27.

Fern gibt sich lässig-schick:

Beige Wollhose (Paul Costello)

Austerngraue Seidenbluse (M&S)

Lachsfarbener Kaschmirpullover

Bequeme Slipper (Ecco)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 270 £

»Besuch mich!«

Es war beinahe 17:00 Uhr, als Annie endlich vor ihrer Haustür ankam. Einen großen Teil der Bahnfahrt von Glasgow hatte sie schlafend verbracht, um dem pochenden Kopfschmerz, der Trockenheit und dem Kratzen in Augen und Hals zu entkommen, den Beweisen – als ob sie die brauchte! –, dass sie am Vorabend zu viel getrunken und geweint hatte.

Sie schob den Hausschlüssel ins Schloss und wurde zu ihrer Verwunderung von einer Salve kurzer Kläfftöne empfangen. Sie glaubte sich Dinge einzubilden und ließ ihren Blick über den Garten und den Gehsteig schweifen, in der Erwartung, dort irgendwo einen Hund zu entdecken. Nichts. Weit und breit kein Hund.

Sie stieß die Haustür auf, trat über die Schwelle, rief wie üblich: »Halloooo! Ich bin wieder da!«, und da prallte ein wirbelndes, federndes, kläffendes Fellknäuel gegen ihre Beine.

»Aaaahhh!«, schrie sie erschrocken auf.

Was war das?

»Annie, Schätzchen!«

Das war die Stimme ihrer Mutter.

»Warum um alles in der Welt hast du einen Hund, Mum?«, rief Annie vom Flur aus und versuchte, das Fellknäuel von ihren Beinen zu lösen.

»Platz!«, befahl sie dem Hund, doch er hörte nicht, hüpfte einfach weiter, bellte und schnappte nach ihren Fingern.

Jetzt polterte Owen die Treppe hinunter auf sie zu. »Ist er nicht toll?«, begeisterte Owen sich mit strahlendem Lächeln.

»Himmlisch!«, gab Annie zurück und nahm Owen in die Arme, bis er ihr entschlüpfte und sich dem Hund zuwandte.

»Er kommt aus dem Tierheim und ist taub, deshalb musst du in Hundezeichensprache mit ihm kommunizieren.« Owen streckte eine Hand aus, die Handfläche parallel zum Boden.

»Das ist das Zeichen für Platz«, erklärte er seiner Mum.

Der Hund hüpfte immer noch kläffend auf und ab.

»Ich fürchte, das hat ihm noch niemand verraten«, bemerkte Annie.

»Dave, Dave!«, rief Owen und klatschte dabei energisch in die Hände.

»Dave?«, fragte Annie. »So heißt er wohl?«

»Das ist ein schöner Name«, betonte Owen und hockte sich vor den Hund. Kaum sah der haarige kleine Köter ihn auf den Knien, sprang er auf seinen Schoß und warf ihn dabei rücklings zu Boden. Während Owen begeistert lachte, begann der Hund, ihm Gesicht und Mund abzuschlecken.

»Pfui! Owen, nicht im Gesicht! Nein, Owen!«, erfolgte Annies entsetzte Reaktion, wenngleich sie über die unübersehbare Begeisterung von Hund und Jungen lächeln musste.

»Annie.« Ed stand jetzt im Flur. »Hallo!«

Er streckte seine Arme aus und zog Annie an sich.

»Ich habe Kopfschmerzen«, offenbarte sie ihm und lehnte ihre Stirn an seine wollige Schulter.

»Ja«, sagte er und tätschelte zart ihren Kopf. »Du hast Dave also schon kennengelernt?«, fragte er.

»Ja.«

»Und wie findest du ihn?«

»Er ist absolut widerlich, aber Owen scheint ihn zu mögen«, antwortete sie.

Ed legte seine Hände auf ihre Schultern und schob sie ein bisschen von sich fort, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Besorgt setzte er an: »Bist du einverstanden? Ich hatte gedacht, du würdest viel …«

»Ob ich einverstanden bin?«, wiederholte sie verblüfft. »Ich bin gefeuert, ich habe einen Mordskater, ich habe sechs Stunden im Zug gesessen und von salzigen Chips mit Essig gelebt. Ich bin nicht in der Stimmung, um mich mit irgendetwas einverstanden zu erklären!«, ereiferte sie sich. »Aber ich versuche, mich an den Gedanken zu gewöhnen.«

»Ach, arme Annie!«, bemitleidete er sie und zog sie wieder an seine Schulter. »Ich denke, alles wird gut … Ich glaube, alles kommt schon irgendwie wieder ins Reine.«

»Annie!«, rief Fern aus dem Wohnzimmer. »Komm zu mir!«

»Ich wusste nicht, dass Mum zu Besuch kommen wollte«, flüsterte Annie Ed zu.

»Sie ist vor einer Stunde eingetroffen. Sie dachte, ich hätte heute Geburtstag, und deswegen wollte sie uns überraschen.«

»Tatsächlich? Sie ist einfach gekommen, ohne vorher anzurufen oder so?«, erkundigte Annie sich. Das war ungewöhnlich. Fern war nicht der Typ, der Überraschungen liebte, sie plante und organisierte gern im Voraus.

»Ja«, bekräftigte Ed.

»Hm, das ist ein bisschen sonderbar. Kann sie über Nacht bleiben, damit wir sie im Auge behalten können?«

»Ja, ich schätze, das tut sie gern. Ihr fehlt nichts, Annie«, fügte Ed hinzu, »sie ist anscheinend nur ein bisschen vergesslich.«

»Annie!«, rief Fern noch einmal.

»Ich komme, Mum!«

»Wo sind die Mädchen?«, wollte Annie von Ed wissen, in der Annahme, dass Lana und Elena ausgegangen waren.

»Sie sind ins Ladenzentrum gegangen, um ein paar Besorgungen zu machen.«

»Zusammen?«

»Na ja, ich habe Lana erlaubt, sich mit Elena in einem Café zu treffen, aber sie hat versprochen, zum Essen um sieben Uhr zu Hause zu sein«, erklärte Ed mit einem Seufzer. »Lana ist hin und weg. Anders kann ich es nicht bezeichnen.«

»Au Backe!«

Annie stellte ihr Gepäck im Flur ab und ging ins Wohnzimmer zu ihrer Mum.

»Hey, du!«, sagte sie und begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung. »Was gibt’s? Ed sagt, du hast den Verstand verloren.«

»Hab ich, Liebes, anders kann man es nicht nennen«, erwiderte Fern, lächelte aber dazu.

»Du siehst ganz gut aus«, stellte Annie fest, und das entsprach der Wahrheit. Fern hatte sich für den Überraschungsbesuch schick gekleidet; sie trug eine Kombination in Beige-Austerngrau-Lachsfarben, frisch geföhntes Haar und sorgfältig aufgelegtes Make-up.

»Ich sehe prima aus«, betonte Fern.

»Was fehlt dir dann?«, wollte Annie wissen und setzte sich neben ihre Mutter aufs Sofa.

»Es gibt einfach solche Lücken in meinem Tagesablauf. Ich weiß, dass ich irgendwo war, irgendetwas erledigt habe oder hätte erledigen sollen … aber dann habe ich nicht die geringste Ahnung, was es war«, berichtete Fern und furchte sorgenvoll die Stirn.

»Ist das nicht ganz normal, Mum?«, fragte Annie und tätschelte ihrer Mutter beruhigend den Arm. »Sind das nicht einfach nur Alterserscheinungen? Die kommen auf uns alle zu. Ich laufe oft genug die Treppe hinauf, um etwas zu holen, und wenn ich oben ankomme, habe ich total vergessen, was es war.«

»Ich weiß nicht …«, begann Fern.

»Hast du mit deinem Arzt gesprochen?«, wollte Annie wissen. »Hast du ihm das erzählt? Vielleicht hat es mit deinen Blutdrucktabletten zu tun.«

»Er ist nicht da«, antwortete Fern gedankenverloren. »Ich sollte ihn lieber aufsuchen, wenn er nächste Woche zurückkommt.«

»Ja«, pflichtete Annie ihr bei, »wenn du möchtest, begleite ich dich. Oder Dinah.«

»Kommt Dinah heute Abend?«, erkundigte Fern sich munter.

»Ich weiß es nicht. Ich sehe sie morgen, dann kann sie zu uns kommen, falls sie heute keine Zeit hat. Du bleibst doch, nicht wahr? Für ein paar Tage? Nur damit wir dich im Auge behalten können, um sicherzugehen, dass dir nichts fehlt.«

»Ja«, Fern lächelte, »ich bleibe.«

In diesem Moment kam Ed ins Zimmer, in einer Hand ein Glas Orangensaft, in der anderen einen Gin Tonic.

»Ich nehme an, du bist auf Entgiftung«, sagte er lächelnd zu Annie, während er Fern den Gin Tonic reichte.

»Wie gut du mich kennst!« Sie erwiderte das Lächeln und nahm dankbar den Orangensaft entgegen.

Owen folgte Ed ins Zimmer, den kleinen Hund auf dem Arm. Er hatte sich inzwischen beruhigt und ließ sich ganz friedlich tragen. Annie betrachtete ihn noch einmal voller Abscheu. Er war eines dieser drahthaarigen, zottigen braunen Viecher. Ein Border Terrier? Doch dafür waren seine Beine zu lang. Hm, was hatte Owen gesagt? Wenn der Hund aus dem Tierheim stammte, handelte es sich bestimmt um eine bunte Promenadenmischung. Ein echter kleiner Köter.

Wann hatte ihre Mum je den Wunsch nach einem Hund geäußert? Und warum musste es so ein struppiger kleiner Köter sein?

»Warum um alles in der Welt hast du dir einen Hund angeschafft, Mum?«, wollte Annie wissen und verdrehte die Augen. »Das ist doch nun wirklich ausgemachter Wahnsinn!«

»Einen Hund? Wieso?«, fragte Fern und sah sie mit großen Augen an.

Annie stockte der Atem vor Schock. Ihre Mum hatte den Hund vergessen? Dann war sie krank – wirklich krank! Wie hieß das gleich? Demenz?

»Der Hund«, wiederholte Annie und zeigte auf den kleinen Köter in Owens Armen. »Wie bist du darauf gekommen, ihn anzuschaffen?«

Jetzt waren alle im Raum sichtlich verblüfft. Owen vergaß vor lauter Überraschung, seinen Mund zu schließen.

»Das ist doch ein Hund, oder?«, bohrte Annie weiter. »Oder bilde ich mir das nur ein?«

»Dave gehört nicht Granny. Er gehört uns!«, klärte Owen sie auf und drückte das Tier schützend fester an sich.

Minutenlang herrschte Schweigen. Annie war zu geschockt, um auch nur ein Was? herauszubringen.

»Dave ist unser Hund«, bekräftigte Owen. »Stimmt’s, mein Kleiner?« Er kraulte dem Hund energisch den Kopf, und dieser reagierte, indem er Owens Hand leckte.

»Ed!«, rief Annie und funkelte ihn wütend an. »Warum hast du mich nicht …? Warum haben wir nicht …? Du hast nicht ein einziges Wort gesagt!«

»Du hast doch eben gesagt, du bist einverstanden«, verteidigte Ed sich.

»Einverstanden?«, wiederholte Annie. »Ich dachte, er gehört Mum!«

»Ich habe versucht, das Thema zur Sprache zu bringen …«, setzte Ed an.

»Dann hast du dir aber keine große Mühe gegeben«, fauchte Annie, die am liebsten gebrüllt hätte, sich jedoch durch die Anwesenheit ihrer Mutter wie auch ihres hundeliebenden Sohnes gebremst fühlte. »Ein hässlicher, tauber Hund aus dem Tierheim?«, rief sie. »Soll das ein Witz sein? Oder ist das etwa deine Vorstellung von einem Ersatz? Dein Ersatz für du weißt schon was?«

»Oje!«, stöhnte Owen in die erwartungsvolle Pause hinein, die auf diese Bemerkung folgte.

»Tut mir leid. Entschuldigung. So etwas hätte ich in deiner Gegenwart nicht sagen dürfen«, gab Annie leise zu.

»Nein. Oje … ich bin gerade in eine Pfütze getreten«, gestand Owen und hob den Fuß mit der von Hundepipi nassen Socke, so dass alle es sehen konnten.