Das war natürlich haarsträubender Blödsinn, Fantasy-Schund der primitivsten Art, schien mir aber als Film machbar, und das war alles, was ich wollte: etwas abliefern, was ins gewünschte Schema passte. Das war keine Prostitution, sondern eher ein Finanzierungsplan, und ich hatte keinerlei Skrupel, mich als Schreiber zu verdingen, wenn ich damit einen Haufen dringend benötigtes Geld verdienen konnte. Ich hatte einen unruhigen Tag hinter mir, zunächst meine fehlgeschlagenen Bemühungen, die angefangene Geschichte weiter voranzutreiben, dann die schockierende Entdeckung, dass Changs Laden nicht mehr existierte, und schließlich der entsetzliche Zeitungsartikel, den ich beim Mittagessen gelesen hatte. Immerhin hatte mir das Nachdenken über Die Zeitmaschine als schmerzlose Ablenkung gedient, und als Grace um halb neun zur Tür hereinkam, war ich relativ guter Dinge. Der Tisch war gedeckt, eine Flasche Weißwein stand im Kühlschrank, das Omelett brauchte nur noch in die Pfanne gegossen zu werden. Sie schien ein wenig überrascht, dass ich auf sie gewartet hatte, äußerte sich aber nicht dazu. Sie wirkte erschöpft, hatte dunkle Ringe unter den Augen und bewegte sich mit einer gewissen Schwerfälligkeit. Nachdem ich ihr aus dem Mantel geholfen hatte, führte ich sie sofort in die Küche und ließ sie am Tisch Platz nehmen. «Iss», sagte ich. «Du musst großen Hunger haben.» Ich stellte etwas Brot und einen Teller mit Salat vor sie hin und ging dann zum Herd, um mit dem Omelett zu beginnen.
Sie lobte das Essen, ansonsten aber sprach sie während der Mahlzeit kaum ein Wort. Ich freute mich, dass ihr Appetit zurückgekehrt war, zugleich aber schien sie mir ganz woanders zu sein, nicht so gegenwärtig wie sonst. Als ich ihr von meinem Gang zu Changs Geschäft erzählte, wo ich das Klebeband für sie kaufen wollte, und dass der Laden rätselhafterweise zugemacht hatte, hörte sie kaum zu. Ich war versucht, ihr von dem Drehbuchangebot zu erzählen, aber es schien mir nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Vielleicht nach dem Essen, dachte ich, und gerade als ich aufstand und den Tisch abräumen wollte, sah sie mich plötzlich an und sagte: «Ich glaub, ich bin schwanger, Sid.»
Sie platzte so unerwartet mit dieser Neuigkeit heraus, dass mir nichts anderes einfiel, als mich wieder auf meinen Stuhl zu setzen.
«Meine letzte Periode ist jetzt fast sechs Wochen her. Du weißt, wie regelmäßig die bei mir kommt. Und dann gestern diese Kotzerei. Das kann doch nur eins bedeuten.»
«Du scheinst nicht sehr glücklich darüber zu sein», sagte ich schließlich.
«Ich weiß nicht, wie ich mich fühle. Wir haben immer davon gesprochen, dass wir Kinder haben wollen, aber das scheint der ungünstigste Moment dafür zu sein.»
«Nicht unbedingt. Wenn der Test positiv ausfällt, werden wir uns schon was ausdenken. Alle anderen tun das doch auch. Wir sind keine Dummköpfe, Grace. Uns fällt schon was ein.»
«Die Wohnung ist zu klein, wir haben kein Geld, und ich würde drei oder vier Monate nicht arbeiten können. Wenn du wieder ganz auf dem Damm wärst, würde das alles keine Rolle spielen. Aber so weit bist du noch nicht.»
«Immerhin habe ich dich schwanger gemacht, oder? Wer sagt, ich bin noch nicht so weit? In der Hinsicht ist bei mir jedenfalls alles in Ordnung.»
Grace lächelte. «Du stimmst also mit Ja.»
«Aber natürlich.»
«Dann haben wir ein Ja und ein Nein. Wie kommen wir damit weiter?»
«Das kann nicht dein Ernst sein.»
«Wie meinst du das?»
«Eine Abtreibung. Du willst es doch nicht etwa abtreiben lassen?»
«Ich weiß nicht. Das ist eine schreckliche Vorstellung, aber vielleicht wäre es besser, fürs Erste keine Kinder zu kriegen.»
«Verheiratete Leute bringen ihre Kinder nicht um. Nicht, wenn sie sich lieben.»
«Das klingt ja schrecklich, wie du das sagst, Sidney. Ich will das nicht hören.»
«Gestern Abend hast du gesagt: ‹Solange du mich liebst, läuft alles andere ganz von allein.› Und genau das versuche ich. Dich zu lieben und für dich zu sorgen.»
«Hier geht es nicht um Liebe. Sondern darum, dass wir herausfinden müssen, was für uns beide das Beste ist.»
«Du weißt es schon, stimmt’s?»
«Was soll ich wissen?»
«Dass du schwanger bist. Du glaubst nicht, dass du schwanger sein könntest. Du hast schon erfahren, dass du es bist. Wann hast du den Test machen lassen?»
Zum ersten Mal, seit ich sie kannte, drehte Grace sich von mir weg, als sie sprach – unfähig, mich anzusehen, richtete sie ihre Worte an die Wand. Ich hatte sie bei einer Lüge ertappt, und die Demütigung war ihr nahezu unerträglich. «Am Samstagmorgen», sagte sie. Ihre Stimme war beinahe unhörbar, kaum lauter als ein Flüstern.
«Warum hast du es mir nicht schon erzählt?»
«Ich konnte nicht.»
«Du konntest nicht?»
«Ich war zu durcheinander. Ich wollte das nicht akzeptieren, und ich habe Zeit gebraucht, das zu verdauen. Entschuldige, Sid. Bitte, entschuldige.»
Wir sprachen noch zwei Stunden lang weiter, und am Ende rang ich ihren Widerstand nieder, bearbeitete sie so lange, bis sie nachgab und mir versprach, das Kind zu behalten. Das war wohl der schlimmste Kampf, den wir beide jemals ausgefochten hatten. Vom praktischen Gesichtspunkt aus hatte sie in jeder Beziehung Recht, die Schwangerschaft kritisch zu sehen, aber gerade die Rationalität ihrer Zweifel schien eine morbide, irrationale Angst in mir auszulösen, und die wütend emotionalen Argumente, mit denen ich sie attackierte, ergaben kaum einen Sinn. Als wir auf den finanziellen Aspekt der Angelegenheit zu sprechen kamen, erwähnte ich das Drehbuch und die Erzählung, die ich im blauen Notizbuch skizziert hatte, unterließ es jedoch, darauf hinzuweisen, dass es sich bei Ersterem bloß um eine unverbindliche Anfrage, um eine äußerst vage Aussicht auf einen möglichen Auftrag handelte, und dass ich mit Letzterer bereits in eine Sackgasse geraten war. Falls aus den beiden Projekten nichts werde, sagte ich, wolle ich mich bei allen amerikanischen Unis als Dozent für Schreibkurse bewerben, und wenn dabei nichts herauskäme, wolle ich wieder Geschichte an der Highschool unterrichten; dabei wusste ich ganz genau, dass ich körperlich noch lange nicht in der Lage war, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen. Mit anderen Worten: ich log sie an. Ich hatte nur das eine Ziel, ihr die Abtreibung auszureden, und dafür war mir jedes Mittel recht. Fragt sich nur, warum. Denn noch während ich ihr mit meinen endlosen Rechtfertigungen und rüder Rhetorik zusetzte und jedes ihrer ruhig vorgebrachten, vollkommen vernünftigen Argumente zertrümmerte, stellte ich mir die Frage, warum ich eigentlich so erbittert kämpfte. Im Grunde war ich mir nämlich überhaupt nicht sicher, ob ich wirklich schon Vater werden wollte, und natürlich machte Grace mit Recht geltend, dass es ein schlechter Zeitpunkt dafür war, dass wir nicht an Kinder denken sollten, solange ich nicht vollständig wieder hergestellt wäre. Erst Monate später begriff ich, was ich an diesem Abend wirklich im Sinn gehabt hatte. Es ging gar nicht um das Baby – es ging um mich selbst. Seit ich Grace kannte, hatte ich immer mit der furchtbaren Angst gelebt, ich könnte sie verlieren. Vor unserer Hochzeit hatte ich sie bereits einmal verloren, und seit meiner Erkrankung, seit ich praktisch zum Invaliden geworden war, war ich nach und nach einem Zustand verhängnisvoller Hoffnungslosigkeit erlegen, der heimlichen Überzeugung nämlich, dass sie ohne mich viel besser dran wäre. Ein gemeinsames Kind hätte mir diese Sorge genommen und sie daran gehindert, mich zu verlassen. Umgekehrt wiesen ihre Einwände gegen das Kind darauf hin, dass sie von mir weg wollte, dass sie mir bereits entglitt. Das erklärt wohl, warum ich an diesem Abend so aufgewühlt war, warum ich mich verteidigte wie ein rücksichtloser Winkeladvokat und dabei sogar so weit ging, diesen entsetzlichen Zeitungsartikel aus meiner Brieftasche zu ziehen und darauf zu bestehen, dass sie ihn las. IN EINER TOILETTE GEBOREN, BABY WEGGEWORFEN. Als sie ans Ende des Artikels kam, sah Grace mich mit Tränen in den Augen an und sagte: «Das ist nicht fair, Sidney. Was hat dieser … dieser Albtraum mit uns zu tun? Du erzählst mir von toten Babys in Dachau, von Paaren, die keine Kinder bekommen können, und jetzt zeigst du mir das hier. Was hast du eigentlich? Ich versuche doch nur mit allem, was ich habe, unser Leben zusammenzuhalten. Verstehst du das denn nicht?»