12
VISYNA BAND IHR Haar zu einem Pferdeschwanz, wobei sie sorgfältig jede einzelne nasse Strähne von ihrer Stirn nach hinten strich. Ihre Hände zitterten nur ein kleines bisschen. Sie hatte seit Stunden keinen Schluck Wasser mehr getrunken und gut einen Tag lang nicht mehr geschlafen, aber daran alleine lag es nicht. Sie brauchte keine Magie zu weben, um zu wissen, dass Blut vergossen werden würde. Mit jedem Schritt, den sie in Begleitung von Kritton und den in Ungnade gefallenen Elfen tat, kam sie der Abrechnung ein Stück näher.
»Sie werden uns umbringen«, flüsterte sie Chayii zu und drehte den Kopf ein wenig, um die Reaktion der Elfe beobachten zu können.
Cahyii ging weiter, während sie mit der Linken sanft den pelzigen Kopf von Jir streichelte, der neben ihr herging. »Sie haben sich sehr weit von dem entfernt, was sie einmal waren. Krittons Einfluss auf sie ist von Übel, fast ebenso giftig wie der der Schattenherrscherin.«
Die Prozession kam plötzlich zum Stehen. Visyna stellte sich auf die Zehenspitzen, die Hände in die Seiten gestemmt. Sie wusste nicht, was sie erwartete, fürchtete jedoch das Schlimmste.
»Wir rasten zehn Minuten, nicht länger!«, drang Krittons Schrei vom vorderen Teil des Ganges zu ihnen.
Die Gefangenen sanken auf den sandigen Boden. Visyna war versucht, ihrem Beispiel zu folgen, aber sie durfte nicht ruhen. Ihr Leben stand auf dem Spiel.
»Was hast du vor, mein Kind?«, erkundigte sich Chayii, die sich hinsetzte und an die Tunnelwand lehnte. Jir ließ sich neben ihr auf den Bauch nieder, legte seinen Kopf in ihren Schoß und schloss die Augen.
»Ich weiß es nicht …«, erwiderte sie, während sie langsam weiter durch den Tunnel ging.
Es überraschte sie, dass sie nicht sofort auf einen Elfen stieß, aber offenbar hielten sie sich so weit wie möglich von den Gefangenen fern; immerhin konnten sie hier ja nirgendwohin laufen. Trotzdem, vielleicht steckte noch etwas anderes dahinter. Hatte Kritton sie ermahnt, sich von den Gefangenen fernzuhalten? Aber warum? Sie dachte immer noch darüber nach, als ein Bajonett aus dem Schatten auftauchte und direkt auf ihren Bauch zielte. Sie erstarrte, während ihr Blick über den Stahl und die Muskete zu dem Elf glitt, der sie hielt.
»Geh zurück zu den anderen.«
Visyna ließ sich nicht einschüchtern. »Ich vertrete mir nur die Beine«, log sie und zuckte zusammen, kaum dass ihr die Worte über die Lippen geschlüpft waren. Sie waren endlos marschiert, warum also sollte sie sich wohl die Beine vertreten?
Das Bajonett wurde zurückgezogen und der Elf zog die Muskete dichter an seinen Körper, aber er hielt die Waffe auf sie gerichtet. Dann trat er vor, bis er nur noch einen Meter von ihr entfernt war. »Er sagte, wir sollten auf euch aufpassen und dass man euch nicht trauen kann«, erklärte der Elf.
Visyna lächelte den Elf traurig an. Kritton würde ihr misstrauen, und das aus gutem Grund. Dennoch, in dem dämmrigen Licht des Ganges sah dieser Elf mehr aus wie ein Bettler, der Hilfe brauchte, nicht wie ein mörderischer Apostel des Verrats. Seine Wangen waren eingefallen, und er blinzelte langsam, als wäre er gerade aufgewacht. Die Uniform war ein Flickwerk und das Resultat ungeschickt ausgeführter Reparaturen. Etliche Knöpfe waren von Holzstückchen ersetzt worden, am schockierendsten jedoch war der Rost auf seinem Bajonett. Visyna war lange genug bei den Stählernen Elfen gewesen, um zu wissen, dass die erste Pflicht eines Soldaten darin bestand, seine Waffen gut in Schuss zu halten.
»Er hat mir erzählt, ihr wärt die besten Soldaten des ganzen Imperiums«, erwiderte Visyna, die ihrer Stimme einen weichen, fast mütterlichen Klang zu geben versuchte. »Er hat mir gesagt, dass alles wieder in Ordnung kommen würde, sobald wir euch gefunden hätten.«
Der Elf blinzelte und nahm eine Hand von seiner Muskete. »Korporal Kritton hat das gesagt?«
»Major Flinkdrache hat das gesagt.«
Als sie Konowas Namen erwähnte, richtete sich der Elf gerade auf und packte mit seiner freien Hand erneut seine Muskete. »Erwähne nicht seinen Namen«, zischte der Elf zwischen den Zähnen hervor. Jetzt waren seine Augen weit geöffnet. »Er hat uns verdammt.«
Visyna trat einen Schritt zurück, schockiert von der Wut des Elfen. »Es ist auch für ihn schrecklich, was geschehen ist, aber du weißt doch bestimmt, dass er nur das Beste gewollt hat. Der Vizekönig steckte mit der …«
Das Bajonett zuckte vor und bohrte sich schmerzhaft in die Haut unter ihrem Kinn.
»Wenn du seinen Namen auch nur noch einmal erwähnst, schlitze ich dich auf«, zischte der Elf. Schaum bildete sich in seinen Mundwinkeln, und seine Hände zitterten. Visyna blickte wortlos in seine starren Augen. Sie hatte es hier mit einem Elfen zu tun, der ebenso verloren war wie die Diova Gruss, jene Elfen, die durch ihre Verbindung mit einer Silbernen Wolfseiche verrückt geworden waren, wie zum Beispiel Tyul … oder die Schattenherrscherin.
Nach einer Ewigkeit, so jedenfalls kam es ihr vor, ließ der Elf das Bajonett sinken, drehte sich um und ging wieder in den Gang zurück. Visyna blieb alleine und erschüttert zurück. Sie hätte gern Mitleid mit dem Elfen empfunden, aber ihr vorherrschendes Gefühl war die Sorge um Konowa. Seine Elfen hassten ihn. Er würde am Boden zerstört sein. Als sie sich wieder gesammelt hatte, begriff sie, dass sie ihn umbringen wollten!
Sie drehte sich um, ging zu der Gruppe zurück und suchte sich einen freien Platz an der Wand, um sich hinzusetzen und sich dagegenzulehnen. Ein Schatten beugte sich über sie, und sie hob die Hände, um rasch einen Abwehrzauber zu weben. Statt eines Bajonetts hielt man ihr jedoch einen Wasserschlauch hin. Sie blinzelte und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
»Wasser?«
Sie nahm den Wasserschlauch und bedankte sich mit einem Lächeln bei dem Soldaten, der ihn ihr hinhielt. Soldat Hrem Vulhber rieb sich die nassen Hände an seiner Caerna trocken und setzte sich dann ihr gegenüber. Er achtete sorgfältig darauf, dass sich das Tuch des kiltartigen Rocks nicht löste, lehnte seinen Rücken an die Wand und streckte die Beine vor sich aus, von ihr weg, sodass seine Stiefel beinahe die gegenüberliegende Wand berührten. Wie bei allen anderen Stählernen Elfen hatten seine Kniescheiben die Farbe von dunkler Bronze, weil sie so lange der Sonne ausgesetzt gewesen waren. Visyna warf einen Blick auf ihren Handrücken und bemerkte, dass ihre Hautfarbe sich nicht allzu sehr von seiner unterschied.
»Noch ein paar Wochen, dann gehe ich als Elfkynan durch«, meinte Hrem, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
Visynas Wangen wurden heiß, und sie verbarg ihre Verlegenheit, indem sie sich den Wasserschlauch an den Mund setzte und lange trank. Das Wasser hatte einen scharfen Beigeschmack von dem Wein, der vorher darin gewesen sein mochte, aber alles in allem war es das beste Getränk, das sie seit langer Zeit genossen hatte. Sie wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab, beugte sich vor und gab Hrem den Wasserschlauch zurück. Sie achtete darauf, nicht seine Hand zu berühren. Er nahm den Schlauch ebenso sorgfältig und steckte einen kleinen Korken in die Öffnung.
»Ich habe gesehen, dass Sie versucht haben, mit einem von ihnen zu reden. Das war nicht klug«, sagte er. Er klang nicht wütend, sondern eher besorgt.
»Sie waren Konowas Brüder. Ich kann einfach nicht glauben, dass sie so böse geworden sind.«
Hrem warf einen prüfenden Blick durch den Tunnel, bevor er antwortete. »So ist der Krieg. Ich habe gesehen, wie schlechte Männer zu Engeln geworden sind und gute zu Teufeln. Diese Elfen waren gut. Wir alle haben die Geschichten über die Stählernen Elfen gehört. Ihr Ruf als Kämpfer ist legendär. Man hat fast Übermenschen aus ihnen gemacht, das heißt, wohl eher Überelfen«, meinte Hrem.
»Aber wie konnten sie dann jetzt so … auf Abwege geraten?«, erkundigte sich Visyna, die vergeblich versuchte, die Wut zu verstehen, die sie in den Augen des Elfen gesehen hatte.
»Jeder Mensch und jeder Elf hat seine Grenzen. Niemand kann sagen, wo oder wann man sie erreicht, aber wenn man lange genug schießt und beschossen wird, verändern sich Denken und Fühlen. Man sieht Dinge, die man nicht ungesehen machen kann.« Hrems Stimme wurde ruhiger, während er langsamer weitersprach. »Man fühlt zu viel, oder aber man hört vielleicht auch ganz auf zu fühlen. Man tut Dinge, von denen man niemals gedacht hätte, dass man sie jemals tun würde oder dazu überhaupt in der Lage wäre. Jeder Soldat ist anders, doch am Ende mag man vielleicht die Schlachten gewinnen, aber man wird niemals die Erinnerungen daran los. Das ist etwas, das einen von innen auffressen kann, bis gut und schlecht nur noch Worte ohne Bedeutung sind.«
»Wollen Sie damit sagen, dass es keine Hoffnung für sie gibt?«, erkundigte sich Visyna.
Hrem zuckte mit seinen mächtigen Schultern. Die Kreuzgurte aus Leder, die er über seiner Uniformjacke trug, schabten dabei über die Felswand. »Vielleicht, obwohl ich es bezweifle. Wenn eine Veränderung in ihnen vorgegangen ist, dann damals in der Bibliothek, als Kritton seine Muskete auf Sergeant Arkhorn gerichtet hat. Als sie Kritton nicht hinderten, haben sie ihr Schicksal besiegelt.«
Das Gestein hinter Visynas Rücken vibrierte, als Scolly, der ein paar Schritte von ihr entfernt lag, laut schnarchte. Yimts Abteilung hatte sich wie Puppen um sie herum geschart, die aus großer Höhe heruntergefallen waren und die man einfach so liegen gelassen hatte, wie sie gelandet waren. Teeter, der ehemalige Seemann, war mit dem Kinn auf der Brust und der erloschenen Pfeife in seinem Mund eingeschlafen. Neben ihm hockte der religiöse Bauer, Inkermon, dem der Kopf zwischen die Knie gesunken war und dessen Hände mit den Handflächen nach oben auf dem Boden lagen. Direkt gegenüber hatte sich Zwitty zu einem Ball zusammengerollt. Er stöhnte und zuckte, als würde er von einem Albtraum gequält. Visyna überlegte kurz, entschied sich dann jedoch dagegen, ihn mit einem lauten Husten aufzuwecken. Er war weniger nervig, wenn er schlief.
Ein paar Meter weiter im Tunnel konnte sie in dem dämmrigen Licht gerade noch die Umrisse von Chayii und Jir erkennen. Die Elfen blieben außer Sicht, aber sie wusste, dass sie in der Nähe waren.
Sie beschloss, das Thema zu wechseln. »Mir kommt es fast so vor, als würden sie uns bis ins Hyntaland marschieren lassen«, sagte Visyna, lehnte ihren Kopf an die Wand und wackelte in ihren Sandalen mit den Zehen. Die Sohlen ihrer Füße fühlten sich an, als wäre sie auf glühenden Kohlen gegangen, und ihre Schienbeine schmerzten.
»Oder bis zur Küste und dann noch weiter, sodass wir dann möglicherweise die Luft anhalten müssen«, erwiderte Hrem. Seine Stimme klang vollkommen sachlich, aber seine Augen funkelten.
Visyna lächelte, das Gesicht zur Decke gerichtet. »Ich nehme an, der Ozean könnte tatsächlich eine kleine Herausforderung darstellen«, erklärte sie, obwohl sie wusste, dass sie schon lange vorher einen Plan schmieden musste, um sie alle zu befreien. Die Augen dieses Elfen-Soldaten hatten keinerlei Gnade gezeigt.
»Wir sind noch ziemlich weit davon entfernt. Ich glaube kaum, dass wir bis jetzt viel mehr als zwanzig Meilen zurückgelegt haben.«
Visyna senkte den Kopf und konzentrierte sich auf Hrem. Er lächelte nicht. »Das wissen Sie genau?«
Hrem tippte mit einem Finger an seine Schläfe. »Dafür ist keine Magie erforderlich, sondern nur die Fähigkeit zu zählen.«
»Haben Sie eine Ahnung, wohin wir gehen? Gehen wir wirklich in Richtung Küste?«
Hrem nahm seinen Tschako ab und kratzte sich den Kopf. Sein schwarzes Haar war feucht und klebte an seinem Schädel. Je mehr er kratzte, desto mehr Haare richteten sich auf. Als er mit dem Ergebnis zufrieden war, setzte er seinen Tschako wieder auf. »Soweit ich das sagen kann, haben wir uns zunächst nach Norden gewandt, dann aber einen Bogen beschrieben. Ich bezweifle allerdings, dass wir mittlerweile Richtung Süden gehen, weil uns das weiter in die Wüste und weg von ihrem Heimatland bringen würde. Kurs auf die Küste zu nehmen, wäre logischer. Ich habe gehört, wie der Major sagte, seine Elfen wären auf Suhundams Hügel stationiert, und ich weiß, dass der westlich von der Bibliothek liegt. Wenn ich darauf etwas anderes wetten müsste als mein Leben, das ohnehin längst im Pott liegt«, ein bitteres Grinsen spielte um seine Lippen, »würde ich sagen, dass wir nach Westen gehen. Wäre auch sinnvoll. Sie treffen sich mit diesem Zwerg Griz an ihrem alten Fort, frischen ihre Vorräte auf und marschierten dann zur Küste weiter.«
»Aber warum gehen sie nicht nach Nazalla zurück? Dort liegen doch alle möglichen Schiffe.«
Hrem tat ihre Idee mit einer Handbewegung ab. »Das stimmt, aber diese Elfen sind jetzt Deserteure, genauso wie dieser Mistkerl Kritton, also ist Nazalla so ziemlich der letzte Ort, wo sie sich blicken lassen wollen. Dort gibt es zu viele calahrische Streitkräfte. Vorausgesetzt natürlich, dass die Bewohner der Stadt nicht längst rebelliert haben …«
Erinnerungen an ihre kürzliche Flucht aus Nazalla tauchten unwillkürlich vor Visynas innerem Auge auf. Als der Soldat Renwar die Schatten der Gefallenen beschworen hatte, hatte das entschieden zu viele Tote gefordert.
»Sie haben recht, aber nur wir wissen, dass sie Deserteure sind, und es war Kritton, der Sergeant Arkhorn getötet hat. Sie könnten ihre Ehre immer noch wiederherstellen«, meinte Visyna. Doch kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, erkannte sie, wie närrisch das war. Die Elfen hatten ihr Los gewählt, als sie mit Kritton gegangen waren. Für sie gab es kein Zurück mehr.
»Ich wünschte, es wäre anders«, erwiderte Hrem, »aber sie sind einfach zu weit gegangen. Eigentlich tun mir diese armen Kerle sogar leid. Sie sind wirklich genauso verflucht wie wir. Sie mögen vielleicht nicht von diesem Schwur gebunden sein, aber sie mussten damit leben, dass sie mit einem schwarzen Ohr geboren wurden, und ihre Verbannung dauert schon erheblich länger.«
Wut wallte in Visyna hoch. Er gibt Konowa die Schuld. »Major Flinkdrache hat zum Besten aller gehandelt, als er diesen schrecklichen Vizekönig getötet hat. Wissen Sie, was für grauenvolle Dinge dieser Vizekönig meinem Volk angetan hat? Es stimmt, dass Gwyn noch schlimmer war, aber Kon… Major Flinkdrache konnte das nicht wissen. Und ganz sicher konnte er nicht wissen, dass seine Belohnung für seinen Versuch, die Welt von einem solchen Bösewicht zu befreien, der Verlust seines Kommandos und die Verbannung seines Regiments sein würde.«
Hrem hob beschwichtigend die Hand. »Ich gebe dem Major nicht die Schuld, Mistress Tekoy. Es war richtig von ihm, den ersten Vizekönig zu töten, selbst wenn diese Tat zu all dem hier geführt hat. Ich weiß, wie sehr er die Konsequenzen bedauert und wie sehr er das alles bei seinen Elfen wiedergutmachen will, aber leider hat Kritton sie vor ihm gefunden. Jetzt glauben sie, dass die Schätze, die sie in der Bibliothek erbeutet haben, genügen, um sich ihre Ehre zurückzukaufen. Das wirklich Traurige daran ist, dass sie ihre Ehre für den Preis einer einzigen Musketenkugel in Krittons Kopf hätten wiederbekommen können. Nun, sie haben die Chance gehabt und sie nicht genutzt. Wie gesagt, sie tun mir leid, aber ihretwegen ist Yimt tot. Sollten sie sich eines Tages am Ende eines Seiles wiederfinden, werde ich keine einzige Träne um sie vergießen.«
Visyna neigte den Kopf vor Hrem. »Entschuldigen Sie, Hrem. Ich hätte Sie besser kennen sollen.«
»Wir alle vertrauen auf den Major. Er mag so störrisch sein wie ein zweiköpfiger Maulesel und dreimal so übellaunig, aber tief im Innern wissen wir, dass er richtig gehandelt hat.« Die Überzeugung in Hrems Stimme überraschte sie.
»Aber der Schwur, das Frostfeuer …«
Hrem blickte an die Decke, während er seine Gedanken sortierte. »Ich gebe zu, das habe ich wirklich nicht erwartet, als ich mich bei den Truppen der Königin verdingte, aber ich war auch kein Hinterwäldler. Ich habe mich nicht von den schicken Uniformen und den Blaskapellen täuschen lassen, als ich eingetreten bin. Soldaten sterben. Das wusste ich von Anfang an. Wir alle wussten es«, fuhr er fort war und senkte den Kopf, während er die schlafenden Soldaten um sie herum musterte. »Aber das Problem beim Soldatenleben ist: Wir alle glauben zu wissen, dass es immer die anderen erwischt, dass immer die anderen sterben. Das ist der Trick. Die Leute reden immer über Hoffnung, aber manchmal ist dies die beste Möglichkeit, sich selber zum Narren zu halten. Keiner von uns konnte voraussehen, was der Schwur bewirken würde, aber wäre er es nicht gewesen, dann eben etwas anderes. Also reden wir uns ein, dass wir einen Weg finden, diesen Elfen zu entkommen, wieder zum Regiment zu stoßen, zum Berg der Schattenherrscherin zu gelangen, ihr den Garaus zu machen und den Schwur zu brechen.«
Es dauerte einen Moment, bis die Bedeutung von Hrems Worten in Visynas Bewusstsein einsickerte. Aber dann war sie entsetzt. Er glaubt wirklich, dass wir alle verloren sind.
»Es gibt wirklich noch Hoffnung, Hrem. Geben Sie nicht auf.«
Der große Soldat erwiderte nichts, sondern blickte nur auf seine Hände. Funken von schwarzem Frost tanzten in seinen Handflächen und erloschen. »Wie ich schon sagte, Mistress Tekoy, manchmal ist es das Beste, wenn man sich selbst zum Narren halten kann. Wenn es funktioniert, war es vielleicht die ganze Zeit Hoffnung, und man hat es nur nicht begriffen. So wie wenn ich in einen Spiegel gucke und sage: ›Hey, ich bin ein gutaussehender Bursche und werde keine Kinder auf der Straße ängstigen, weil sie mich für einen Dämon halten, der sie wahrscheinlich fressen wird‹, oder so etwas.«
»Ich glaube, Sie sind sehr galant, und außerdem sehen Sie sehr gut aus«, erwiderte Visyna.
Hrem blickte hoch und hob eine Braue. »Das behalten wir aber besser für uns. Ich werde es meiner Frau nicht erzählen und Sie nicht dem Major.«
Visyna unterdrückte ein Grinsen. »Und ein Schlawiner sind Sie noch obendrein.«
»Das können Sie gern weitererzählen.«
»Mit Vergnügen«, antwortete Visyna. »Denn irgendwann werden wir aus diesen Tunneln herauskommen.«
Hrem sah sich um, beugte sich dann vor und senkte die Stimme. »Und an genau diesem Punkt müssen wir irgendetwas wegen dieser Elfen unternehmen. Wird Mistress Rote Eule ein Problem damit haben? Immerhin gehören diese Elfen zu ihrem Volk.«
Visyna warf einen Blick auf Chayii und Jir. »Ich glaube, unser einziges Problem mit ihr dürfte sein, ihr nicht in die Quere zu kommen, wenn es so weit ist.«
»Gut. Und jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wie wir ungefähr achtzig bewaffnete Elfen überwältigen können«, erklärte Hrem.
Visyna blickte auf ihre Hände und wob ein zartes Muster in die Luft vor ihr. Die magischen Fäden begannen zwischen ihren Fingern zu glühen. Dann sah sie zu Hrem hoch und bemerkte, wie seine Augen von der Reflektion des Lichts glühten. »Ich habe da eine Idee …«