9
KONOWA SETZTE SICH auf der Bank von Rallies Planwagen gerade auf und griff an seine Brust. Die schwarze Eichel flammte auf, beruhigte sich dann jedoch wieder. Er nahm seine Muskete hoch und spähte angestrengt in die Nacht hinaus. Außer Schnee, Felsen und Sand war nichts zu sehen. Nachdem er jetzt wieder bei der Kolonne war und in relativer Sicherheit, hätte er sich eigentlich entspannen können, aber irgendwie wollte ihm das nicht gelingen. Ich werde nervös auf meine alten Tage, dachte er und lehnte sich zurück. Dann warf er einen Seitenblick auf Rallie, die weiterhin starr geradeaus blickte und sich nicht anmerken ließ, ob sie etwas bemerkt hatte. Obwohl er verdammt gut wusste, dass ihr nichts entging.
Lieber in Sicherheit als tot, tröstete er sich, ließ sein Kinn auf die Brust sinken und hob die Schultern, so weit er konnte. Die Kälte drang ihm in die Knochen und machte ihn schreckhaft. Er verschränkte die Arme, schob die Hände in die Falten seines Hasshugeb-Umhangs und kauerte sich noch weiter auf der Bank zusammen. Er hatte einen Schal um sein Gesicht geschlungen, den er aus einem Jutesack angefertigt hatte, und den Tschako so weit in die Stirn gezogen, dass nur noch seine Augen zu sehen waren. Eingehüllt in diesen Kokon nagten Schuldgefühle an ihm, weil er wusste, dass der größte Teil des Regiments bei diesem schlechten Wetter marschieren musste, während er relativ warm und geschützt fuhr. Ein eisiger Windstoß fand eine Lücke in seiner Rüstung aus Stoff, und er setzte sich ruckartig auf. Er ordnete den Umhang neu, bevor er wieder in diese halb liegende Position zurücksank. Einstweilen konnte er mit diesen Schuldgefühlen ganz gut leben.
Konowa wusste nicht, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Wenn sie auch nur eine winzige Chance haben wollten, lebendig aus den Südlichen Einöden herauszukommen und die Küste zu erreichen, musste er seine Sinne beisammenhalten. Natürlich war das ein Versuch, sich die Lage schönzureden, und dessen war er sich auch bewusst, aber er tat es, weil er wusste, dass die Nachhut unter der Führung des sehr fähigen Soldaten Feylan zusammen mit ihm auf der Pritsche von Rallies Karren fuhr. Sie hatten sich diesen Luxus redlich verdient.
Damit man ihm nicht vorwerfen konnte, dass er bestimmte Soldaten bevorzugte, hatte er dem Regiment auch erlaubt, den letzten Sack mit Arr-Bohnen anzubrechen. Auf dem Marsch gab es keine Möglichkeit, heißen Arr-Tee zuzubereiten, aber die Soldaten stopften sich die Bohnen in den Mund und lutschten die bitteren Säfte aus. Allein die Erinnerung an den bitteren Geschmack ließ Konowa das Wasser im Mund zusammenlaufen. Jede Bohne wirkte belebend wie ein Blitzschlag. Er war einmal fünf Tage am Stück marschiert, nur mit einem Schlauch voll Wasser und einer Handvoll Arr-Bohnen. Natürlich hatte er am Ende Orks gesehen, die auf fliegenden Einhörnern ritten, aber er hatte überlebt. Und seine Stählernen Elfen würden es ebenfalls schaffen.
Er zappelte unruhig auf dem Kutschbock herum, während er vergeblich nach einer bequemeren Position suchte. Seine Muskeln schmerzten von der Erinnerung an Kämpfe, die er am liebsten vergessen hätte. Er ließ vorsichtig seine rechte Schulter kreisen, hörte jedoch augenblicklich auf, als die Bewegung den Schmerz, der tief im Gelenk saß, nur noch verstärkte. Sein alter Freund, der Herzog von Harkenhalm, nannte das eine Säbelschulter und behauptete, so etwas käme bei Kavalleristen sehr häufig vor.
Konowa überlegte, was Jaal wohl im Schilde führte. Hoffentlich etwas weniger Verzweifeltes als das, was wir hier tun. Der Karren schwankte heftig, als er über eine dicke Wurzel fuhr, und Konowa prallte gegen die hölzerne Latte, die als Armstütze fungierte. Der Schmerz in seiner Schulter flammte auf und riss ihn wieder in die Gegenwart zurück. Warum kann die verdammte Kälte des Schwurs diesen Schmerz nicht lindern?, dachte er.
Der Wagen richtete sich wieder auf, und die Fahrt wurde wieder ruhiger, das heißt, sie schüttelte nur ihre Knochen durch. Konowa warf einen Blick in den Himmel. Er versuchte herauszufinden, wie spät es war, gab jedoch augenblicklich auf, als ihm klar wurde, dass er nicht einmal wusste, welchen Tag sie hatten, geschweige denn welche Stunde. Sein Gefühl für Zeit war bereits vollkommen durcheinandergeraten. Das Schneetreiben stumpfte ihn ab und verbarg die Welt um ihn herum mit einem grauen Schleier. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hätte ein solcher Sturm genügt, um ihm wirklich schlechte Laune zu bereiten; er hätte sich gefragt, warum ausgerechnet ihm das passierte und was zum Teufel hier eigentlich los war. Jetzt jedoch hatte er ein Ziel vor Augen, von dem er sich nicht ablenken lassen wollte. Die Stählernen Elfen waren unterwegs zum Berg der Schattenherrscherin, und der Schwur würde gebrochen werden, so oder so. Das reichte als Begründung und Antwort auf alle Fragen.
Eine Windböe riss ein kurzes Loch in den treibenden Schnee vor ihnen. Die Kolonne der Männer wurde sichtbar, die sich vor ihnen erstreckte wie eine schwarze Schlange, deren Körper sich wand. Einen Augenblick später war sie wieder verschwunden, verdeckt von dem wirbelnden Schnee. Konowa spielte mit dem Gedanken, Vizekönig Alstonfar aufzusuchen – Pimmer, verbesserte er sich rasch – und ihn noch einmal zu fragen, ob er wirklich glaubte, dass das Regiment in die richtige Richtung marschierte. Soldat Renwar schien das zu wissen, nur war Konowa sich nicht sicher, ob der Soldat überhaupt noch bei Verstand war. Trotzdem sagte er sich, Pimmer würde zweifellos Alarm schlagen, wenn sie vom Kurs abwichen. Sein Vertrauen in den Diplomaten wuchs ständig. Außerdem, wenn er sich mit Pimmer beraten wollte, würde das bedeuten, dass er den Kutschbock verlassen musste, wo er gerade dabei war, eine Position zu finden, die ihm möglichst wenig Schmerzen bereitete. Und als Konowa sich das letzte Mal alleine auf den Weg gemacht hatte, war es nicht gerade so gelaufen wie geplant.
Das Regiment marschierte gewiss zielsicher auf Suhundams Hügel und das Fort zu, schloss Konowa, während er sich ein bisschen weiter zusammenkauerte. Sie würden in den nächsten Stunden am Fuß des Hügels eintreffen … wahrscheinlich. Was er dort allerdings zu finden hoffte, blieb ihm ein Geheimnis.
Der Wind schlug um, und Konowa hörte Stimmen aus dem Dunkel. Er begriff, dass sie von den Soldaten kamen, die hinter ihm auf dem Karren fuhren. Ein Lachen drang an seine Ohren, und das Bedürfnis, sich umzudrehen und sich an dem Gespräch zu beteiligen, setzte ihm hart zu. Aber er wusste instinktiv, dass dies eine Zeit war, in der die Soldaten alleine sein mussten, eine Zeit, in der sie über das Leben stöhnen und lachen, sich über das schöne Geschlecht, über den Proviant, die Offiziere und den allgemeinen Zustand der Welt auslassen konnten. Konowa zwang sich zu bleiben, wo er war. Aber er drehte ein bisschen den Kopf, damit er mehr von der Unterhaltung aufschnappen konnte.
»… wenn du es ordentlich mit Fett einschmierst, musst du wissen. Dann klebt es nicht, wenn es heiß wird. Wenn du aber ein Roggenbrot backen willst, solltest du lieber einen flachen Stein nehmen statt einer Metallpfanne. Ich persönlich lasse den Teig gerne vorher aufgehen …«
Konowa lächelte. Sie waren von einer Welt voller Monster umringt, und ihre Hauptsorge galt dem Essen. Sein eigener Magen knurrte, und die Vorstellung von einem frischen Laib Brot verdrängte alle anderen Gedanken aus seinem Kopf. Seine Finger zuckten, als er sich ausmalte, wie er Stücke eines noch heißen Brotlaibes in kleine Brocken riss, während Dampf aus dem weichen Inneren aufstieg. Seine Mutter hatte immer eine Holzschüssel mit frischem Honig zum Eintunken danebengestellt, aber er musste erst versprechen, auch eine Handvoll Beeren und Gemüse zu essen. Diesen Handel ging er immer nur zu gerne ein. Vielleicht hatte er eines Tages noch einmal eine Chance dazu.
»… mit den verdammten Rezepten. Ich könnte mittlerweile einem Kamel seine Höcker abkauen, also wärt ihr bitte so gut, damit aufzuhören? Ich weiß etwas anderes, womit ihr euch beschäftigen könnt. Wo ist denn unser Schatz, was meint ihr?«
Aha, ein Soldat, in dem ein bisschen von einem Piraten steckt. Konowa fragte sich, wohin dieses Gespräch führen würde. In nur wenigen Stunden würden sie alle vermutlich von diesen infernalischen Bäumen umgebracht werden, und doch redeten sie jetzt nur über Beute.
»Fängst du jetzt schon wieder damit an? Die Bibliothek ist abgebrannt, oder etwa nicht? Und es war nur noch Müll übrig, Schriftrollen und Papiere, die das Feuer nicht berühren wollte. Der Vizekönig hat sie aufgesammelt, und so wie ich das sehe, kann er sie auch gerne behalten.«
»Aber es ist nicht alles verbrannt, hab ich recht?«, erkundigte sich der erste Soldat. Konowa versuchte die Stimme mit einem Gesicht zu verbinden, aber vergeblich. Dabei wurde ihm klar, dass der einzige Soldat aus der Nachhut, den er mit Namen kannte, Feylan war. Er musste dringend die anderen Namen lernen. Sie alle verdienten eine lobende Erwähnung.
»Denkt doch mal darüber nach«, fuhr der Soldat fort. »Wir segeln über den Ozean, hüpfen von Insel zu Insel, um jedes einzelne verdammte Rakke und jeden Dunkelelf auszuweiden, auf den wir stoßen. Und wir bekommen alle Orden dafür, richtig?«
Ein anderer Soldat mischte sich ein. »Meine Mom wäre ziemlich stolz auf mich, wenn ich mit einem oder zwei Orden an meiner Jacke nach Hause käme.« Konowa erkannte die Stimme. Das war eindeutig Soldat Feylan.
»Sie wäre aber sicher verdammt viel stolzer, wenn du stattdessen eine kleine Kiste mit Goldmünzen unter dem Arm hättest; mehr sage ich dazu nicht.«
Andere Stimmen beteiligten sich an dem Gespräch. Die Vorstellung von Reichtümern beschäftigte ganz eindeutig ihre Fantasie.
»Duhlik sagt, es wäre mehr in der Bibliothek gewesen, als man uns erzählt hat. Er behauptet, er wüsste ganz genau, dass fünfzig Pfund Goldmünzen in kleinen Beuteln aus der Bibliothek herausgeschafft worden wären.«
»Wer bitte ist Duhlik, und wie viele Pfeile ins Hirn hat er abbekommen?«
Das rief Gelächter hervor, aber der Soldat, der über die Goldmünzen redete, ließ sich nicht davon abbringen.
»Soldat Duhlik, kleiner Typ, etwa so groß wie du, ziemlich schmal im Gesicht. Er hat diese Schwester, der immer die Haare ausfallen, sobald sie schwanger wird.«
»Das ist nicht Duhlik, sondern Wistofer, und es ist auch nicht seine Schwester, sondern seine Ehefrau. Bei allen Heiligen und räudigen Eulen, Mann, kannst du die beiden immer noch nicht auseinanderhalten?«
»Hör zu, es spielt nicht die geringste Rolle, wer es gesagt hat, okay? Wichtig ist nur, dass es stimmt. Wie marschieren hier herum, abgebrannt wie Bettler, und der Prinz und der Major haben sich ein Vermögen in Goldmünzen unter den Nagel gerissen. Warum glaubt ihr wohl, schleppen wir diese Kanonen mit uns herum, obwohl wir gar keine Munition dafür haben? Sie haben die Goldmünzen in die Mündungen gestopft, versteht ihr?«
»Ich glaube nicht, dass Major Flinkdrache so etwas tun würde«, widersprach Feylan.
Konowa nickte in stummer Zustimmung, aber er bewunderte auch, für wie gerissen der andere Soldaten ihn, Konowa, hielt. Wertgegenstände in einem Kanonenrohr zu verstecken, war überhaupt keine schlechte Idee. Na ja, jedenfalls so lange, wie man die Kanone nicht benutzte.
»Er ist ein Offizier, oder etwa nicht? Jeder Einzelne von ihnen ist in gewisser Weise ein Dieb. Weißt du, was es kostet, Offizier zu werden? Einen ganzen Haufen kostet es! Man muss sich besondere Uniformen kaufen, für vornehme Bälle und dergleichen, muss Gebühren für die Offiziersmesse bezahlen, Lokalrunden ausgeben, braucht Geld für schicke Schwerter und Pferde und zumindest für eine Geliebte, abgesehen von der Ehefrau und den Kindern. Da kommt ein ganz schönes Sümmchen zusammen.«
»Das mag stimmen«, erklärte Soldat Feylan. »Aber der Major ist nicht so.«
Du hast dich gerade zum Korporal befördert, mein Sohn, beschloss Konowa.
»Er ist ein Elf, und die sind ein bisschen eigen, wenn es ums Geld geht«, fuhr Feylan fort. »Auf geprägtes Gold sind sie nicht besonders scharf. Aber wenn es etwas Natürliches, Reines wäre wie Diamanten oder Rubine, würde er sich die Hosen und seinen Tschako damit vollstopfen, so viel ist mal klar.«
Und weg sind die Streifen, Soldat!
Der erste Soldat versuchte, die Männer wieder auf das ursprüngliche Thema zu lenken. »Was ich sagen will, ist nur, dass da draußen ein Schatz auf uns wartet. Diese Bibliothek war nur einer davon, aber es muss auch noch andere geben. Denkt darüber nach. Wir marschieren zu diesem Fort, richtig? Und es liegt auf einem Hügel, von dem aus eine Handelsroute kontrolliert wird. Das bedeutet, die Elfen, die dort stationiert sind, hatten genug Zeit, den Handelskarawanen im Austausch gegen sicheres Geleit eine kleine Maut abzuknöpfen. Vielleicht in Goldmünzen, oder auch in Diamanten und Rubinen. Was auch immer es sein mag, es dürfte einiges wert sein. Und wenn diese Elfen nicht mehr da sind, wenn wir dort hinkommen, kann es wohl nicht schaden, ein bisschen herumzuschnüffeln und etwas davon zusammenzukratzen, sage ich.«
Gegen diese Logik konnte Konowa nicht wirklich etwas einwenden. Das Leben eines Soldaten in der Calahrischen Armee war verdammt hart. Und der Dienst hier draußen war schon fast ein Albtraum. Wenn seine Elfen ihren mageren Sold mit ein paar Bestechungsgeldern hier und da aufgebessert hatten, würde er sie deshalb nicht gleich verurteilen. Man hatte ihnen ein schweres Los zugeteilt, ohne dass es ihre Schuld gewesen wäre. Sich ein bisschen schadlos zu halten, schien da nur natürlich zu sein. Für Konowa war es jedenfalls vollkommen logisch, und doch erfüllte es ihn in seinem tiefsten Innern mit Unbehagen. Ganz tief, auf dem Grunde seiner Seele hoffte er, dass es nicht stimmte.
Der Planwagen rumpelte über eine weitere Wurzel, und Konowa wurde hin und her geschleudert. Er konnte nicht mehr hören, ob das Gespräch hinter ihm fortgesetzt wurde. Er gab den Versuch auf, es zu belauschen, und richtete sich auf, wobei er Schnee von den Falten seines Umhangs schüttelte. Als er ihn von dem Stoff wischte, bemerkte er, dass die Schneeflocken sich trockener und kälter anfühlten als zuvor. Er rieb ein paar Flocken zwischen Zeigefinger und Daumen und bedauerte es sofort.
»Hurensohn«, murmelte er und drehte den Kopf zur Seite, um seinen Mund aus dem improvisierten Schal zu befreien. Dann hob er die brennenden Finger an die Lippen und blies auf die Haut. Als er die Hand sinken ließ, zeigten sich hellrote Blutstropfen auf der Kuppe seines Zeigefinger und seines Daumens. Sie kamen aus etlichen kleinen Schnittwunden.
»Das ist mehr Eis als Schnee«, sagte er mit einem Blick auf Rallie.
Sie schob die Kapuze ihres Umhangs so weit zurück, dass sie ihn aus den Augenwinkeln betrachten konnte. Von ihren Lippen baumelte eine schwarze Zigarre, deren Ende hellorange in der Nacht glühte. »Es ist noch viel schlimmer, als Sie glauben. Der Schnee kommt aus dem Herzen ihres Forstes. Er ist mit Eisenerz durchsetzt. Sie ist mit ihrem ersten Versuch gescheitert, ihren Wald hier zu pflanzen, also bereitet sie jetzt den Boden für einen zweiten Versuch vor.«
Konowa hob den Kopf und streckte seine Zunge aus dem Mund. Bei dem bitterem Geschmack von Metall verzog er das Gesicht.
»Sie wird alles vernichten«, sagte er und lehnte sich wieder zurück. Er hatte immer geglaubt, dass die Schattenherrscherin wahnsinnig wäre, aber auf eine kontrollierte, ganz besondere Art und Weise. Doch die Ungeheuerlichkeit dessen, was sie jetzt versuchte, ließ ihn schwindeln. »Rallie, sie ist wirklich vollkommen wahnsinnig. Sie hat vor, die ganze Welt zu zerstören.«
Rallies Zigarre glühte heller, als sie mehrmals daran zog, bevor sie antwortete. Ihre Worte wurden von einer Rauchwolke begleitet. »Ich vermute, dass das in ihrem Verstand vollkommen logisch ist. Eine Welt, in der nur Sarka Har existieren, deren Wurzeln in das Fundament aller Länder dringen, bis alles aus einem schwarzen Forst besteht. Ganz sicher entspricht das nicht dem, was die meisten von uns als eine Verbesserung der Verhältnisse betrachten würden, aber sie ist ganz offenkundig sehr benachteiligt, was ihr Urteilsvermögen angeht«, meinte sie und tippte sich an ihren Kopf.
Konowa blickte wieder geradeaus und zog gegen die Kälte die Schultern zusammen. »Und das alles nur wegen der Wolfseichen und des albernen Bedürfnisses meines Volkes, einen Ryk Faur zu finden. Die Natur kam ganz ausgezeichnet zurecht, bevor wir aufgetaucht sind. All das hätte vermieden werden können, wenn sie von uns in Ruhe gelassen worden wäre.«
»Das ist eine ziemlich harte Einschätzung, glauben Sie nicht?«, erkundigte sich Rallie.
»Hart? Sehen Sie sich um, Rallie, es schneit Metall. Ganze Forste von Sarka Har schießen überall aus dem Boden, einige dieser Mistbäume haben sogar gelernt zu laufen, und wir sind an einen Schwur gebunden, der uns auf alle Ewigkeit im Schatten hält. Nein, ich glaube sogar, dass mein Urteil noch nicht hart genug gewesen ist. Und wenn wir ihren Berg erreichen, wird all das enden.«
»Sie haben also tatsächlich vor, sie dann zu töten?« Rallies Stimme klang zwar gelassen, aber Konowa registrierte den missbilligenden Unterton.
»Rallie. Ihre Kristallkugel hat einen Sprung, das haben Sie selbst gesagt. Sie hat bereits Tausende getötet, und wofür? Damit irgendein möglicherweise intelligenter Baum, der noch verrückter ist als sie, einen netten kleinen Ort in der Sonne bekommt, wo er seine Zweige ausbreiten kann? Sie ist ein Gift, das ausgemerzt werden muss, bevor es noch mehr Schaden anrichten kann.«
Rallie drehte sich herum und sah ihn an. Eigentlich hätten ihre Augen nicht so hell unter ihrer Kapuze leuchten dürfen. »Ich würde keine Sekunde das Entsetzen abstreiten, das sie verbreitet hat, aber wenn es so weit ist, vergessen Sie nicht, dass Sie im Unterschied zu ihr eine Wahl haben. Sie hat sich so sehr für etwas aufgeopfert, dass sie sich selbst darin verloren hat. Das müssten gerade Sie doch verstehen können.«
Konowa rückte ein Stück von Rallie ab. »Das ist nicht das Gleiche. Ich habe nur versucht, das zu tun, was richtig ist. Und sehen Sie sich an, was ich ihretwegen verloren habe.« Er merkte, dass er die Hand gehoben hatte, um die Spitze seines verstümmelten Ohres zu reiben, und ließ sie rasch wieder sinken. »Betrachten Sie, was wir alle verloren haben. Nein, Rallie, wenn es so weit ist, habe ich nur eine Möglichkeit.«
»Sie meinen, so wie in Luuguth Jor, wo Sie den Schwur hätten brechen können?«
Konowa unterdrückte, was er spontan darauf antworten wollte. Er hasste es, dass Rallie in der Lage war, etwas so Einfaches und Klares erheblich komplizierter zu machen, einfach nur dadurch, dass sie Fragen stellte.
»Das Leben ist schmutzig, Major. Und wir bringen uns in sehr große Gefahr, wenn wir die Narrheit begehen, etwas anderes zu glauben.«
»Wenn sie nicht stirbt, wie soll das denn enden?«, fragte Konowa schließlich, überrascht, dass er diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zog.
»Ich versichere Ihnen, dass ich nicht den leisesten Schimmer habe«, erwiderte Rallie und drehte den Kopf wieder nach vorne. »Aber es dürfte außerordentlich interessant sein, das herauszufinden.«
Konowa wartete, ob sie noch etwas hinzuzufügen hatte, aber der Wolke von Zigarrenrauch nach zu urteilen, die aus ihrer Kapuze quoll, hatte sie offenbar zu Ende gesprochen. Der Wind frischte auf und drang scharf wie ein Messer durch die Schlitze in seinem Umhang. Konowa fluchte leise und kauerte sich zusammen, um sich zu wärmen. Seine Lider schlossen sich fast wie aus eigenem Willen, und er döste ein. Er fand einen kleinen Trost darin, dass aufgrund des Wintersturms, der immer noch wütete, und der Schrecken, welche die wandelnden Sarka Har hinter ihnen verbreiteten, das Regiment vor einem Angriff anderer Kreaturen einigermaßen sicher war. Beim derzeitigen Zustand der Welt betrachtete Konowa das als eine ganz hervorragende Errungenschaft.