Frühling, 1867
Wangallon Station
Lustlos tunkte Rose ihren Löffel in die graugrüne Gemüsebrühe vor ihr.
»Bist du krank?«, fragte Hamish.
»Nimm das bitte weg.« Rose wartete, bis das Hausmädchen Colleen ihren Suppenteller abgeräumt hatte. »Kannst du mir etwas Essbares bringen?« Colleen blickte Hamish fragend an. Ihre dicke Unterlippe bebte. »Tu es«, sagte Rose mit fester Stimme, und Colleen gehorchte schließlich. Mit zwei weiteren Mädchen brachte sie Essteller, eine Platte mit Gemüse und eine große Terrine mit Deckel.
Sie stellte alles vor Rose und gab ihr mit zitternden Händen Gemüse und ein wässeriges Stew auf den Teller. Dann begann das Mädchen zu husten. Rose stocherte in den großen Fleischbrocken, dem völlig verkochten Gemüse und scheuchte das Mädchen weg.
Sie pikste die Gabel in ein Stück Fleisch, roch daran und kaute es nachdenklich. Schließlich schob sie den Teller weg, betupfte ihre trockenen Lippen mit ihrer Serviette und faltete sie.
»Ich frage noch einmal, bist du krank?«
Rose sah ihrem Mann an, dass er wütend wurde. Er drehte den geschliffenen Stiel seines Weinglases in der Hand.
»Ich habe keinen Hunger.« Rose trank einen Schluck Wasser, aber die Flüssigkeit benetzte ihre trockene Kehle kaum. Wie sie sich nach etwas Kühle sehnte.
»Es sieht so aus, als ob dir das Essen nicht schmeckt«, bemerkte Hamish.
Rose hätte ihm am liebsten erklärt, dass ihr Speiseplan seit der Abreise der Abishara-Brüder deutlich schlechter geworden war, aber sie hütete sich, den Namen zu erwähnen. Aus dem Gang, der zur Küche führte, waren Schritte zu hören. Rose wusste sofort, wer da angelaufen kam.
»Gibt es ein Problem mit dem Abendessen, Mr Gordon?« Mrs Cudlow zupfte an ihrer Schürze.
»Müssen Sie so herumschleichen, Mrs Cudlow?«, fragte Rose. »Es wäre angebracht, dass sie zuerst anklopfen, bevor sie ein Zimmer betreten.«
Die ältere Frau zuckte überrascht zusammen. »Verzeihung, Mrs Gordon. Colleen sagte, die Suppe hätte Ihnen nicht geschmeckt.«
»Abgesehen davon, dass ich nichts dergleichen erwähnt habe, hätten Sie Ihre Frage nicht besser mir stellen sollen, Mrs Cudlow?«
Die Kinderfrau wurde puterrot. »Verzeihung.«
Seit Abdullahs Abreise in der vergangenen Woche hatte sich Mrs Cudlows Verhalten sehr verändert. Erst gestern hatte Rose die Frau dabei überrascht, wie sie sich Zutritt zu ihrem Schlafzimmer verschaffen wollte. Und heute früh hatte sie ihr über die Schulter geschaut, als Rose in einen langen Brief an ihre Tochter Elizabeth vertieft war.
»Warten Sie.« Hamish aß einen großen Bissen Stew und kaute andächtig. »Es schmeckt hervorragend. Meine Frau ist nur nicht hungrig. Danke, Mrs Cudlow.«
»Danke, Sir.«
»Musst du so grob mit allen umspringen?«, fragte Hamish, als Mrs Cudlow gegangen war. Er aß sein Stew, kaute, schluckte, nahm noch einen Bissen. »Es ist schlimm genug, dass du deine Gefühle für Abduls Bruder vor der armen Frau zur Schau gestellt hast, jetzt benimmst du dich auch noch ungezogen und herablassend ihr und den anderen Hausangestellten gegenüber. Ich werde das nicht dulden, Rose. Warum sollen sie darunter leiden, dass du unglücklich bist? Sie haben doch keine Schuld an deiner Unzufriedenheit. Und ich übrigens auch nicht.« Hamish trank einen Schluck Wein und aß weiter.
»Ich bin nicht völlig unerfahren darin, wie bestimmte Affären einem Haushalt schaden können«, versetzte Rose bitter. Ihr kam es so vor, als laste alle Traurigkeit der Welt wie eine unerträgliche Bürde auf ihren Schultern. Und jetzt fühlte sie sich auch noch in ihrer ureigenen Domäne, dem Haushalt, behandelt wie ein unerwünschtes Kind.
»Du hast seit drei Tagen nicht mehr richtig gegessen.« Hamish schaufelte den Rest seines Stews in sich hinein. Dann läutete er mit dem Glöckchen aus Sterlingsilber, das auf dem Tisch stand. Sofort betrat Colleen den Raum.
»Etwas von Mrs Cudlows Apfelkuchen, Colleen.«
»Ja, Sir.« Das Mädchen hustete. Sie war völlig geschwächt vor Erschöpfung.
»Mir war nicht klar, dass du so großen Wert auf meine Ernährung legst«, sagte Rose, während das Mädchen knickste. »Du bist krank, Colleen. Verlass die Farm, bis du wieder gesund bist, und schick jemand anderen mit dem Dessert herein.«
»Willst du nicht wenigstens den Kindern zuliebe essen?«
Rose dachte daran, wie bereitwillig sie sie zurückgelassen hätte, um mit Abdullah zu gehen.
»Ich würde etwas essen, wenn ich Hunger hätte«, erwiderte sie erschöpft. »Und, Hamish …«
Er war gerade dabei, die Soße mit Brot aufzutunken, und hob den Kopf.
»Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du Mrs Cudlow untersagen würdest, in meine Privatsphäre einzudringen. Es wird keinen weiteren Kontakt zwischen mir und Abdullah Abishara geben.«
Hamish neigte den Kopf. »Er wird heiraten, wie du weißt.« Er fragte sich, ob Jasperson wohl mit Tootles geredet hatte. Es war eine Sache, wenn seine Frau für einen anderen Mann schwärmte, aber wenn ein Geschäftspartner den zarten Gemütszustand seiner Frau ausnutzte …
»Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst. Entschuldige mich.«
Als sie kurz darauf in ihrem Zimmer war, kamen die wenigen Brocken, die sie gegessen hatte, wieder hoch. Es war so wenig Flüssigkeit, dass noch nicht einmal der gesamte Boden der Waschschüssel feucht wurde.