Winter, 1987
Wangallon Station
Angus zog seine Öljacke fest um sich. Der einzige warme Fleck an seinem Körper kam von der Blechtasse mit Kaffee, die er fest umklammert hielt, und der Stelle an seinem Bein, an die Shrapnel seinen Kopf drückte. Sein Hinterteil hatte jedes Gefühl verloren, so unbequem, wie er auf diesem umgestürzten Baumstumpf saß. Ihm gegenüber hockte Anthony auf einem umgedrehten Zwanzig-Liter-Ölfass. Er schüttete gerade den letzten Rest seines schwarzen Tees in das Lagerfeuer. Die Tropfen brachten die glimmenden Scheite zum Zischen. Der Junge wirkte erschöpft, aber das waren sie wahrscheinlich alle. Es gab kaum etwas Anstrengenderes, als bei einer solchen Kälte und diesem beißenden Südwind zu arbeiten. Angus legte seine Hand schützend auf Shrapnels Kopf und wandte sich seinem jungen Verwalter zu.
»Lass Dave und Lyle nach Hause fahren, wenn sie die letzten Stiere zusammengetrieben haben. Sie können die Pferde mitnehmen und die Ausrüstung einpacken.«
»Willst du nicht mitfahren?« Anthony streckte seine langen Beine aus. Die Kälte stach wie mit Nadeln.
»Was, und dich und Pete hierlassen, damit ihr in aller Ruhe den schönen Tag genießen könnt?«
Sie waren meilenweit von Wangallon entfernt an der Südgrenze. Angus übernachtete nur im Freien, weil es praktischer war, denn es dauerte sowieso schon mindestens zwei Tage, achthundert Zuchtbullen für den Markt zu verladen, wenn man An- und Abreise mitrechnete. Und dieses Mal war es so kalt, dass Angus jede einzelne Minute gefroren hatte.
»Wir brauchen nur noch einen Waggon zu beladen. Bist du dann so weit?«
Angus blickte finster in den Wind. Er hatte diese Arbeit schon vierzig Jahre lang gemacht, bevor der Junge hier überhaupt geboren war. Er nahm ein kleines Schokoladenplätzchen aus der Tasche und gab es Shrapnel, der die Schokoladenstückchen zerkaute wie ein Kind. Schade, dachte er. Früher waren das seine Lieblingsplätzchen gewesen, aber in seinem Alter musste er sich mit weicherem Gebäck begnügen. Bei dem Gedanken daran betastete er vorsichtig seine Kiefergelenke. Sein Gebiss saß nicht mehr richtig, seit er es am Morgen mit dem Taschenmesser aus dem Eis in der Blechtasse hatte bohren müssen.
»Sie kommt bald wieder nach Hause.« Er erzählte Anthony von der bevorstehenden Rückkehr seiner Enkelin. Wenn Sarah sich bei ihrem nächsten Gespräch immer noch nicht mit seinen Bedingungen einverstanden erklärte, würde er sie enterben. Aber er musste das Interesse des Jungen wach halten, und die Nachricht von der gelösten Verlobung war äußerst nützlich gewesen. »Ihr beide müsst euch endlich wieder vertragen. Ich bin das alles so leid.« Draußen am Horizont verkündete eine Staubwolke, dass Pete, Lyle und Dave, drei erfahrene Viehtreiber, die letzten zweihundert Stiere über den Fluss brachten. Angus nickte anerkennend. Es gab doch immer noch ein paar Leute, die ihre Termine einhielten. Kurz darauf drang das Brüllen der Zuchtstiere durch den grauen Nachmittag, und der Boden bebte unter ihren Hufen. »Ich werde langsam zu alt, Anthony, und ich muss endgültige Entscheidungen treffen. Du weißt ja, dass ich gerne möchte, dass du als Verwalter bleibst, aber ich kann dir auch noch etwas anderes anbieten. Wenn du Sarah heiratest, erbst du dreißig Prozent von Wangallon.«
Anthony warf Angus, der liebevoll seinen alten Hund streichelte, einen Blick zu. Der alte Knabe wusste, wie man die Aufmerksamkeit eines Mannes weckte, und die Karotte, die ihm schon seit Jahren vor der Nase baumelte, war mittlerweile aus massivem Gold. Dreißig Prozent von Wangallon. Er hatte von dieser Möglichkeit geträumt, aber nie gewagt zu glauben, dass es geschehen würde. Und beinahe hatte er schon akzeptiert, dass er sein Leben lang Verwalter bleiben würde. Das Problem war … na ja, das Problem war Sarah, und er fragte sich, warum er überhaupt an sie dachte. »Weiß Sarah davon?«, fragte er besorgt.
Hinter Shrapnels linkem Ohr hatte sich eine Zecke eingenistet, und Angus zog sie heraus. Er zerquetschte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. »Sarahs Meinung ist irrelevant.«
»Also, mir kommt sie ziemlich relevant vor«, beharrte Anthony. »Weiß sie davon?«
»Ich habe ihr die Bedingungen genannt.« Angus warf den Rest der Zecke ins Feuer und fragte sich, nicht zum ersten Mal, warum er sich damals ausgerechnet einen Jungen mit einem Gewissen aussuchen musste. »Wenn ihr innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht heiratet, wird Wangallon verkauft. Und sie bekommt nichts. Ich meine, ich hätte ihr gesagt, dass eine Ehe den Handel besiegelt. Sie muss auf jeden Fall zurückkommen und fünf Jahre hier leben.«
»Was?« Anthony blickte den alten Mann an, einen Mann, der alles tun würde, um seinen geliebten Besitz zu schützen. Aber jetzt ging es nicht mehr nur um Schutz, sondern darum, dass er bis zum Ende die absolute Kontrolle behielt. »Du kannst doch niemanden zum Heiraten zwingen, Angus.«
»Ich kenne jede Biegung in den Flüssen und Bächen, die durch dieses reiche, fruchtbare Land fließen. Ich kenne die Wege, die meine Vorfahren gegangen sind, als sie sich Wangallon angeeignet haben, und ich kann dich zu rituellen Orten führen, die noch nicht einmal die ältesten Aborigines von hier kennen. Dieses Land ist meins, und ich mache damit, was ich für richtig halte.«
»Selbst wenn du damit deiner eigenen Enkeltochter das Erbe entziehst?« Mit diesem Chaos wollte Anthony nichts zu tun haben. Angus war wohl wirklich völlig durch den Wind.
»Ich kann es ja kaum einer unerfahrenen einzelnen Frau hinterlassen. Und deshalb kommst du ins Spiel.«
»Wir leben nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert, Angus.«
»Ich habe schon einen Käufer. Zwar einen Amerikaner, aber er ist ein guter Geschäftsmann und weiß, was er tut. Er will es haben, er liebt Rinder, und er hat einen Sohn, der es erben kann. Ich brauche jemanden, der Wangallon will, der es hütet, der es verdient hat. Ich hatte mehr von dir erwartet, Anthony.«
»Was soll das heißen? Ich habe mir hier all die Jahre den Arsch aufgerissen, bin immer im Budget geblieben, und der Profit ist ständig gestiegen …«
»Bla, bla, bla.« Angus hob die Arme. »Natürlich hast du das alles gemacht, sonst hätte ich dich schon vor Jahren davongejagt. Nein, ich habe dich ausgesucht. Von allen Möchtegern-Cowboys habe ich gerade dich ausgesucht. Du hattest einen guten Stammbaum. Ich kannte deinen Großvater. Ich habe ihn einmal beim Kartenspiel in Melbourne bis aufs Hemd ausgezogen.« Angus schmunzelte. »Bei der finanziellen Situation auf eurer Farm gab es nur eine geringe Chance, dass du jemals nach Hause zurückkehren könntest, deshalb warst du perfekt. Deine Mutter hat mütterlicherseits schottische Vorfahren, und du und dein Bruder, ihr seid attraktive Kerle. Perfekt.«
»Perfekt?« Anthony schob Erde über die glimmenden Holzscheite. Als das Feuer ganz erloschen war, packte er seinen leeren Becher in seine Satteltasche und machte sie zu. »Perfekt«, wiederholte er langsam und ballte die Hände zu Fäusten. Einen flüchtigen Moment lang hätte er den alten Kerl am liebsten zu Boden geschlagen, aber dann ließ er die Hände wieder sinken. »Es wird nicht funktionieren«, sagte er einfach. Die Hunde bellten. Die Rinderherde war nur noch fünfhundert Meter von den Stallungen entfernt. Anthony lauschte einen Moment lang. Er hörte eine Peitsche knallen. »Es wird nicht funktionieren, weil Sarah jetzt schon glaubt, ich wolle über sie an Wangallon herankommen.« Jetzt verstand er auch endlich, warum sie an dem Abend nach dem Rennen so reagiert hatte. Sarah, er und der unschuldige alte Jeremy waren nur Figuren in einem Spiel, das wahrscheinlich seit Generationen schon gespielt wurde.
»Und?«
»Nun, du hast sie auf den Gedanken gebracht.« Er dachte an ihr letztes Gespräch zurück. Kein Wunder, dass Sarah nicht mehr mit ihm reden wollte. Das Rumpeln des schweren Trucks war zu vernehmen. Das lange Gefährt glitzerte in der blassen Nachmittagssonne. Langsam schaltete der Fahrer herunter, je näher er an die Laderampe kam.
»Du kannst alles in Ordnung bringen«, erklärte Angus mit einem übertriebenen Augenzwinkern.
»Du mischst dich einfach in das Leben anderer Menschen ein. Himmel, ich fasse es nicht. Du hast mich ausgesucht wie einen verdammten Zuchtbullen!«
»Stell dich nicht so an, Anthony. Geschäft ist Geschäft, und für den Zweitbesten ist kein Platz auf der Welt.«
»Nun, das hast du ja mit deinem eigenen Sohn schon deutlich vorgeführt.«
Angus stand auf. Shrapnel stellte sich sofort neben seinen Herrn und fing leise an zu knurren. »Versuch nicht, mir Vorschriften zu machen, Junge.«
»Hast du das nicht dein ganzes Leben lang bei anderen gemacht?« Die Rinder waren jetzt an den Höfen und strömten in einer Wolke von Staub und Lärm in die Gehege hinein. »Du bist nicht der Mann, für den ich dich gehalten haben«, sagte Anthony. Der Truck hatte bereits gewendet, und mit einem lauten Geräusch entwich die Luft aus den Bremsen, und das lange Gefährt kam zum Stehen.
Angus ging neben Anthony auf die Ställe zu. Seine Knie schmerzten vor Anstrengung, als er versuchte, Schritt zu halten. »Ich bin genau der Mann, für den du mich gehalten hast, Anthony. Deshalb bist du auch immer noch hier.«
Anthony kletterte an dem hohen Holzzaun hinauf und sprang in den Hof dahinter.
»Ich kündige mit zwei Monaten Frist, Angus«, rief er. »Ich habe genug.«
Angus stützte sich mit den Händen auf dem Zaun ab. »Ich akzeptiere deine Kündigung nicht.« Er wird schon wieder zu Verstand kommen, dachte er. Vielleicht war jetzt, wo alles ausgesprochen war, eine Versöhnung zwischen Anthony und Sarah möglich. Das wünschte er sich zumindest, genauso wie er sich gewünscht hätte, dass Cameron ein besserer Reiter gewesen wäre. Mit Mühe kletterte er über den Zaun. Er verzog das Gesicht vor Schmerzen, als er sein Bein über die letzte Latte schwang und an der anderen Seite wieder herunterkletterte. Vor ein paar Jahren noch wäre er mit Schwung darüber gesprungen und hätte sich über die steifen jungen Männer von heute lustig gemacht. Gott, er hasste das Alter, vor allem, wenn es noch so viel zu tun gab. Er ging durch den ersten, leeren Hof und hob die Kette an dem großen Tor zu der Weide, auf der etwa fünfzig Stiere standen. Sie waren in guter Verfassung, zwar nicht gerade fett, aber sicher schwer genug, um sie verkaufen zu können, was angesichts der vergangenen Dürre und des bevorstehenden Winters eine weitaus bessere Option war, als sie durchzufüttern.
»Angus, geh aus dem Weg!«
Anthony rannte schreiend von links auf ihn zu. Rechts von ihm bellte Shrapnel wie verrückt, und vor ihm kam ein Stier direkt auf ihn zu.