SAÝOSHA - Recherchen

Die Wohnung von Línette lag nur ein paar Häuserblocks entfernt. Reece und Saýosha gingen zu Fuß, unterhielten sich auf dem Weg lebhaft über Gott und die Welt und es stellte sich heraus, dass es ihnen nicht an Gesprächsstoff mangelte. Sie verstanden sich prima, lachten, neckten sich und blieben mehrmals stehen, um sich zu umarmen und zu küssen.

Reece sah Saýosha strahlend an. „Es war eine sehr schöne Nacht, weißt du das? Ich hatte ewig keinen Männerbesuch mehr“, sagte sie lächelnd und drückte seine Hand.

„Ja meine Süße, das finde ich auch“, erwiderte Saýosha knapp, fügte aber nach kurzem Überlegen hinzu: „Es war echt schön.“ Er war sich immer noch nicht im Klaren darüber, warum ihn die bevorstehende Aufgabe reizte, ob er alles nur seines Bruders wegen machte, oder ob ihm Reece wirklich mehr bedeutete als die Frauen vor ihr.

„Ich hätte niemals gedacht, dass du mir hilfst, meine Schwester zu finden. Endlich habe ich auch mal Glück!“, sagte Reece ausgelassen und streichelte dabei mit ihren langen, schlanken und gepflegten Fingern seine große Hand, die die ihre fest umfasste. „Bisher hatte ich immer Pech mit Männern. Meistens sind sie direkt nach dem Aufwachen abgehauen und haben sich nicht mehr gemeldet. So was tut weh. Am Abend versprechen sie einem das Blaue vom Himmel und am nächsten Tag wissen sie nichts mehr davon.“

„Oh, tut mir leid, dass du so schlechte Erfahrungen machen musstest, meine Süße.“ Saýosha verschwieg ihr natürlich, dass genau das sein Plan gewesen war, als sie sich gestern Abend in der Kneipe kennengelernt hatten und dass er das, was Reece so treffend auf den Punkt gebracht hatte, schon mehrfach Frauen angetan hatte. Aus ihrer Perspektive hatte er das jedoch noch nie gesehen. Diese Frau, die hübsch und einen guten Kopf kleiner war als er, einen sehr gepflegten, erotischen Körper mit Haut wie Samt hatte, so leidenschaftlich lieben konnte und so unbedarft darauf los plapperte, war dabei, sein hart gewordenes Herz zu erweichen. Sie tat ihm jetzt in der Seele leid. Offensichtlich hatte sie bisher kaum die Sonnenseite des Lebens gesehen. Er sah sie so gerne lächeln; aber er witterte auch seine Chance. Der Ausrutscher, den er sich bei seinem Bruder geleistet hatte, ärgerte ihn, deshalb wollte Ascon nicht mehr mit ihm reden. Das ließ sich sicher ändern, wenn er in seiner Achtung wieder gestiegen war.

„Na ja, ich denke positiv, ich gebe nicht auf und werde schon noch den Richtigen finden. Ich hätte auch gerne eine Familie und Kinder … irgendwann“, fügte Reece hinzu und dabei leuchteten ihre Augen.

Kinder … Saýosha dachte an Caramída, die Mutter seines Knastkumpels und an die schwangeren Frauen, die in letzter Zeit verschwunden waren. Kaýleen war der dritte Fall, von dem er jetzt gehört hatte. Heutzutage ein Baby im Bauch zu haben, war wohl eher ein Fluch als ein Glück.

Will ich wirklich wissen, was mit ihnen passiert ist, oder denke ich nur an meine eigenen Vorteile … schoss es ihm durch den Kopf. „Irgendwann … ja …“, erwiderte er und gab Reece einen Kuss. Eigentlich wollte er sich nie wieder binden und frei sein, aber insgeheim musste er zugeben, dass er neidisch war auf die Welt, in der sein Bruder lebte. Das war wahres Familienglück!

Dass auch Ascon bald durch die Hölle gehen würde, ahnte auch er jetzt noch nicht.

C. C. Howard - Projekt I1 - Der Anfang
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