Sommer, 1859
Wangallon Station
Die Reiter hielten im Schatten eines großen Zitronenbaums an. Sand und schwarze Fliegen hüllten sie ein, als sie abstiegen. Hamish sprang vom Pferd und blickte seine Männer an.
»Das ist es!« Er spuckte den Zigarettenstummel aus und machte eine ausholende Geste. »Die Grenzen sind eingezäunt. Wir fahren die Schafe hierhin, und dann …«
»Boss?«, unterbrach Jasperson ihn und kratzte sich am Schritt. »Warum hast du gerade das hier ausgesucht? Hier ist doch nichts. Hier ist es nur flach.« Missmutig blickte er sich um. Natürlich bedeutete die Entfernung Sicherheit, zumal sie im letzten Jahr jede Menge Schafe gestohlen hatten, aber an diesem abgelegenen Ort fühlte Jasperson sich von der Menschheit ausgestoßen. »Keine Hügel. Nichts.«
Hamish lächelte nur. »Wir reiten auf diesen Rauch zu.« Er stieg wieder auf sein Pferd und führte Jasperson, Dave und zwei andere Männer langsam durch das Grasland. Ein beißender Westwind wehte ihnen ins Gesicht. Ein Teil des Landes hatte einem Viehzüchter gehört, der pleitegegangen war. So weit das Auge reichte, sah man immer wieder große Baumgruppen. Hamish fluchte leise beim Anblick dieses wilden, einsamen Landes, das jetzt ihm allein gehörte. In seiner rauen Schönheit ähnelte es dem Land seiner Vorfahren. Er liebte den Kampf, und auf dieser fruchtbaren Erde würde er kämpfen müssen. Es war ein langer Ritt von Ridge Gully hierher und ein noch längerer von den Goldfeldern von Victoria, wo sein Bruder begraben lag. New South Wales war jetzt sein Land, und er hatte es teuer bezahlt.
Hamish ritt mit den Männern in Richtung des Rauchs. Am Boden kauernde Gestalten kamen in Sicht.
»Aborigines«, flüsterte Jasperson.
Hamish nickte. Die Gruppe erhob sich, als sie näher kamen. »Seid auf der Hut, Männer.« Es hatte zahlreiche Zwischenfälle zwischen Schwarzen und Weißen gegeben, und auf beiden Seiten waren Leute umgekommen. Hamish war zwar der Besitzer dieses Landes, aber diese Leute waren zuerst da gewesen, und ihr Wissen würde für ihn von unschätzbarem Wert sein. Er hatte nicht vor, sein neues Leben durch Arroganz zu gefährden. Deshalb redete er bewusst langsam, als er die Gruppe von Aborigines erreichte. Er war sich ihrer wachsamen Blicke bewusst, als er vom Pferd stieg und Kautabak aus seiner Satteltasche nahm. Es waren sechs Männer, groß, schlank und dunkelhäutig. Zwei von ihnen trugen die Kleidung der Weißen, Hosen mit Ledergürteln und breitkrempige Hüte. Sie betrachteten die feuchten Tabakstücke anerkennend, bevor sie sie in den Mund steckten und anfingen zu kauen. Fliegen schwärmten über ihnen, und die Pferde scharrten unruhig in der Hitze. Mit seinem schmutzigen Zeigefinger zeichnete Hamish eine Karte mit den Umrissen seines Landes in den Staub. Instinktiv beugte einer der Aborigines sich vor und fügte Flussläufe und Bäche hinzu. Dann presste er den Daumen in den Sand: Das war ihre exakte Position.
»Du Boss von Wangallon jetzt?« Seine weißen Zähne, braun verschmiert vom Saft des Kautabaks, leuchteten in seinem dunklen Gesicht. »Du brauchst Männer, Boss?«, fragte er, fuhr jedoch, ohne die Antwort abzuwarten, fort: »Komm zu mir. Viel Hilfe und keine Probleme, wenn du für Stamm sorgst.« Er schob seinen breitkrempigen Hut nach hinten.
»Jesus, Maria und Josef!«, rief Dave aus und spuckte seinen Kautabak aus. Sofort krochen schwarze Ameisen darauf zu. »Er stellt Bedingungen!«
Hamish schmunzelte. »Wie nennt man dich?«
»Boxer.«
»Und du hast für McInnes gearbeitet?«, nannte Hamish den Namen des früheren Besitzers.
Boxer nickte. »Guter Mann, aber schwach hier.« Er klopfte auf seine Brust.
»Wie viele seid ihr?« Hamish dachte sich, dass er wahrscheinlich so viele Männer brauchen würde, wie er kriegen konnte.
Boxer kniff die Augen zusammen. »Genug.«
Sie übernachteten im Freien, und Hamish schaute stundenlang in den klaren Himmel, an dem die seltsamen südlichen Sterne eines fremden Landes schimmerten. Kein Lüftchen regte sich, und man hörte nur das leise Rascheln der Nachttiere im Gras und gelegentlich den Ruf einer Eule. Er drehte sich zur Seite, wobei er fast erwartete, dass Charlie neben ihm liegen würde, damit sie von ihrem altem Land und ihrem Platz in diesem neuen reden konnten. Es war mutig von seinem Bruder gewesen, das Leben aufzugeben, das er gewollt hatte, um ihm in diese entlegene Ecke der Welt zu folgen.
Leise setzte Hamish sich auf, um seine schlafenden Gefährten nicht zu stören. Die kühle Nachtluft belebte ihn, und er dachte an das Farmgebäude. Eine Kopie der Pläne für das Haus befand sich in seiner Satteltasche, und morgen würden sie damit beginnen, das Fundament abzustecken.
Keinen halben Tagesritt vom Grundstück entfernt war ein Zypressenwäldchen. Dort würde Hamish das Holz für den Bau schlagen, da die weißen Ameisen in diesem Land Pinienholz verschmähten. Es gab noch zwei weitere Wäldchen, so dass er nirgendwo die Bäume restlos fällen musste. Die gefällten Baumstämme würde er dann mit einem Wagen zum Bauplatz bringen, damit sie entrindet werden konnten. Das war eine mühsame Arbeit, aber sie lohnte sich, da das Holz darunter glatt und cremeweiß war. Aus der geschnittenen und getrockneten Rinde konnte man wunderbare, wasserdichte Dachschindeln machen, allerdings sah Hamish das nur als Übergangslösung an. Wenn seine Mittel es erlaubten, würde er richtige Dachziegel aus Sydney kommen lassen, die er auf einem selbst gebauten Zedernholzdachstuhl verlegen würde.
Hamish stellte sich vor, dass das Gerüst für das Haus in etwa einer Woche stehen würde, und dann wären auch die zusätzlichen Arbeiter aus Ridge Gully eingetroffen. Er hatte sie eingestellt, damit sie beim Entrinden und Sägen der Dielenbretter halfen. Die Wände sollten aus Pisé gemauert werden, aus Ziegelsteinen aus Gras und Lehm, die man nach monatelanger Trocknung mit einem Hammer abklopfte und mit einer Mischung aus Mörtel und Kalk verputzte. Am Ende des Monats wären die Zedernholztüren fertig, und auch der gesamte Bau stünde kurz vor der Fertigstellung. Es würde ein stolzes Gebäude werden, eines, das mehr als hundert Jahre überdauern würde. In der Zwischenzeit jedoch brauchte er erst einmal eine einfache Rindenhütte für sich und seine Männer, und die noch vorhandenen Nebengebäude wie Unterkünfte für die Arbeiter, ein Scherschuppen und Pferdeställe mussten entweder neu gebaut oder repariert werden.
»Wangallon ist dein Denkmal, Charlie«, murmelte Hamish leise. »Ganz gleich, was passiert: Ich schwöre, dass Wangallon für alle Ewigkeit im Besitz der Gordons sein wird.« Hamish zog sein Taschenmesser aus der verschlissenen Ledertasche an seinem Gürtel und spuckte auf die Schneide, um sie anschließend an seiner Hose blank zu reiben. Dann machte er einen tiefen Schnitt in die Handfläche seiner linken Hand und ballte sie zur Faust. Das Blut lief auf die Erde von Wangallon.