Herbst, 1867

Wangallon Station

Rose legte ihren Löffel auf ihren Dessertteller und wartete geduldig, bis ihr Mann zu Ende gegessen hatte. Mit der rechten Hand drehte sie langsam ihr geschliffenes Wasserglas. Dann strich sie mit dem Zeigefinger über ihren silbernen Dessertlöffel und legte schließlich die Hände auf die Leinenserviette auf ihrem Schoß. Ein Dutzend von allem, dachte sie, während sie im Stillen den Inhalt der großen Mahagoni-Anrichte zählte, um die Langeweile erträglicher zu machen. Zwölf Messer und Gabeln für Vorspeisen, zwölf Messer und Gabeln, zwölf Dessertgabeln und -löffel, zwölf Suppenlöffel, zwölf Kuchengabeln, zwölf Brotmesser, zwölf Teelöffel. Und dann waren da noch die Leinenservietten, Tischdecken, Gläser, Karaffen und alkoholische Getränke. Wein, Whisky, Brandy.

Milly, Boxers Nichte, räumte den Tisch ab und verließ mit einem kleinen Knicks den Raum.

»Ist alles vorbereitet für Abdul Faiz Abishara?«

Seine Stimme erschreckte Rose. Automatisch zog sie scharf den Atem ein, was den Schmerz der dicken Bandagen um ihre Brüste ein wenig linderte. Benommen dachte sie daran, dass ihre Milch so eintrocknete, wie die Hitze das Land ausdörrte. Für gewöhnlich unterhielten sie sich beim Abendessen nicht, denn es gab kaum etwas zu besprechen. Da eine von Boxers Frauen jetzt als Amme eingestellt worden war, dehnten sich ihre Tage noch mehr. Lange, unausgefüllte Stunden.

Hamish schob geräuschvoll seinen Stuhl zurück und trommelte gereizt mit den Fingern auf die Tischplatte. Vage erinnerte er sich an ein unterhaltsames, gut erzogenes junges Mädchen, ein völlig anderes Geschöpf als die Frau, die verloren an diesem eleganten Eichentisch saß, den er unter ungeheuren Kosten hierher hatte transportieren lassen.

»Howard, Luke und William werden für die Dauer des Besuchs bei Mrs Cudlow schlafen«, begann Rose langsam. »Der kleine Samuel bei mir. Lee hat das Menü bereits mit Mrs Cudlow besprochen, und die neue Leinenbettwäsche ist auch fertig.«

»Gut. Ich denke, Abdul wird einen Verwandten mitbringen und auch eine gewisse Anzahl von Dienstboten. Aber Genaueres werden wir erst wissen, wenn er da ist.«

Zufrieden blickte Hamish sich im Zimmer um. In einer kleinen Vase auf dem Kaminsims standen weiße und gelbe Margeriten und Glockenblumen; darüber hing sein Porträt. Das große Ölgemälde, das ein bekannter Künstler aus Sydney angefertigt hatte, zeigte ihn in einem braunen Ledersessel mit hoher Lehne. Besonders gut gefiel Hamish die Neigung seines Kopfs. Die dunkle Bräune seiner Haut stand in starkem Kontrast zu seinem schneeweißen Hemd. Das dunkelrote Smokingjackett trug zur Gesamtwirkung noch bei. Zu beiden Seiten des vergoldeten Rahmens hingen dekorative Teller, und über dem Durchgang zum Wohnzimmer hing ein großer, lackierter Fächer in Rot und Gold. Zuerst hatte Hamish sich darüber geärgert, dass seine Frau ihn bei einem chinesischen Hausierer gekauft hatte, aber schließlich musste er doch zugeben, dass er recht attraktiv wirkte.

»Die Geschäfte des Afghanen finden für gewöhnlich weiter im Inland statt, und ich habe schon damit gerechnet, nach Bourke reisen zu müssen. Aber Abdul besucht Kunden im Norden, nachdem er die Ankunft von Kamelen aus Karatschi überwacht hat.«

Rose lächelte ermutigend. So viele Informationen bekam sie selten. »Und dieser Mann, Abdul, hat sein Geschäft in Bourke?«, fragte sie.

»Ja, die Bourke Carrying Company.« Hamish ließ seinen Blick über die Mahagoni-Anrichte mit ihren Karaffen voll Sherry und Brandy gleiten und über den mit Schnitzereien verzierten Bücherschrank. »Ich habe Tapeten für dieses Zimmer bestellt: rote Rosen auf Cremeweiß und gelbe für das Wohnzimmer. Ich dachte, Gelb gefällt dir vielleicht.« Hamish räusperte sich.

Rose drehte ihren schmalen goldenen Ehering am Finger und senkte den Kopf, damit Hamish nicht sah, wie sich ihre Augen weiteten. »Gelb, ja, ja. Ich mag gelb.« Morgen würde sie vielleicht die Binden von der Brust nehmen, ihre Kleider durchsehen und ihre Haare waschen. Vielleicht würde sie morgen zum Bach gehen, und dann später, in der Mittagshitze, konnte sie sich auf der großen rosafarbenen Liege unter dem Fenster ausruhen. Die dunkelroten Samtvorhänge ließen keine Sonne durch.

»Es gibt schon Unstimmigkeiten zwischen den Bullockies und den Afghanen. Aber Geschäft ist Geschäft. Wettstreit ist wichtig für den Aufbau unseres Landes.« Hamish schlug so fest mit der Faust auf den Tisch, dass Rose zusammenzuckte.

»Ich hoffe, du wirst dich bemühen, gesprächiger zu sein, wenn unsere Gäste hier sind. Das Klavier, das ich bestellt habe, trifft in Kürze ein, und mit ein bisschen Übung kannst du ihnen sicher etwas vorspielen.«

»Ja, sicher«, erwiderte Rose gleichmütig. Sie stand auf, und ihre Serviette fiel zu Boden. Seit ihrer Ankunft auf Wangallon vor fast fünf Jahren hatte sie kein Klavier mehr gespielt.

»Du besprichst nie etwas mit mir; nicht die Möbel in diesem Haus, nicht das Klavier, die Tapete, die Gläser, das Besteck, nichts.« Und auch nicht die Höhe der Vorauszahlung, die sie vor ein paar Wochen zufällig in Hamishs Arbeitszimmer mitbekommen hatte, dachte sie. Für solche Informationen waren Jasperson und Dave offensichtlich besser geeignet. Eine große Vorauszahlung für die Wolle, die auf gestohlenen Schafen gewachsen war. Vielleicht war es ja auch besser, dass sie von seinen Neuerwerbungen nichts wusste, denn wenn Rose daran dachte, wo das Geld herkam, wollte sie eigentlich nichts davon wissen.

»Rose, wenn ich in der Vergangenheit versucht habe, mit dir darüber zu sprechen, hast du kaum zugehört.«

Das stimmt, musste sie zugeben. Sie wurde lustlos in seiner Gegenwart, denn Hamish erinnerte sie nur daran, wie unvollkommen ihre Welt geworden war.

»Rose, das Klavier und die Tapeten kommen in den nächsten vierzehn Tagen; mindestens einen Monat vor Abduls Ankunft.«

»Gut.« Rose bückte sich, um ihre Serviette aufzuheben.

»Ich habe auch zwei Ballen Seide für dich geordert, eine blaue und eine rosafarbene. Ich dachte, das müsste dir eigentlich gut stehen. Ich muss mich heute Abend um meine Geschäfte kümmern. Jasperson und Dave kommen in mein Büro. Gute Nacht.«

Er erwartete keine Antwort von ihr. Er war bereits weg und mit ihm sein Geruch nach Staub, Schweiß und Tabakrauch. Rose warf ihre Serviette auf den Esstisch und lauschte auf die Schritte der beiden Verwalter, den schnellen Schritt von Jasperson und den schlurfenden Gang von Dave. Rose nahm ein Buch aus dem Bücherschrank, las die erste Seite und stellte das Buch dann wieder ins Regal.

Es war schon spät, als Dave und Jasperson die Farm endlich verließen. Leise ging Hamish an Roses Zimmer vorbei in sein Schlafzimmer. Müde setzte er sich auf sein Bett und schob das dicke, in Leder gebundene Hauptbuch der Farm zwischen Bettgestell und Matratze. Wangallon Station florierte. Die Zahlen sprachen eine deutliche Sprache. Auf seinem Land weideten fünfzigtausend Merinoschafe. Hamish nahm eine Decke von seinem Bett und schlich leise über den Dielenboden nach draußen, um sich, in die Decke gewickelt, auf die Veranda zu setzen. Die Luft war kühl, und ein kräftiger Nachtwind zerzauste ihm die Haare. Um diese Stunde, in einer mondlosen Nacht, in der nur die Sterne ihm Gesellschaft leisteten, konnte er beinahe glauben, dass er alles hatte, was er wollte. Schwer lehnte er auf den instand gesetzten Milchkisten-Stuhl und zog sich die Decke bis zum Kinn hoch, damit ihm warm wurde.

Hamish war zufrieden mit seinen Leuten, zufrieden mit seinem Anwesen, und vor allem war er zufrieden mit seinen Schafen. Es waren nicht mehr nur einzelne Flecken wie Wolken am Himmel, sondern sie bedeckten das Land, und auf ihren Rücken wuchs das wertvollste Material, Wolle. Früher einmal hatte er überlegt, ob er Rinder kaufen und verkaufen sollte, aber er hatte sich dann schnell für Schafe entschieden. Das Risiko war geringer, und es steckte viel mehr Geld darin: Es gab immer mehr Menschen auf der Welt, und sie alle brauchten Kleider.

Was das Personal anging, so hatte Matthew Reynolds recht gehabt. Man musste sich ihre Loyalität sichern, und das erreichte man hier draußen nur durch Geld. Die Einsamkeit seiner Grenzreiter führte oft dazu, dass sie ihre Posten verließen, deshalb versuchte Hamish, nur verheiratete Männer einzustellen. Den Frauen zahlte er dann über den Lohn ihrer Männer hinaus ein Grundgehalt; und dafür kochten die Frauen für ihre Männer und hatten ein Auge auf sie. Er führte auch ein Rotationssystem ein, so dass die Paare jedes Jahr in eine andere Grenzhütte zogen. Es war eine simple Strategie, bei der unzuverlässige Männer rasch ausgetauscht wurden. Und sie wurde noch wertvoller dadurch, dass Boxer seine Leute fest im Griff hatte.

Hamish wickelte sich noch fester in die Decke ein und legte sich flach auf den Fußboden. Die Schmerzen in seinem Rücken ließen ein wenig nach. Er verstand besser als die meisten, warum die Aborigines auf ihrem angestammten Grund und Boden bleiben wollten. Mit ihrem Wissen über ihre heimische Umgebung waren sie für ihn von unschätzbarem Wert. Sie lasen mühelos Spuren, wussten jederzeit, wo sie Wasser finden konnten, und wo sie nach verloren gegangenen Tieren suchen mussten.

Hamish drehte sich auf die Seite und stützte den Kopf in die Hand. Gedankenverloren betrachtete er die Sterne. Ein Bild, geformt wie ein Kessel mit einem Griff erregte seine Aufmerksamkeit. Die Sterne, die die Umrisse bildeten, leuchteten hell am blauschwarzen Himmel. Für den Rest seines Lebens würde dieses Sternbild ihn an seine Reise in dieses großartige südliche Land erinnern. Obwohl er am Anfang nicht gewusst hatte, was vor ihm lag, war Wangallon sein Lebenswerk und würde es immer bleiben. Dafür konnte er sich bei seiner schönen, untreuen Mary und seinem toten Bruder bedanken. Die eine hatte ihm den Anlass gegeben, um neu anzufangen, und der andere die Hartnäckigkeit, um Erfolg zu haben. Jetzt war er fast einunddreißig und hatte vier Söhne unter neun Jahren. Aber all das reichte noch nicht. Unter seiner Obhut standen über sechzig Seelen. Und doch verbrachte er seine Nächte entweder damit, in den Sternenhimmel zu blicken, oder mit einem schwarzen Mädchen namens Milly. Hamish seufzte, als er an das süße Gesicht von Claire Whittaker dachte.