Herbst, 1987
Goldküste, Queensland
Ronald lächelte. Es war ein sanftes, warmes Lächeln voller Liebe. »Jeremy hat angerufen, während du heute Morgen am Strand warst, Sarah. Er ist auf dem Weg hierher. Er hat für das Wochenende ein Apartment am Hauptstrand gebucht. Hier …«, er reichte ihr einen Zettel, den er aus einem Notizblock gerissen hatte, »… das ist die Adresse.«
»Woher wusste er überhaupt, wo ich bin?«, fragte Sarah.
»Du hast ihn angerufen und ihm eine Nachricht hinterlassen, dass du im The Overlander übernachten würdest. Und anscheinend hat die Frau an der Rezeption ihm gesagt, dass sie ein Busticket für dich gebucht hat.«
»Oh.«
»Wollt ihr beiden heute Abend nicht zum Essen kommen?«
Am späten Nachmittag, nachdem sie einen wundervollen Tag am Strand und mit einem Stadtbummel verbracht hatten, fuhren sie zu einem kleinen Park, der am Wasser lag. Im Schutz einer Bougainvillea-Hecke breitete Jeremy eine Decke auf dem frisch gemähten Rasen aus. Als sie saßen, legte er eine weitere Decke über ihre Beine, holte Räucherlachs, Pastete und Champagner aus einer Kühltasche und zündete eine Kerze in einem Windlicht an.
»Wann hast du das denn alles vorbereitet?«, fragte Sarah.
»Die Frau am Empfang in der Lobby hat mir ausgeholfen. Bevor du etwas sagst«, begann er, »ich möchte mich für die jüngsten Vorkommnisse entschuldigen. Du hast eine Menge durchgemacht, Sarah.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du hast ja recht mit dem, was du in Sydney gesagt hast. Du hast dich immer um mich bemüht und mir durch eine wirklich schwere Zeit geholfen, als ich sonst niemanden hatte.«
Jeremy legte ihr den Arm um die Schultern. »Manchmal glaube ich, wenn wir zwei alleine wären, hätten wir keine Probleme.«
»Ich weiß.«
»Ich habe wirklich nicht mit Julie geschlafen. Wir haben gearbeitet.«
Na ja, dachte Sarah, sie durfte sich sowieso kein Urteil über andere Menschen anmaßen. »Ich habe wahrscheinlich voreilig die falschen Schlüsse gezogen.«
»Nun, ich kann dir sicher keinen Vorwurf daraus machen, dass du wütend auf mich warst. Von deinem Standpunkt aus war es ja auch nicht so ganz passend.« Er schenkte ihr ein Glas Wein ein. »Wir müssen einander eben vertrauen.«
Sarah dachte an die Küsse mit Anthony, zwei in zwei Tagen. Sie leerte ihr Glas auf einen Zug.
»Alles okay?«, fragte Jeremy.
»Ja, klar, ich habe nur nachgedacht«, erwiderte Sarah.
»Nur über gute Dinge hoffentlich.«
»Ich komme mir vor, als würde ich von allen manipuliert. Von Anthony, von Großvater, sogar von meinem Dad. Alle haben sie das Gefühl, mir sagen zu müssen, was ich tun soll.«
Jeremy zog sie an sich. »Sie lieben dich eben alle, Sarah.«
»Ja, wahrscheinlich hast du recht.«
»Weißt du, zwischen uns wurde es schwieriger, als du wieder regelmäßiger nach Wangallon gefahren bist.«
»Ich weiß, aber ich bin auch hin- und hergerissen zwischen meinem Leben in Sydney und dem Druck, die einzige Gordon zu sein, die erben kann.«
Jeremy drückte sie fester an sich.
»Mir wird erst jetzt klar, wie viel ich dir bedeuten muss, weil du bereit bist, diesen ganzen Mist in meinem Leben in Kauf zu nehmen. Es scheint wirklich alles viel einfacher zu sein, wenn es nur um uns geht.«
»So sollte es in einer Beziehung auch sein, Sarah. Vor allem, wenn man einander liebt. Und du liebst mich doch, oder?« Er fuhr ihr mit dem Finger über die Wange. »Ist schon okay. Ich weiß ja, wie schwer es dir fällt, deine Gefühle in Worte zu fassen. Du brauchst auch bloß zu wissen, dass ich dich liebe.«
»Ich weiß.«
Sarah atmete die salzige Meerluft ein. Sie hatte den Kopf an Jeremys Schulter gelehnt, und sein warmer Atem glitt über ihre Stirn wie eine Sommerbrise.
»So sollte unsere Beziehung immer sein«, sagte Jeremy leise. »Keine Streitigkeiten.«
Wahrscheinlich war sie im Moment einfach zu erschöpft dazu, dachte Sarah.
»Dein Dad hat mir von deinem Dilemma mit Wangallon erzählt.«
»Dilemma? Das ist eine interessante Wortwahl.«
»Dein Vater ist Geschäftsmann, Sarah. Mal abgesehen von den familiären Bindungen, du solltest auf seinen Rat hören. Ich kann dir nicht vorschreiben, was du tun sollst, aber ich glaube, und damit stehe ich wohl nicht alleine, dass die Tage der Farmen im Busch gezählt sind. Du musst nach Wegen suchen, um nicht nur dein zukünftiges Glück, sondern auch deine Sicherheit zu gewährleisten. Noch bist du in der besten Position, um dafür zu sorgen, dass das Werk deiner Vorfahren lebendig gehalten wird.«
»Wie?«
»Dein Dad sagt, der Besitz sei Millionen wert. Du könntest ihn verkaufen und das Geld in Immobilien und Fonds anlegen. Ein kleiner Teil könnte vielleicht in eine Stiftung fließen, mit der junge Leute gefördert werden, wenn sie in ländlichen Gebieten in Australien arbeiten wollen. Damit wäre das Vermächtnis von Wangallon gut angelegt, meinst du nicht?«
»Oder«, entgegnete Sarah, »ich könnte nur einen Teil verkaufen und Rest behalten, damit Anthony als Verwalter bleiben kann.«
Jeremy schaute sie zweifelnd an. »Wenn du es behältst, Sarah, wirst du nie wirklich frei sein. Dann wirst du immer wieder dorthin fahren. Meinst du nicht, dass du, dass wir einen klaren Schnitt brauchen?«
Die Anspielung war deutlich. »Hey, warst du nicht gerade derjenige, der von Vertrauen geredet hat?«
»Okay, erwischt. Aber denk trotzdem mal darüber nach.«
»Das mache ich«, willigte sie ein.
»Ich liebe dich, Sarah.« Jeremy zog sie wieder fester an sich und gab ihr einen Kuss.
Schuldbewusst rieb sie ihre Nase an seiner Wange. »Lass uns auf den Neuanfang trinken«, sagte sie und löste sich von ihm, um sich aufrecht hinzusetzen. Liebevoll beobachtete sie ihn, als er die Flasche Champagner öffnete.
»Auf den Neubeginn«, sagte er und ließ etwas in ihr langstieliges Glas fallen.
Sarah hörte es klirren und hob das Glas. Im Champagner glitzerte ein Diamantring. Sie trank einen großen Schluck, dann hielt sie das Glas schräg, um den Ring herausholen zu können. Funkelnd lag er in einer kleinen Champagnerlache in ihrer Handfläche.
»Willst du mich heiraten?«
Sarah starrte auf den Stein.
»Als ich gehört habe, dass du Wangallon so abrupt verlassen hast, habe ich gedacht, du hast es vielleicht endlich losgelassen.«
»Ich …« Wind kam auf und fuhr ihr durch die Haare. »Es tut mir leid, Jeremy, aber darauf war ich nicht vorbereitet.«
»Es ist ein Heiratsantrag. Darauf brauchst du nicht vorbereitet zu sein. Du sollst nur Ja sagen.«
»Ich kann nicht. Wenigstens …«
Jeremy nahm ihr den Ring aus der Hand, steckte ihn in die Hosentasche und begann, ihre Sachen zusammenzuräumen. »Ich glaube, wir gehen jetzt besser.«
»Warte, Jeremy, bitte.« Sarah stand auf.
»Ich höre«, sagte er, packte aber weiter die Überreste ihres Picknicks zusammen und schüttelte die Decke auf, auf der sie gesessen hatten.
»Ich bin bereit, mit dir über unsere Zukunft zu reden, solange du bereit bist, meine Gedanken zu Wangallon anzuhören. Aber die Entscheidungen bezüglich der Farm treffe ich allein.«
Jeremy blickte sie an. »Wie kann das sein, Sarah? Du behauptest, wir hätten eine gemeinsame Zukunft, willst mir aber erklären, dass ich bei etwas, das unsere Beziehung betrifft, nichts zu sagen habe. Du musst auch ein bisschen fair sein. Scheiße!« Er rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Ich habe bei deinem Vater um deine Hand angehalten. Und jetzt sehe ich aus wie ein Idiot!«
Sarah blickte den Mann an, der sie bedingungslos liebte und der versuchte, eine sichere Zukunft für sie beide aufzubauen. Ihr Dad hatte recht. Männer wie Jeremy kamen nicht jeden Tag vorbei. »Wenn ich einen Teil von Wangallon verkaufen würde, könnten wir uns ein Haus bauen und sogar noch etwas in deine Kanzlei stecken.«
Er blickte sie an. Sarah streckte die linke Hand aus.
»Ich würde dich sehr gerne heiraten, Jeremy.«
Er schob ihr den Ring auf den Finger und küsste sie. Dann legte er ihr die Hände auf die Schultern und blickte ihr in die Augen. »Bist du sicher?«
»Ja, ich bin sicher. Solange du verstehst, dass ich Wangallon wahrscheinlich nie im Ganzen verkaufen kann.«
»Und Anthony?«
Anthony, dachte Sarah, ist ein verdammt guter Verwalter, und wenn er das gerne weitermachen möchte, dann ist eigentlich allen damit gedient. »Wie meine Mutter sagt«, erwiderte sie mit fester Stimme, »er gehört zum Personal.« Sarah küsste Jeremy, umarmte ihn und betrachtete den Ring an ihrem Finger. »Komm, wir wollen es Dad sagen.«
»Großartige Neuigkeiten. Gut gemacht. Herzlichen Glückwunsch.« Ronald schüttelte Jeremy begeistert die Hand. Er schenkte Champagner ein. Selbst Sue wirkte wie verwandelt und war in der Lage, ein vernünftiges Gespräch zu führen. »Herzlichen Glückwunsch, mein liebes Mädchen.«
Ronald verspürte den unwiderstehlichen Drang, seinen Vater anzurufen und ihm von der bevorstehenden Hochzeit zu erzählen. Er freute sich so sehr, dass er Sarah ein Leben auf Wangallon erspart hatte, und noch mehr freute ihn, dass der alte Bastard sie jetzt nicht mehr zwingen konnte, die Farm zu übernehmen.
»Der Ring. Zeig mir den Ring.«
Stolz zeigte Sarah ihrer Mutter den glitzernden Diamantring.
»Eine Frühlingsbraut«, sagte Sue glücklich. »Eine Morgenhochzeit, prachtvolle Hüte, Hummer, Champagner. Wie wundervoll!«
Jeremy legte Sarah den Arm um die Schultern. »Ich habe noch eine Überraschung für Sarah.«
»Ja?« Sarah strahlte ihn an.
»Was denn jetzt noch?«, fragte Ronald. »Verwöhn sie bloß nicht zu sehr.«
»Urlaub«, verkündete Jeremy und trank einen Schluck Champagner. »Es ist mir gerade erst eingefallen. Nur für zwei Wochen.« Er drückte Sarahs Schultern. »Wir könnten beide ein bisschen Erholung gebrauchen.«
»Hervorragende Idee«, erklärte Ronald begeistert. Er setzte sich auf einen Barhocker an der Küchentheke und griff erneut nach der Champagnerflasche.
»Was ist mit deiner Kanzlei?«, fragte Sarah besorgt.
»Ich habe diese beiden neuen Klienten, wirklich dicke Fische, aber sie kommen nicht vor nächstem Monat zu mir.«
Ronald schenkte allen nach und hob sein Glas. »Gut gemacht! Und wo wollt ihr hinfahren?«
»Nach Schottland«, erwiderte Jeremy.
»Fantastisch!«, jubelte Sarah.
Die Flasche landete krachend auf den hellgrünen Terrakotta-Fliesen und zerschellte. »Scheiße!«
»Warte, Dad, ich mach das schon.« Sarah bückte sich, um die Scherben aufzusammeln.
»Nein, setz dich. Jeremy und ich machen sauber.«
Die Männer machten sich daran, alles aufzuwischen.
»Was haltet ihr davon, wenn wir zum Essen gehen?«, fragte Jeremy, dem auffiel, dass Ronald ein wenig aus der Fassung geraten war.
»Ich hole meinen Mantel«, sagte Sue sofort und ging in ihr Schlafzimmer.
»Warum um alles in der Welt wollt ihr gerade nach Schottland fahren?«, fragte Ronald seine Tochter.
Sarah blickte Jeremy an.
»Es gibt so viele schöne Länder auf der Welt – Italien, Frankreich, Ägypten«, fuhr Ronald fort.
»Ich fand, es sei eine gute Gelegenheit, da ja die Gordons von dort stammen. Und in Sarahs Wohnung hängen all diese alten Fotos von Tongue an der Wand.«
Sarah küsste Jeremy auf die Wange. »Ich halte es für eine großartige Idee.«
Ronald kratzte sich am Kopf. Wenn er ihr sagte, sie solle nicht fahren, würde sie es ja doch tun. Und eine weitere geschmacklose Episode in der Geschichte des Gordon-Clans war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte. »Nein, ich dachte ja nur, dass du alle Brücken abbrechen solltest, wo du doch jetzt deine Entscheidung über Wangallon getroffen hast.«
»Nein, ich denke, wir haben uns entschieden. Wir fahren nach Schottland.« Sarah lächelte Jeremy an.
»Wir übernachten in kleinen Pensionen und mieten uns ein Auto.« Jeremy hatte das Gefühl, Sarah jetzt endlich für sich gewonnen zu haben.
»Ich rufe im Studio an und bitte um Urlaub. Ich habe sowieso darüber nachgedacht, ob ich mich nicht selbstständig machen soll.«
Jeremy machte eine abwehrende Handbewegung. »Hey, jetzt noch nicht, wir müssen alle essen. Warte, bis wir von unserer Reise zurück sind, dann suchen wir uns eine größere gemeinsame Wohnung.«
»Mit einer Dunkelkammer«, fügte Sarah hinzu.
»Sarah, du solltest nach Wangallon fahren und es Angus persönlich sagen.« Ronald wollte ihr nicht die Freude verderben, aber Sarah war es ihrem Großvater schuldig, es ihm persönlich mitzuteilen.
Sarah blickte ihren Vater an. Er wirkte natürlich noch nicht so alt wie ihr Großvater, aber schon jetzt war er ein alter Mann – eher in emotionaler als in körperlicher Hinsicht, dachte Sarah. Er könnte diesem mentalen Alterungsprozess Einhalt gebieten, wenn er wollte, aber er hatte wohl nicht mehr die Kraft dazu.
»Warum kannst du ihn nicht einfach anrufen?«, fragte Jeremy. Er wollte nicht, dass sie dort hinfuhr. Vater und Tochter wechselten einen wissenden Blick, und er kam sich auf einmal ausgeschlossen vor.
»Ich fahre morgen früh, Dad.« Sie blickte auf den prachtvollen Ring an ihrem Finger. »Kann ich noch schnell Shelley und Kate anrufen, bevor wir zum Essen fahren? Sie werden begeistert sein.«
»Zwei Brautjungfern!« Sue klatschte entzückt in die Hände. »Wie wundervoll!«