Ich war lange Zeit krank gewesen. Als ich das Krankenhaus verlassen durfte, konnte ich kaum noch gehen, konnte mich kaum noch daran erinnern, wer ich eigentlich war. Ein wenig Mühe wird es Sie schon kosten, hatte der Arzt gesagt, aber dann sind Sie in drei, vier Monaten wieder ganz auf den Beinen. Ich habe ihm nicht geglaubt, seinen Rat aber trotzdem befolgt. Man hatte mich bereits abgeschrieben, und jetzt, da ich ihre Voraussagen durchkreuzt hatte und rätselhafterweise nicht gestorben war – was blieb mir da anderes übrig, als zu leben, wie wenn ich noch ein Leben vor mir hätte?

Ich begann mit kleinen Ausflügen, höchstens ein, zwei Blocks von meiner Wohnung und dann wieder nach Hause. Ich war erst vierunddreißig, aber die Krankheit hatte mich praktisch zum alten Mann gemacht – zu einem dieser zittrigen, schlurfenden Opas, die keinen Fuß vor den andern setzen können, ohne sich zuvor durch einen Blick nach unten zu vergewissern, welcher Fuß welcher ist. Selbst bei dem Schleichtempo, zu dem ich damals gerade mal imstande war, rief das Gehen eine seltsame körperlose Leichtigkeit in meinem Kopf hervor, ein Durcheinander von wirren Signalen und zuckenden Gedankensplittern. Die Welt hüpfte und schwamm vor meinen Augen, wogte wie Reflexionen auf einem gewellten Spiegel, und wenn ich versuchte, mich auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren, ein einzelnes Ding in diesem Ansturm wirbelnder Farben – zum Beispiel das blaue Kopftuch einer Frau oder die roten Hecklichter eines vorbeifahrenden Lieferwagens –, brach es sofort auseinander, löste sich auf, verschwand wie ein Tropfen Farbe in einem Glas Wasser. Alles flatterte und wackelte, schoss in alle möglichen Richtungen davon, und in den ersten Wochen hatte ich Schwierigkeiten, überhaupt festzustellen, wo mein Körper aufhörte und die Außenwelt anfing. Ich rannte an Mauern und Mülleimer, verhedderte mich in Hundeleinen und umherfliegenden Papierfetzen, geriet auf den glattesten Bürgersteigen ins Stolpern. Ich hatte mein Leben lang in New York gewohnt, begriff aber die Straßen und Menschenmassen nicht mehr, und bei jedem meiner kleinen Gänge kam ich mir vor wie einer, der sich in einer fremden Stadt verlaufen hat.

Der Sommer kam früh in diesem Jahr. Seit Ende der ersten Juniwoche war es konstant schwül, drückend: Tag für Tag derselbe stumpfe grünliche Himmel; Müllgestank und Auspuffgase, eine Luft zum Schneiden; und jeder Stein, jede Betonplatte strahlte Hitze aus. Dennoch gab ich nicht auf, zwang mich jeden Morgen die Treppe hinunter und auf die Straße, und als sich das Durcheinander in meinem Kopf lichtete und meine Kräfte langsam zurückkehrten, konnte ich meine Spaziergänge allmählich in die entfernteren Winkel des Viertels ausweiten. Aus zehn Minuten wurden zwanzig, aus einer Stunde wurden zwei, aus zwei Stunden wurden drei. Meine Lungen schnappten nach Luft; ständig in Schweiß gebadet, ließ ich mich treiben wie ein Zuschauer im Traum eines anderen, beobachtete die Welt, die in allen Gangarten vor sich hin lief, und staunte darüber, dass auch ich einmal wie die Leute um mich herum gewesen war: immer in Eile, immer auf dem Weg von hier nach da, immer spät dran, immer eifrig bestrebt, vor Sonnenuntergang noch tausend Dinge zu erledigen. Bei diesem Spiel konnte ich nicht mehr mithalten. Ich war jetzt Ausschussware, ein Haufen defekter Teile und neurologischer Rätsel, und dieses ganze hektische Scheffeln und Ausgeben ließ mich kalt. Um nicht vollends zu verzweifeln, fing ich wieder zu rauchen an und vertrieb mir die Nachmittage in klimatisierten Coffeeshops, trank Limonade, aß gegrillte Käsesandwichs, lauschte Gesprächen und arbeitete mich durch sämtliche Artikel der dort ausliegenden Tageszeitungen. Zeit verging.

An dem fraglichen Morgen – 18. September 1982 – verließ ich die Wohnung irgendwann zwischen halb zehn und zehn. Meine Frau und ich lebten in Cobble Hill, einem Teil von Brooklyn in der Mitte zwischen Brooklyn Heights und Carroll Gardens. Auf meinen Wanderungen bewegte ich mich gewöhnlich nach Norden, an diesem Morgen aber ging ich nach Süden, wandte mich an der Court Street nach rechts und ging so eine Strecke von sechs oder sieben Blocks weiter. Der Himmel hatte die Farbe von Zement: graue Wolken, graue Luft, grauer Nieselregen, getrieben von grauen Windstößen. Ich hatte immer eine Schwäche für solch trübes Wetter gehabt und fühlte mich wohl dabei, empfand keinerlei Bedauern, dass wir die Hundstage hinter uns hatten. Etwa zehn Minuten nachdem ich aufgebrochen war, entdeckte ich zwischen Carroll und President Street eine Schreibwarenhandlung. Sie lag auf der anderen Straßenseite und war zwischen einer Schuhreparaturwerkstatt und einer 24-Stunden-Bodega eingeklemmt, die einzige helle Fassade in einer Reihe schäbiger, gesichtsloser Gebäude. Ich nahm an, es gab sie noch nicht lange, aber trotz ihrer Neuheit und trotz der raffinierten Auslage im Schaufenster (Türme aus Kugelschreibern, Bleistiften und Linealen, die die New Yorker Skyline darstellen sollten) wirkte der Paper Palace zu klein, als dass er viel Interessantes zu bieten haben konnte. Dass ich mich entschloss, die Straße zu überqueren und hineinzugehen, hatte seinen Grund offenbar darin, dass ich mir insgeheim wünschte, wieder mit der Arbeit anzufangen – ohne es zu wissen, ohne mir des Drangs bewusst zu sein, der sich in mir angestaut hatte. Ich hatte seit Mai, seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus, nichts mehr geschrieben – keinen Satz, kein Wort – und auch nicht die leiseste Neigung dazu verspürt. Jetzt, nach vier in Apathie und Schweigen verbrachten Monaten, setzte ich es mir plötzlich in den Kopf, mich mit einem frischen Vorrat an Schreibmaterial zu versehen: neue Kulis und Bleistifte, neues Notizbuch, neue Tintenpatronen und Radiergummis, neue Schreibblöcke und Aktenmappen, alles neu.

An der Kasse hinterm Eingang saß ein Chinese. Er schien ein bisschen jünger als ich zu sein, und als ich beim Betreten des Ladens einen Blick durchs Fenster warf, sah ich ihn gebeugt über einem Schreibblock sitzen und mit einem schwarzen Druckbleistift Zahlenkolonnen notieren. Trotz der Kälte, die an diesem Tag in der Luft lag, trug er ein kurzärmliges Hemd – ein dünnes, locker sitzendes Sommerhemd mit offenem Kragen –, das seine kupferfarbenen Arme noch dünner erscheinen ließ. Die Tür klingelte, als ich sie aufzog, und der Mann hob kurz den Kopf, um mich mit einem höflichen Nicken zu grüßen. Ich erwiderte den Gruß, aber ehe ich etwas sagen konnte, senkte er den Kopf wieder über seine Berechnungen.

Der Verkehr draußen auf der Court Street musste gerade in eine Flaute geraten sein, oder die Schaufensterscheibe war außerordentlich dick, jedenfalls wurde ich, als ich in den ersten Gang trat, um mir den Laden genauer anzusehen, plötzlich gewahr, was für eine Stille dort herrschte. Ich war der erste Kunde des Tages, und die Stille war so ausgeprägt, dass ich das Kratzen des Bleistifts hinter mir hören konnte. Wenn ich heute an diesen Morgen denke, fällt mir als Erstes immer das Geräusch dieses Bleistifts ein. Und das so intensiv, dass, wenn die folgende Geschichte überhaupt einen Sinn hat, hier der Anfang zu suchen ist – im Zeitraum der wenigen Sekunden, als das Geräusch dieses Bleistifts das einzige Geräusch war, das es auf der Welt noch gab.

Ich schob mich durch den Gang, hielt alle paar Schritte an, um mir die Sachen in den Regalen anzusehen. Es waren im Wesentlichen die üblichen Büro- und Schulbedarfsartikel, aber für einen so beschränkten Raum war die Auswahl bemerkenswert breit gefächert, und mich beeindruckte die Sorgfalt, die auf die Beschaffung und Anordnung einer solchen Fülle von Waren verwandt worden war, die von Heftzungen in sechs verschiedenen Längen bis zu zwölf verschiedenen Büroklammermodellen nichts auszulassen schien. Als ich hinten um die Ecke bog und den anderen Gang Richtung Eingangstür betrat, fiel mir ein Regal auf, das eine Reihe hochwertiger Importartikel zur Schau stellte: in Leder gebundene Schreibblöcke aus Italien, Adressbücher aus Frankreich, zierliche Reispapiermappen aus Japan. Des Weiteren zwei Stapel Notizbücher aus Deutschland und Portugal. Die portugiesischen Notizbücher erschienen mir besonders reizvoll, und kaum hatte ich die festen Einbände und die fadengehefteten Bögen robusten, klecksresistenten Papiers mit karierter Lineatur erblickt und eins davon in die Hand genommen, wusste ich auch schon, dass ich mir eins kaufen würde. Es war nichts Extravagantes oder Demonstratives daran: ein praktischer Gebrauchsgegenstand – strapazierfähig, einfach, zweckdienlich, ganz gewiss nicht die Art von Notizbuch, die als Geschenk in Frage kommen könnte. Aber mir gefiel, dass es in Leinen gebunden war, und mir gefiel auch die Form: dreiundzwanzigeinhalb mal achtzehneinhalb Zentimeter, also etwas weniger hoch und dafür breiter als gewöhnlich. Ich kann nicht erklären, warum, aber ich empfand diese Abmessungen als äußerst befriedigend, und als ich das Notizbuch zum ersten Mal in der Hand hielt, spürte ich so etwas wie physisches Behagen, eine jähe Woge unbegreiflichen Wohlbefindens. Es waren nur noch vier von diesen Notizbüchern übrig, jedes in einer anderen Farbe: schwarz, rot, braun und blau. Ich entschied mich für das blaue, das zufällig gerade oben lag.

Fünf Minuten später hatte ich die anderen Dinge, derentwegen ich gekommen war, zusammengesucht, trug sie nach vorne und legte sie auf den Ladentisch. Der Mann schenkte mir wiederum ein höfliches Lächeln und begann die Preise der verschiedenen Artikel in die Kasse einzutippen. Als er jedoch zu dem blauen Notizbuch kam, hörte er kurz auf, hielt das Buch hoch und strich mit den Fingerspitzen leicht über den Einband. Eine Geste der Wertschätzung, fast schon eine Liebkosung.

«Schönes Buch», sagte er mit starkem Akzent. «Aber nicht mehr. Nicht mehr Portugal. Sehr traurige Geschichte.»

Ich konnte ihm nicht folgen, doch statt ihn in Verlegenheit zu bringen und ihn zu bitten, es zu wiederholen, murmelte ich etwas von der Eleganz und Schlichtheit des Notizbuchs und wechselte dann das Thema. «Haben Sie das Geschäft schon lange?», fragte ich. «Es sieht alles so neu und sauber aus.»

«Ein Monat», sagte er. «Große Eröffnung am zehnten August.»

Als er das verkündete, schien er sich ein wenig gerader aufzurichten, sich mit jungenhaftem, militärischem Stolz in die Brust zu werfen, aber als ich ihn fragte, wie die Geschäfte denn so liefen, legte er das blaue Notizbuch sachte auf den Ladentisch und schüttelte den Kopf. «Sehr schlecht. Viel Enttäuschung.» Als ich ihm in die Augen sah, begriff ich, dass er mehrere Jahre älter war, als ich zuerst gedacht hatte – er war mindestens fünfunddreißig, vielleicht schon vierzig. Ich machte eine lahme Bemerkung von wegen, er solle nur durchhalten und den Dingen die Chance geben, sich zu entwickeln, aber er schüttelte nur wieder den Kopf und lächelte. «Immer mein Traum, Laden besitzen», sagte er. «Laden wie dieser mit Schreibzeug und Papier, mein großer amerikanischer Traum. Geschäft für alle Leute, stimmt’s?»

«Stimmt», sagte ich, ohne aber recht zu wissen, wovon er redete.

«Alle machen Wörter», fuhr er fort. «Alle schreiben Dinge auf. Kinder in Schule benutzen meine Bücher. Lehrer schreiben Noten in meine Bücher. Liebesbriefe werden in Umschlägen von mir verschickt. Hauptbücher für Buchhalter, Notizblöcke für Einkaufslisten, Terminkalender für Wochenplan. Alles hier wichtig für Leben, und das macht mich glücklich, gibt meinem Leben Ehre.»

Der Mann hielt seine kleine Rede mit so feierlichem Ernst, mit solcher Entschlossenheit und Hingabe – ich muss gestehen, ich war richtig bewegt. Was ist das für ein Schreibwarenhändler, fragte ich mich, der seinen Kunden die Metaphysik des Papiers erklärt und sich selbst eine wesentliche Rolle in den unzähligen Angelegenheiten der Menschheit zumisst? Das hatte schon etwas Komisches, glaube ich, aber während ich ihm zuhörte, war mir nicht nach Lachen zumute.

«Gut formuliert», sagte ich. «Ich bin ganz und gar Ihrer Meinung.»

Das Kompliment schien seine Laune ein wenig zu heben. Mit einem kleinen Lächeln und einem Kopfnicken tippte er wieder auf die Tasten seiner Kasse ein. «Viele Schriftsteller hier in Brooklyn», sagte er. «Ganze Gegend voll von ihnen. Gut für Geschäft vielleicht.»

«Vielleicht», sagte ich. «Das Dumme mit Schriftstellern ist nur, dass die meisten kein Geld haben.»

«Ah», sagte er, blickte von der Kasse auf und zeigte ein breites Lächeln, das seine schiefen Zähne sehen ließ. «Sie müssen selbst Schriftsteller sein.»

«Verraten Sie das ja keinem», antwortete ich, weiter um einen munteren Tonfall bemüht. «Das soll ein Geheimnis bleiben.»

Das war keine sehr komische Bemerkung, aber der Mann schien sie ausgesprochen amüsant zu finden und kriegte sich vor Lachen kaum noch ein. Sein Lachen hatte einen seltsamen, abgehackten Rhythmus – ein Mittelding zwischen Singen und Sprechen – und kam in einer Reihe kurzer mechanischer Triller aus seiner Kehle: Ha ha ha. Ha ha ha. Ha ha ha. «Verrate keinem», sagte er, als der Ausbruch sich gelegt hatte. «Streng geheim. Nur unter uns. Meine Lippen versiegelt. Ha ha ha

Er wandte sich wieder der Kasse zu, und als er meine Sachen in einer großen weißen Einkaufstüte verstaut hatte, war seine Miene wieder ernst geworden. «Wenn Sie eines Tages eine Geschichte in blaues Portugalbuch schreiben», sagte er «freut mich sehr. Füllt mein Herz mit Freude.»

Darauf wusste ich nichts zu antworten, aber ehe mir etwas einfiel, nahm er eine Visitenkarte aus seiner Hemdtasche und reichte sie mir über den Ladentisch. Oben stand in auffälliger Schrift PAPER PALACE. Darunter Adresse und Telefonnummer, und ganz unten rechts in der Ecke war als letzte Information zu lesen: M. R. Chang, Inhaber.

«Ich danke Ihnen, Mr. Chang», sagte ich, die Karte studierend. Dann schob ich sie mir in die Tasche und zückte mein Portemonnaie, um zu bezahlen.

«Nicht Mister», sagte Chang und zeigte wieder sein breites Lächeln. «M. R. Das klingt mehr bedeutend. Mehr amerikanisch.»

Auch darauf wusste ich nichts zu erwidern. Ein paar Ideen, wofür die Initialen stehen könnten, huschten mir durch den Kopf, aber die behielt ich für mich. Mentale Ressourcen. Multiple Resultate. Mysteriöse Reputation. Manche Kommentare bleiben besser unausgesprochen, und ich sparte mir die Mühe, dem armen Mann meine dummen Scherze aufzudrängen. Nach kurzem verlegenem Schweigen reichte er mir die weiße Einkaufstüte und bedankte sich mit einer Verbeugung.

«Viel Glück mit Ihrem Laden», sagte ich.

«Sehr kleiner Palast», sagte er. «Nicht viel Auswahl. Aber Sie sagen, was Sie brauchen, und ich bestelle. Alles was Sie wollen.»

«Okay», sagte ich. «Abgemacht.»

Aber als ich mich zum Gehen wandte, flitzte Chang hinter dem Ladentisch hervor und verstellte mir den Weg zur Tür. Offenbar glaubte er, wir hätten soeben ein höchst bedeutsames Geschäft abgeschlossen, und wollte mir nun die Hand darauf geben. «Abgemacht», sagte er. «Gut für Sie, gut für mich. Okay?»

«Okay», wiederholte ich und ließ mir von ihm die Hand schütteln. Ich fand es absurd, aus so wenig so viel zu machen, aber es kostete mich ja nichts, da mitzuspielen. Außerdem wollte ich endlich weiterkommen, und je weniger ich sagte, desto eher konnte ich gehen.

«Sie fragen, ich finde. Alles, ich finde alles für Sie. M. R. Chang liefert alles.»

Darauf schwenkte er meinen Arm noch ein paar Mal, dann hielt er mir die Tür auf und nickte mir lächelnd zu, als ich mich an ihm vorbei in den rauen Septembertag hinausschob.1

1

Seit jenem Morgen sind zwanzig Jahre vergangen, und vieles von unserem Gespräch ist mir entfallen. Ich suche in meiner Erinnerung nach den fehlenden Dialogstücken, finde aber nur noch ein paar isolierte Fragmente, Einzelheiten, denen der ursprüngliche Kontext verloren gegangen ist. Sicher bin ich mir allerdings, dass ich ihm meinen Namen genannt habe. Und zwar unmittelbar nachdem er dahintergekommen war, dass ich Schriftsteller bin, denn ich höre ihn noch fragen, wie ich heiße – für den unwahrscheinlichen Fall, dass er auf eins meiner Bücher stieße. «Orr», hatte ich ihm geantwortet, also zunächst meinen Nachnamen genannt, «Sidney Orr.» Changs Englisch reichte aber nicht aus, meine Antwort zu verstehen. Er hörte Orr als «or», und als ich lächelnd den Kopf schüttelte, nahm seine Miene den Ausdruck verlegener Verwirrung an. Ich wollte den Irrtum schon richtig stellen und ihm meinen Namen buchstabieren, doch ehe ich etwas sagen konnte, leuchteten seine Augen wieder auf, und dazu machte er heftige Ruderbewegungen, in der Annahme, ich hätte womöglich «oar» gesagt. Wieder schüttelte ich lächelnd den Kopf. Nun vollends mit seinem Latein am Ende, seufzte Chang laut auf und sagte: «Schreckliche Sprache, dieses Englisch. Zu kompliziert für mein armes Gehirn.» Das Missverständnis blieb bestehen, bis ich das blaue Notizbuch vom Ladentisch nahm und meinen Namen in Blockschrift auf die innere Umschlagseite schrieb. Das schien das gewünschte Ergebnis herbeizuführen. Nach so viel Mühe ersparte ich es mir, ihm zu erzählen, dass die ersten Orrs in Amerika ursprünglich Orlovsky geheißen hatten. Mein Großvater hatte den Namen abgekürzt, damit er sich amerikanischer anhöre – so wie Chang sich aus dem gleichen Motiv die dekorativen, aber sinnlosen Initialen M. R. vor den seinen gesetzt hatte.