Am nächsten Morgen, Mittwoch, brachte ich Grace wieder das Frühstück ans Bett. Diesmal wurde nicht von Träumen erzählt, und wir sprachen auch nicht von der Schwangerschaft und ihren diesbezüglichen Plänen. Das Thema lag noch in der Luft, aber nach meinem schmählichen Verhalten am Tag zuvor in Queens war es mir zu peinlich, davon anzufangen. Binnen sechsunddreißig kurzen Stunden war ich vom selbstgerechten Verteidiger moralischer Gewissheiten zu einem erbärmlichen, von Schuldgefühlen geplagten Ehemann geworden.
Dennoch versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen, und auch wenn Grace an diesem Morgen ungewöhnlich still war, glaube ich nicht, dass sie Verdacht geschöpft hatte. Ich bestand darauf, sie zur Subway zu begleiten, und hielt die ganzen vier Blocks bis zur Station Bergen Street ihre Hand; unterwegs sprachen wir fast nur über Alltägliches: einen Umschlag, den sie gerade für ein Buch über französische Fotografie im neunzehnten Jahrhundert entwarf, das Filmtreatment, das ich am Tag zuvor abgeliefert hatte, das Geld, das ich mir davon erhoffte, und was wir am Abend essen wollten. Kurz vor unserem Ziel jedoch wechselte Grace plötzlich den Tonfall unserer Unterhaltung. Sie packte meine Hand, sehr fest, und sagte: «Wir haben doch Vertrauen zueinander, Sid, ja?»
«Aber natürlich. Wenn nicht, könnten wir nicht zusammenleben. Das ganze Konzept der Ehe beruht auf Vertrauen.»
«Menschen können harte Zeiten durchmachen, stimmt’s? Aber das bedeutet nicht, dass am Ende nicht alles wieder gut wird.»
«Das sind keine harten Zeiten, Grace. Die haben wir bereits hinter uns, und wir sind schon wieder dabei, uns aufzurappeln.»
«Freut mich, dass du das sagst.»
«Freut mich, dass es dich freut. Aber warum?»
«Weil ich das auch so sehe. Egal, was aus dem Baby wird, mit uns wird die Sache gut ausgehen. Wir schaffen das.»
«Wir haben es schon geschafft. Wir leben in gesicherten Verhältnissen, Kleines, und so wird es auch bleiben.»
Grace blieb stehen, legte mir eine Hand in den Nacken, zog mein Gesicht zu sich heran und gab mir einen Kuss. «Du bist der Größte, Sidney», sagte sie und küsste mich noch einmal. «Egal, was passiert, vergiss das nie.»
Ich hatte keine Ahnung, wie sie das meinte, aber bevor ich sie danach fragen konnte, löste sie sich aus meinen Armen und lief die letzten zehn Meter zum Eingang der Subway. Ich stand wie angewurzelt auf dem Bürgersteig und sah ihr nach. Sie gelangte zur obersten Stufe, packte das Geländer und verschwand die Treppe hinunter.
Wieder in der Wohnung, vertrieb ich mir die Zeit bis zum Dienstbeginn der Agentur Sklarr um halb zehn mit Haushaltsarbeiten. Ich wusch das Frühstücksgeschirr ab, machte das Bett, räumte das Wohnzimmer auf und ging dann in die Küche und rief Mary an. Der vorgeschobene Grund für den Anruf war, mich zu erkundigen, ob Angela daran gedacht hatte, ihr mein Treatment zu geben; aber ich wusste, das hatte sie, und tatsächlich rief ich daher an, um herauszufinden, was Mary davon hielt. «Gute Arbeit», sagte sie, und das klang weder sonderlich euphorisch noch übermäßig enttäuscht. Dass ich den Entwurf so schnell geschrieben hatte, hatte sie jedoch in die Lage versetzt, ein Wunder an Hochgeschwindigkeitskommunikation zu inszenieren, und dies wiederum ließ sie vor Begeisterung überschäumen. Damals gab es noch kein Fax, keine E-Mails und Eilbriefe; sie hatte das Treatment mit einem privaten Kurierdienst nach Kalifornien geschickt, und das hieß, dass mein Text bereits gestern mit dem Nachtflug durchs Land gereist war. «Ich musste einem anderen Klienten in L. A. einen Vertrag schicken», sagte Mary, «und hatte den Kurierdienst für drei Uhr ins Büro bestellt. Dein Treatment habe ich gleich nach dem Mittagessen gelesen, und eine halbe Stunde später taucht der Bote auf, um den Vertrag abzuholen. ‹Das hier muss auch nach L. A.›, sage ich, ›das können Sie auch gleich mitnehmen.› Also gebe ich ihm dein Manuskript, und das war’s, einfach so. In drei Stunden müsste es bei Hunter auf dem Schreibtisch liegen.»
«Großartig», sagte ich. «Aber was hältst du von dem Konzept? Meinst du, es hat eine Chance?»
«Ich hab es nur einmal gelesen. Keine Zeit, es mir genau anzusehen, aber ich fand es in Ordnung, Sid. Sehr interessant, sauber ausgearbeitet. Aber bei den Hollywood-Leuten weiß man ja nie. Könnte sein, dass denen das zu kompliziert ist.»
«Also sollte ich mir keine Hoffnung machen.»
«Das würde ich nicht sagen. Aber verlassen würde ich mich an deiner Stelle nicht darauf.»
«Tu ich nicht. Aber das Geld wäre schon nicht schlecht, oder?»
«Na, von dieser Front habe ich gute Neuigkeiten für dich. Ich wollte dich gerade anrufen, aber du bist mir zuvorgekommen. Ein portugiesischer Verlag hat uns für deine letzten beiden Romane ein Angebot vorgelegt.»
«Portugal?»
«Selbstporträt ist in Spanien erschienen, als du im Krankenhaus warst. Das weißt du, ich hab’s dir erzählt. Die Rezensionen waren sehr gut. Jetzt wollen es die Portugiesen auch bringen.»
«Sehr schön. Schätze, sie bieten so etwa dreihundert Dollar an.»
«Vierhundert pro Buch. Aber ich kann sie bestimmt auf fünf hochfeilschen.»
«Dann mal ran, Mary. Wenn du deine Provision und die Auslandssteuern abgezogen hast, bleiben mir noch ungefähr vierzig Cent.»
«Stimmt. Aber immerhin bist du in Portugal auf dem Markt. Ist doch gut, oder?»
«Sicher. Pessoa ist einer meiner Lieblingsautoren. Die Portugiesen haben Salazar rausgeschmissen, und jetzt haben sie eine anständige Regierung. Das Erdbeben von Lissabon hat Voltaire inspiriert, Candide zu schreiben. Und Portugal hat im Krieg Tausenden Juden geholfen, aus Europa rauszukommen. Ein tolles Land. Natürlich bin ich noch nie da gewesen, aber jetzt bin ich dort zu Hause, ob’s mir gefällt oder nicht. Portugal ist genau das Richtige. So wie es für mich in den letzten Tagen gelaufen ist, konnte es nur Portugal sein.»
«Wovon redest du?»
«Das ist eine lange Geschichte. Die erzähl ich dir ein andermal.»