Das Taschenbuch hatte 1961 fünfunddreißig Cent gekostet und enthielt zwei von Wells’ frühen Romanen: Die Zeitmaschine und Krieg der Welten. Die Zeitmaschine war keine hundert Seiten lang, und nach einer guten Stunde war ich mit der Lektüre fertig. Die Erzählung enttäuschte mich gründlich – für mich war das ein plumpes, schlecht geschriebenes Buch, Gesellschaftskritik, die sich als Abenteuergeschichte tarnte, aber weder so noch so etwas taugte. Es schien mir ausgeschlossen, dass irgendjemand das eins zu eins würde verfilmen wollen. Eine solche Fassung gab es ja bereits, und wenn dieser Bobby Hunter mit meiner Arbeit tatsächlich so vertraut war, wie er behauptete, konnte er von mir nur erwarten, dass ich die Geschichte in eine andere Richtung biege, dass ich aus dem Buch herausspringe und eine Idee entwickle, wie man aus dem Stoff etwas Neues machen könnte. Warum sonst hätte er ausgerechnet mich gefragt? Es gab Hunderte von professionellen Drehbuchautoren, die mehr Erfahrung hatten als ich. Jeder von ihnen hätte aus Wells’ Roman ein akzeptables Drehbuch machen können – das, stellte ich mir vor, auf etwas Ähnliches hinausgelaufen wäre wie die Verfilmung mit Rod Taylor und Yvette Mimieux, die ich als Kind gesehen hatte, nur mit aufregenderen Spezialeffekten.

Wenn mich an dem Buch überhaupt etwas fesselte, dann war es die Täuschung, auf der das Ganze beruhte, die Idee der Zeitreise als solcher. Aber irgendwie hatte Wells es geschafft, auch das zu verpfuschen, fand ich. Er schickt seinen Helden in die Zukunft, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr war ich davon überzeugt, dass die meisten von uns lieber in die Vergangenheit reisen würden. Trauses Geschichte von seinem Schwager und dem 3-D-Betrachter war ein gutes Beispiel dafür, wie mächtig uns die Toten im Griff halten können. Die Entscheidung, vorwärts oder rückwärts zu reisen, wäre mir jedenfalls leicht gefallen. Ich hätte mich viel lieber unter den nicht mehr Lebenden als unter den noch nicht Geborenen wieder gefunden. Die Geschichte gibt uns so viele Rätsel auf – wie kann man da nicht neugierig sein, wie die Welt, sagen wir, im Athen des Sokrates oder im Virginia eines Thomas Jefferson ausgesehen hat? Oder man denke an Trauses Schwager: Wie kann man dem Drang widerstehen, den Menschen wieder zu begegnen, die man verloren hat? Mutter und Vater zum Beispiel an dem Tag sehen, an dem sie sich kennen gelernt haben, oder mit den Großeltern sprechen, als sie kleine Kinder waren. Würde irgendjemand diese Gelegenheit ausschlagen, um stattdessen einen Blick in eine unbekannte und unbegreifliche Zukunft zu werfen? Lemuel Flagg hatte in Nacht des Orakels die Zukunft gesehen, und das hatte ihn vernichtet. Wir wollen nicht wissen, wann wir sterben oder wann die Menschen, die wir lieben, uns verraten. Vielmehr wollen wir wissen, wie die Toten waren, bevor sie tot waren, wir wollen uns mit den Toten als Lebenden vertraut machen.

Mir war klar, dass Wells seinen Helden in eine spätere Zeit schicken musste, schließlich wollte er die Ungerechtigkeiten des englischen Klassensystems anprangern, die, in die Zukunft extrapoliert, die krassesten Ausmaße annehmen mochten; aber auch wenn man ihm das zugestand, gab es mit dem Buch noch ein weiteres, ernsteres Problem. Wenn jemand am Ende des neunzehnten Jahrhunderts in London eine Zeitmaschine erfinden konnte, dann lag doch die Vermutung nahe, dass andere Leute in der Zukunft das ebenfalls tun würden. Und wenn nicht aus eigener Kraft, dann eben mit Hilfe des Zeitreisenden. Und wenn Angehörige künftiger Generationen kreuz und quer durch Jahre und Jahrhunderte reisen konnten, dann wären Vergangenheit und Zukunft voller Leute, die nicht in die Zeit gehörten, die sie gerade besuchten. Am Ende wären alle Zeiten überrannt und überlaufen von Störenfrieden und Touristen aus anderen Epochen, und wenn es erst einmal damit losging, dass Besucher aus der Zukunft Ereignisse in der Vergangenheit und Besucher aus der Vergangenheit Ereignisse in der Zukunft beeinflussten, würde sich die Natur der Zeit verändern. Die Zeit wäre dann nicht mehr ein kontinuierliches Fortschreiten einzelner Momente in einer und nur einer Richtung, sondern würde zu einem ungeheuren synchronen Nebelfleck verschwimmen. Schlicht gesagt, sobald ein einziger Mensch sich auf eine Zeitreise begäbe, wäre die Zeit, wie wir sie kennen, aus den Angeln gehoben.

Trotzdem, fünfzigtausend Dollar waren eine Menge Geld, und ein paar logische Fehler sollten mich nicht davon abhalten, es mir zu holen. Ich legte das Buch weg und wanderte in der Wohnung umher, ging von einem Zimmer ins andere, überflog die Titel der Bücher in den Regalen, teilte die Vorhänge und sah auf die regennasse Straße hinunter, stundenlang, mir wollte einfach nichts einfallen. Um sieben Uhr ging ich in die Küche und begann mit der Zubereitung eines Essens, das fertig sein sollte, wenn Grace aus Manhattan zurückkäme. Ein Pilzomelett, grüner Salat, Salzkartoffeln und Broccoli. Meine Kochkünste waren begrenzt, aber ich hatte einmal als Koch in einem Schnellimbiss gearbeitet, und ich besaß ein gewisses Talent, einfache Mahlzeiten zu improvisieren. Als Erstes musste ich die Kartoffeln schälen, und als ich anfing, die Schalen über einer braunen Papiertüte wegzuschneiden, hatte ich plötzlich den Handlungsverlauf der Geschichte im Kopf. Das heißt, nur den Anfang, in groben Zügen, zu denen später noch die Einzelheiten kommen mussten, aber fürs Erste war ich damit zufrieden. Nicht weil ich es für gut hielt, sondern weil ich dachte, Bobby Hunter würde darauf anbeißen – seine Meinung war die einzige, die in diesem Fall zählte.

Ich brauchte zwei Zeitreisende, beschloss ich, einen Mann aus der Vergangenheit und eine Frau aus der Zukunft. Die Handlung sollte, bis sie sich jeweils auf die Reise machen, zwischen den beiden hin und her blenden, und etwa nach einem Drittel des Films würden sie sich in der Gegenwart begegnen. Namen hatte ich für die zwei noch nicht, also nannte ich sie vorläufig Jack und Jill.

Jack ähnelt dem Helden in Wells’ Buch, ist aber Amerikaner, nicht Brite. Man schreibt das Jahr 1895, er lebt auf einer Ranch in Texas und ist achtundzwanzig, Sohn eines verstorbenen Viehbarons. Finanziell unabhängig und am väterlichen Geschäft nicht interessiert, überlässt er die Verwaltung der Ranch seiner Mutter und seiner älteren Schwester und widmet sich wissenschaftlichen Forschungen und Experimenten. Nach zwei Jahren unermüdlicher Arbeit und vielen Fehlschlägen gelingt es ihm, eine Zeitmaschine zu bauen. Er bricht zu seiner ersten Reise auf. Nicht wie Wells’ Figur einige tausend Jahre in die Zukunft, sondern nur achtundsechzig: An einem kühlen Sonnentag Ende November 1963 klettert er aus seinem glitzernden Gefährt.

Jill lebt in der Mitte des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts. Zeitreisen sind inzwischen technisch machbar, werden aber nur selten unternommen und dürfen nur unter strengen Auflagen angetreten werden. Im Bewusstsein der Brisanz und potenzieller Risiken solcher Reisen erlaubt die Regierung jedem Menschen nur eine einzige in seinem ganzen Leben. Nicht als Vergnügungsreise in andere historische Epochen, sondern als Initiationsritus: danach gilt man als erwachsen. Das geschieht, wenn man zwanzig wird. Man wird mit einer Feier geehrt, und am Abend dieses Tages wird man in die Vergangenheit geschickt und darf nun ein Jahr lang um die Welt reisen und seine Vorfahren beobachten. Man beginnt zweihundert Jahre vor seiner Geburt, also vor rund sieben Generationen, und arbeitet sich dann langsam bis zur Gegenwart zurück. Zweck der Reise ist es, Demut und Mitgefühl und Toleranz für seine Mitmenschen zu erlernen. Die Hunderte von Ahnen, denen man auf der Reise begegnet, führen einem das gesamte Spektrum menschlicher Möglichkeiten vor Augen, jede Losnummer in der genetischen Lotterie wird gezogen. Der Reisende erkennt, dass er aus einem unermesslichen Schmelztiegel von Widersprüchen herstammt und dass zu seinen Vorfahren Bettler und Narren, Heilige und Helden, Krüppel und Schönheiten, sanfte Seelen und Gewaltverbrecher, Altruisten und Diebe zählen. Wer in einer so kurzen Zeitspanne mit so vielen Leben konfrontiert wird, gewinnt ein neues Bild von sich selbst und seinem Platz in der Welt. Man begreift sich einerseits als Teil von etwas, das größer ist als man selbst, andererseits als klar abgegrenztes Individuum, als ein noch nie da gewesenes Lebewesen mit einer eigenen, unersetzlichen Zukunft. Man sieht letztlich ein, dass man ganz allein die Verantwortung für das trägt, was man aus sich macht.

Für die gesamte Reise sind gewisse Regeln festgesetzt. Man darf niemandem seine wahre Identität offenbaren; man darf sich in nichts einmischen; man darf niemandem erlauben, die Zeitmaschine zu betreten. Ein Verstoß gegen irgendeine dieser Regeln wird mit lebenslänglicher Verbannung aus der eigenen Zeit geahndet.

Jills Geschichte beginnt am Morgen ihres zwanzigsten Geburtstags. Nach der Party nimmt sie Abschied von Eltern und Freunden und schnallt sich in der ihr von der Regierung zur Verfügung gestellten Zeitmaschine an. Sie hat eine lange Liste mit Namen im Gepäck, ein Dossier über die Vorfahren, denen sie auf ihrer Reise begegnen wird. Die Skala am Steuerpult ist auf den 20. November 1963 eingestellt, exakt zweihundert Jahre vor ihrer Geburt. Sie sieht ein letztes Mal die Papiere durch, steckt sie in die Tasche und lässt den Motor an. Freunde und Familie winken tränenreich Lebewohl, und zehn Minuten später löst die Maschine sich in Luft auf. Jill hat ihre Reise angetreten.

Jacks Maschine ist auf einer Wiese in der Umgebung von Dallas gelandet. Es ist der 27. November, fünf Tage nach der Ermordung Kennedys, und Oswald ist bereits tot, erschossen von Jack Ruby in einem Kellergang des Rathauses. Jack ist erst seit sechs Stunden da, hat aber schon so viele Zeitungen gelesen und so viele Radio- und Fernsehensendungen gehört, dass er weiß, er ist mitten in eine nationale Tragödie hineingeplatzt. Er selbst ist Zeitzeuge der Ermordung eines Präsidenten gewesen (Garfield, 1881) und hat schmerzliche Erinnerungen an den Schock und das Chaos im Gefolge dieses Ereignisses. Zwei Tage lang denkt er über sein Dilemma nach, er fragt sich, ob er das moralische Recht hat, geschichtliche Tatsachen zu verändern, und kommt am Ende zu dem Schluss, ja, er hat das Recht dazu. Er will zum Wohle seines Landes in Aktion treten; er will alles tun, was in seiner Macht steht, um Kennedys Leben zu retten. Er kehrt zu seiner Zeitmaschine auf der Wiese zurück, stellt den Zeiger des Chronometers auf den 20. November und reist neun Tage in die Vergangenheit zurück. Als er aus dem Cockpit seines Fahrzeugs steigt, erblickt er keine drei Meter neben sich eine weitere Zeitmaschine – ein schnittiges Gefährt aus dem zweiundzwanzigsten Jahrhundert. Jill klettert heraus, ein wenig benommen und zerzaust. Als sie Jack bemerkt, der sie vollkommen verblüfft anstarrt, greift sie in ihre Tasche und zieht die Liste mit den Namen hervor. Entschuldigen Sie, Sir, sagt sie, aber können Sie mir vielleicht sagen, wo ich einen Mann namens Lee Harvey Oswald finden kann?

Viel mehr Einzelheiten hatte ich nicht ausgearbeitet. Klar war, dass Jack und Jill sich verlieben würden (immerhin ging es um einen Hollywoodfilm) und dass Jack sie schließlich für seinen Plan gewinnen würde, Oswald an der Ermordung Kennedys zu hindern – selbst auf die Gefahr hin, dass sie in die Verbannung geschickt würde und nicht mehr in ihre Heimatzeit zurückkehren dürfte. Wenn Oswald am Morgen des zweiundzwanzigsten mit seinem Gewehr im Texas School Book Depository auftaucht, überfallen sie ihn aus dem Hinterhalt, fesseln ihn und halten ihn einige Stunden lang gefangen. Und doch ändert sich trotz all ihrer Anstrengungen nichts. Kennedy wird trotzdem erschossen, die Geschichte Amerikas bleibt haargenau die gleiche. Oswald, der selbst ernannte Sündenbock, hat die Wahrheit gesagt. Ob er auf den Präsidenten geschossen hätte oder nicht, spielt keine Rolle: er war nicht der einzige Schütze, der an der Verschwörung beteiligt war.

Da Jill jetzt nicht mehr nach Hause zurückkehren darf, und da Jack sie liebt und den Gedanken, sie allein zurückzulassen, nicht ertragen kann, entscheidet er sich, mit ihr im Jahr 1963 zu bleiben. In der letzten Szene des Films zerstören sie ihre Zeitmaschinen und vergraben sie in der Wiese. Dann schreiten sie in den Sonnenaufgang des dreiundzwanzigsten November, zwei junge Leute, die ihrer Vergangenheit entsagt haben und sich einer gemeinsamen Zukunft stellen wollen.