10

DAS WESEN, DAS einst der Mensch Faltinald Gwyn gewesen war, Vizekönig des Protektorats von Groß-Elfkyna und bis vor wenigen Stunden Emissär der Schattenherrscherin, bemühte sich, das Gefühl dafür zu behalten, dass es existierte. Es bewegte sich über die windgepeitschte Wüste, ohne den Schneefall und die eisige Kälte wahrzunehmen.

Seine Gedanken, einst scharf und präzise, drehten sich jetzt um ein waberndes Zentrum aus Wut und Qual. Hätte es auch nur einen Moment ruhen müssen, würde es, so fürchtete es, einfach aufhören zu existieren, und seine Energie würde sich bis in die entlegensten Ecken der Welt verstreuen. Selbst in diesem Moment lösten sich kostbare Bruchstücke von seinen Erinnerungen und seiner Persönlichkeit auf und gingen verloren.

»Diplomatie ist nicht der Sieg der Verhandlungen, sondern das Scheitern des Krieges«, murmelte es vor sich hin. Scherben des Lebens, das es einst geführt hatte, trudelten durch seinen Verstand. Es sah gewaltige Hallen, erleuchtet von Tausenden von Kerzen in riesigen Kronleuchtern, deren Licht sich in vollendet geschliffenen Kristallkelchen spiegelte, die so dünn waren, dass sie bereits tönten, wenn man sie nur anhauchte. Es erinnerte sich an eine Karte, die von Juwelieren geschaffen worden waren, welche dafür nur die feinsten Edelsteine und Edelmetalle benutzt hatten. Es streckte die Hand aus und griff nach etwas, das nicht da war.

Eine Hand schloss sich zu einer Faust, und es konzentrierte sich auf seine Qualen; es fand einen weiß glühenden, durchdringenden Schmerz und klammerte sich daran, während der Rest seines Verstandes immer schneller und schneller dem Wahnsinn verfiel.

Ich bin frei! Die Fesseln, die es einst gebunden hatten, waren zerbrochen. Dieses Wissen befeuerte seinen Ärger, verdichtete in ihm etwas Klares, Einfaches, das es begreifen konnte. Die Schattenherrscherin hat mich hintergangen! Die Elfenhexe hat einen Handel mit diesem Soldaten der Stählernen Elfen geschlossen, der durch den Schwur an sie gebunden war. Aber dieses Wesen hier hatte ihm mehr geopfert, um ihr Emissär zu werden, als dieser Mensch. Das war … ungerecht.

Das Wesen spürte, wie sich eine neues Gefühl in ihm ausbreitete, eine mächtigeres als Wut oder Schmerz … Rachsucht. »Sprich laut, sodass dein Widersacher nicht den Meuchelmörder hört, der sich von hinten an ihn heranschleicht«, sagte es und sah Kellner in frischen weißen Jacken, die sich lautlos hinter einer Reihe von Stühlen mit hohen Lehnen bewegten. Ein Messer blitzte auf, und die Suppe eines Gastes würde kalt werden. Das Wesen lachte und hoffte, dass es schon bald seine Rechnung mit dem Soldaten begleichen konnte, der es vom Thron gestoßen hatte. Rakkes heulten, als es lachte, und die Kreatur wurde sich wieder der knurrenden Rotte von Rakkes bewusst, die es umzingelt hatte, während es über den Sand gegangen war. Ihm folgten jetzt Hunderte. Die primitiven Bestien sahen in ihm den dringend ersehnten Führer. Mehr und mehr Rakkes schlossen sich ihnen an, als sie nach Norden zogen.

»Die Diplomatie spielt auf Zeit, bis die Armee bereit ist«, sagte es und ließ seinen Blick über die uralten Kreaturen schweifen, die wieder zum Leben erweckt worden waren, um Angst und Schrecken zu verbreiten.

Das Wesen lächelte und entblößte eine Reihe von schwarzen Zähnen, die von Frost überzogen waren. Die Rakkes hatten Witterung aufgenommen und sich auf die Jagd begeben.

Das hier war eine Armee. Selbstverständlich waren sie nicht so geschickt oder präzise wie die Soldaten, die das Wesen einst durch seine Bemühungen am Verhandlungstisch gesteuert hatte, aber diese Kreaturen wussten, wie man tötete, und die Zeit für Diplomatie war zu Ende.

Ferne Erinnerungen an diplomatische Missionen tauchten aus dem wirbelnden Chaos seines Verstandes auf. Armeen wurden häufig als Hebel benutzt und zwangen den Feind dazu nachzugeben, ohne dass es auch nur zu Blutvergießen kam. Eine sehr merkwürdige Vorstellung – und eine, welche das Wesen nicht mehr verstand. Das Einzige, was es überhaupt am Leben erhielt, war das Bedürfnis, schreckliche Vergeltung an jenen zu üben, die ihm Unrecht getan hatten.

Die Rotte bewegte sich schneller, und die einzelnen Kreaturen begannen, sich mit gutturalen Lauten zu verständigen. Sie hatten Beute aufgespürt. Das Wesen ging weiter, bis es seine rechtmäßige Position an der Spitze der Rotte eingenommen hatte. Es marschierte unnatürlich schnell über die gefrorene Wüste. Seine Augen waren jetzt gefrorene Kreise aus schwarzem Eisen und drehten sich in seinem Kopf mit dem knirschenden Geräusch von Granit auf Glas. Schmerz flammte in seinem Schädel auf wie reines Licht, und es stolperte, bevor es mühsam sein Gleichgewicht wiederfand. Es hob den Kopf und spähte in die Dunkelheit hinaus. Dreihundert Meter entfernt rollten drei Planwagen, gezogen von Kamelgespannen, langsam über einen Karawanenweg. Das Wesen wartete, hoffte. Einen Augenblick später tauchte eine Kolonne von marschierenden Soldaten aus dem Schneetreiben auf. Sie folgten den Wagen.

Die Stählernen Elfen! Es hatte sie gefunden. Geifer tropfte von den Resten seines Gesichtes, und Eiszapfen umrahmten seinen Mund. Es würde keine Zeremonie geben, keine pompöse Unterzeichnung von irgendwelchen Dokumenten, kein falsches Lächeln und kein übertriebenes Händeschütteln. Das hier würde einfach nur ein Massaker werden.

Es würde seine Vergeltung bekommen und die Rakkes etwas zu fressen.

Das Wesen beherrschte sich, als es sich auf den Schmerz konzentrierte, und klammerte sich fest an sein Verlangen zu töten. Die Rakkes rückten von ihm ab, als es mit unheimlich vibrierender Stimme zu summen begann.

Das Wesen spielte mit dem Gedanken, den Rakkes zu befehlen, den Usurpator ihm zu überlassen, aber das war gar nicht notwendig. Seine Macht war zu groß, und er war viel zu stark, als dass irgendein Rakke ihn hätte besiegen können. Diese Aufgabe würde also dem Wesen, dem ehemaligen Emissär, zufallen, und es begrüßte diese Tatsache.

»Ich habe euch Fressen gebracht.«

Die Rakkes brüllten laut auf, stampften auf den Boden und schlugen sich an ihre Brust. Ihre Nackenhaare sträubten sich, und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als ihre Welt sich zu einem roten, gierigen Nebel verengte.

»Reißt sie in Stücke!«

Die Rakkes rannten über den schneebedeckten Sand. In der Kolonne gellten die ersten Schreie auf. Kamele zuckten zusammen und versuchten zu flüchten, während sich die Kutscher vergeblich mühten, sie unter Kontrolle zu halten. Die Soldaten blieben stehen, wo sie waren, und luden hastig ihre Musketen, während sich die Rakkes ihnen auf zweihundert Meter näherten. Die ersten Schüsse knallten in einem undisziplinierten Stakkato durch die Nacht. Heiße, gelbe Flammenzungen beleuchteten die unordentliche Verteidigungslinie, während die Kolonne eilig Aufstellung bezog. Hier und da stürzte ein Rakke zu Boden, mit zertrümmertem Schädel oder einem Loch im Herzen, aber für jedes Rakke, das niedergestreckt wurde, sprang ein Dutzend in die Bresche.

Dann mähte, aus etwa hundert Meter Entfernung, eine kontrollierte Salve die ersten Reihen der Rakkes nieder. Mehr als ein Dutzend stürzten zu Boden. Doch die überlebenden Rakkes brüllten nur noch lauter und sprangen einfach über die toten hinweg. Frischfleisch war nur einen Katzensprung entfernt.

Das Wesen sah sich überall nach dem durch den Schwur gebundenen Soldaten um, der ihm seinen Platz gestohlen hatte. Es versuchte, seine Sinne zu fokussieren, um nach ihm zu suchen, aber der Gestank von Blut lag schwer in der Luft, und das immer lauter werdende Gebrüll der Rakkes übertönte alles, bis auch das Wesen von dem Verlangen überwältigt wurde, Fleisch zu zerfetzten.

Der Lärm, den die Rakkes veranstalteten, wurde von den panischen Schreien der Männer der Kolonne noch übertroffen, als diese ihr Schicksal auf sich zukommen sahen. Sie schafften es in reiner Verzweiflung, ein weiteres Mal ihre Musketen zu laden und eine Salve abzufeuern, als die Rakkes nur noch zehn Meter von ihnen entfernt waren. Getroffen stürzten die Bestien vor ihnen zu Boden, Blut und Knochenfragmente spritzten durch die Luft, und ihr Pelz qualmte, verbrannt vom Schießpulver.

Dann jedoch hatten die Rakkes die Soldaten erreicht.

Die gellenden Schreie verstummten unvermittelt, als Klauen und Reißzähne mit den Soldaten kurzen Prozess machten. Ein paar setzten ihre Musketen als Prügel ein, in einem letzten Versuch, sich an ihr erbärmliches Leben zu klammern, aber ihre Mühen verlängerten es nur um Sekunden. Jeder, der sich umdrehte und weglief, wurde von Klauen in seinem Rücken niedergestreckt und fühlte den heißen, stinkenden Atem eines Rakke an seinem Ohr und auf seinem Nacken, bevor die Bestie ihm ihre Reißzähne in den Hals schlug.

»Wo bist du?«, schrie das Wesen und watete durch das Gemetzel, als die Rakkes über die Karren herfielen wie Aaskäfer, die Fleisch vom Kadaver eines toten Tieres fressen. Kamele gingen mit einem letzten, trotzigen Blöken unter dem Gewicht mehrerer Rakkes zu Boden. Kutscher wurden von ihren Böcken gerissen und in bissgroße Stücke zerfetzt.

»… Gnade …«

Das Wesen drehte sich um und suchte nach der Quelle dieser flehenden Bitte. Es erspähte eine Gestalt, nur ein paar Meter entfernt, die halb unter Massakrierten begraben lag. Das Wesen schritt dorthin und zerschmetterte einen Aasfresser, der sich darauf niedergelassen hatte. Dann blickte es zu Boden. Die Toten waren eine Mischung aus Elfen und Menschen. Es machte sich daran, die Leichen beiseitezuschleudern, als wären sie nur nasse Kleidungsstücke. In seiner Hast, zu dem Überlebenden zu gelangen, riss es Arme aus Gelenken und schuf aus Innereien widerliche Haufen, bis es schließlich zu einem Zwerg vordrang. Es griff hinab, packte den Zwerg am Bart und zog ihn aus dem Leichenhaufen.

»Wo ist er?«

Frost funkelte auf dem Bart des Zwergs, der sich bemühte, Luft zu holen. Ein Auge war zugeschwollen, und ihm fehlte ein Arm. Das blutige Loch, wo die Schulter hätte sein sollen, überzog schwarzes, knisterndes Eis, und der Zwerg schrie vor Schmerz auf. Das Wesen blickte an ihm vorbei zu dem umgekippten Planwagen. Überall lagen Artefakte im Schnee verstreut, aber weder Gold noch Edelsteine interessierten die Rakkes. Doch etwas an diesem Anblick löste eine Erinnerung in dem Wesen aus. Bibliothek. Kaman Rhal.

»Wer bist du?«

Der Zwerg deutete mit seinem Arm auf seine Kehle, und das Wesen ließ ihn los. Er fiel auf den Wüstenboden. Rakkes sprangen herbei, um ihm den Rest zu geben, aber das Wesen zischte sie an und vertrieb sie.

»Mein … mein Name ist Griz Jahrfel, ich bin ein Kaufmann …«

Das Wesen suchte in den Resten seiner Erinnerung und erkannte seinen Fehler. »Ihr seid nicht die Stählernen Elfen!«

Der Zwerg schüttelte den Kopf. »Nein. Einige der Elfen gehörten einmal zu ihnen, aber jetzt nicht mehr. Sie arbeiten … sie arbeiten jetzt für mich.« Seine Stimme wurde von einem heftigen Schluchzen erstickt.

Das Wesen erzeugte einen Speer aus schwarzem Eis und rammte ihn dem Zwerg in den Oberschenkel. Der schrie auf.

»Wo sind sie? Wo, sag es mir!«

»Das weiß ich doch nicht! Wenn sie das Tal verlassen haben, sind sie wahrscheinlich über die Karawanenroute nach Westen gegangen. Hör auf, bitte!«

Das Wesen erinnerte sich an die Landkarte aus Juwelen. Sie war so wunderschön gewesen. Kostbare Edelmetalle und funkelnde Juwelen leuchteten vor seinen Augen auf, zeigten die Größe des Imperiums und markierten Grenzen, bei deren Ausdehnung das Wesen einst mitgeholfen hatte. Dass diese Landkarte ein Vermögen wert war, bedeutete ihm jetzt nichts mehr, dafür jedoch interessierte es sich für den genauen Verlauf der Karawanenroute. Es sah die Strecke klar und deutlich vor sich und begriff. Es ließ den Speer aus schwarzem Eis verschwinden und ging davon.

»Warte! Töte mich, bitte töte mich! Lass nicht zu, dass sie …!« Die Worte des Zwergs gingen in gequältes Kreischen über, als die Rakkes sich auf ihn stürzten.

Blut troff von ihren Pelzen, und Fleischbrocken hingen immer noch aus ihren Mäulern, als die Rotte weiterzog, angetrieben von dem Wesen. Ein merkwürdiger Name steckte wie ein metallener Dorn in dem, was von seinem Verstand übrig geblieben war.

Suhundams Hügel.

 

Konowa öffnete die Augen und musterte die Wüste um sich herum, so weit er sehen konnte. Die Eichel an seiner Brust summte mit einer kühlen Intensität. Das war keine Warnung, sondern eher eine Mitteilung, dass irgendwo da draußen in der Dunkelheit Macht war. Er fragte sich kurz, ob es sich um Visyna handeln konnte, vermutete jedoch, dass es wohl eher etwas war, dem er lieber nicht begegnen wollte.

Der Karren schaukelte weiter, während Rallie die Kamele lenkte, und Konowa schloss die Augen erneut und sagte sich, dass er nur ein paar Minuten ausruhen wollte.

»Zweimal verdammte Hölle!«

Er stand zwischen den Wolfseichen seines Heimatlandes.

Ich träume. Schon wieder.

Er widerstand dem Drang zu schreien, zu treten oder auch nur zu versuchen, sich aus dem Schlafzustand zu befreien. Seinen letzten Besuchen bei der Schattenherrscherin nach zu urteilen, standen die Chancen nicht besonders gut, dass er diese Begegnung genießen würde, aber möglicherweise konnte er etwas Nützliches in Erfahrung bringen.

Also gut, sagte er sich. Werfen wir mal einen Blick darauf.

Der Forst verschwamm, und plötzlich breitete sich die Geburtswiese vor ihm aus. Die Sonne stand tief am Himmel, und die hohen Wolfseichen, die die Wiese umgaben, warfen lange Schatten. Schösslinge erhoben sich schnurgerade über dem dunklen, grünen Gras; ihre Blätter entfalteten sich vor seinen Augen, während sie sich zur Sonne orientierten. Er holte tief Luft und stellte überrascht fest, dass er nicht die Kälte des Spätwinters spürte. Dann machte er ein paar Schritte, blieb stehen und blickte hinab. Seine Stiefel schimmerten von Tau. Von Frost war nirgendwo etwas zu sehen.

Das war unlogisch. Die Schattenherrscherin hatte das Band mit ihrer Silbernen Wolfseiche während des Spätfrostes geschlossen. Er sah sich auf der Wiese um und versuchte sie zu finden.

Eine Gestalt hockte neben einem Schössling am Rand der Wiese auf der anderen Seite.

Konowa zuckte mit den Schultern und ging weiter. Er wollte seine Muskete schultern, aber seine Hände waren leer. Das war zwar nur ein Traum, aber er wollte trotzdem eine Waffe in den Händen halten. Er griff nach seinem Säbel, aber die Scheide an seiner Hüfte war leer. Erneut blieb er stehen und blickte hinab. Eine doppelschneidige Streitaxt, wie sie die Zwerge trugen, lag im Gras zu seinen Füßen.

»Das ist merkwürdig«, sagte er und schüttelte den Kopf, kaum dass die Worte seinen Mund verlassen hatten. Das hier war ein Traum. Merkwürdig traf da nicht einmal annährend den Sachverhalt.

Er bückte sich, hob die Streitaxt auf und knurrte unter ihrem Gewicht. Es fühlte sich gut an, sie zu halten, aber das schlechte Gewissen verhinderte, dass er es genoss. Streitäxte wurden von den Elfen der Langen Wacht als die Inkarnation des Bösen betrachtet. Alles, was Bäumen Schaden zufügen konnte, wurde als böse angesehen. Die Elfen der Langen Wacht waren außerdem nicht für ihren Humor berühmt. Konowa wusste, dass die Entscheidung seines Vaters, sich in ein Eichhörnchen zu verwandeln, teilweise auf dem alten, elfischen Verlangen beruhte, die Nase zu rümpfen, und teilweise darauf, dass seine Mutter ihn enterbt oder noch Schlimmeres unternommen hätte, wenn er stattdessen die Gestalt eines Bibers angenommen hätte.

»Was hast du damit vor?«

Konowa drehte sich um. Regimentssergeant Yimt Arkhorn stand ein paar Schritte entfernt zwischen den Schösslingen. Im Gegensatz zu Konowa war er bewaffnet, hielt seinen Schmetterbogen in den Händen, und der so gefährlich aussehende Drukar hing an seinem Gürtel.

»Du bist tot«, sagte Konowa.

»Dir gleichfalls einen schönen Morgen«, antwortete Yimt. Er lächelte nicht, sondern sah sich auf der Wiese um. Er achtete nicht auf die Gestalt am Rand der Wiese, falls er sie überhaupt bemerkt hatte.

Konowa riss sich zusammen. »Was ist mit dir passiert?«

»Denk nach, Major. Woher soll ich das wissen? Ich bin nicht wirklich ich selbst, sondern ich bin du beziehungsweise der Teil von dir, der sich an mich erinnert. Ich weiß nur, was du auch weißt … mehr oder weniger.«

Ein Rätsel, entzückend! Dieses Gespräch drohte die gleiche Richtung zu nehmen wie die wenigen, die er mit seinem Vater geführt hatte, jedenfalls so lange, bis sich der alte Elf in ein Eichhörnchen verwandelt hatte. Konowa versuchte die Sache anders anzugehen.

»Hast du eine Ahnung, warum eine Zwergenaxt hier herumliegen sollte?«

Yimt zuckte mit den Schultern. »Ich habe alle meine Waffen bei der Hand. Also vermute ich, dass sie für dich bestimmt ist.«

Konowa stellte die Axt mit dem Griff nach unten auf den Boden und hielt die Schneide ein Stück von seinem Körper weg, um die beiden halbmondförmigen Klingen besser betrachten zu können. »Warum benutzen Zwerge Äxte? Das habe ich nie verstanden. Ihr seid doch zum größten Teil geborene Bergarbeiter. Würden Schaufeln da nicht mehr Sinn machen?«

»Hast du jemals versucht, einem Kerl mit einer Schaufel den Schädel einzuschlagen? Man kann das machen, aber hübsch ist es nicht. Und man braucht für gewöhnlich mehr als einen Schlag. Allerdings ist das nicht der Grund. Denn, wie du schon sagtest, wir sind Bergleute.«

Konowa wartete auf eine Erklärung, aber es kam keine. Ganz offenbar hielt Yimt die Schlussfolgerung für offensichtlich. Konowa allerdings weniger.

»Das ist nicht logisch. In einem Minenschacht kann man unmöglich mit so einem Ding auch nur ausholen«, sagte Konowa und schnippte mit einem Fingernagel gegen eine der Klingen. Ein scharfer Ton hallte weit länger über die Wiese, als er es hätte tun sollen.

Yimt nickte. »Das stimmt. Aber Gruben müssen abgestützt werden, und das macht man mit großen, dicken Balken, und das bedeutet, Zwerge verbringen viel Zeit damit, Bäume zu fällen, um die Balken in ihren Minen einzusetzen.«

»Das wusste ich nicht«, sagte Konowa. Aber jetzt, als er darüber nachdachte, erschien ihm das vollkommen logisch. »Ist das der Grund, weshalb Elfen und Zwerge nicht miteinander klarkommen?«

Yimt schob den Schirm seines Tschako in die Stirn, um Konowa besser betrachten zu können. »Was denn, du meinst, warum sie nicht besser miteinander auskommen als Elfen und Menschen, oder Menschen und andere Menschen? Oder meinst du vielleicht dich und alle anderen?«

»Kapiert, ich hab’s kapiert.« Das hier war nicht ganz der joviale Zwerg, an den Konowa sich erinnerte. Vielleicht konnte er sich ja auch an nichts anderes erinnern. Träume waren tückisch. Er wusste, dass er irgendetwas übersah, aber er kam einfach nicht darauf.

Yimt zupfte an seinem Bart und sah sich um. »Hör zu, wir werden beobachtet, also muss ich mich etwas beeilen.«

Konowa sah sich auf der Wiese um. Es war dunkel geworden, obwohl er hätte schwören können, dass es vor einer Minute noch früher Morgen gewesen war. Die Gestalt saß immer noch am anderen Ende der Wiese. Etwas an ihr kam Konowa sehr bekannt vor, aber erneut wusste er nicht, was es war.

»Beeilen womit?«, erkundigte er sich.

Yimt deutete mit seinem Schmetterbogen auf die Gestalt in der Ferne. »Benutz die Axt.«

Konowa blickte auf die Axt und hob dann den Blick. »Warum sollte ich? Das hier ist ein Traum. Ich weiß, dass es ein Traum ist. Nichts, was ich hier tue, hat irgendwelche Konsequenzen, wenn ich aufwache.«

»Gut. Je schneller du es hinter dich bringst, desto früher kannst du aufwachen«, erklärte Yimt. »Benutz die Axt.«

Nebel quoll zwischen den Bäumen hervor und überzog die Wiese mit weißen Daunen. In Konowas Brust flammte ein Schmerz auf. Er bewegte die Schultern und holte tief Luft, aber es nützte nichts.

Konowa blickte erneut auf die Axt, dann zu der Gestalt, die immer noch neben dem Schössling saß. »Hör zu, ich habe gehofft, ich würde hier etwas in Erfahrung bringen …« Er verstummte. Er war allein, und es war Nacht geworden. Konowa packte die Axt mit beiden Händen und setzte sich in Bewegung. Der Nebel umwirbelte seine Knie. Der Schmerz in seiner Brust würde nicht verschwinden. Er rollte mit den Schultern und packte die Axt fester. Yimt hat recht, und Rallie irrt sich, dachte er. Es gibt keine andere Wahl. Sie muss sterben.

Er erreichte die Schattenherrscherin, lange bevor er dafür gerüstet war. Obwohl sie immer noch vom Nebel verhüllt wurde, konnte er sie so deutlich sehen, dass er sein Ziel nicht verfehlen würde.

Er hob die Axt, bereit zuzuschlagen.

Sie drehte sich um und sah zu ihm hoch. Konowa blickte in sein eigenes Gesicht.

Die Axt hing immer noch in der Luft, während er seinen Doppelgänger anblickte. Er wusste, dass dies ein Traum war und es etwas zu bedeuten hatte, aber was?

»Tu es«, sagte der Konowa am Baum. »Schlag mit der Axt zu.«

Konowa schüttelte den Kopf. »Du bist nicht real. Das weiß ich. Also was zum Teufel hat das zu bedeuten?«

Mit einem Mal war sein Doppelgänger verschwunden, und jetzt saß Kritton neben dem Baum. Konowa packte die Axt noch fester.

»Du hast nicht den Mumm, wenn die Zeit kommt, das weiß ich. Und du weißt es auch«, höhnte Kritton. »All das, alles, was du durchgemacht hast, und doch kannst du die Dinge nicht zu einem Ende bringen, nicht einmal im Traum.« Kritton begann zu lachen. Sein Mund wurde größer und war mit scharfen, schwarzen Zähnen gefüllt, die von Frost überzogen waren.

Konowa schlug zu.

 

Konowa beugte sich vor, riss die Augen auf und war bereit zuzuschlagen. »Hölle und Verdammnis!«, stieß er aus und versuchte, sich den Schlaf aus den Augen zu schütteln. Seine Träume wurden immer merkwürdiger. Er sah hinab und stellte fest, dass er seine Muskete in beiden Fäusten hielt. Er löste seine Hände davon und krümmte seine Finger.

»Sie werden nicht glauben, was ich gerade geträumt habe …«, begann er, doch dann verklang seine Stimme, als ihm bewusst wurde, dass der Planwagen sich nicht bewegte. Er blinzelte, richtete sich gerade auf und sah zu Rallie hinüber. Sie starrte in den Himmel hinauf. Die Eichel an seiner Brust war eiskalt, und jetzt begriff er, woher der Schmerz in seinem Traum gekommen war. Er sah ebenfalls hoch.

»Was …?« Mehr konnte er nicht sagen, denn Rallie drehte sich um und stieß ihn mit aller Kraft zur Seite. Konowa streckte haltsuchend eine Hand nach Rallie aus, aber es gelang ihm nur, einen Stapel Papiere aus ihrer Robe zu ziehen, bevor er vom Kutschbock stürzte und mit dem Gesicht im Schnee landete. Der Schock des kalten Schnees auf seiner Haut brachte ihn schlagartig zur Besinnung. Er rappelte sich fluchend hoch, nur um im nächsten Moment erneut im Schnee zu landen, als Rallie gegen ihn prallte. Bevor er auch nur versuchen konnte aufzustehen, hörte er ein ohrenbetäubendes Geräusch, Holz zerbrach und splitterte. Dem folgten ein Rauschen und entsetzte Schreie. Er stützte sich auf die Ellbogen und drehte sich auf den Rücken. Die Lehne des Kutschbocks auf Rallies Karren bestand nur noch aus Holzsplittern. Zwei Sekunden früher, und es hätte ihn erwischt.

Soldaten versuchten stolpernd, sich in Sicherheit zu bringen. Zwei Kamele hatten sich aus ihrem Geschirr losgerissen und galoppierten in die Nacht davon. Die beiden anderen waren nur noch zwei blutige Haufen, die den Schnee blutrot tränkten. Ein Rad von Rallies Karren war abgebrochen und rollte torkelnd wie ein betrunkener Seemann über den Weg.

Die Eichel wurde beißend kalt, und er hörte das Schlagen von Schwingen, das von einem hölzernen Knarren begleitet wurde, wie er es bisher nur bei Schiffsmasten gehört hatte. Konowa folgte mit den Augen dem Geräusch, und bei dem Anblick, der sich im bot, begannen seine Beine ganz von alleine zu zittern.

Ein fliegender Baum in der Gestalt eines Drachens. Sein Verstand weigerte sich, das zu akzeptieren, während gleichzeitig ein tiefer Instinkt in ihm das Ausmaß dieser Entsetzlichkeit begriff, die da auf ihn zukam, und jede Faser in seinem Körper zur Flucht trieb.

»Was ist mit diesen verdammten Bäumen los?«, schrie er. Er sprang auf die Füße, als seine Furcht seiner Wut Energie verlieh. Sein Verständnis von der Welt drohte ihm unter den Füßen wegzubrechen. Die verwandelten Sarka Har flogen tief über die Kolonne der Soldaten hinweg und senkten ihre vorderen Zweige, die mit dicken, spitzen Dornen gespickt waren. Drei Soldaten brachten sich rasch in Sicherheit, aber ein vierter hatte nicht so viel Glück. Die Dornen durchbohrten seine Schulter.

Die Sarka Har flogen hoch, bis Konowa sie kaum noch sehen konnte. Er folgte ihren Bewegungen anhand der Schreie des Soldaten. Als sich deren Tonhöhe änderte, wusste Konowa, dass der Baum ihn losgelassen hatte. Einen Augenblick später fiel eine Gestalt auf den Weg und landete mit einem widerlichen Knall. Konowa machte sich nicht die Mühe abzuwarten, bis der Schatten des Soldaten auftauchte, sondern verabschiedete sich stumm von einem weiteren Soldaten Grostril oder wie auch immer der hier heißen mochte.

»Rallie, ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er, als ihm die Schreiberin wieder einfiel. Er drehte sich zu ihr herum. Sie saß bereits wieder im Schnee, hatte ihren Federkiel und einen Stapel Papiere im Schoß. Konowa durchströmte Erleichterung, die jedoch eine Sekunde später kalter Leere wich, als Rallie anfing zu fluchen und den obersten Papierbogen wegwarf.

»Sie ist zu nass. Die Tinte schmiert nur und behält ihre Form nicht«, sagte sie und rappelte sich hoch. Sie hatte immer noch eine Zigarre im Mund, deren Spitze glühte wie die Esse eines Schmieds. »Es war mein Fehler, dass ich Sie nicht rechtzeitig gewarnt habe, aber die Zeit arbeitete gegen uns.«

»Das tut sie doch immer«, antwortete Konowa und zog seinen Säbel. »Bleiben Sie in Deckung, und rühren Sie sich nicht von der Stelle.«

»Gehen Sie ruhig, ich komme schon klar«, erwiderte Rallie.

Konowa drehte sich um und rannte auf den Weg hinaus, während er die Soldaten um ihn herum anschrie. »In Deckung bleiben! Ladet eure Waffen und pflanzt die Bajonette auf, aber schießt nicht, bis ich den Befehl gebe.«

Ein Stück von der Feder eines Tschakos landete neben seinen Stiefeln. Er blickte hoch und sah die beiden Sarka Har, die über ihnen kreisten.

»Was um Himmels willen ist denn das?«, wollte Vizekönig Alstonfar wissen, der auf Konowa zukam. Seine Stimme klang fast amüsiert.

»Das ist der schnelle Tod!«, brüllte Konowa ihn an, der sah, wie Regimentssergeant Aguom ein paar Meter entfernt weitere Soldaten sammelte. »Haben Sie Soldat Renwar gesehen? Wir brauchen diese verdammten Schatten, und zwar augenblicklich!«

Aguom zuckte mit den Schultern. »Nein, aber ich werde ihn suchen!«

Konowa schlug einmal mit dem Säbel durch die Luft. »Schicken Sie jemand anderen. Sie bleiben hier und bringen die Soldaten in Stellung. Wir müssen eine Salve auf diese Dinger feuern und sie vom Himmel fegen!«

»Jawohl, Sir!«, erwiderte Aguom.

Konowa drehte sich um und sah, dass der Vizekönig immer noch neben ihm stand. »Sie sollten sich verstecken, Vizekönig. Einfach hier im Freien herumzustehen, ist nicht gerade sicher.«

»Ich glaube nicht, dass die Wüste besseren Schutz bietet. Ich halte es für besser, in der Kolonne zu bleiben und einer von vielen zu sein, als ganz alleine in der Wüste herumzustehen.«

Bei der Logik seiner Worte hielt Konowa inne. »Wo ist der Prinz?«

Pimmers Gesicht wurde kreidebleich. »Meine Güte, bei diesem ganzen Durcheinander habe ich ihn vollkommen vergessen! Der zukünftige König, und ich habe ihn alleingelassen!«

»Wir werden ihn schon finden«, erklärte Konowa, den es im Moment überhaupt nicht interessierte, ob sie ihn fanden oder nicht. »Aber im Augenblick haben wir Wichtigeres zu tun.« Er drehte sich um und marschierte zu einer Gruppe von Stählernen Elfen, neben die er sich an den Rand der Straße kauerte. »Wir machen das Gleiche wie vorhin, nur dass wir diesmal nach oben schießen. Wenn sie das nächste Mal vorbeifliegen, feuern wir auf den Ersten, der kommt.«

»Aber Major, was sind das für Dinger?«, erkundigte sich ein Soldat.

»Der schnelle Tod«, sagte Vizekönig Alstonfar, der sich neben Konowa an den Straßenrand kauerte. »Hören Sie auf den Major, und folgen Sie seinem Beispiel, dann wird Ihnen nichts geschehen.«

Konowa drehte sich in der Hocke herum und warf dem Vizekönig einen Blick zu. Der Diplomat erwiderte ihn, grinste und zwinkerte ihm zu. Konowa beschloss, wenn auch zögernd, es sich nicht unbedingt zur Gewohnheit werden zu lassen, Vizekönige umzubringen.

»Nett ausgedrückt«, sagte er schließlich und drehte sich wieder zu seinen Männern um.

»Es ist immer gut, die Männer zu ermutigen«, erklärte Pimmer, streckte die Hand aus und klopfte Konowa auf den Rücken. Er zog hastig seine Hand zurück, als das Frostfeuer knisternd auf seiner nackten Haut brannte.

»Da kommen sie!«

Schnee wirbelte durch die Luft und verwandelte sich in kometenhafte Schweife hinter den Schwingen der Sarka Har, als sie herabsanken. Die Kolonne lag schutzlos vor ihnen.

Jeder Baum senkte seinen rüsselartigen Ast. Bösartige Dornen schimmerten wie Speichel auf nassen Zähnen. Und gleichzeitig sprossen weitere Dornen am Ende von Zweigen, die jetzt wie Klauen geformt waren.

Etliche Soldaten machten Anstalten, aufzustehen und wegzulaufen.

»Liegen bleiben!«, brüllte Konowa sie an. »Ihr seid keine Hühner, die von einem Habicht gejagt werden! Ihr seid Calahrias Elite! Auf mein Kommando hin werdet ihr feuern und diese verfluchten Bäume vom Himmel fegen! Ist das klar?«

Das »Jawohl, Sir!«, das ihm antwortete, klang zwar bei weitem nicht so enthusiastisch, wie Konowa es gern gehört hätte, aber es würde genügen. Er hatte die Männer wieder unter Kontrolle.

»Regimentssergeant, haben Sie das gehört?«, fragte Konowa und blickte auf die Gruppe von Soldaten, die zehn Meter von ihm entfernt war.

Aguom winkte. Das Weiße in seinen Augen war zwar kaum zu sehen, aber seine Stimme klang vollkommen gelassen. »Wir sind bereit, Major. Wir warten nur auf Ihren Befehl.«

Konowa stand auf und trat auf den Weg, sodass er sich direkt vor der Kolonne der Soldaten befand. Er blieb an der Stelle stehen, wo Rallies abtrünniges Wagenrad jetzt einsam und aufrecht im Schnee stand, offensichtlich vollkommen unbeschädigt. Er drehte sich kurz herum, um so vielen Soldaten wie möglich in die Augen zu blicken, bevor er abrupt herumwirbelte und zu den Sarka Har hochstarrte.

In der Kälte fühlte er sich fast nackt. Seine Überlebensinstinkte flehten ihn an wegzulaufen, aber er ignorierte sie. Andere Instinkte übernahmen die Kontrolle, flüsterten ihm ins Ohr, er solle in die Luft springen und die Bäume mit Händen und Zähnen zerfetzten. Konowa entschied sich für etwas dazwischen und hob seinen Säbel hoch in die Luft.

»Achtung …!«

Die Soldaten bohrten ihre Knie etwas tiefer in den Schnee, um einen sicheren Stand zu haben. In ihrer ganzen Ausbildung hatten sie nie geübt, in den Himmel zu feuern. Etliche scheuerten sich die Knie blutig, als sie sie so tief in den Schnee pressten, dass sie den Kies darunter erreichten. Einige besonders Erfinderische legten die Mündungen ihrer Musketen auf die Schultern der Soldaten vor ihnen, während drei sich dazu entschlossen, sich auf den Rücken zu legen und den Boden selbst als Stütze für ihre Waffe zu benutzen.

Die Sarka Har schienen nicht zu merken, welcher Empfang sie erwartete, oder es kümmerte sie einfach nicht, jedenfalls sanken sie immer tiefer. Jeder der beiden zog seine beblätterten Schwingen mit einem markerschütternden Schrei ein und beschleunigte so den Sturzflug. Ein hohes Pfeifen ertönte, das das Heulen des Windes und die Schreie der Soldaten übertönte.

Konowa zapfte seine Wut an und zwang das Frostfeuer, seine Klinge zu beleuchten. Er machte sich keine Illusionen, dass er dadurch leichter gegen diese Monster bestehen könnte, sondern hatte ein anderes Motiv. »Schießt erst auf meinen Befehl hin, Männer, aber keinen Augenblick früher. Wir haben nur eine Chance, also müssen wir sie nutzen!«

Über ihm änderten die beiden Sarka Har ihre Richtung und flogen jetzt hintereinander.

Sie nahmen Kurs direkt auf ihn.

»Zielen …«

Gebete, Flüche und vermutlich sogar ein Lied drangen von den Soldaten auf der Straße zu ihm. Ganz gleich, wo die Soldaten knieten oder lagen, es sah jedenfalls so aus, als würden die hölzernen Drachen sich direkt auf sie stürzen.

Mehr als ein paar Hände zitterten, und wenigstens zwei Soldaten hatten vor Aufregung ihre Ladestöcke in den Mündungen ihrer Musketen stecken lassen, aber ob sie jetzt entsetzt waren oder einfach nur Angst hatten, sie liefen nicht weg, sondern zielten.

Der erste Sarka Har war noch hundert Meter entfernt – in einer Höhe von etwa vierzig Metern –, als er seine Schwingen ausbreitete, um seinen Sinkflug abzubremsen. Es knallte wie ein Kanonenschuss. Der Sarka Har hinter ihm folgte seinem Beispiel. Einen Augenblick später hatten sie beide ihren dornengespickten Zweig gesenkt, um ihn wie einen Rechen durch die Kolonne der Soldaten zu ziehen.

Konowa holte tief Luft und riss weit die Augen auf. Was auch immer passieren würde, er würde es jedenfalls nicht verpassen. Er reckte seinen Säbel in die Luft, schielte über den Rand der Klinge und umklammerte den Griff so fest, dass er überzeugt war, er würde ihn gleich zerquetschen.

Das erste Monster schien fast den ganzen Himmel über der Klinge auszufüllen, als es auf zehn Meter Höhe heruntersank.

»Feuer!«