2.
Svetlana in ihrem Fitness-Studio:
Weißer Catsuit aus Lycra (Move Dancewear)
Goldene Armbanduhr mit Diamanten (Cartier)
Einkarätige Diamant-Ohrringe (Ehemann Nr. 2)
Diamantring, drei Karat, mit Rubinen (Ehemann Nr. 3)
Geschätzte Gesamtkosten: 197 600 £
»Vielleicht solltest du mit mir trainieren …«
Die Taxifahrt von der Harley Street bis Mayfair führte zwanzig Minuten lang durch einige der allerschicksten Straßen von London. Vorbei an den Flagship-Stores von Oxford Street, an den eleganten Autosalons von Park Lane entlang und durch Straßen mit den vornehmsten, imposantesten roten Backsteinhäusern, die London zu bieten hat.
Durch stille Straßen, an denen schwarze Geländer auf Hochglanz poliert, wo Haustüren dunkel und glänzend wie Lackleder waren und selbst die Pflanzen und Blumen in den Fensterkästen manikürt wirkten.
Und dann die Fußgänger! Standen womöglich Wachtposten an der Grenze zu Mayfair, um Leute abzuwehren, die ihr Haar nicht gestylt und mit Strähnchen aufgefrischt, kein topmodisches Designer-Outfit angezogen und keine sehr, sehr teure Handtasche gekauft hatten?
Der Taxifahrer hielt vor einem Haus, das so imposant war, dass Annie noch einmal die Hausnummer überprüfte, bevor sie sich traute zu klingeln.
Ja, laut dem Zettel, den sie hinten in ihr großes ledernes Filofax gesteckt hatte, war Nummer sieben eindeutig richtig. Du liebe Zeit, sie musste aktualisieren, ihren Terminplaner aus Leder und Papier ausrangieren und einen weiteren Vorstoß in die digitale Datenwelt wagen! Inzwischen konnte sie doch sicher mit einem BlackBerry umgehen, oder? Die gab es sogar in Pink, und sie würde immer alle Daten auf der Stelle sichern, damit es nie wieder zu einem Totalverlust-Trauma kam wie seinerzeit bei ihrem ersten Palm Pilot.
Als die glänzend schwarze Tür sich öffnete, wurde Annie von einem Hausmädchen – klein und zierlich, vermutlich Filipina – in schwarzem Kleid mit weißem Schürzchen in Empfang genommen.
»Ms. Valentine?«, fragte das Mädchen mit einem Lächeln. »Ms. Wisneski erwartet Sie. Treten Sie bitte ein und fühlen Sie sich wie zu Hause.«
»Danke«, sagte Annie und schenkte dem Mädchen ein Lächeln, soweit es das frische Botox denn zuließ.
Immer noch schwer beladen mit ihren vier prall gefüllten Einkaufstüten, schob Annie sich in die Eingangshalle, wo sie staunend stehen bleiben musste.
Augenscheinlich waren Wände entfernt und Dachflächenfenster eingesetzt worden. Clevere, sehr teure Architekten hatten hier gewaltet. Obwohl Annie durch die Tür eines viktorianischen Backsteinhauses eingetreten war, befand sie sich jetzt in einer strahlend weißen modernen Création. Und die Gemälde! Sie kamen ihr bekannt vor, so als hätte sie sie schon einmal an den Wänden einer Galerie gesehen.
Svetlana – groß, ganz die üppige, hinreißende Schönheitskönigin, eigenen Angaben zufolge »paarunddreißig« Jahre alt – war bisher dreimal verheiratet gewesen, mit immer reicheren Männern, die entweder gestorben waren oder sie immer jüngerer und schönerer Frauen wegen verlassen hatten. Am Ende ihrer dritten Ehe hatte sie sich einen eigenen Anwalt genommen und vor dem Scheidungsgericht eine achtstellige Abfindung verlangt, was die Daily Mail zu der Schlagzeile inspirierte: »Unersättliche Exfrau zapft Vermögen des Gasbarons an«. Das hatte ihr ein Fotoshooting in ihrem Haus fürs OK!-Magazin eingebracht und seither jede Menge Beachtung in der Presse.
Schließlich war sie immer noch die Mutter von Igor Wisneskis zwei Söhnen. Und die kleinen Jungen (neun und sieben Jahre alt) stellten die einzigen direkten Erben eines gigantischen Vermögens dar.
Svetlanas Schlacht vor dem Scheidungsgericht zeitigte eine weitere glückliche Folge. Sie war jetzt mit Harry Roscoff verlobt, dem kürzlich geschiedenen (einzig Svetlanas Schuld) Kronanwalt, der ihren Fall übernommen und so erfolgreich ausgefochten hatte. Svetlanas vierte Ehe versprach sehr anders zu werden. Harry bestand jetzt schon darauf, dass sie sich unabhängigen Rechtsbeistand suchte, um zu gewährleisten, dass sie, ganz gleich, wie diese Beziehung sich entwickelte, ihre hart erkämpften Vermögenswerte behielt und nie wieder eine mittellose Exfrau wurde.
»Was nicht heißt, dass ich dich jemals verlassen würde, mein Liebling«, hatte er beteuert. »Aber wenn du mich verlässt, kannst du alles behalten. Dann wäre mein Lebens sowieso nicht mehr lebenswert.«
Dieses Mal würde Svetlana trotz der bevorstehenden Hochzeit nicht umziehen und ganz bestimmt nicht verkaufen. Ihr Haus in Mayfair bildete ihre Sicherheit. Harry würde bei ihr wohnen.
»Glaubst du, ich lasse dieses ewige Heiraten umsonst über mich ergehen?«, hatte sie Annie gefragt.
»Warum noch einmal heiraten?«, wollte Annie wissen. »Wenn Harry dein Mann ist, kann er eines Tages Ansprüche auf deinen Besitz geltend machen.«
»Nein. Haben wir Vertrag«, versicherte Svetlana, bevor sie mit ihrem reizendsten Lächeln hinzufügte: »Ich liebe Hochzeiten! Bin ich so gerne Braut!«
Wie seine Besitzerin, so war auch das Scheidungsabfindungshaus zum Sterben schön, extrem pflegeintensiv und absolut geschmackvoll … wenn auch einen Hauch extravagant. Annies Blick wanderte zum Treppenhaus, in dem die ursprünglichen Holzstufen und -geländer durch eine Konstruktion aus Schmiedeeisen und Marmor ersetzt worden waren.
»Ms. Wisneski ist mit ihrer Trainerin oben«, erklärte das Mädchen.
»Ach so.« Annie versuchte noch einmal zu lächeln. »Soll ich irgendwo warten, bis sie fertig ist?«
»Nein, nein«, wehrte das Mädchen ab, »sie möchte, dass Sie zu ihr hochkommen.«
Also folgte Annie der zierlichen Frau die Treppe hinauf. Ihre Schritte hallten auf dem glänzenden grauen Marmor.
Das Mädchen öffnete eine Tür im ersten Stock und meldete Annie an. »Miss Valentine für Sie, Miss Wisneski.«
Während Annie den riesigen weißen, mit Matten, Spiegeln und einer komplizierten Hantelbank, die aussah wie ein Foltergerät, ausgestatteten Raum auf sich wirken ließ, jubelte Svetlana begeistert: »Annnnah!« Sie kam nicht zu ihr, um sie wie üblich mit einem Schnellfeuer ukrainischer Küsschen zu begrüßen, aber schließlich befand sie sich auch in Krebsstellung mit hängendem Kopf hintenübergebeugt.
»Hallo, meine Liebe«, begrüßte Annie sie. »Wie geht’s?«
»Gut!«, beteuerte Svetlana schwer atmend. »Lisa trainiert gerade meine Bauchmuskeln. Ich bezahle sie, damit die Muskeln stark werden wie bei Tänzerin.« Sie klatschte sich auf den Bauch, der so flach und fest war, dass es klang, als hätte sie mit der flachen Hand gegen eine Mauer geschlagen.
»Und sechsundzwanzig … achtundzwanzig … dreißig und hoch!«, bellte Lisa. Sie war eine zierliche Blondine mit straffer Figur, wie man sie nur bei eingefleischten Fitness-Fanatikerinnen wie Madonna oder Paula Radcliffe sieht.
Svetlana sprang auf die Füße, in einen weißglänzenden Catsuit gekleidet, der alles preisgab, was sie an Wölbungen, Nippeln und atemberaubenden Kurven aufwies, die ihr zur Miss Ukraine und manch anderem Titel danach verholfen hatten.
»Und Plié!«, kommandierte Lisa.
Gehorsam schlug Svetlana die Hacken zusammen, richtete ihre Zehen nach außen und begann, elegant die Beine zu beugen und zu strecken. Erst nach dem etwa vierzigsten Mal zeigte sie einen Hauch von Erschöpfung.
Annie sah mit unverhohlener Bewunderung zu. Sie wusste genau, dass sie Mühe haben würde, auch nur einen dieser Pliés auszuführen, geschweige denn an die hundert.
»Du warst shoppen!« Ohne den Rhythmus ihrer Übungen zu unterbrechen, wies Svetlana auf Annies Einkaufstüten.
»Ja!« Annie stellte die Taschen ab und fing eifrig an, sie auszupacken. Es war durchaus vorstellbar, dass sie im Fernsehen neben Svetlana wie ein Fettsack rüberkam, aber dann wollte sie doch wenigstens einen unglaublich gut gekleideten Fettsack abgeben.
»Ja! Oh ja! Hinreißend!«, jubelte Svetlana, als Annie ihr ein Kleid zeigte, dann die Stiefel und zuletzt den Rock.
In der Zwischenzeit setzte Lisa den Fluss ihrer strengen Anweisungen fort, und Svetlana begann, niedliche Hanteln in hundert verschiedene Richtungen zu stoßen, um Rücken und Armen die unglaublich erotische Prägung zu verleihen, die sie auf Annies Drängen früher in trägerlosen Valentino- und rückenfreien Armani-Kleidern vorgeführt hatte.
»Und mein Kopf«, Annie deutete auf ihre starre Stirn, »fällt dir was auf?«
»Jetzt ja«, antwortete Svetlana nach näherer Inspektion. »Du wirst im Fernsehen wunderbar aussehen«, vor Begeisterung klatschte sie zart in die Hände, »aber vielleicht solltest du mit mir und Lisa trainieren. Es heißt, Fernsehkameras machen dich um zehn Pfund dicker.«
»Oh!«, entfuhr es Annie leicht erschrocken. Insgeheim hatte sie gehofft, ihr brandneues extrastarkes Miederhöschen würde dem fleischigen kleinen Ersatzreifen um ihre Mitte den Garaus machen.
»Stört Lisa nicht, solange ich ihr ordentliches Weihnachtsgeld gebe. Sehr ordentliches«, fügte Svetlana mit einem Zwinkern in Lisas Richtung hinzu.
Lisa wandte sich Annie zu und musterte sie wenig schmeichelhaft von oben bis unten. Die Vorstellung einer zusätzlichen Klientin beim Training behagte ihr ganz eindeutig nicht besonders.
»Tja, ich müsste sie zuerst einschätzen«, überlegte Lisa, »und ärztlich untersuchen. Das kostet extra.«
»Ach, Lisa!«, rief Svetlana aus. »Bei Lisa kostet alles extra.«
»Ich habe eine lange Warteliste«, rechtfertigte Lisa sich und ergänzte mit einem hyperkritischen Blick zu Annie: »Und ich arbeite nur mit engagierten Klientinnen.«
Einer eingehenderen Beschäftigung mit dem alptraumhaften Szenario des gemeinsamen Trainings wurden sie durch das laute Piepen von Svetlanas Telefon enthoben.
Das zumindest vermutete Annie hinter dem winzigen glänzenden Stückchen Chromtechnologie, das Svetlana an sich riss und an ihr Ohr klemmte.
»Hallo, Svetlana hier … Ach, Finn! Wie schön, von dir zu hören! Ja, Annie ist bei mir.«
Nach einem Tastendruck konnte Annie Finn nun auch hören.
Urplötzlich bekam sie kaum noch Luft. Das war zu viel. Ihr war, als würde viel zu viel von diesem Anruf abhängen.
»Tolle Neuigkeiten, Kinder!«, begann Finn in seinem ewig optimistischen Tonfall. »Die Verträge sind endlich unterzeichnet. Puh! Wir sind startklar. Wir legen endgültig mit sechs Folgen von Wonder Women los. Wird zuerst auf dem Sender Home Sweet Home ausgestrahlt.«
Svetlana und Annie warfen sich einen bestürzten Blick zu. Home Sweet Home? Davon hatten sie beide noch nie gehört.
»Was soll das?«, fiel Svetlana ihm ins Wort. »Das ist nicht Channel Five.«
»Ähm … nein, ich weiß«, musste Finn zugeben, »das ist einer der kleineren Digitalsender. Aber er befindet sich total im Aufwind, und ich glaube, er hat genau die richtige Anhängerschaft für diese Sendung.« Wieder schien er vor Begeisterung überzusprudeln. »Wir sind überzeugt, dass einer der großen Sender die Show kaufen wird. Home Sweet Home ist erst der Anfang! Das sind doch großartige Neuigkeiten, Kinder! Glückwunsch! Juhuu!«, fügte er hinzu.
Annie und Svetlana lächelten einander unwillkürlich zu.
»Tja, nur noch eine kleine Sache …«, fuhr Finn fort. »Sie waren nicht glücklich damit, dass wir völlig unbekannte Gesichter einsetzen wollen. Damit wir einen etwas größeren Namen mit dabeihaben, müssen wir auf jeden Fall noch eine Co-Moderatorin hinzuziehen.«
Annie hatte Herzklopfen vor Panik. War das gut? War es schlecht? Sie hatte keine Ahnung. Dann würden also nicht nur sie und Svetlana moderieren … sondern noch jemand.
»Kennt ihr Miss Marlise?«, erkundigte Finn sich.
Während Svetlana den Kopf schüttelte, schoss Annie eine herrschsüchtige, miesepetrige Domina in den Kopf. Miss Marlise? War sie nicht mal in einer Sendung, die die Kinder …?
»Aus Der Lehrling?«, bohrte Finn weiter.
Ach du liebe Zeit! Annie erinnerte sich an sie. Sie war schrecklich. Eine Hexe durch und durch.
»Tja, sie ist dabei«, erklärte Finn, »und jetzt heißt es: Volle Kraft voraus! Ihr müsst nur noch eure Verträge unterschreiben, dann können wir mit der Recherche beginnen, und danach folgen so bald wie möglich die Dreharbeiten.«
»Und was kriegen wir bezahlt?«, fragte Svetlana unverblümt, obwohl sie Annie längst gestanden hatte, dass sie es gratis tun würde, weil sie schon immer, immer, seit sie in einem silbern glitzernden Bikini über das Miss-World-Podium geschritten war, ins Fernsehen gewollt hatte.
»Tja … hm … Miss Marlise hat offensichtlich einen guten Namen und daher einen großen Teil unseres Moderatorinnen-Budgets aufgesaugt«, setzte Finn inzwischen leicht zögerlich an, »und außerdem sind wir im Moment nur auf Home Sweet Home. Aber, Kinder, glaubt mir: Wenn ein größerer Sender die Serie kauft, ist für uns alle viel mehr Geld im Pott!«
Annie spürte, wie sich ihre Nägel in die Handflächen gruben. Das alles hörte sich nicht gut an. Das versprach nicht gerade das große Honorar, mit dem sie gerechnet hatte, oder? Was soll’s?, sagte sie sich, es war ein Anfang, und manchmal musste man Rückschläge hinnehmen, um weiterzukommen.
»Also«, Finn hielt inne, um Luft zu holen, »genau. Okay, für die ersten sechs Folgen, die etwa drei Monate Drehzeit benötigen werden, zahlen wir euch eintausendzweihundert Pfund pro Folge …«
Annie übte sich im Kopfrechnen. Sechs mal eintausendzweihundert Pfund, das ergab lediglich siebentausendzweihundert Pfund insgesamt! Das war schrecklich – viel, viel schlimmer als erwartet. Es entsprach etwa einem Viertel von dem, was sie angenommen hatte. Und sie hatte ihre Stelle gekündigt!
»Für euch beide zusammen«, ergänzte Finn.
Für sie beide zusammen? Wie sollte Annie drei Monate lang für nur dreitausendsechshundert Pfund arbeiten? Sie senkte den Blick auf ihre Einkaufstüten. Sie hatte gerade tausend Pfund mehr als das ausgegeben.
Trotz ihrer gelähmten Gesichtsmuskeln und der Warnung der Ärztin schaffte Annie es, »WIE BITTE?!« zu brüllen, auf eine Art, die ihre Wut, ihren Schock und ihre äußerste Empörung vortrefflich zum Ausdruck brachte.