen sich in den fließenden Verkehr einfädelte.

»Ja, heute ist mein erster Tag«, gestand sie.

»Tja, die erste Regel lautet: Du musst sehr, sehr nett zum Kameramann sein«, meinte er scherzhaft. »Ich entscheide, aus welchem Blickwinkel ich dich filme, Mädchen. Es liegt an mir, ob du wie Marilyn Monroe oder wie Marilyn Manson aussiehst. Also sei nett!«

»Okay«, stimmte sie zu. »Wenn du mir dann bitte alles erklärst, was ich sonst noch wissen muss …«

 

Es dauerte gestrichene fünfzig Minuten, bis sie die Studios erreichten. Der Verkehr war dicht, und außerdem bestand Bob darauf, ein Drive-in aufzusuchen, um Kaffee und Frühstücksbrötchen für sie beide zu besorgen. »Man kann nie wissen, wann es das nächste Mal was zu essen gibt. Da muss man ordentlich frühstücken«, erklärte er.

Endlich war der Kombi geparkt, und Bob lud die schweren Kamerataschen und das Dreibein aus.

»Mir nach!«, forderte er sie auf. »Zeit, reinzugehen und die Familie kennenzulernen.«

Als sie sich an der Rezeption gemeldet hatten, spürte Annie, dass ihr vor Nervosität der kalte Schweiß ausbrach. Sie liefen durch mehrere enge Flure, bis Bob schließlich die Tür zu einem kleinen Raum öffnete, in dem es schon von Menschen wimmelte.

Zu ihrer Erleichterung sah Annie, dass Svetlana schon da war. Sie saß elegant auf einem Stuhl, nippte Tee aus einem Porzellantässchen und trug ein umwerfend glamouröses cremefarbenes Kleid. Mit hellen Farbtönen betonte Svetlana gern ihre blonden Haare, ihren makellosen Teint und ihre perfekten Kurven.

Bevor Annie auch nur ein »Hallo« herausgebracht hatte, baute sich ein dünnes Mädchen in enger grauer Jacke und schmal geschnittener Lederhose vor ihr auf, blickte kritisch an ihr rauf und runter und schnauzte: »Hosen?! Ich dachte, wir wären uns einig, dass in dieser Show ich die Hosen anhabe!«