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DAS MASSIERTE MUSKETENFEUER des Regiments erhellte die Nacht. Donner und Rauch rollten über Konowa hinweg, als die Salve wie bleierner Regen an ihm vorbeizischte. Musketenkugeln fegten über seinen Kopf hinweg, und eine streifte sogar seine ausgestreckte Klinge, die die Bleikugel mit schwarzen Flammen entzündete. Der erste Sarka Har bekam die ganze Salve ab. Seine Schwingen wurden zerfetzt, als die Musketenkugeln sie in Stücke rissen, während sein Stamm zu Splittern zerhackt wurde, als sich die Kugeln hindurchbohrten. Er explodierte in einem glühenden Blitz, und Brocken flammenden Holzes flogen in alle Richtungen davon, während der Rest zu Boden stürzte.

Direkt auf Konowa zu.

Konowa hatte nie ernsthaft in Betracht gezogen, zur Artillerie zu gehen. Ein Offizier in diesem Bereich des Militärs musste sehr viel von Mathematik und Physik verstehen, vor allem von der Kalkulation solch bizarrer, schwieriger Dinge wie Geschwindigkeit und Flugbahnen. Dafür hatte er kein Talent. Wie überaus wenig Talent er dafür hatte, wurde ihm erst jetzt gänzlich klar, als ein glühender Feuerball auf ihn zusauste.

»Hurensohn …!« Weiter kam er nicht, aber nicht aus Gründen des Anstandes, sondern weil ihm die Luft wegblieb. Die brennenden Stücke des Sarka Har landeten krachend auf dem Boden, einen Meter vor Konowa, und prallten wieder ab wie flache Kiesel auf der Wasseroberfläche. Ein etwa zwei Meter langes Stück donnerte in das Wagenrad vor ihm, das ihm damit zwar das Leben rettete, ihn aber dafür mit höllischer Wucht traf. Die Welt, wie er sie kannte, wurde von einem Tornado aus Feuer und Eis verschlungen.

Dann schwebte er. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und jedes Gelenk, jeder Muskel und jeder Knochen in seinem Körper schienen pulverisiert worden zu sein. Der Wind zupfte an seiner Uniform, und er registrierte dunkel, dass er vergeblich versuchte, Luft in seine Lungen zu pumpen. Er verkrampfte sich, und ein Atemzug eisiger Luft fegte durch seine Kehle. Er riss die Augen auf.

Geräusche und Empfindungen kehrten zurück. Er sah das brennende Wrack des ersten Sarka Har auf der Straße, rund zehn Meter unter ihm. Den zweiten Baum konnte er nicht sehen.

Als Nächstes registrierte Konowa ein rhythmisches Knarren und drehte den Kopf ein Stück herum, sodass er das Auf und Ab einer großen, hölzernen Schwinge sehen konnte. Als er wieder einen klaren Kopf bekam, dämmerte ihm, wie unbedacht er Aufstellung bezogen hatte. Dann traf ihn eine Erkenntnis wie ein Schlag. Er hing in der Luft, gehalten an der Taille, vermutlich an seinem Ledergürtel, jedenfalls sagte ihm das sein Gefühl in der Magengegend; außerdem blickte er nach unten, was bedeutete, der zweite Sarka Har war direkt über ihm.

Allmählich drangen auch die Schreie der Soldaten in sein Hirn.

»Springen Sie, Major! Springen!«

»Der Schnee wird Ihren Sturz dämpfen!«

»Springen Sie!«

Der Sarka Har verlor schlagartig an Höhe, und Konowa erlebte einen Augenblick das Gefühl von Schwerelosigkeit. Er drehte sich, damit er den Sarka Har besser sehen konnte. Zum zweiten Mal in dieser Nacht wünschte er sich, er hätte es nicht getan.

Das verdammte Ding brannte lichterloh.

Die drängenden Schreie, die ihn aufforderten zu springen, klingelten in seinen Ohren. Er machte sich wie verrückt an dem Gürtelschloss zu schaffen und schlug gegen die Zweige, in denen er sich verheddert hatte. Der Sarka Har schien nicht einmal zu wissen, dass er da war, weil er vollkommen damit beschäftigt war, sich in der Luft zu halten, was ihm zunehmend schwerer fiel. Da Konowa jetzt der Erde den Rücken zugekehrt hatte, konnte er nicht sehen, wie hoch sie über dem Boden waren, aber der rauschende Wind in seinen Ohren und das Gefühl plötzlicher Leere in seinem Magen sagte ihm, dass der Erdboden vermutlich rasend schnell näher kam.

Er schlug mit beiden Fäusten gegen die Zweige, die laut knackten und ihn freigaben. Er fiel. Er wirbelte herum, als er zu Boden stürzte, und sah eine Schneewehe, die auf ihn zuraste, nachdem er zweieinhalb Drehungen vollendet hatte. Aber er verpasste die Schneewehe um gut zwei Meter, schlug auf einem Kamel auf – er wusste nicht, ob es tot oder lebendig war, weil sie für ihn alle gleich stanken – und krachte von dort zu Boden, wo er viermal hintereinander aufprallte wie ein Gummiball; dabei wirbelte er jedes Mal einen kleinen Geysir aus Schnee auf, bis er endlich auf dem Rücken zu liegen kam.

Die Zeit stand nicht direkt still, aber sie verhüllte einfach ihren Blick vor diesem Elend. Konowa merkte, dass er nicht atmete, aber er wusste nicht, ob es daran lag, dass er tot war, oder ob er einfach nur vergessen hatte, wie das ging. Er vermutete, dass er noch am Leben war.

»Hölle und Verdammnis!«

Der Schmerz durchzuckte ihn in Wellen, die ihm erneut den Atem zu nehmen drohten. Er versuchte den Kopf zu heben und bereute es augenblicklich.

»Hölle und Verdamm…!«

Eine donnernde Explosion verkündete das Ende des zweiten Sarka Har irgendwo links hinter ihm. Er lächelte und hoffte, dass dieses Ding genauso viel Schmerzen empfand wie er. Im nächsten Moment tauchte ein verschwitztes Gesicht über ihm auf, und es dauerte einen Moment, bis die Gesichtszüge deutlich wurden.

»Major! Das war einfach prachtvoll! Ich kann ohne jeden Zweifel behaupten, dass ich in all meinen Dienstjahren im Diplomatischen Korps noch nie etwas auch nur annähernd Spektakuläres miterleben durfte«, erklärte der Vizekönig. Seine offenkundige Begeisterung war ein weiterer Schmerz, den Konowa ertragen musste.

Es gelang ihm, einen Finger seiner rechten Hand zu krümmen und den Vizekönig dichter an sich heranzuwinken. Er musste sich beeilen. Sein Blickfeld wurde bereits grau an den Rändern, und sein Körper glitt in eine euphorische Taubheit, die er als unmittelbar bevorstehende Bewusstlosigkeit erkannte.

Der Vizekönig beugte sich vor und legte sein Ohr an Konowas Lippen. Konowa sprach, obwohl seine Worte kaum mehr als ein Flüstern waren. Auch das graue Licht verblasste schnell, aber er musste es unbedingt jemandem sagen, falls das hier seine letzten Worte waren.

Die Soldaten liefen herbei und umringten sie. Regimentssergeant Aguom kam einen Moment später an und kniete sich auf Konowas andere Seite. »Was hat er gesagt, Vizekönig?«

Vizekönig Alstonfar blickte hoch und spitzte die Lippen, bevor er antwortete. Doch noch ehe er etwas sagen konnte, hatte Konowa genug Kraft gesammelt, um es selbst aussprechen zu können.

»Was auch immer ihr tut … falls nur Asche von mir übrig bleibt … legt sie auf keinen Fall in eine verdammte Holzkiste …!«