31

ICH BIN TOT. Eigenartigerweise fühlte es sich nicht sonderlich merkwürdig an, das zu denken. Er versuchte es noch einmal. Ich bin tot, ich bin wirklich tot.

Etwas hallte laut und doch fern in dem Raum um ihn herum, aber er wusste nicht, was es zu bedeuten hatte. Alles war dunkel, wenn auch nicht direkt schwarz, sondern eher dunkel … als wäre nichts da.

Er versuchte sich zu bewegen, aber er hatte vergessen, wie man das machte. Und trotz allem fühlte er sich nicht gefangen. Es war, als wüsste er, dass er überallhin konnte, wohin er wollte, nur dass er nicht das Verlangen verspürte, irgendwohin zu gehen oder etwas zu tun, sodass es müßig war, darüber nachzudenken, dass er sich nicht bewegen konnte.

Das Geräusch kam näher. Es wurde klarer, wie eine riesige Trommel, die geschlagen wurde … oder eine Kanone, die feuerte. Er fand es sehr merkwürdig, dass er so etwas im Nachleben hören konnte, andererseits, warum nicht? Der Blutschwur bedeutete schließlich, dass er nicht wirklich ausgelöscht war, jedenfalls nicht vollends.

Der Gedanke war irgendwie tröstlich. Er begriff, dass er eigentlich nicht bereit war, diese Welt zu verlassen, noch nicht jedenfalls. Seine Nase juckte, und er hätte sie gerne gekratzt, aber seine Arme wollten sich immer noch nicht bewegen lassen … Moment mal. Wenn meine Nase juckt … oh, verdammt, zum Teu…

»…fel!«, brüllte Konowa und riss die Augen auf. Die hellen Flecken, die davor tanzten, verhinderten, dass er irgendetwas klar erkennen konnte. Er schrie weiter, weil er genau wusste, dass er in dem Moment, in dem er aufhörte, etwas empfinden würde, das er nicht im Geringsten fühlen wollte. Er schrie, bis sein ganzer Körper steif war und zitterte und seine Kehle brannte. Schließlich schloss er die Augen und holte tief Luft. Mit der Luft kamen die Schmerzen.

»… Mutter«, flüsterte er. Tränen traten ihm in die Augen und rollten über seine Wangen. Hätte er eine Pistole in der Hand gehabt und die Kraft, sie zu heben, hätte er sie sich an die Stirn gesetzt und alles beendet. Noch nie in seinem Leben hatte er einen solchen Schmerz gespürt. Es war einfach nicht möglich. Er hatte das Gefühl, als wäre er von innen nach außen gefroren. Er spürte winzige, rasiermesserscharfe Stücke von Frost, die wie Kristalle in seinem Körper wuchsen. Die Qual war so scharf, dass er damit hätte Diamanten schneiden können.

»Ich bin hier, mein Sohn, ich bin hier«, sagte Chayii. Ihre Stimme erreichte ihn wie ein Rettungsseil einen Ertrinkenden.

»Was ist passiert?«, fragte er, unfähig, die Augen erneut zu öffnen, weil der Schmerz ihn so paralysierte, dass er gerade noch atmen konnte.

»Die Klinge steckt immer noch in dir, mein Sohn. Deshalb leidest du. Halte noch ein bisschen länger durch.«

Konowa versuchte zu verstehen, was sie da sagte. Welche Klinge? Er konnte sich nicht daran erinnern, wie er hierhergekommen war. Alles war irgendwie unklar und unordentlich. Seine Erinnerungen lagen überall in seinem Verstand verstreut wie ein heruntergefallenes Kartenspiel. Bilder zuckten durch seinen Verstand, Bilder von einer Schlittenfahrt, von schwarzem Feuer, von Rakkes, von …

»Kritton!« Er öffnete die Augen erneut und zwang sie, nach links zu blicken. Ein dunkles, schimmerndes, geisterhaftes Schwert ragte aus seiner Schulter. Die Schulter selbst war von schwarzem Eis eingehüllt, das aussah wie eine Rüstung. Das hat mich gerettet, begriff er, aber er begriff auch, dass es die Macht des Frostfeueres war, die jetzt die Klinge in seinem Körper festhielt. Das Schwert waberte, wurde bald sichtbar, bald wieder unsichtbar, so wie der Schmerz, der wie die Gezeiten an- und abschwoll, nur schneller. »Zieh es raus! Zur Hölle! Zieh das verdammte Ding heraus!«

Da er jetzt die Quelle des Schmerzes kannte, fand er wieder Kraft in seinen Gliedmaßen. Er schlug um sich, fluchte, spie und grub seine Hacken in den Dreck, als der Schmerz ihn peinigte. Er versuchte das Schwert zu packen, um es selbst herauszuziehen, aber als seine Finger den gespenstischen Griff umfassen wollten, griffen sie ins Leere. Es war, als wäre das Schwert auch nur ein Schatten. Man konnte es nicht packen.

»Jetzt verstehen Sie sicherlich unser Dilemma«, erklärte Pimmer, der in sein Blickfeld trat. »Wir haben bereits auf alle möglichen Arten versucht, die Klinge zu entfernen, aber bis jetzt hat es nicht funktioniert.«

»Bis jetzt haben wir aber auch meine Idee noch nicht ausprobiert«, meinte Yimt und drängte sich nach vorn. Der Vizekönig wollte widersprechen, überlegte es sich dann jedoch anders und verschwand einfach. Yimt kniete sich neben Konowa und legte ihm eine Hand auf den rechten Arm. Trotz seiner Schmerzen konnte Konowa erkennen, dass der Zwerg geweint hatte.

»Du erinnerst dich doch an Ally, als der den schwarzen Pfeil in sein Bein bekommen hat. Er hat das Bein zwar verloren, aber er hat überlebt. Mistress Rote Eule, ich meine, deine Mutter, hat dabei geholfen.«

Konowa wurde noch kälter. »Du willst mir meinen Arm abhacken?«

»Dieses Ding bringt dich um. Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, wirst du zu einem Eisblock gefrieren.«

Konowa wusste, dass das stimmte. Er konnte das Frostfeuer in sich fühlen. Das war ihm noch nie zuvor passiert.

Er bog den Rücken durch, als eine neue Welle von Schmerz durch seinen Körper strömte. »Also gut«, keuchte er. »Nennen wir das Plan B. Mutter, kannst du nicht irgendeine Magie wirken und das Schwert aus meiner Schulter holen?«

Sie beugte sich vor, sodass ihr Gesicht über seinem schwebte. »Mein Kind, das liegt jenseits meiner Macht, und selbst wenn dein Vater er selbst wäre, könnte er nichts bewirken.«

»Visyna?«

Chayii ließ sich einen Augenblick Zeit mit ihrer Antwort. »Sie ist … noch zu schwach. Aber hab Vertrauen, wir werden einen Weg finden.«

»Renwar«, sagte Konowa, der im Geiste die Liste der Leute mit magischen Fähigkeiten durchging, die er kannte. Sie war überraschend lang. »Er gehört zu ihrer Welt. Kann er es nicht herausziehen?«

Das Schweigen, das auf diese Frage folgte, löste etwas in Konowas Erinnerung aus.

»Die Explosion …«

»Wo Ally gegen dieses Ding gekämpft hat, befindet sich jetzt ein riesiger Krater«, erklärte Yimt. Seine Stimme wurde dunkler, als er sich zwingen musste, die Ereignisse wiederzugeben.

»Du hättest ihn sehen sollen, Major. Der tapferste Bursche, den ich je gekannt habe. Wir können stolz auf ihn sein.«

Trotz seiner Schmerzen registrierte Konowa die Trauer in Yimts Stimme. »Das tut mir leid. Wenn ich den Schlitten nicht in Brand gesetzt hätte …«

Yimt drückte seinen Arm. »Du hast getan, was du tun musstest, Major, genau wie Ally. Er hatte seine Entscheidung getroffen, schon lange bevor dieser Schlitten explodierte. Außerdem, wenn er tot ist …«

Konowa verstand. Wenn Alwyn tot war, würden sie ihn wiedersehen.

»Könnte einer der anderen Schatten dieses Ding aus meiner Schulter ziehen?«

Yimt hustete, bevor er antwortete. »Sie sind alle weg. Als wir uns nach der Explosion wieder gesammelt haben, waren die Finsteren Verstorbenen und sogar die Schatten der Rakkes verschwunden. Wir konnten bislang keine Spur von ihnen irgendwo finden.«

Nicht weit entfernt knallte eine Kanone. »Die Schlacht ist immer noch im Gange?«, erkundigte sich Konowa.

»Es rennen noch Hunderte normaler Rakkes herum. Wir können sie uns vom Hals halten, aber das ist auch alles.«

Irgendetwas stimmte nicht. »Wieso feuern diese Kanonen? Wir haben doch keine Munition mehr für sie.«

»Das war noch eine Idee des Vizekönigs. Er hat diese Drachen-Sarka-Har, mit denen du geflogen bist, zerhackt und sie in die Kanonen gestopft. Das ist zwar nicht das Standardverfahren, aber Ehre, wem Ehre gebührt, diese Böller zerfetzen die Rakkes wie hungrige Hunde einen Knochen.«

Auf dieses Bild hätte Konowa gerne verzichtet. »Das Regiment. Wir müssen hier weg.«

»Wir arbeiten daran«, erwiderte Yimt. Er blickte eine Sekunde zur Seite und sah dann Konowa wieder an. Sein Lächeln war, gelinde gesagt, alarmierend. »Mistress Synjyn kommt. Sie wird dich schon wieder auf die Beine bringen.«

Alles um ihn herum wurde schwarz. Als Konowa die Augen wieder öffnete, kniete Rallie an seiner linken Seite. Sie hielt einen Stapel Papiere in der einen Hand und ihren Federkiel in der anderen. Eine brennende Zigarre steckte zwischen ihren Zähnen, deren Ende kirschrot glühte. Er hustete und blies den Zigarrenrauch aus seinem Gesicht. »Also, wie lautet das Urteil?«

Rallie blickte von ihren Papieren hoch. »Ich zeichne Ihnen eine neue Realität, eine, in der kein Schattenschwert in Ihrer Schulter steckt.«

»Das können Sie?«, erkundigte sich Konowa.

»Das weiß ich wirklich nicht, aber das werden wir todsicher gleich herausfinden. Und jetzt könnte es ein bisschen piksen.«

Yimt stemmte sein Knie auf Konowas rechte Schulter und legte ihm die Hände um den Kopf, um ihn fest auf dem Boden zu halten. Hrem tauchte auf und bemächtigte sich seiner Knöchel.

»Piksen?«

»Wäre es Ihnen lieber, wenn ich Ihnen sagte, dass es unvorstellbar schmerzt?«, wollte Rallie wissen.

»Im Augenblick nicht«, antwortete Konowa, der sich wünschte, er hätte nicht gefragt.

»Soll ich bis drei zählen?«, fragte Rallie.

»Na klar, sagen Sie einfach … au!«, schrie er, als sie begann, etwas auf dem Papier zu zeichnen, und die Klinge in seiner Schulter vor Spannung vibrierte.

»Haltet ihn fest. Wenn er sich zu sehr bewegt, könnte ich aus Versehen einen Teil von ihm aus dieser Existenz herauszeichnen.«

Konowa unterdrückte seinen nächsten Schrei und knurrte nur. Jedes Mal, wenn er glaubte, der Schmerz könnte nicht schlimmer werden, bohrte sich ein anderer Dorn in ihn. Der schwarze Frost glitzerte um die Hände von Yimt und Hrem, wo sie ihn berührten, aber keiner von beiden ließ los.

»Ich glaube, es funktioniert«, sagte Rallie, während ihr Federkiel über das Papier kratzte.

Konowa hätte gerne einen Widerspruch gebrüllt, aber er hatte Angst, sich zu bewegen. Es tat schon zu weh, wenn er nur mit den Augenlidern schlug. »Lassen Sie mich wissen …, wenn Sie sich sicher sind«, keuchte er.

»Sehr gut, Major, Sie machen das sehr gut. Mistress Synjyn wird Sie im Nu wieder zusammengeflickt haben«, behauptete Hrem, der neben seinen Füßen hockte und sie festhielt.

Konowa blickte an sich herunter und bemerkte, dass Hrem die Augen geschlossen hatte.

»Stimmt was nicht?«

»Er kann es einfach nicht ertragen, in das Innere von Leuten hineinzusehen, das ist alles«, antwortete Yimt. »Ich dagegen finde es vollkommen faszinierend. Wann bekommt man schon einmal zu sehen, wie ein Mensch funktioniert? Und es ist nicht gerade alltäglich, dass man zu sehen bekommt, wie das innere Uhrwerk eines Offiziers tickt.«

Konowa riskierte einen Blick zu seiner Schulter und spürte, wie das Blut aus dem Gesicht wich. Die Schattenklinge war unversehrt, aber ein großes Stück seiner Schulter war verschwunden. Fast konnte er den weißen Knochen sein Schultergelenks sehen. Schwarze Tentakel von Frostfeuer mischten sich mit Schatten, der sich darum herumwand und tief in sein Fleisch reichte.

»Rallie …?«

»Es ist wirklich sehr wichtig, dass Sie sich so ruhig wie möglich verhalten«, erwiderte sie. Ihr Federkiel kratzte noch schneller über das Papier. »Um die Klinge zu entfernen, muss ich erst alle Körperteile von Ihnen entfernen, die von der Klinge verseucht wurden. Und die ich«, setzte sie hastig hinzu, »selbstverständlich wieder erneuere, sobald die Klinge verschwunden ist.«

»Ach so, das machen Sie also?«, stieß er keuchend hervor. »Dann machen Sie weiter.«

»Siehst du, kein Problem, Major«, erklärte Yimt. Konowa spürte, wie sich der Druck auf seinen Kopf verlagerte, als Yimt sich vorbeugte, um die Wunde besser betrachten zu können. »Erinnert mich ein bisschen an eine Rinderkeule, aber sie ist doch stark durchwachsen. Ich fürchte, das Fleisch ist nicht sonderlich zart, aber für einen Eintopf wäre es wahrscheinlich geeignet, vorausgesetzt, man lässt es einen ganzen Tag lang köcheln.«

»Du würdest mich nicht mögen«, meinte Konowa, der ganz schwach lächeln musste. »Wir Elfen sind zäh.«

»Das hab ich schon gehört«, antwortete Yimt, als wäre das ein vollkommen normales Gesprächsthema. »Besser wäre es wahrscheinlich, sich eine große Scheibe Menschenfleisch abzuschneiden, etwa von Soldat Hrem Vulhber da drüben. Ich schätze, dass er gut zehn Pfund erstklassiges Lendensteak mit sich herumschleppt. In einem Burschen von solcher Größe stecken jede Menge erstklassiger Filets.«

»Schon mal Ork probiert?«, erkundigte sich Konowa und zuckte zusammen, als eine weitere Schmerzwelle von der Wunde ausging.

»Viel zu zäh, das Zeug«, meinte Yimt. »Ich hätte mir fast an einem Stück Ork-Dörrfleisch einen Zahn ausgebissen. Ekelhaft. Man kann es eine ganze Woche lang in Marinade legen, aber es bleibt so zäh wie Stiefelleder. Doch etwas wissen die meisten Leute nicht. Orks haben die zartesten …« Was auch immer Yimt sagen wollte, ging in Hrems Schrei unter.

»Würdet ihr beiden bitte damit aufhören! Ich muss gleich kotzen!«

Konowa sah ihn an, und tatsächlich: Der hünenhafte Soldat wirkte blass um die Nase und schien kurz davor, in Ohnmacht zu fallen.

»Immer mit der Ruhe, Hrem, wir plaudern hier ja nur unverbindlich, damit der Major abgelenkt ist, das ist alles. Du kannst gern ein anderes Thema vorschlagen, wenn du möchtest. Aber wenn ich so drüber nachdenke, dieses ganze Gerede über Filets hat mich hungrig gemacht. Ich spiele mit dem Gedanken, ein neues Rezept auszuprobieren …«

»Probier’s mal mit Schweigen«, fiel Hrem ihm ins Wort. Er atmete stoßweise durch die Nase. »Schweigen könnte auch funktionieren.«

»Nicht mehr nötig, Messirs, die Tat ist vollbracht«, verkündete Rallie.

Konowa sah zu ihr, als sie gerade einen schwungvollen Schlenker mit ihrem Federkiel vollführte, den sie dann in ihren Ärmel schob. Ihm schoss der seltsame Gedanke durch den Kopf, dass ihr Arm vollkommen mit Tintenflecken übersät sein müsste, doch dann blickte er auf seine Schulter.

Das Schwert war verschwunden, und seine Schulter war wieder heil. Allerdings lief eine übel aussehende, schwarze Narbe darüber. Die Schmerzwellen hatten aufgehört; alle Muskeln in seinem Körper entspannten sich, und er spürte, wie sein Rücken wieder den Boden berührte. Es war, als wären tausend gespannte Stricke, an die er gebunden gewesen war, durchschnitten worden, und er sank erleichtert in sich zusammen.

Das Frostfeuer war bereits verschwunden. Zögernd bewegte er die Finger seiner linken Hand.

»Sie funktionieren. Es tut verteufelt weh, aber sie funktionieren.«

Rallie lehnte sich zurück und nahm die Zigarre aus dem Mund, wobei sie eine dicke Rauchwolke ausstieß. »Ich bin sehr versucht, Sie an den Aphorismus zu erinnern, dass die Feder mächtiger ist als das Schwert, aber Sie können alles darüber nachlesen, wenn ich meinen nächsten Artikel geschrieben habe.«

»Helfen Sie mir hoch«, erwiderte Konowa, der sich bemühte, seine Schultern vom Boden zu heben, aber sie ließen sich nicht bewegen. »Verdammt, du kannst aufhören, mich festzuhalten, Rallie ist fertig.«

Yimt tauchte neben ihm auf und hob die Hände, damit Konowa sie sehen konnte. »Ich bin das nicht, Major.«

Rallie beugte sich vor und sah ihm in die Augen. Er musste den Kopf zur Seite drehen, damit er nicht von ihrer Zigarre verbrannt wurde. Dann lehnte sie sich zurück und seufzte. »Ich hatte gehofft, das vermeiden zu können, aber es hätte auch schlimmer kommen können.«

»Was denn?«, wollte Konowa wissen.

»Ich habe mein Bestes gegeben, um alles wieder so zu zeichnen, wie es war, und habe all die kleinen Sehnen und Fasern so verbunden, wie sie vorher gewesen sind. Aber diese Art von Arbeit ist an einem lebenden Körper sehr schwierig. Ich habe das vorher noch nie gemacht, und ich glaube nicht, dass ich …«

Konowa wechselte einen Blick mit Yimt und beschloss, den letzten Teil der Rede einfach zu ignorieren. »Rallie, ich kann nicht auf dem Rücken herumliegen, während das Regiment kämpft. Sie brauchen mich.« Und ich brauche sie.

»In ein paar Stunden, in ein paar Tagen, das ist schwer zu sagen. Aber Sie werden sich erholen, davon bin ich überzeugt«, sagte sie und klatschte den Stapel Papier auf ihre andere Hand.

Konowa erschauerte. Es fühlte sich an, als hätte ihn jemand gerade geschüttelt.

»Tut mir leid«, sagte Rallie und rollte die Papiere vorsichtig zusammen. »Anschließend ist immer noch etwas von der Verbindung übrig. Es sollte in Kürze verschwinden. Bis dahin schlage ich vor, dass wir uns in Bewegung setzen. Unser Vorrat an explodierenden Sarka Har ist begrenzt.«

Yimt und Hrem hoben Konowa hoch und trugen ihn zu Rallies ramponiertem Planwagen, der offenbar die ganze Zeit in der Nähe gestanden hatte. Es verblüffte Konowa, dass er die Kamele nicht schon vorher gerochen hatte, aber andererseits war er mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. Sie legten ihn vorsichtig auf die Pritsche, auf eine Decke, die sich dort befand, und deckten ihn mit einer anderen Decke zu. Sein Säbel, die zerfetzten Reste seiner Uniformjacke und ein Tschako, der möglicherweise sein Tschako war, folgten.

»Wenn jemand versucht, die Decke unter mich zu stopfen, dann schwöre ich, lasse ich ihn im Morgengrauen exekutieren.«

»Shh«, machte Yimt. »Du bist nicht der einzige Patient hier.«

Konowa drehte sich zur Seite. Neben ihm unter einer anderen Decke lag Visyna. Sie hatte die Augen geschlossen. Konowa hätte sich zu gerne hinübergebeugt, ihr über das Haar gestrichen und ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt. »Wie geht es ihr?«

»Sie ist erschöpft«, antwortete Chayii, die ebenfalls auf die Pritsche stieg und sich zwischen die beiden setzte. »So wie wir alle. Aber sie hat auch sehr viel auf sich genommen. Wäre sie nicht gewesen, wäre keiner von unserer Gruppe jetzt hier. Sie ist sehr stark, Konowa, und ein guter Mensch.«

Letzteres sagte sie so nachdrücklich, dass selbst Konowa die Anspielung nicht überhören konnte. »Darf ich ihr wenigstens einen Antrag machen, oder wurde das auch bereits erledigt?«

»Ich hege keinerlei Zweifel, dass du so um sie werben wirst, wie du es für richtig hältst«, erwiderte seine Mutter und schüttelte den Kopf, als wüsste sie bereits, dass das zweifellos ein Desaster werden würde. »Aber hör mir zu, und zwar ganz genau. Wenn du diese Frau einfach gehen lässt, dann könnte es sein, dass ich dich im Morgengrauen erschießen lasse.«

Irgendwo, und ganz gewiss nicht weit genug weg, hörte Konowa, wie Yimt versuchte, ein Lachen zu unterdrücken, obwohl er sich dabei nicht allzu viel Mühe gab. Die Versuchung, ihn anzubrüllen, hielt nur eine Sekunde an, weil dann glücklichere Gedanken seinen Verstand erfüllten. Es war verrückt, vor allem, weil er aus der Ferne Musketenschüsse und das Geheul der Rakkes hören konnte, aber er glaubte, dass er eine Zukunft vor sich hatte, wenn all das hier erst einmal vorbei war. Eine Zukunft mit Visyna. Wie sie jedoch heil und unversehrt in dieser Zukunft ankommen wollten, war ein Mysterium, das noch gelöst werden musste. Seine Entschlossenheit jedoch, es zu versuchen, war größer denn je.

Rallie schnalzte, und der Karren setzte sich ächzend in Bewegung. Konowa tat sein Bestes, seinen derzeitigen Zustand zu akzeptieren und die Fahrt zu genießen, aber die ganze Zeit überschlugen sich seine Gedanken, als er hin und her überlegte, was einmal werden könnte. Er schwor sich, wach zu bleiben, und erlaubte sich nur, seine Augen für eine Sekunde zu schließen, während der Karren schwankend über den Boden rumpelte.

Zwei Tage später wachte er an Deck eines Schiffes wieder auf, in einer Welt, die sich in totalem Chaos befand.