Sie kannte die männliche Vorliebe für exotische Morgenröcke. Frederick hatte einen besessen, der so ähnlich aussah wie der, den Constantine Black jetzt so lässig trug, doch die kräftigen chinesischen Farben hatten Frederick nicht gestanden.
Der Morgenrock hingegen, den der neue Lord Roxdale trug, schien seine dunklen Züge und seine gebräunte Haut noch zu unterstreichen. Die bunten Edelsteinfarben betonten seine strahlend grünen Augen. Aufschimmernde dunkle Haut an Hals und Brust waren Zeichen seiner Männlichkeit, das Fehlen von Weste und Krawattentuch verlieh ihm eine draufgängerische, piratenhafte Aura.
Sie stand wie angewurzelt da. Sie fühlte sich wie in einem Haifischbecken. Ihr Magen krampfte sich zusammen, ihre Hände zitterten und ihr Herz schlug plötzlich bis in ihre Kehle.
Was passierte nur mit ihr? Sie versuchte zu widerstehen, doch ihr Blick kehrte immer wieder zu seiner Brust zurück.
„Lady Roxdale?“ Sein amüsierter Ton verriet, dass er genau wusste, welche Wirkung er auf sie ausübte. Ihr Gesicht glühte.
Mit Gewalt riss sie sich vom Anblick seines kraftvollen Schlüsselbeines los und brummte: „Sie hätten wenigstens einen Rock anziehen können.“
Constantine Black zog seine schwarzen Augenbrauen hoch. „Meine Kleidung ist wohl der am wenigsten unanständige Aspekt dieser Zusammenkunft. Warum diese Heimlichtuerei? Wissen Sie denn nicht, dass ich tugendhafte Jungfrauen nur zum Frühstück verführe?“
„Wie können Sie sich hinstellen und mit Ihrem Ruf prahlen! “, fuhr sie ihn an. „Glauben Sie mir, das beeindruckt mich überhaupt nicht.“ Einer seiner Mundwinkel hob sich. „Und doch sind Sie hier.“ Er betrachtete sie schamlos von oben bis unten, was wohl nur gerecht war, schließlich hatte sie ihn ebenso schamlos gemustert.
Bei dem glitzernden Blick aus seinen tiefgrünen Augen wurde ihr heiß und unbehaglich. Sie fühlte sich bedrängt. Am liebsten hätte sie die Arme vor der Brust verschränkt, obwohl ihr Kleid bis zum Hals hochgeschlossen war. Sie hatte das Gefühl, er würde durch ihre Kleider hindurchsehen und ihren nackten Körper darunter betrachten. Mit flammendem Gesicht beeilte Jane sich zu sagen: „Ich habe mit Ihnen etwas Wichtiges zu bereden, Mylord.“
„Es ist ein merkwürdiger Ort für eine Unterredung.“
„Es ist neutrales Gebiet.“ Sie hatte die Kapelle ausgesucht, weil sie die nüchternste Atmosphäre bot, die sie sich denken konnte. Und doch summte die Luft vor Spannung, seit er die Kapelle betreten hatte. Ihre Sinne waren aufs Äußerste gereizt und durch ihren Kopf schwirrten die merkwürdigsten Vorstellungen.
Bei Gott! Constantine Black war wie ein wandelnder Blitz. Wohin er auch ging, er erfüllte jeden Raum mit Spannung und einer gleißenden Hitze. Selbst wenn sie ihn in einem Kuhstall treffen würde, bestünde diese Spannung zwischen ihnen.
Sie zwang sich, etwas zu sagen, um nicht wie eine dummes Mädchen vor ihm zu stehen. „Ich muss mit Ihnen unter vier Augen reden, bevor es der Duke of Montford tut. Morgen gibt es dazu vielleicht keine Gelegenheit mehr.“
Jeder wusste, dass solch ein Taugenichts aus der Stadt, wie Constantine Black es war, nicht vor dem Mittag aufstand. Montford aber wünschte nach dem Frühstück mit Jane zu sprechen. Sie musste Constantine Black in die Ecke treiben, bevor der Duke über ihr Schicksal entschied und ihr keinerlei Handlungsspielraum mehr ließ.
Jane verschränkte die Finger ineinander und sah zu ihm auf. „Frederick hat ein furchtbares Durcheinander hinterlassen.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, was das Erbe eines Vermögens für einen Nachteil haben sollte.“ Constantine verschränkte die Arme und lehnte sich an eine Marmorsäule.
„Nein?“, sagte sie trocken. „Dann kennen Sie meine Familie nicht.“
„Ich kenne sie gut genug.“ Mehr als ihm lieb war, schloss sie aus seinem mürrischen Tonfall.
Sie betrachtete ihn aus schmalen Augen, entschied aber, nicht nachzuhaken. Schließlich brauchte sie seine Kooperation.
„Wir sollten hier nicht so allein miteinander sein“, sagte er. „Was würde geschehen, wenn der Duke zum Beten hereinkäme?“
Sie schnaubte. „Montford braucht nicht zu beten. Schließlich hält er sich für den lieben Gott höchstpersönlich. Jedenfalls glaube ich, dass mein Ruf es übersteht, wenn ich einen Moment mit dem Cousin meines Ehemanns plaudere.“
„Gütiger Himmel, Sie sind ja vertrauensselig!“ Er sah sich um, worauf die Goldstickerei auf seinem Morgenmantel aufleuchtete. „Wenn ich nur halb so schlimm wäre, wie immer behauptet wird, würde mich nichts davon abhalten, Sie zu verführen.“
Trotz ihrer Entschlossenheit, sich von ihm nicht einschüchtern zu lassen, setzte Janes Herz einen Schlag aus und begann dann wie wild zu klopfen.
Sie fasste sich wieder und lächelte spöttisch. „Eine leere Drohung, Mylord. Ich habe keine Angst vor Ihnen.“
„Oh, es war keine Drohung.“ Lächelnd musterte er sie von Kopf bis Fuß. „Es war eher ein Nachsinnen.“
Was um alles in der Welt wollte er ihr damit sagen? Die Belustigung, die in seinen Augen blitzte, ließ sie nicht weiter nachfragen.
Jane versuchte sich auf ihr ursprüngliches Vorhaben zu konzentrieren. „Die Art und Weise, wie die Hinterlassenschaft geteilt wurde, versetzt uns beide in eine fürchterliche Lage. Meine Familie ist der Meinung, uns bliebe nichts anderes übrig, als zu heiraten.“
Sie wartete, doch er enthielt sich jeden Kommentars. Er würde es ihr nicht einfach machen. Sie verschränkte ihre Finger erneut ineinander. „Ich werde morgen eine Unterredung mit dem Duke of Montford haben, um diese Angelegenheit zu besprechen.“
Anfangs hatte sie panische Angst gehabt, der Duke könnte von ihr verlangen, Constantine Black zu heiraten. Mittlerweile hatte sie ebensolche Angst, er könne noch ganz andere Pläne für sie haben. Nie würde sie sich bereit erklären, Luke zurückzulassen, doch das würde der Duke nicht verstehen. Sein einziges Ziel bestand darin, Reichtum und Macht der Westruthers zu mehren. Warum sollte er sich dafür interessieren, was aus einem einzelnen kleinen Jungen wurde?
Sie sah Constantine an, doch dieser unverschämte Mann schwieg immer noch. Ihre Worte schienen ihn nicht zu überraschen. Natürlich wäre er ein Narr, eine Heirat zwischen ihnen nicht als mögliche Lösung für das Schlamassel in Betracht zu ziehen, das Frederick ihnen hinterlassen hatte. Und auch wenn ihm jede Moral fehlte, hatte sie doch den Eindruck, dass Constantine Black kein Narr war.
Sie versuchte seine Mimik zu deuten, doch sein Gesicht war völlig ausdruckslos. Offenbar war er fest entschlossen, ihr nicht entgegenzukommen.
Nur ihr Wunsch, Luke bei sich zu behalten, ließ sie weiterkämpfen. Sie atmete tief durch, errötete vor Verlegenheit. „Unabhängig von unseren ... persönlichen Gefühlen glaube ich, dass Sie und ich heiraten müssen, um den Besitz wieder zusammenzuführen.“
Eine Pause trat ein. Langsam zog er beide Augenbrauen nach oben. „Ah“, sagte er leise. „Ich fühle mich geehrt, dass eine so schöne und vornehme Dame sich dazu herablässt, mir die Ehe anzutragen.“ Natürlich sollte er sich geehrt fühlen. Durch diese Verbindung hatte er schließlich ebenso viel zu gewinnen wie sie! Er ging kein Risiko ein. Im Gegenteil. Er konnte ihr Vermögen nehmen und es einfach verjubeln, es für sein Glücksspiel und seine Geliebten oder seine Huren ausgeben, ohne einen Gedanken an die Kosten zu verschwenden. Während sie mit aller Macht versuchte, den Kopf über Wasser zu halten, die Lady vom Herrenhaus zu spielen und so tat, als wäre ihre Welt nicht zusammengebrochen.
Sie schluckte hart. „Natürlich wäre es eine reine Vernunftehe. Sie brauchen nicht zu befürchten, dass ich von Ihnen erwarte, Ihre Gewohnheiten zu ändern.“
„Meine Gewohnheiten?“ Er sprach die Worte sanft, doch in seinem Blick lag ein gefährliches Glitzern. „Wie großzügig von Ihnen. Ich bin ganz überwältigt, sogar zutiefst geschmeichelt.“
Sie platzte mit den Worten heraus, ehe sie sie zurückhalten konnte. „ Geschmeichelt ? Sie sind der letzte Mann auf Erden, den ich freiwillig heiraten würde. Aber wie es scheint, bleibt mir nichts anderes übrig. “ Zorn loderte in seinen Augen auf, doch im nächsten Augenblick war der Ausdruck verschwunden und er lächelte wieder glatt und unverbindlich. Jane ließ sich davon nicht täuschen. Seine Augen wirkten hart und glitzernd wie Smaragde.
„Na“, sagte er ruhig, „jetzt haben Sie es mir aber gezeigt, nicht wahr?“
Jane errötete. Eine Entschuldigung für ihre Unhöflichkeit lag ihr bereits auf der Zunge, doch sie schluckte sie hinunter. Gereizt erwiderte sie: „Wahrscheinlich glauben Sie, jede Dame müsste vor Entzücken in Ohnmacht fallen bei dem Gedanken, Sie zu heiraten.“
„In Ohnmacht?“
Sein Lächeln verbreitete sich spöttisch über sein Gesicht, doch seine Augen erreichte es immer noch nicht. Er schlenderte lässig und dennoch kraftvoll auf sie zu. Seine Bewegungen waren unter der fließenden Seide des Morgenrocks voller Anmut. „Na, Sie wirken ja jetzt schon reichlich benommen. Sehen Sie sich doch an, so steif und prüde mit Ihrem festen kleinen Haarknoten und Ihrem hochgeschlossenen Kragen.“ Er blieb stehen, nur wenige Zoll vor ihr. „Und darunter all die brodelnde Leidenschaft.“
Sie versuchte, ihren Atem zu kontrollieren, doch er beschleunigte sich nur noch mehr. Constantine stand ihr sehr nahe. Sie roch, dass er Wein getrunken hatte, und ihr Blick heftete sich auf die aufreizende Stelle, wo der Aufschlag seines Morgenrocks auf bloße Haut stieß. Constantine Blacks schiere Männlichkeit war überwältigend.
Aber sie hatte keine Angst vor ihm! Die Hitze, die durch ihren Körper flimmerte, hatte mit Furcht nichts zu tun.
In kühnem Trotz sah sie zu ihm auf. Leidenschaft? Was wusste er schon von ihren Begierden? Sie hatte kein Interesse, mit ihm ins Bett zu gehen.
Er hielt ihrem Blick stand und streckte die Hand aus, um eine Locke anzuheben, die sich aus dem Knoten in ihrem Nacken gelöst hatte. Mit einer Fingerspitze streifte er ihr Kinn. Jane überlief eine Gänsehaut in heftigen Wellen. Sie spürte das leise Ziehen an der Kopfhaut, als er die Locke zwischen Daumen und Zeigefinger befühlte.
„Weich“, murmelte er.
Jane wurde heiß und kalt. Ihre Gedanken schwirrten umher, sodass sie ganz vergaß, weshalb sie hier war. Mit einem tiefen Seufzer entzog sie sich ihm und kehrte ihm den Rücken zu, verzweifelt bemüht, die Contenance wiederzuerlangen.
Jane biss sich auf die Lippen. Sie versuchte das nachklingende Beben in ihrem Körper zu unterdrücken. Niemand hatte sie bisher so berührt, nicht einmal Frederick. Es war intim. Viel zu intim. Sie hätte es nicht zulassen dürfen.
Was hoffte Constantine mit einem derartigen Benehmen zu gewinnen? Glaubte er, er könnte ihr Angst einjagen? Plötzlich bekam seine spöttische Bemerkung über ihre Verführung einen unheimlichen Anstrich.
Er sagte etwas, leise, doch sie erschrak trotzdem. „Was mag Frederick wohl bewogen haben, Ihnen alles zu hinterlassen?“
In seiner heiseren Stimme schwang eine Andeutung mit, die ihr nicht gefiel. Sie hatte den Eindruck, dass er sie als Bettgefährtin abschätzte. Vielleicht mutmaßte er sogar, sie habe Frederick das Vermögen im Gegenzug für spezielle erotische Dienste abgeluchst.
Was für eine Ironie.
„Frederick war wahnsinnig, so ein Testament zu machen“, brachte sie hervor. „Ich wurde nicht gefragt und wenn doch, hätte ich ihm das auch gesagt.“
Wieder erfüllte Schweigen die Kapelle.
Er glaubte ihr nicht.
Jane schluckte. Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Lukes Glück stand auf dem Spiel. Sie durfte sich von Constantines Tricks nicht aus dem Konzept bringen lassen.
Sie ging auf ihn zu. „Hören wir doch auf mit diesem Katz-und-Maus-Spiel, Sir. Sie wissen, was ich will. Mir geht es einzig und allein darum, Luke bei mir zu behalten. Wenn ich Sie dazu heiraten muss, dann tue ich es eben.“
„Sie würden Ihre Freiheit und Ihr Vermögen für einen kleinen Jungen opfern?“ Sein Ton verriet ihr, dass er das kaum glauben mochte.
Ihre Stimme schwankte. „Luke ist wie ein Sohn für mich.“ Er war ihr Sohn. Sie würde noch mit ihrem letzten Atemzug um ihn kämpfen.
Dieser Schuft würde die Tiefe ihrer Gefühle sowieso nie verstehen. Es war sinnlos, überhaupt den Versuch zu unternehmen, sie ihm zu erklären.
Sie vergaß alle Höflichkeiten und Anstandsregeln und schleuderte ihm ihre Worte entgegen. „Heiraten Sie mich jetzt oder nicht?“
Völlig unbeeindruckt schenkte er ihr sein charmantestes Lächeln.
„Ich weiß es nicht“, sagte er schlicht. „Ich habe mich noch nicht entschieden.“