30

»Hallo! Hier ist Anne!«, meldete sie sich am Mittwochabend telefonisch bei Mark.
»Hi!« Man hörte die Freude in seiner Stimme. »Ich wollte gerade zu dir kommen.«
»Mark, ich möchte nicht, dass du kommst.«
»Warum das denn? Bist du krank?«
»Nein, mir geht es gut. Aber ich möchte, dass du überhaupt nicht mehr kommst.«
»Was soll das heißen?«
»Dass ich unsere kleine Affäre beende.«
Für einige Sekunden herrschte Stille in der Leitung.
»Und das sagst du mir so einfach am Telefon?« Der fröhliche Ton war aus seiner Stimme gewichen.
»Ich dachte, es ist das Beste so.«
»Was? Schluss zu machen oder es mir am Telefon zu sagen?«
»Beides!«
»Anne, was soll das? Das ist doch nicht dein Ernst.«
»Doch!«
»Ich komme, und wir reden darüber«, sagte er bestimmt.
»Nein!«, rief sie erschrocken. »Du brauchst nicht kommen. Da gibt’s nichts mehr zu reden.«
»Das finde ich schon. Ich komme!«
»Nein!«, rief sie wieder und hörte gleichzeitig ein Klicken. Er hatte aufgelegt. Sie hätte es wissen müssen. Am Telefon Schluss zu machen, das konnte man vielleicht mit einem Teenager machen, aber nicht mit einem Mann wie Mark.
Eine Viertelstunde später stand er vor ihrer Wohnungstür. Anne überlegte, ob sie ihn überhaupt hereinlassen sollte. Würde sie tatsächlich beobachtet werden, könnte ihr anonymer »Brieffreund« sich dadurch veranlasst fühlen, ihr weiterhin zu drohen. Mark klingelte Sturm und klopfte heftig.
»Anne, sei nicht albern. Mach auf. Oder sollen wir das durch die Tür besprechen?«
»Also gut«, seufzte sie leise, verwarf ihre Gedanken und öffnete.
Die Frau sah Mark in Annes Wohnung verschwinden. Sie nickte bestätigend vor sich hin. Jetzt war es an der Zeit, Anne Degener ein bisschen Angst zu machen. Ihren Briefen musste sie offensichtlich etwas mehr Nachdruck verleihen. Sie musste Taten sprechen lassen, die sie immer ein wenig steigern würde, sollte sich das Flittchen nicht fügen wollen. Irgendetwas in ihr hoffte sogar, dass Anne sich nicht fügen würde. Es war ein Spiel, das ausschließlich nach ihren Regeln gespielt wurde und das ihr, wie schon bei den vorherigen Fällen, aufs Neue begann Spaß zu machen. Aber diesmal würde sie ein bisschen länger mit ihrem Opfer spielen.
»Was ist passiert?«
Anne ging voraus ins Wohnzimmer, ehe sie antwortete.
»Mark, ich möchte nicht, dass wir uns weiter treffen.« Sie wandte sich ihm zu. »Ich habe Angst, dass es herauskommt, und das wollen wir beide nicht.«
»Warum sollte es herauskommen? Keiner vermutet etwas.« Er griff nach ihren Händen. »Unser kleines Geheimnis ist sicher.«
»Und bis hierhin war es auch wunderschön.« Sie lächelte. »Aber trotzdem bin ich der Meinung, wir sollten es beenden. Es wissen schon genug Leute davon.«
»Genug Leute?« Er machte ein besorgtes Gesicht. »Wer denn?«
»Kelly weiß davon und Bernd.«
»Ach so!« Sein Gesicht entspannte sich sofort wieder. »Die sind absolut vertrauenswürdig. Für die beiden würde ich die Hand ins Feuer legen. Aber woher weißt du, dass Bernd von uns weiß?«
Anne war versucht, ihm von ihrem Gespräch mit Bernd zu erzählen, doch sie entschied sich dagegen. Mark würde sonst denken, sie mache wegen Bernd Schluss und wäre dann auf seinen besten Freund sauer. Das wollte sie nicht, und es spielte auch keine Rolle. »Na, er ist doch dein bester Freund.«
»Richtig!«
»Vor ein paar Wochen haben wir doch abgemacht, dass jeder von uns es jederzeit beenden kann. Erinnerst du dich?« Anne ließ nicht locker.
Mark nickte. »Ich weiß. Aber das kommt jetzt ganz schön plötzlich. Und warum wolltest du mir das am Telefon sagen? Das ist eigentlich unter deinem Niveau.«
»Ich weiß, aber ich dachte, es wäre leichter, wenn ich dich dabei nicht ansehen muss.« Entschuldigend lächelte sie ihn an. Von den Briefen wollte sie ihm nichts sagen, das würde alles nur noch komplizierter machen.
»Schon gut.« Er nahm sie in die Arme, und sie genoss die Wärme, die er ausstrahlte, und den Duft seines Aftershaves. »Bist du wirklich sicher?«, fragte er leise an ihrem Ohr. Seine Stimme und die zärtliche Berührung machten sie beinahe schwach. Das wollte sie nicht. Sie löste sich aus seiner Umarmung.
»Ja, ich bin sicher. Weißt du, ich befürchte auch, dass mir unsere Treffen ein- oder zweimal die Woche auf Dauer nicht reichen werden.«
Er nickte und lächelte sie liebevoll an. »Ich kann dich verstehen, aber ich muss zugeben, dass es mich traurig macht. Du bist mir richtig ans Herz gewachsen. Was soll ich denn jetzt mit meinem Mittwochabend anfangen?«
»Du wirst etwas finden.«
»Aber wir bleiben in Kontakt.«
»Wir können ja mal telefonieren.«
»Wow, telefonieren.« Er nickte anerkennend. Dann lachten beide.
»Wir wussten doch, dass es nicht auf Dauer ist. Es ist sicher das Beste so, meinst du nicht?«
»Wahrscheinlich.« Er betrachtete sie und beneidete jetzt schon die Männer, die in Zukunft an ihrer Seite sein würden. Anne war eine Frau mit Klasse. Aber er hatte sich für Saskia entschieden, und wenn Anne Schluss machen wollte, musste er es so hinnehmen.
»Es waren wunderschöne Wochen mit dir, die ich nie vergessen werde.«
»Da geht es mir ebenso.« Er küsste sie zärtlich auf den Mund. »Anne, ich wünsche dir alles Glück dieser Welt. Du hast es verdient.«
»Danke, aber du nicht weniger.«
Beide wussten nicht so recht, was sie noch sagen sollten.
»Also, dann gehe ich jetzt. Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder.« Mark brach den Bann und nahm sie ein letztes Mal in die Arme.
Dann löste er sich mit einem Ruck von ihr, strich ihr über die Wange und verließ die Wohnung, ohne ein weiteres Wort. Anne setzte sich und blickte lange verträumt in ihr Aquarium. Sie überlegte, ob sie nicht einen Fisch nach Mark benennen sollte, dann wäre er nicht ganz aus dem Sinn. Sie bedauerte, ihn in Zukunft nicht mehr sehen zu können. Doch gleichzeitig merkte sie, dass das Gefühl, das sie für ihn empfand, nicht so tief war, dass sie unter der neuen Situation schrecklich litt. Sie würde nach vorn schauen und sich einen anderen Mann angeln. Einen, der nicht verheiratet war und mit dem sie sich auch in der Öffentlichkeit zeigen konnte. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt, mal wieder an eine feste Beziehung zu denken?