Fantastik versus Erdung: Die Arbeit bei Ernst Jünger und Hannah Arendt

Nachdem Ernst Jüngers und Hannah Arendts Sicht der menschlichen Arbeit bereits am Ende des ersten Kapitels kurz gestreift wurde, kehren wir jetzt nochmals zu diesen beiden Denkern zurück. Bei Bertrand Russell findet sich im Zusammenhang mit der menschlichen Arbeit ein nur am Rande auftauchender, von ihm nicht weiter vertiefter Gedanke über »die neue Freude an der Technik und unser Schwelgen in erstaunlichen Möglichkeiten, das Antlitz der Erde kunstvoll zu verändern«.385 Russell spricht hier einen Gedanken an, der in dem von Ernst Jünger (1895–1998) entworfenen Konzept der menschlichen Arbeit eine zentrale Rolle zu spielen scheint. Ernst Jünger hat das Denken der Generation unserer Väter und Großväter in einer Weise geprägt, die bis in unsere heutige Zeit hineinwirkt386.

Die Arbeit war für Ernst Jünger, der insoweit einen Gedanken Friedrich Nietzsches aufnahm, Ausdruck der primären Vitalität des Menschen und seines »Willens zur Macht«. Für Jünger war »der Arbeitsraum unbegrenzt, ebenso wie der Arbeitstag 24 Stunden umfasst«. Jüngers Vorstellung von der Arbeit war eine totalitäre: »Das Gegenteil von Arbeit ist nicht etwa Ruhe oder Muße, sondern es gibt unter diesem Gesichtswinkel keinen Zustand, der nicht als Arbeit begriffen wird.«387 Im Vordergrund stand für Jünger der »Aufbereitungs-, Zerstörungs- und Bemächtigungscharakter«388 der Arbeit. So verstandene Arbeit bedeutete für ihn, der zur Zeit der Abfassung seines Textes »Der Arbeiter« mit Adolf Hitler und den Nationalsozialisten sympathisierte, die »totale Mobilmachung«, die Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft samt ihrer Werte und den Abschied von Mäßigung und besonnener Vernunft. Arbeit war für ihn das Potenzial, jede Vorstellung Wirklichkeit werden lassen zu können, und sei sie noch so fantastisch.

Einen Gegenpol zu Ernst Jüngers fantastischer Vision der Arbeit bilden, wie bereits im ersten Kapitel ausgeführt wurde, die Gedanken der Philosophin Hannah Arendt (1906–1975). Sie unterschied zwischen »Arbeit« und »Herstellung«389. Unter »Arbeit« verstand sie den Vollzug eines Kreislaufprozesses zwischen Mensch und Natur, dessen Ziel die Befriedigung biologisch begründeter Bedürfnisse des Menschen einschließlich seiner Fortpflanzung sei: Der Mensch müsse sich als »animal laborans«390 »die Welt … erkennbar … und verwendbar machen, um sich in geplanter und sachgemäßer Arbeit das zu beschaffen, was er braucht und was niemals schon zur Verfügung steht«391. In einem »Stoffwechsel mit der Natur« werden Produkte erzeugt, verwertet, verfallen dann und werden an die Natur zurückgehen.

Der von Hannah Arendt so definierte Prozess der »Arbeit« weist drei Merkmale auf: Erstens sei alle Arbeit durch die menschliche Bedürftigkeit »geerdet« und an dieser orientiert; zweitens sei Arbeit ein prinzipiell unendliches, weil ewig zirkuläres Geschehen und werde von Wachstum und Verfall begleitet392; drittens schließlich verweise die Arbeit den Menschen, weil er selbst Teil des zirkulären Geschehens sei, auf seine eigene Vergänglichkeit, auf seinen Tod.

»Herstellung« definiert Hannah Arendt – im Gegensatz zur »Arbeit« – als das Anfertigen von haltbaren Produkten (Werkzeuge, Geräte, Instrumente, Kunst- und Bauwerke), die also nicht dem Kreislauf der Arbeit unterliegen393. Indem er etwas herstelle, werde der Mensch vom »animal laborans« zum »homo faber«. Kennzeichnend für das menschliche »Herstellen« sind nach Arendt drei Merkmale: Erstens sei die »Herstellung« eingebettet in das Bestreben des »homo faber«, Bleibendes zu schaffen und damit die eigene Vergänglichkeit zu überwinden; zweitens sei mit dem Prozess der Herstellung der Erwerb von praktischem und wissenschaftlichem Wissen und der Fähigkeit zum vernünftigen Denken verbunden (ein bereits von John Locke geäußerter Gedanke). Wie die hergestellten (dauerhaften) Produkte, so überwinde auch das Wissen die Vergänglichkeit394; drittens aber bleibe für den herstellenden Menschen »der Herstellungsprozess, wie wichtig er auch sein mag, durchaus Mittel zum Zweck«395, er bleibt bei Hannah Arendt also – im Gegensatz zum oben dargestellten, von Ernst Jünger vertretenen Konzept – an der Bedürftigkeit des Menschen orientiert und damit sozusagen »geerdet«.