Am nächsten Morgen wachte ich früh auf, machte Frühstück für uns beide, und um sieben Uhr, eine Minute bevor der Wecker losgehen sollte, trug ich das Tablett ins Schlafzimmer. Ich stellte es auf der Kommode ab, schaltete den Wecker aus und setzte mich neben Grace aufs Bett. Als sie die Augen aufschlug, schlang ich die Arme um sie und küsste sie, ihre Wange, ihren Hals, ihre Schulter, drückte meinen Kopf an sie und bat um Verzeihung für die idiotischen Dinge, die ich am Abend zuvor gesagt hatte. Ich sagte, es stehe ihr frei, zu tun, was sie wolle, es sei ihre Entscheidung, und wie auch immer sie sich entscheide, ich würde zu ihr stehen. Die schöne Grace, die morgens nie verquollen oder verschlafen aussah, die stets so frisch wie ein Soldat im Ausbildungslager oder ein kleines Kind aus dem Schlaf erwachte und binnen Sekunden aus tiefster Versunkenheit zu voller Wachsamkeit aufstieg, nahm mich wortlos in die Arme und gab mir mit leisem Gurren zu verstehen, dass sie mir verziehen hatte, dass unsere Meinungsverschiedenheit bereits überwunden war.

Sie blieb im Bett, und ich servierte ihr das Frühstück. Zuerst den Orangensaft, dann eine Tasse Kaffee mit etwas Milch, gefolgt von zwei Zweieinhalb-Minuten-Eiern und einer Scheibe Toast. Sie hatte guten Appetit, nichts wies auf morgendliche Übelkeit hin, und während ich selbst einen Kaffee trank und ein Stück Toast aß, ging mir durch den Kopf, dass sie noch nie so phantastisch ausgesehen hatte wie in diesem Augenblick. Meine Frau ist ein Lichtwesen, dachte ich bei mir, und mich soll der Blitz erschlagen, wenn ich jemals vergesse, was für ein Glückspilz ich bin, dass ich jetzt neben ihr sitzen darf.

«Ich hatte einen ganz seltsamen Traum», sagte Grace. «Einen von diesen endlosen, verrückten, wirren Träumen, in denen dauernd eins ins andere übergeht. Aber ganz deutlich – wirklicher als wirklich, falls dir das was sagt.»

«Erinnerst du dich an Einzelheiten?»

«Ja, ich glaube schon, aber es fängt schon an zu verblassen. Wie es losging, weiß ich nicht mehr, aber irgendwie waren wir beide mit meinen Eltern zusammen. Wir haben eine neue Bleibe gesucht.»

«Eine größere Wohnung, nehme ich an.»

«Nein, keine Wohnung. Ein Haus. Wir sind in irgendeiner Stadt herumgefahren. Nicht New York oder Charlottesville, irgendwas anderes, wo ich noch nie gewesen war. Und mein Vater sagte, wir sollten uns ein Haus in der Bluebird Avenue ansehen. Was meinst du, wo ich das herhabe? Bluebird Avenue.»

«Keine Ahnung. Ist aber ein hübscher Name.»

«Genau das hast du in dem Traum auch gesagt. Dass das ein hübscher Name ist.»

«Bist du sicher, dass der Traum vorbei ist? Vielleicht schlafen wir noch, und wir haben den Traum zusammen.»

«Sei nicht albern. Wir fuhren im Auto meiner Eltern. Du hast neben mir hinten gesessen und zu meiner Mutter gesagt: ‹Das ist ein hübscher Name.›»

«Und dann?»

«Wir sind vor einem alten Haus vorgefahren. Ein Riesenkasten – eine Villa –, und dann sind wir vier reingegangen und haben uns umgesehen. Die Zimmer waren alle leer, unmöbliert, aber ungeheuer groß, wie Museumssäle oder Basketballhallen, und wir konnten das Echo unserer Schritte hören. Dann wollten meine Eltern nach oben gehen und sich den ersten Stock ansehen, aber ich wollte lieber in den Keller. Erst wolltest du nicht mit, aber ich habe dich bei der Hand genommen und irgendwie hinter mir hergeschleppt. Unten sah es ziemlich so aus wie im Parterre – ein leerer Raum nach dem anderen –, aber genau in der Mitte des letzten Raums war eine Klapptür im Boden. Ich zog sie auf und sah, dass darunter eine Leiter in einen noch tieferen Keller führte. Ich fing an, sie hinunterzusteigen, und diesmal bist du mir gleich nach. Inzwischen warst du genauso neugierig wie ich, das Ganze war jetzt wie ein gemeinsames Abenteuer. Du weiß schon, wie zwei Kinder, die ein fremdes Haus erkunden, beide ein wenig ängstlich, zugleich aber ganz aufgeregt.»

«Wie lang war die Leiter?»

«Weiß nicht. Drei, vier Meter. So etwa.»

«Drei, vier Meter … Und dann?»

«Dann standen wir in einem Zimmer. Kleiner als die oben, und die Decke sehr viel niedriger. Der ganze Raum war mit Bücherregalen voll gestellt. Aus Metall, grau gestrichen, wie man sie oft in Bibliotheken sieht. Wir sehen uns die Titel der Bücher an, und da stellt sich heraus, dass du die alle geschrieben hast, Sid. Hunderte und Aberhunderte von Büchern, und auf jedem Buchrücken steht dein Name: Sidney Orr.»

«Unheimlich.»

«Nein, überhaupt nicht. Ich war sehr stolz auf dich. Jedenfalls sehen wir uns die Bücher an, und dann gehe ich ein bisschen herum und entdecke schließlich eine Tür. Ich mache sie auf, und dahinter erblicke ich ein perfekt eingerichtetes kleines Schlafzimmer. Sehr schick, mit weichen Perserläufern und bequemen Sesseln; Bilder an den Wänden, brennende Räucherstäbchen auf dem Tisch, ein Bett mit Seidenkissen und roter Satindecke. Ich rufe nach dir, und als du kommst, werfe ich dir meine Arme um den Hals und küsse dich auf den Mund. Ich war scharf wie nur was. Wollte nur noch mit dir ins Bett.»

«Und ich?»

«Du hattest den größten Ständer deines Lebens.»

«Nur weiter so, Grace, dann krieg ich gleich einen noch größeren.»

«Wir zogen uns aus und wälzten uns auf dem Bett herum, völlig verschwitzt und gierig aufeinander. Es war wunderbar. Als wir dann beide gekommen waren, haben wir, ohne auch nur einmal Luft zu holen, gleich weitergemacht, wie die Tiere sind wir übereinander hergefallen.»

«Hört sich an wie ein Pornofilm.»

«Es war ganz schön wild. Ich weiß nicht, wie lange wir das getan haben, aber irgendwann hörten wir das Auto meiner Eltern wegfahren. Das hat uns nicht gestört. Die holen wir später wieder ein, sagten wir, und fingen aufs Neue zu vögeln an. Am Ende waren wir beide fix und fertig. Ich nickte kurz ein, und als ich aufwachte, standest du nackt an der Tür und fummeltest mit so einem leicht verzweifelten Blick an der Klinke herum. ‹Stimmt was nicht?›, fragte ich, und du sagtest: ‹Sieht aus, als seien wir eingeschlossen.›»

«Das ist das Seltsamste, was ich jemals gehört habe.»

«Das war doch nur ein Traum, Sid. Träume sind immer seltsam.»

«Ich habe nicht zufällig im Schlaf gesprochen?»

«Wie meinst du das?»

«Ich weiß, dass du nie in mein Arbeitszimmer gehst. Aber wenn du es tun würdest und wenn du das blaue Notizbuch aufschlagen würdest, das ich mir am Samstag gekauft habe, dann würdest du sehen, dass die Geschichte, die ich geschrieben habe, deinem Traum sehr ähnlich ist. Die Leiter, die in einen unterirdischen Raum führt; die Bibliotheksregale, das kleine Schlafzimmer nebenan. Und in diesem Zimmer ist mein Held zur Zeit eingeschlossen, und ich weiß nicht, wie ich ihn da rausbekommen soll.»

«Verrückt.»

«Mehr als verrückt. Das ist beklemmend.»

«Das Komische daran ist, genau da hört der Traum auf. Du hattest diesen ängstlichen Ausdruck in den Augen, aber bevor ich dir irgendwie zu Hilfe kommen konnte, bin ich aufgewacht. Und da sitzt du auf dem Bett neben mir und hältst mich wie gerade noch im Traum in den Armen. Das war herrlich. Als ob der Traum nach dem Aufwachen einfach weitergegangen wäre.»

«Du weißt also nicht, was aus uns wird, nachdem wir uns in dem Zimmer eingeschlossen haben?»

«So weit bin ich nicht gekommen. Aber wir hätten einen Weg nach draußen gefunden. Man kann im Traum nicht sterben. Selbst wenn die Tür abgeschlossen war, wäre irgendetwas geschehen, was uns befreit hätte. So geht das doch immer. Solange man träumt, gibt es immer einen Ausweg.»