RAPHAELE - Freiheit
Hätte er gewusst, was ihm noch bevorsteht, wäre er besser im Knast geblieben.
Raphaele zitterte vor Kälte, hatte blaue Lippen und entleerte seinen Mageninhalt direkt auf verfaulte und glitschige Obstschalen, Essensreste und Zigarettenkippen. Sein Hinterteil fühlte sich wie ein Eisberg bei der Kollision mit der Titanic an, denn sein Hosenboden, auf dem er ständig hin und her rutschte, war innerhalb kurzer Zeit völlig durchgeweicht und auf gefühlte Minusgrade abgekühlt. Er saß geduckt und stank wie der Abfall, auf dessen Gipfel er kauerte und der ihm endlich die Freiheit bringen würde.
Es war fünf Uhr morgens und stockdunkel in diesem Müllcontainer, der an zwei riesigen Ketten über der Ladefläche eines Lastwagens aufgehängt war. Der verrostete Behälter schaukelte beim Fahren hin und her, manchmal so stark, dass Raphaele das Gleichgewicht verlor. Er versuchte, sich an den Metallwänden abzustützen, aber seine glitschigen Hände fanden keinen Halt. Er glitt unsanft durch den Müll und knallte mit dem Kopf an die Metallwand auf der anderen Seite.
Au! Verdammt!
Für einen Moment wurde ihm schwindelig und er hatte Angst, ohnmächtig zu werden.
Schließlich hielt der Lkw an und der Container bewegte sich langsam und quietschend nach unten. Hart und laut rumpelnd setzte er auf der Ladefläche auf. Kurz darauf erhob sich der riesige Kasten auf der hinteren Seite und sein Inhalt, der blinde Passagier in dunkelblauer Knastuniform, befand sich beinahe kopfüber in einer unbequemen und schmerzhaften Lage. Er versuchte, sich umzudrehen, aber nirgendwo konnte er sich festhalten. Im Zeitlupentempo rutschte er auf die Öffnungsklappe zu.
Ja … egal … Hauptsache raus hier, mach schon, geh auf … dachte er und sein Herz begann zu rasen, als der Container endlich kippte und sich dessen Klappe laut quietschend und im Schneckentempo öffnete.
Die ersten Kartoffel- und Bananenschalen mitsamt Orangenkompott, gemischt mit übel riechendem Fleisch und Tomatensuppe rutschten heraus. Die Abfälle hinter und über ihm fielen ihm auf Jacke, Hose und ins Gesicht. Er spuckte angewidert aus, als ihm Salatsoße über die schmalen Lippen lief, die schon beim Mittagessen im Knast eher nach Arznei als nach Kräuterdressing geschmeckt hatte. Im nächsten Moment atmete er Zigarettenasche ein, hustete und musste erneut würgen, als er unkontrolliert zur Luke rutschte.
Dann fiel er …