39

KONOWA SCHLENDERTE ÜBER einen Pfad zwischen den Bäumen und streckte gelegentlich die Hand aus, um die Rinde der Bäume zu berühren. Herbst lag in der Luft. Er trug immer noch seine Uniform, obwohl sie nicht mehr irgendwelchen Vorschriften entsprach. Seine Hose war mit Fetzen der Hasshugeb-Umhänge ordentlich geflickt, und seine Jacke hatte weder Epauletten noch glänzende Knöpfe. Letztere waren schon lange durch blanke Holzstücke ersetzt worden, und zwar von ein paar Resten der Schwarzer Stachel. Er griff hoch, kratzte sich den Kopf, immer noch nicht daran gewöhnt, keinen Tschako zu tragen. Dann lockerte er die Schultern und fühlte das Gewicht der Muskete an ihrem Riemen. Seine rechte Hand ruhte auf dem Griff seines Säbels, leicht und locker.

Der Wind wehte Laub vor ihm her, wie eine Schar aufgeschreckter Schnepfen. Die Schlacht auf dem Berggipfel war drei Monate her. Drei Monate, und nach wie vor behielt er die Bäume um ihn herum misstrauisch im Auge. Lieber auf Nummer sicher gehen, als das Nachsehen haben. Er blieb stehen und holte tief Luft.

»Also gut«, sagte er zu sich und schloss die Augen. »Ich schaff das schon.«

Er streckte die Arme aus, die Handflächen nach oben, und lauschte auf den Wald. Er wirkte lebendig durch die Geräusche von Vögeln und wilden Tieren, allen Arten von Insekten und anderen Lebewesen. Die fernen Stimmen der Wolfseichen hörte er ebenfalls, aber selbst wenn sie zu ihm sprachen, verstand er kein einziges Wort von dem, was sie sagten.

Ein Eichhörnchen lief einen Baumstamm neben ihm herunter und hielt inne, um ihn anzublicken. Konowa hob eine Braue. »Vater?«

Das Eichhörnchen wedelte hektisch mit dem Schwanz und raste dann den Baum wieder hinauf.

»Offenbar nicht.« Er versuchte es erneut, bemühte sich, mehr als die üblichen Geräusche des Waldes wahrzunehmen. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Komm schon, wer es auch sei, sprich zu mir.

»Du siehst wirklich albern aus.«

Konowa öffnete die Augen. Yimt stand ein paar Meter von ihm entfernt auf dem Weg. Seine Zähne schimmerten metallisch, als er lächelte. Er trug weiche Lederkleidung in Braun und Grün und einen maßgefertigten Langbogen auf dem Rücken. Sein zuverlässiger Drukar hing an der Seite seines alten calahrischen Uniformgürtels.

»Offenbar sind der Wald und ich glücklicherweise weiterhin nicht bereit, einen Dialog zu beginnen.«

»Auch gut.« Yimt trat vor, während er ein Stück Crute zwischen seine Zähne schob. Er bot Konowa ebenfalls ein Stück an, der aber ablehnend den Kopf schüttelte. »Brigadegeneräle, die Bäumen zuhören, bleiben nicht lange Brigadegeneräle.«

Konowa schnaubte und marschierte einträchtig neben dem Zwerg her, während sie den Pfad zurückgingen. In der Ferne, gerade sichtbar durch die Bäume, standen zwei kleine Katen neben einem Fluss an einer üppigen, grünen Weide. »Ich sagte doch, ich werde diese Stellung nicht annehmen. Marshall Ruwl hat mich einmal reingelegt, aber das passiert mir nicht noch mal. Die Stählernen Elfen sind bei Pimmer in guten Händen.«

»Was ist mit der Botschaft von Mistress Synjyn und dem König? Sie alle scheinen ziemlich scharf darauf zu sein, dass du wieder den Waffenrock anziehst«, sagte Yimt. Seine Stimme klang fröhlich, als er Konowas Unbehagen bemerkte. »Die Schattenherrscherin und ihre Lakaien mögen verschwunden sein, aber das Imperium ist alles andere als stabil. Und du bist der strahlende Held. Ich habe alles haarklein im Imperialen Wöchentlichen Herold gelesen.«

Konowa verzog das Gesicht. »Sie können von mir aus Harkenhalms Kavallerie ausschicken, um nach mir zu suchen. Ich bin offiziell außer Dienst. Und ich bin da, wo ich hingehöre, in einem Wald … zwischen Bäumen …« Konowa blieb stehen. »Was ist mit dir? Hast du keine Frau und keine Familie, die dich vermisst? Du bist lange genug hier im Hyntaland geblieben. Du bist ein freier Zwerg. Warum gehst du nicht nach Hause?«

Yimt senkte den Blick und schaute einen Moment zu Boden, bevor er Konowa wieder in die Augen sah. »Ich musste mich davon überzeugen, dass es dir gut geht. Ich … wir haben viele gute Jungs verloren. Ich hätte es nicht ertragen, noch jemanden zu verlieren.«

Konowa legte seine Hand auf die Schulter seines Freundes. »Yimt, sieh mich an. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich ehrlich sagen, dass ich glücklich bin.«

Ein Rascheln zwischen den Bäumen unterbrach ihn. Elf und Zwerg drehten sich um. Konowas Hand glitt zum Griff seines Säbels, während Yimt seinen Drukar zückte. Das Geräusch wurde lauter und kam näher. Konowa duckte sich und spannte seine Muskeln an. Einen Moment später sprang Jir aus einem Busch. Und einen Moment danach traf sie der Gestank. Der Bengar sah die beiden Männer an und wedelte mit seinem Stummelschwanz.

»Yirka umno, Jir! Ich habe dir doch gesagt, dass du dich von Skunk-Drachen fernhalten sollst!« Konowa drehte sich zu Yimt herum. »Wer ist dran, ihn zu waschen?«

Yimt war bereits einige Meter weitergegangen. »Tut mir leid, ich kann dich nicht verstehen. Wir sehen uns beim Abendessen!«

Konowa schrie ihm aufgebracht einen Fluch hinterher und setzte sich zögernd in Richtung Fluss in Bewegung. Er bedeutete Jir, ihm zu folgen. »Glaubst du, dass du das jemals lernen wirst?«

»Glaubst du es denn?«

Konowa blickte hoch und sah, dass Visyna ihm auf dem Weg entgegenkam. »Yimt hat mir gesagt, du hättest zugelassen, dass Jir schon wieder in Schwierigkeiten geraten ist.«

»Ich? Du traust mir viel zu viel zu. Ich bin nur mit ihm spazieren gegangen.« Er machte einen Schritt auf sie zu und nahm sie in die Arme. Dann verscheuchte er Jir mit seinem Stiefel, und der Bengar sprang hinter dem Zwerg her. »Yimt hat mit mir wegen des Angebotes gesprochen, wieder in die Armee einzutreten.«

Visyna spannte sich in seinen Armen an. »Was hast du gesagt?«

Er drückte sie fest an sich. »Ich habe ihm gesagt, dass ich ziemlich glücklich und wieder dort bin, wo ich hingehöre.«

Visyna runzelte die Stirn. »Aber du hasst den Wald.«

Konowa beugte sich vor und legte seine Lippen an ihr Ohr. »Wald? Welcher Wald? Ich sehe nur dich.« Sie hob die Arme und schlang sie um seinen Hals, während sie ihn zu sich herunterzog. Ihre Lippen ruhten weich auf seinen. Sie trennten sich langsam und gingen dann Hand in Hand den Weg entlang.

»Keine Funken«, sagte Konowa und leckte sich die Lippen.

Visyna versetzte ihm einen spielerischen Schlag auf die Rippen, und als er sich krümmte, schlang sie einen Arm um seinen Hals und zog ihn zu Boden. »Ich werde schon dafür sorgen, dass du Funken schlägst«, versprach sie.

Konowa hielt sie fest. Und tatsächlich, er fühlte Funken.

Zweimal.

Falls der Wald dazu etwas zu bemerken hatte, konnte Konowa es jedenfalls nicht hören.

Und endlich begriff er, dass er das auch gar nicht musste.