26.

Nikki in der Bahn:

Geblümte Bluse (Mango)

Jeans (Evisu)

Schwarze Stiefeletten (Hobbs)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 230 £

»Ich sitze im Bummelzug nach Nirgendwo.«

Es war 16:30 Uhr, als der Personenzug endlich in Glasgow in den Hauptbahnhof einfuhr. Andere, bedeutend schnellere Züge waren an ihnen vorbeigeschossen und hatten Passagiere in brandneuen Waggons in weniger als fünf Stunden nach Glasgow verfrachtet. Doch Annie, Bob und Nikki mit ihren preisgünstigen Fünfundvierzig-Pfund-Tickets waren gemächlich nach Schottland hinaufgezockelt, mit Aufenthalt an jedem kleinen Bahnhof an der Strecke.

Annie fühlte sich zerknautscht, gelangweilt, vergiftet, dehydriert und grauenhaft.

»Ich sitze im Bummelzug nach Nirgendwo«, hörte sie Nikki am Telefon klagen, »und meine Karriere auch.« Hätte Annie sechseinhalb Stunden im Flugzeug verbracht, könnte sie inzwischen in New York sein! Stattdessen trat sie jetzt mit Nikki, Bob und seiner gesamten Kameraausrüstung in einen höhlenartigen viktorianischen Monsterbahnhof.

Und Finn, Svetlana und Miss Marlise waren geflogen! Darüber war sie immer noch empört. Sie waren schon vor Stunden in Glasgow gelandet.

»Ich will mit den Mädels ein bisschen die Drehorte erkunden«, hatte Finn offenbar Bob erklärt. »Ich nehme meine Kamera mit, und wenn wir gute Stellen finden, mache ich Vor-Ort-Aufnahmen, um Zeit zu sparen.«

Annie musste ihren verletzten Stolz wie einen Kloß hinunterschlucken, als sie das hörte.

Es war – als hätte sie das nötig! – ein weiterer Beweis dafür, dass Finn sie nicht leiden konnte. Trotz ihrer hervorragenden Arbeit mit Cath und Jody hatte Finn ihr wegen Tina noch nicht verziehen und würde es vielleicht auch nie tun. Womöglich wurde sie für den Rest der Drehzeit zur Garderobiere degradiert. Vielleicht tauchte sie nur noch im Hintergrund auf? Beim Einkleiden der Frauen, aber ohne ein Wort vor der Kamera zu sagen.

Bei diesem Gedanken schnürte der verletzte Stolz ihr erneut die Kehle zu.

»Endlich in Schottland!«, hatte sie Ed per SMS mitgeteilt, als der Zug in den Bahnhof rollte … denn sie wollte in Kontakt bleiben, ohne ihm das Gefühl zu geben, dass etwas sie zwanghaft beschäftigte.

Aber da war etwas, das sie zwanghaft beschäftigte.

Annies Hauptsorge lautete: Was würde Elena während ihrer, Annies, Abwesenheit mit ihrer Familie machen? Würde sie Lana von ihren Prüfungsvorbereitungen weg in den Strudel des Londoner Nachtlebens locken?

Und wie stand es mit Ed? Er war völlig immun gegen die Reize von kichernden Sechstklässlerinnen, doch Annie gefiel nicht, wie Elena ihn anlächelte, ihn zu mustern schien, wenn er nicht hinsah …

»Die macht Ärger«, hatte Annie ihm zugeflüstert. »Bitte verlieb dich nicht in sie, wenn ich weg bin, ja?«

»Annie! Du bist drei Nächte weg«, hatte Ed lachend erwidert. »Ich glaube, ich werde mit Miss Röhrenjeans fertig, solange du fort bist. Aber wie lange bleibt sie überhaupt bei uns? Hat Svetlana sich dazu mal geäußert?«

»Nein, aber keine Sorrrge, frrrrag ich, wenn ich sie sehe«, hatte Annie ihm versichert.

 

Als Annie mit Nikki und Bob im Novotel eintraf, wollte sie vor dem ersten Instruktionstreffen nur noch rasch in ihr Zimmer und unter die Dusche. Sie fühlte sich schäbig und schmuddelig. Und selbst wenn Grunge ein Comeback haben sollte, was mit Gewissheit bevorstand, wenn die Achtziger-Nostalgie sich jetzt dem Ende zuneigte, würde sie da nicht mitmachen.

Ihr Look war nicht Grunge, sondern erwachsen: schick, gepflegt und souverän.

»Annie Valentine«, meldete sie der Empfangsdame, während Bob und Nikki ihre Schlüssel entgegennahmen. Die Empfangsdame tippte auf ihrer Tastatur und machte plötzlich ein verwundertes Gesicht.

»Ich gehöre zum Filmteam, wir haben gemeinsam gebucht«, fügte Annie in dem Versuch zu helfen hinzu.

»Ja.« Die Rezeptionistin tippte wieder eifrig, schien aber nichts Brauchbares zu finden. »Wer hat die Zimmer gebucht?«, fragte sie.

»Donnie Finnegan«, antwortete Annie, in der Annahme, dass es stimmte.

»Ich rufe ihn an«, informierte die Frau sie lächelnd, nahm den Telefonhörer ab und wählte die Nummer auf dem Monitor vor ihr.

»Hallo, spreche ich mit Mr. Finnegan?«, erkundigte sie sich. »Hier Novotel, Rezeption. Eine Annie Valentine fragt nach einem Zimmer … ja … ja, gut … Okay, danke, Mr. Finnegan.«

Als sie den Hörer aufgelegt hatte, sah die Empfangsdame Annie an und erklärte: »Er kommt runter.«

»Er kommt runter?«, wiederholte Annie. Das machte sie stutzig. »Lässt sich das denn nicht am Telefon klären?«, wollte sie wissen.

»Doch, schon, aber ich glaube, er möchte Sie sprechen«, erwiderte die Rezeptionistin.

Warum hat er die unterlassene Buchung des Zimmers eigentlich nicht beanstandet?, fragte Annie sich. Hatte er es gewusst?

Oh nein!

Vielleicht war sie gar nicht hier untergebracht.

Vielleicht gab es an der nächsten Ecke ein noch billigeres Hotel, und die arme alte Annie Valentine sollte dort wohnen, weil, nun, weil? Weil es im Novotel eben nicht genug freie Zimmer gab.

Annie begann den Empfangsbereich zu umrunden. Sie sah sich flüchtig in einem glänzenden Raumteiler aus Glas. Sie wollte duschen! Sie musste duschen! Selbst die straffen Aufschläge ihres schwarzen Regenmantels schienen während der Zugfahrt schlaff geworden zu sein.

Wieder einmal stellte sie ihren Pferdeschwanz in Frage. War er richtig für sie? So lange war er genau richtig gewesen, aber war er es jetzt auch noch?

»Annie!«, brach Finn in ihre Gedanken ein. Er trug seine Lederjacke, sein treues Klemmbrett und seinen Bluetooth im Ohr. Das alles sollte ihr signalisieren, dass er schwer beschäftigt war und wichtige Entscheidungen treffen musste.

»Hol dein Gepäck, ich bringe dich über die Straße!«, wies er sie an.

Sie hatte es gewusst. Dieses verflixte Hotel war ausgebucht, verdammt, und sie wurde noch beschissener untergebracht! Leider durfte sie ihrer Wut oder Missbilligung nicht Ausdruck verleihen, denn im selben Moment begann Finn hastig zu reden, und sie vermutete, dass er nicht mit sich selbst, sondern mit einer Stimme in seinem Kopfhörer sprach.

Vielleicht wird Finn über das Headset ferngesteuert, überlegte Annie, als sie ihm aus dem Hotel und über die Straße in eine kleine Bar folgte. Es war eine nette Bar; unter normalen Umständen hätte sie sich gern in eine Bar wie diese mit traditionellem Holzfußboden und Armaturen aus Holz, Leder und Messing einladen lassen. Die Atmosphäre war ruhig und gemütlich. Aber die Vorstellung von einem Plauderstündchen mit Finn über ihr beschissenes Hotel und ihre neue Stellung als Garderobiere war nicht gerade verlockend, so hübsch die Umgebung auch sein mochte.

»Entschuldige, ich muss jetzt aufhören«, ließ Finn seinen Anrufer wissen und wandte sich mit verkrampftem Lächeln Annie zu. »Was willst du trinken?«, fragte er.

»Ich brauche eigentlich keinen Drink. Eine Dusche wäre mir lieber«, antwortete sie.

»Nein, nein, ich möchte dich zu einem Drink einladen. Glas Wein?«, schlug er vor.

»Na ja … okay«, stimmte sie zögernd zu.

Was zum Teufel ging hier vor? Wollte er sich womöglich entschuldigen? Vielleicht hatte er sich den Tina-Film noch einmal angesehen und erkannt, wie phantastisch er war? Vielleicht durfte sie dann auch ins Flugzeug …

Zwei Gläser Wein in den Händen, führte Finn Annie jetzt zu einer Nische im hinteren Bereich der Bar.

Kaum hatte sie Platz genommen, legte Finn los. Er wollte sich eindeutig nicht lange aufhalten.

»Annie, es tut mir wirklich leid«, hob er an, »aber wir müssen dich gehen lassen.«

Dich.

Gehen.

Lassen.

Gehen? Im Geiste wiederholte sie die Frage.

Wohin gehen?, überlegte sie in Panik.

Gehen lassen?

Aber sie wollte nicht gehen. Hatte bestimmt nicht darum gebeten.

Dich.

Gehen.

Lassen.

Was sollte das?

Alles schien sich in Zeitlupe abzuspielen. Selbst Finns Worte schienen vereinzelt, viel zu langsam, mit langen Pausen dazwischen von seinen Lippen zu tropfen, so dass Annies Gedanken Zeit hatten, sich zu überschlagen.

Wollte er sie feuern? Wurde ihr die Fernsehshow unter den Füßen weggezogen? War jetzt alles vorbei?

»Mich gehen lassen?«, wiederholte sie völlig verwirrt, und sah ihn irritiert an.

»Es tut mir so leid«, sagte Finn noch einmal, »aber das Budget wird knapper und knapper. Jeden Tag arbeite ich mit weniger Geld als am Tag zuvor.«

»Aber du kannst doch kaum Geld sparen, indem du mich loswirst … Ich habe einen Vertrag …«, platzte sie heraus.

Die Gesamtsumme von dreitausendsechshundert Pfund stand ihr doch trotzdem zu, oder? Sie hatten zwei Drittel des Drehplans abgehakt, und außerdem hatte sie sich den ganzen Weg bis hinauf nach Glasgow bemüht.

»Natürlich wirst du für geleistete Arbeit bezahlt«, erklärte Finn vorsichtig, »aber du wirst sicher einsehen, dass … hm … wir dir gemäß den vertraglichen Vereinbarungen nicht mehr bezahlen müssen.«

Ein paar Sekunden herrschte Schweigen zwischen ihnen.

Trotz des schrecklichen flauen Gefühls im Magen hörte Annie sich fragen: »Aber wird das nicht ein bisschen merkwürdig rüberkommen? Sieh mal – in der ersten Episode schickst du mich einkaufen und lässt mich die Garderobe der Kandidatinnen durchsehen, und dann soll ich einfach verschwinden?«

»Nun, ja, das werden wir ansprechen müssen«, faselte Finn. Er griff nach seinem Glas und trank einen großen Schluck Wein.

»Du willst mich rausschneiden!«, fuhr Annie ihn an. »Du willst all die cleveren Outfits verwenden, die ich ausgesucht habe, aber mich rausschneiden, stimmt’s?«

Plötzlich gab Finn sich total mitfühlend, als wäre er ihr bester Freund – diese Ratte!

»Es ist schrecklich, es ist einfach nur schrecklich!«, pflichtete er ihr bei. »Und es tut mir so furchtbar leid. Wenn ich geahnt hätte, wie eng der finanzielle Spielraum sein würde, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, drei Moderatorinnen einzusetzen. Ich kann mir ja kaum eine leisten. Miss Marlise hat einen wasserdichten Vertrag, und zum Glück hat Svetlana sich zum Verzicht auf ihr Honorar bereit erklärt. Ich muss sie behalten, weil sie uns so große und nützliche Publicity einbringt …«

Während Finn sich weiterhin in Betteln und Entschuldigungen erging, konnte Annie nur denken: Marlise hat einen wasserdichten Vertrag, und Svetlana ist bereit, umsonst zu arbeiten! Annie Valentine, du bist das schwächste Glied in der Kette. Also tschüss!

»Tja, ich habe den Vertrag unterschrieben, den du mir vorgelegt hast«, betonte Annie. »Ich habe dir vertraut.«

Darauf folgte eine Pause, die Finn nicht zu überbrücken versuchte.

»Ich kann es mir nicht leisten, umsonst zu arbeiten«, erklärte Annie hoch erhobenen Hauptes und in dem Bemühen, sich einen Rest Würde zu bewahren, obwohl sie sich fühlte, als hätte sie einen Schlag in den Magen bekommen, und sicher war, dass ihr gerötetes Gesicht es verriet.

»Nein, das habe ich mir gedacht …« Finn trank noch einen Schluck aus seinem Glas. Ihm war sichtlich unbehaglich zumute; sein Blick huschte immer wieder zur Tür, als drängte es ihn verzweifelt dort hinaus.

»Du warst gut im Fernsehen«, fügte er hinzu, doch Annie hätte gern auf die Vergangenheitsform verzichtet. Ihre TV-Karriere war eindeutig zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

»Es ist nicht nur wegen des Budgets«, fuhr Finn schließlich fort. »Tina hat ein Video von ihrem Umstyling bekommen, und Marlise hat mich wissen lassen, dass es deine Idee war.«

»Ach!«

Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht auch noch Bob in Schwierigkeiten gebracht hatte.

»Ich habe Bob dazu überredet«, erklärte sie, in der Hoffnung, den Kameramann rauspauken zu können. »Ich wollte Tina nur eine Freude machen«, sagte sie leise, nicht, dass irgendetwas sie jetzt noch hätte retten können. Sie war nichts weiter als eine neuerliche notwendige Budgetkürzung.

Annie sah zu, wie Finn noch einen großen Schluck aus seinem Glas nahm, und dann fiel ihr noch eine Frage ein.

»Hättest du mir das nicht in London sagen können?«

»Ich rede gern persönlich mit Leuten, wie ein Erwachsener«, antwortete die Ratte.

»Und … hast du keine Heimreise organisiert?«, hakte Annie nach. Je heftiger sie sich bemühte, nicht zu weinen, desto grimmiger und eisiger wurde ihr Tonfall.

»Ah …«

Vielleicht hatte er es nicht getan. Vielleicht war Finn blöd genug zu glauben, er könnte jemanden auf eine sechseinhalbstündige Bahnfahrt schicken, um ihn dann zu feuern und im luftleeren Raum verschwinden zu lassen.

»Du kriegst bestimmt noch einen Flug. Easyjet … die starten und landen doch am laufenden Band. Und die sind billig … denn natürlich können wir die Kosten nicht … äm …«, er hustete, »du verstehst schon.«

Nein. Sie verstand ganz bestimmt nicht. Überhaupt nichts. Sie verstand nicht, warum sie gefeuert wurde, obwohl sie die Moderatorin war, die für so wenig Geld die meiste Arbeit geleistet hatte! Sie verstand nicht, warum Finn sie nicht am Morgen angerufen hatte, um ihr diese Demütigung zu ersparen, ganz zu schweigen von ihren Kosten für die Rückreise nach London.

»Ich dachte, ich leiste gute Arbeit.« Sie wählte ihre Worte sorgfältig, um noch ein letztes Mal für ihre Sache einzutreten. »Die Frauen sahen großartig aus, nachdem ich sie gestylt hatte, ich habe nie das Budget überzogen, und sie haben sich mir geöffnet.«

Finn zupfte an seinem Ohrläppchen und war zumindest so anständig, leicht verlegen zu werden.

»Es tut mir leid, Annie. Ich stecke in einer prekären Situation. Ich habe kein Geld.«

»Tja«, war alles, was Annie zunächst herausbrachte, »das alles war hochinteressant.«

Sie erwog, in ihren Mantel zu schlüpfen, nach ihrer sehr hübschen Handtasche zu greifen und die Bar zu verlassen. Doch dann fasste sie einen besseren Plan.

»Gut, Finn, du kannst jetzt gehen«, sagte sie fest. »Ich komme zurecht.«

Sie sah zu, wie Finn hastig nach Jacke, Klemmbrett und seinem übrigen Krimskrams griff, während sie ruhig sitzen blieb. Jetzt sonderte er, von schlechtem Gewissen getrieben, Entschuldigungsfloskeln ab. »Das tut mir alles so leid … Du kommst doch klar, oder? Du kommst sicher zurück nach London? Natürlich hoffe ich, dass wir in Zukunft mal wieder zusammenarbeiten werden.«

Darüber hätte Annie laut lachen mögen. Mit diesem schwachen, betrügerischen, hinterhältigen Einfaltspinsel noch mal zusammenarbeiten? Eher nicht.

Er stolperte aus der Bar, während sie blieb und ihm äußerst gefasst nachblickte. Ja, so war es viel, viel besser. So konnte sie in der tröstlichen Stille ihrer Nische zusammenbrechen. Hätte sie die Bar verlassen, wäre ihr Zusammenbruch mitten im Getümmel der Straße erfolgt.

Annie schlug die Hände vors Gesicht und entschied, dass es ganz okay wäre, wenigstens ein paar Minuten lang ein bisschen zu weinen.

 

»Aber, aber, Kleine … so schlecht ist der Wein doch nicht?«

Sie blickte auf und sah den Barmann, einen breiten Kerl mit rasiertem Schädel in schwarzem Polohemd, neben ihrem Tisch stehen.

Sie lächelte trotz allem.

»Nein«, erwiderte sie, »ich glaube, ich möchte noch ein Glas.«

»Noch ein Schlückchen Charrrdonnay für die Dame, kommt sofort. Sehe ich das richtig? Der Kerl kommt nicht wieder?«, fragte der Barkeeper. Er nahm die zwei leeren Gläser vom Tisch und zwinkerte Annie zu. »Sei froh, dass du ihn los bist! Andere Mütter haben auch schöne Söhne.«

»Genau«, stimmte Annie zu, nicht unbedingt erpicht darauf, gerade jetzt dem Barkeeper ihr Herz auszuschütten.

Das Handy in ihrer Tasche piepste.

»Siehst du!«, er zwinkerte ihr noch einmal zu. »Bei einer hübschen Frau wie dir klopft natürlich gleich schon der Nächste an.«

Sie zückte das Handy und las die SMS. »Wo bist du?«, fragte Bob.

»In Bar ggüber Hotel, gefeuert«, schrieb sie zurück, überzeugt, darauf eine tolle Reaktion zu erhalten.

Sekunden später erschien »Komme« auf ihrem Display.

Na gut, dann mussten die Anrufe bei Ed und Connor eben noch ein bisschen warten.

Minuten später erschien Bob, zu Annies Überraschung mit Svetlana im Schlepptau.

»Annah! Das ist schrecklich!«, sprudelte sie heraus, kaum dass sie Annie erblickt hatte. »Schrecklich! Schrecklich! Geh ich auf der Stelle zu Finn und sag ihm, mache ich nicht mehr mit bei dieser dummen Show, wenn du nicht dabei bist!«

Was äußerst rührend war. Es war tatsächlich sehr lieb.

»Ich glaube nicht, dass das etwas nützt«, meinte Annie. »Er hat kein Geld. Er versucht eben zu sparen, wo er kann.«

»Er hat meinen Tagessatz gekürzt«, ergänzte Bob niedergeschlagen.

»Es ist schrecklich«, wiederholte Svetlana.

»Er hat mir nicht mal ein Zimmer im Hotel gebucht. Ich muss mit der Bahn zurückfahren, vorausgesetzt, mein Ticket ist gültig.«

»Es ist ein APEX, da wirst du zuzahlen müssen«, warnte Bob sie.

»Nein, nein, Annah!« Svetlana schüttelte energisch den Kopf. »Kauf ich dir Hotelzimmer. Jetzt du trinkst was mit uns, dann du ruhst dich aus und fährst mit Zug morgen.«

Annie lehnte ihren Kopf für eine Sekunde dankbar an Svetlanas in Yves St. Laurent gekleidete Schulter.

»Arme Annah!«, tröstete Svetlana, ließ den Verschluss ihrer Python-Clutch klicken und entnahm ihr eine Platin-Amex-Karte.

Damit wedelnd winkte sie den Barmann heran.

»Champagner auf Eis!«, wies sie ihn an.

 

Annie war mehr als ein bisschen mitgenommen, als sie schließlich ihr Zimmer aufsuchte und zu Hause anrief.

»Hallo, Schätschchen!«, lallte sie, als sie Eds Stimme am anderen Ende der Leitung hörte.

»Hallo? Bist du das?«, fragte er und fügte hinzu: »Lässt dort oben im Fernsehland die Puppen tanzen, wie?«

»Nein, überhaupt nicht, bin gefeuert«, entgegnete sie unumwunden.

»Gefeuert?«, wiederholte Ed. »Gefeuert?!« Dann sagte er zu ihrer Verwunderung: »Annie, Momentchen bitte!« Damit legte er offenbar den Hörer zur Seite.

»Ed?«, fragte Annie. »ED! Ich bin gefeuert!«, sagte sie jetzt entschieden lauter.

Dann lauschte sie. – Hörte sie da ein Bellen im Hintergrund?

»Hi!« Ed war zurück.

»Was bellt denn da?«, wollte sie wissen.

»Hm … ja. Irgendein Hund da draußen«, kam seine Antwort. »Gefeuert?«, wiederholte er. »Ist das dein Ernst? Mach bitte keine Witze! Du bist gefeuert?«

»Ich bin keine Wonder Woman mehr«, erklärte Annie und musste kichern.

»Aber du hast doch einen Vertrag?«, fragte Ed.

»Ja, aber der ist anscheinend nicht gut. Nicht wasserdicht wie der von Miss Marlise. Wie’s aussieht.«

»Du liebe Zeit …«, setzte Ed an, doch dann war sie sicher, gehört zu haben, wie er flüsterte: »Sitz!«

»Sitz?«, imitierte sie ihn.

Doch das überging er und erkundigte sich besorgt: »Geht’s dir gut? Wo bist du untergekommen? Ist jemand bei dir?«

»Ich bin im Hotel, mir geht’s gut. Ich liebe dich«, verkündete sie und beschloss auf der Stelle, alles zu Mango zurückzubringen und Ed zum Geburtstags Hubschrauberflugstunden zu schenken.

»Ja, ja, ich liebe dich auch«, erwiderte er, »aber warum ich jetzt den Babysitter für einen Teenie spielen muss, der nichts anderes im Sinn hat, als mit einem zweiundzwanzigjährigen Supermodel durch die Clubs zu ziehen, weiß ich nicht.«

»Oh Gott! Ist alles in Ordnung mit Lana? Ich muss nach Hause!«, rief Annie.

»Ihr geht’s gut, sie sitzt in ihrem Zimmer und paukt. Elena ist allein ausgegangen … und sah furchterregend aus«, ergänzte Ed.

»Bist du sicher, dass Lana zu Hause ist?« Annie kreischte beinahe. Wie oft hatte sie selbst ihr Bett mit Kissen ausgestopft und war zur Hintertür hinausgeschlichen!

»Ich gehe noch einmal nachsehen«, versprach Ed. »Geh jetzt bitte schlafen!«, fuhr er fort. »Wir sprechen morgen ausführlich darüber.«

»Gut’s Nächtle, Schätzchen, ich liebe dich«, sagte sie.

»Ich dich auch«, gab Ed zurück.

Wieder ertönte ein scharfes Bellen, bevor Ed abrupt auflegte. Annie sah verdutzt den Hörer an, als hätte dieser selbst gebellt.

Es war 23:45 Uhr … vielleicht eine gute Zeit für einen kleinen transatlantischen Anruf bei dem anderen anbetungswürdigen Mann in ihrem Leben.

»Hallo, Süßer!«, begrüßte sie Connor.

»Hallo, Baby«, antwortete er. »Ich sitze immer noch auf dem Fahrrad.«

»Stell dir vor, ich bin gefeuert«, berichtete Annie, und plötzlich musste sie über alles lachen, was an diesem Tag passiert war.

»Nein!«, entfuhr es Connor. »Das ist nicht wahr!«

Nachdem er seine Überraschung kundgetan hatte, hörte er sich die ganze Gesichte an. Dann atmete er tief durch und ratterte knappe Anweisungen herunter.

»Okay Baby, du tust jetzt Folgendes!«, begann er. »Du brauchst Schadensbegrenzung und musst deinen Ruf aufwerten. Mit meiner Hilfe gehst du völlig nach LA-Manier vor. Gleich morgen früh rufst du diese Nummer an. Schreib sie dir auf, Schätzchen, schreib sie auf!«

»Hast du sie? Okay, das ist die Nummer von der Fernsehklatsch-Kolumnistin bei Screentalk. Du grüßt sie von Connor und sagst, du bist seine Freundin Annie Valentine. Du hast Wonder Women gedreht und … lass mich überlegen … lass mich überlegen … wie können wir das alles am positivsten darstellen … Du hast beschlossen, aus der Show auszusteigen, weil du …?«