Das sogenannte Motivationssystem ist eine für die Verrichtung von Arbeit fundamentale neurobiologische Struktur. Dieses System besteht aus einem in der Mitte des Gehirns gelegenen Nervenzellnetzwerk, dessen Botenstoffe für die Erzeugung von Motivation und Lebensfreude unverzichtbar sind52. Das deutsche Wort »Motivation« beruht auf dem lateinischen Wort »movere«, welches »bewegen« bedeutet. Motivation ist also die Fähigkeit, sich mit dem Geist oder auch körperlich auf etwas zuzubewegen.
Dass die Motivation einen sowohl psychischen wie physischen Aspekt hat, wird auch daran deutlich, dass der Hauptbotenstoff des Motivationssystems, Dopamin, nicht nur die psychische Energie erzeugt, die wir benötigen, um ein Vorhaben engagiert – oder gar lustvoll – angehen zu können, sondern uns auch befähigt, uns körperlich auf etwas hinbewegen zu können.
Die Nervenzellen des Motivationssystems produzieren einen Botenstoff-Cocktail aus drei Bestandteilen: Neben dem bereits erwähnten Dopamin enthält der Cocktail sogenannte »endogene Opioide« (Schmerz lindernde Wohlfühlbotenstoffe) und den Botenstoff Oxytozin. Oxytozin ist ein Einfühlungs- und Vertrauenshormon.
Fühlende Lebewesen wie der Mensch wollen sich gut fühlen – eine Erkenntnis, die auf Charles Darwin zurückgeht53 und später von Sigmund Freud als »Lustprinzip« bezeichnet wurde. Der menschliche Organismus sehnt sich nach guten Gefühlen. Doch diese sind, neurobiologisch betrachtet, nur zu haben, wenn das Motivationssystem unseres Gehirns beginnt, seinen Cocktail anzurichten. Dies ist der Grund, warum alles menschliche Verhalten eine – überwiegend unbewusste, teils aber durchaus auch bewusste – Tendenz hat, vor allem solche Erlebnisse zu suchen und solche Handlungen auszuführen, die zur Folge haben, dass das Motivationssystem seinen Botenstoff-Cocktail produziert. Zahlreiche Studien der letzten Jahre zeigen, dass das Motivationssystem unseres Gehirns vor allem dann anspringt, wenn uns von anderen Menschen Wertschätzung, Anerkennung, Sympathie oder gar Liebe entgegengebracht werden. Da soziale Akzeptanz uns also via Aktivierung unseres Motivationssystems angenehme Empfindungen bereitet, sind Menschen willens, dafür eine Menge zu tun, ja dafür sogar Anstrengungen und Entbehrungen auf sich zu nehmen. Vor allem sind Menschen aus diesem Grunde bereit, dafür das zu tun, warum es in diesem Buch geht: zu arbeiten54.
Auch wenn es vielen möglicherweise nicht bewusst sein mag, so ist es doch eine Tatsache: Ein zentrales, neurobiologisch (!) begründetes Motiv für die Bereitschaft des Menschen zu arbeiten ist der Wunsch nach direkter oder indirekter Anerkennung. Anerkennung ist etwas anderes als ein oft billiges Schulterklopfen oder ein vordergründiges Lob. Anerkennung bedeutet auch nicht, andere in Watte zu packen oder zu verwöhnen. Kein Mensch, der über eine halbwegs intakte Intelligenz verfügt, empfindet hohle Floskeln, Leerformeln oder Verwöhnung als Anerkennung. Anerkennung ist ein sehr komplexes Konstrukt. Anerkennung zu geben bedeutet vor allem, den anderen Menschen zu »sehen« und ihm – und dem, was er bzw. sie tut – eine Bedeutung zuzumessen. Zwar gehört zur Anerkennung ohne Frage die Bereitschaft, Anstrengungen zu loben und zu belohnen, Anerkennung schließt aber auch die kritische Begleitung mit ein. Dies gilt im kollegialen Miteinander, in der Mitarbeiterführung, aber zum Beispiel auch in der Pädagogik. Jemanden ausnahmslos und fortwährend zu loben oder zu verwöhnen, ohne jemals einen kritischen Aspekt anzusprechen, ist eine besondere – in der Pädagogik unserer Tage übrigens gar nicht so seltene – Form der Missachtung, des »Nicht-Sehens«.
Anerkennung gewinnt ihren Wert für diejenigen, denen sie zuteilwird, erst dadurch, dass sie vor dem Hintergrund einer gleichermaßen freundlichen wie auch kritischen Begleitung erarbeitet wurde. Direkte, persönliche Anerkennung am Arbeitsplatz berührt die Frage guter Mitarbeiterführung und des kollegialen Klimas. Ebenso wichtig wie die direkte, persönliche Wertschätzung sind verschiedene andere Formen der Anerkennung. Diese erhalten Erwerbstätige in mehrerlei Hinsicht. An erster Stelle ist hier der für die Arbeit gezahlte Lohn zu nennen. Geld, dessen »Erfindung« der »Erfindung der Arbeit« nachfolgte, ist ein Anerkennungsersatz für geleistete Arbeit (die davon weitgehend losgelöste Bedeutung, die das Geld im Kapitalismus erworben hat, bleibt hier außer Betracht)55. Eine weitere, überaus wichtige Anerkennung für das, was am Arbeitsplatz geleistet wird, erleben Menschen in der Regel auch durch ihr privates soziales Umfeld. Durch Arbeit für die Seinen zu sorgen und sich auf diesem Wege deren Verbundenheit und Liebe zu sichern ist ein – oft nur unbewusst wirksames – Hauptmotiv zu arbeiten. Dies zeigt sich vor allem an den massiven Einbrüchen der Motivation, die auf private Trennungen folgen können – vor allem wenn es sich um nicht gewollte, sondern erlittene handelt.
Mit Recht erwarten alle einen angemessenen finanziellen Lohn für geleistete Arbeit. Er ist ein zentrales Kriterium der Anerkennung. In der realen Welt der knappen Ressourcen, in der wir leben, muss der gerechte Anteil derer, die arbeiten, an dem durch die Arbeit erzeugten Mehrwert ausgehandelt und notfalls erkämpft werden. Wenn allerdings alle anderen Formen der Anerkennung – vor allem die Anerkennung am Arbeitsplatz und persönliche Wertschätzung im privaten Umfeld – ausbleiben, dann kann auch ein guter Lohn oft nicht verhindern, dass die Arbeit am Ende unerträglich wird. Geld kann nur begrenzt leisten, was soziale Anerkennung, Wertschätzung und ein gutes Arbeitsklima vermögen: das Motivationssystem des Menschen und die Ausschüttung seiner Motivationsbotenstoffe in Fahrt zu bringen.
Fehlende Wertschätzung, entwürdigende Umgangsweisen, schlechtes Arbeitsklima, fehlender kollegialer Zusammenhalt oder Mobbing sind Motivationskiller und machen krank. Gute Arbeit dagegen kann ein gutes Lebensgefühl erzeugen und die Gesundheit stärken.