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Sie verweilt in dem Café, so lange
es irgend geht, lässt sich eine kleine Tasse Kaffee servieren und
schlürft die bittere schwarze Flüssigkeit langsam hinunter,
bestellt dann auch noch ein Eis, aber als sie ihren Aufenthalt
schließlich auf eine Stunde ausgedehnt hat, kommt der Betreiber und
legt ihr die Rechnung auf den Tisch. Obwohl sie Geld hat, will er
sie loswerden. »Kannst woanders auf deinen Onkel warten«, sagt er
grob. »Ich brauch diesen Tisch für die Abendgäste.«
Sie weiß, dass es keinen Sinn hat,
sich zu beschweren. Ein Mann von diesem Kaliber könnte sie einfach
von ihrem Stuhl stoßen, könnte sie sogar schlagen, ohne dass jemand
etwas sagen würde, denn alle würden davon ausgehen, dass sie etwas
Ungehöriges getan hat. Kinder ohne Eltern sind immer verdächtig.
Schweigend holt sie etwas Geld hervor, zählt sorgfältig den genauen
Betrag ab. Dann steht sie auf und entfernt sich. Sie geht auf
dieser Seite der Straße bis zur nächsten Ecke, dann auf der anderen
Seite, dort, wo der Krankenhauseingang ist, zurück bis zu dem
Zeitschriftenkiosk.
Der Verkäufer ist ein grauhaariger
Mann mit der gleichen stumpf braunen Hauttönung, die auch Baz hat,
und so schweigsam der Cafébetreiber war, so redselig ist dieser
kleine, dünne Mann vom Land. Er erzählt ihr von seinem Heimatdorf
und fragt sie nach ihrem. Sie erfindet etwas, das halbwegs
glaubwürdig klingen mag – dass sie mit ihrer Mutter, die als
Putzfrau in einem Büro arbeitet, und ihrem Onkel, der einen Job im
Krankenhaus hat, zusammenlebt, wenn sie auch etwas unbestimmt
bleiben muss, als er wissen möchte, was genau ihr Onkel denn dort
mache. »Ich kenne viele von denen, die hier arbeiten«, sagt er,
beinahe stolz. »Bin seit zehn Jahren an diesem Standort, seh sie
jeden Tag kommen und gehn. Seh auch ’n paar von den Gefangenen
kommen und gehn. Es gibt einen Gefängnisflügel da drin, weißt du
bestimmt ...« Es scheint ihn nicht mal zu stören, dass sie nicht
viel redet, es ist die Gesellschaft, um die es ihm geht, und sie
macht sich sogar nützlich, besorgt ihm einen Kaffee im Pappbecher,
schnürt das Bündel der Nachmittagszeitungen auf und legt sie auf
dem Stand aus. Sie erzählt ihm, dass sie auf ihren Onkel wartet,
den sie vom Dienst abholen will, und er lässt sie auf einem Hocker
im Schatten des Kiosks sitzen.
Drei Stunden später macht der
Zeitungsverkäufer Feierabend, schließt seinen Kiosk und wünscht Baz
alles Gute. »Ein Jahr noch«, teilt er ihr mit, »dann geh ich zurück
nach Hause. Hier –« Er zieht ein Stück Papier aus seiner
Hemdtasche, einen Zehncentschein für die Providente, die nationale
Lotterie. »Meine Investition. Einmal die Woche – vielleicht kehr
ich als reicher Mann zurück. Komm ruhig mal wieder und besuch mich,
dann kauf ich dir auch ein Los.« Er klemmt sich die Tageszeitung
unter den Arm und marschiert los, Richtung Stadtrand, wo er, wie er
Baz erzählt hat, ein Zimmer bewohnt.
Baz geht wieder auf die andere
Straßenseite und bezieht Stellung an der Einmündung einer Gasse. Um
sieben Uhr ist von der Sonne nicht mehr viel zu sehen und die
Straßenbeleuchtung geht an. Zwei Stunden später entsteht plötzlich
Bewegung am Krankenhauseingang, eine kleine Gruppe von
Militärbediensteten verlässt das Gebäude, ihr folgen einige
Krankenschwestern und schließlich, ganz für sich, ihre Zielperson,
der dicke Wachmann. Sie streckt sich und tritt auf die fast leere
Straße. Im Abstand von zwanzig Schritten folgt sie ihm, bewegt sich
dabei immer möglichst weit am Rand. Sie ist vorsichtig, weil sie
immer vorsichtig ist, aber er blickt sich kein einziges Mal um.
Warum sollte er auch? Er hat, ebenso wie ihr Freund, der
Zeitungsmann, sein Tagwerk getan und kennt nur noch einen Gedanken:
nach Hause.
Als er nach links Richtung Centro
abbiegt, windet sie sich durch den Verkehr und schließt näher auf.
Hier sind mehr Menschen unterwegs, besuchen oder verlassen die
Gaststätten und Bars oder warten an den Straßenbahnhaltestellen.
Sie wählt den passenden Augenblick, um an ihm vorbeizustreichen,
gerade als er sich durch eine Gruppe von lärmenden Büroangestellten
schlängeln muss, fühlt den harten Umriss des Torschlüssels, und
schon will sie ihm in die Tasche greifen, da spürt sie, dass eine
der Bürofrauen sie bemerkt hat. Ein einzelnes Kind auf einer
belebten Straße, das ist hier gleichbedeutend mit Dieb. Baz senkt
den Kopf, vermeidet jeden Blickkontakt mit der Frau und schiebt
sich vom Wachmann weg, auf ein Geschäft einige Schritte weiter
links zu. Um aber gleich darauf wieder auf den Gehsteig
zurückzutreten. Die Frau und ihre Freunde sind noch da, aber
niemand blickt in ihre Richtung. Der Wachmann ist unterdessen
weitergegangen.
Sie ist vorsichtig. Demi sagt, ein
guter Dieb ist unsichtbar. Ein guter Dieb hängt nicht an
irgendwelchen Ecken herum, er ist geschäftig, wie alle anderen
auch, er macht irgendetwas, geht irgendwohin. Ein guter Dieb weiß,
was sein Opfer tun wird, noch ehe das Opfer es tut. Ein guter Dieb
erkennt die Gelegenheit und ist dann so schnell, dass man ihn schon
filmen und anschließend den Film in Zeitlupe abspielen muss, um
verfolgen zu können, wie seine Hand sich bewegt hat. Das sind Demis
Worte, obgleich auch er ja kürzlich von dem kleinen Mädchen
beobachtet worden ist. Demi sagt, dass man außerdem auch ein
bisschen Glück braucht.
Der rundgesichtige Wachmann hat es
nicht so furchtbar eilig. Er trottet gemächlich voran, inzwischen
wendet er auch regelmäßig den Kopf, manchmal, um hübschen Mädchen
nachzusehen, meistens aber, um die Cafés und Restaurants zu
begutachten, an denen er vorbeikommt. Sie weiß, woran er denkt, und
sie hat eine deutliche Ahnung, wo er haltmachen wird: bei
Brastoliris, der bekannten Konditorei. Ja, wer sagt’s denn, da
bleibt er auch schon vor dem Schaufenster stehen, um das
goldkrustige Gebäck zu betrachten, dann tritt er kurz entschlossen
durch die Tür.
Baz bleibt ein Stück zurück, im
Halbschatten rechts neben der Ladenfront. Dies ist jetzt die
Gelegenheit. Wenn er aus dem Geschäft kommt, wird er mit der
Papiertüte beschäftigt sein. Zu gierig, um mit dem Probieren zu
warten, bis er zu Hause ist, wird er auf dem Weg zur
Straßenbahnhaltestelle schon mal ein Stück essen, und die
Haltestelle ist nur zwanzig Meter weiter die Straße hinunter.
Das heißt, sie wird sehr schnell
sein müssen. Sie muss den Schlüssel klauen, einen Abdruck davon in
der Seife machen und dann den Schlüssel wieder an seinen Platz
bugsieren, bevor der Mann nach Hause kommt. Glück wird sie dabei
auch brauchen.
Kurze Zeit später kommt er aus dem
Geschäft, bleibt so dicht in ihrer Nähe stehen, dass sie die
Mischung aus Schweiß und dem scharfen Ammoniak aus dem Krankenhaus
riechen kann, so dicht, dass sie hören kann, wie er atmet, gierig,
stoßweise. Er ist nicht der Mann, der einem kranken Hund
hinterherlaufen könnte, geschweige denn, einem von Fays
schnellfüßigen Dieben. Er hantiert mit der Papiertüte, ganz wie
sie’s vorhergesehen hat, und dann, gerade als er den Kopf ein wenig
zurückbiegt, um das Gebäck ohne Verluste im weit geöffneten Mund
unterzubringen, hält Baz den Atem an, rückt so nahe an ihn heran,
dass sie mit seinem Schatten verschmilzt, schiebt ihre Hand in
seine Tasche, fasst den Schlüsselgriff mit Zeige- und Mittelfinger
und ist wieder weg, bevor er seinen zweiten Bissen nimmt. Mit einem
vergnügten kleinen Grunzen setzt sich der Wachmann Richtung
Haltestelle in Bewegung, während Baz, ohne ihn aus den Augen zu
lassen, den Schlüssel in die Seife presst und hofft, dass der
Abdruck gut genug sein wird.
Sie wünschte, sie könnte sich
unter einer Straßenlaterne davon überzeugen, aber das wäre ein
törichtes Risiko, und ohnehin hat sie keine Zeit dafür. Eine
Straßenbahn ist um die Ecke gebogen und fährt in diesem Moment ein.
Ein letztes Mal drückt sie zu, und dann, als die Straßenbahn schon
wieder abfährt, läuft sie mit lockeren Schritten hinterher und
schwingt sich auf.
Nach fünfundzwanzig Minuten Fahrt
durch die Stadt in Richtung Fluss fragt sich Baz allmählich, ob er
wohl bis ganz zum Agua-Platz will, doch zwei Stationen vorher, in
der Via Amaro, steigt er dann aus und sie folgt ihm rasch. Dies ist
eine eher raue Gegend, und der Wachmann ist auf der Hut, geht
zügig, möglichst immer im Licht, huscht eilig durch eine Gruppe von
Jugendlichen, die an einer Straßenecke herumhängen. Einer von
ihnen, der seine Uniform bemerkt hat, ruft ihm eine Beleidigung
nach, die der Wachmann aber ignoriert. Er ist keiner, der sich mit
anderen Leuten anlegt. Die Jugendlichen lachen und einer wirft mit
einer Zigarettenkippe nach ihm. Baz umkurvt die Gruppe weiträumig,
alle Sinne angespannt, aus Wachsamkeit nicht unbedingt nur vor der
Polizei, sondern vor jedem, der ihr gefährlich werden könnte –
immerhin hat sie, wie ihr sehr wohl bewusst ist, ein Bündel
Geldscheine im Hosenbund stecken.
Als der Wachmann vor einem Obst-
und Gemüsegeschäft stehen bleibt und die ausliegenden Melonen
betastet, fängt sie an zu laufen und passiert ihn genau in dem
Moment, wo er beide Hände voll hat, die eine mit der Melone, die er
sich ausgesucht hat, die andere mit einigen Münzen, um sie zu
bezahlen. Ohne innezuhalten, lässt sie den Schlüssel in seine
Tasche gleiten und erreicht, im gleichen Tempo weiterlaufend, die
nächste Ecke, biegt in die Seitenstraße und bleibt dann stehen,
wartet noch ein paar Sekunden, bevor sie zurückblickt.
Nichts. Nicht mal ein
Wimpernzucken.
Gut. Allemal so gut wie Demi,
denkt sie, doch sofort bekommt sie ein schlechtes Gewissen. Demi
steckt hinter verschlossenen Türen, vergitterten Fenstern. Demi ist
derjenige, der auf die hohen weißen Mauern des Schlosses starren
muss, falls ihr Vorhaben nicht gelingt, und sie hat noch so viel zu
tun.
Sie schwingt sich auf eine andere
Straßenbahn und springt am Agua-Platz wieder ab. Es ist schon spät,
der weite Platz liegt still und verlassen da, sogar der Brunnen
läuft nicht mehr. Sie geht schnell an Moros Bar vorbei, sieht von
draußen einige Gäste, die die Köpfe zusammenstecken, zusammen
trinken und reden. Von den Schattenmännern in den dunklen Anzügen
ist nichts zu sehen. Vielleicht ist das die Ruhe vor dem Sturm,
überlegt sie. Die Luft ist drückend und stickig, und nach der
Anspannung ihres Manövers mit dem Wachmann fühlt sie sich plötzlich
müde. So geht das oft: Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt,
bevor du zuschlägst, und dann, wenn du den Schatz in der Hand hast
– das Portmonee oder die dicke Brieftasche, die du Demi zeigst oder
Demi dir –, dann fühlst du dich zwar gut, aber gleichzeitig so
müde, als hättest du ganz viel laufen müssen. Heute Abend schnürt
die Luft ihr die Kehle zu, und sie hat nichts vorzuweisen außer dem
Abdruck eines Schlüssels in einem Stück Seife, nicht eben viel –
und doch genug, um ihr die Beine etwas leichter werden zu
lassen.
Anstatt quer über den Platz zu
gehen, wo sie trotz des schlechten Lichts gesehen werden könnte,
nimmt sie den langen Weg um den westlichen Rand herum, bis sie die
Gasse erreicht, die sich in das Herz des Barrio windet und dann
direkt weiter zu Mama Bali führt. Es ist stockdunkel im Barrio,
aber sie braucht nichts zu sehen. Mit den Fingerspitzen streicht
sie an den Wänden entlang, taucht nach links oder rechts, ohne
nachzudenken. Allein ihre Finger und ihre Füße sagen ihr, was zu
tun ist.
Mamas Tür ist zu, fest verriegelt,
und es ist auch kein Licht in der Küche zu sehen. Baz möchte keinen
Lärm machen – wenn man das an einem Ort wie diesem tut, kommt mit
Sicherheit jemand, um zu gucken, was los ist, unter Umständen
jemand, der einem etwas tun kann. Aber sie hat gar keine andere
Wahl. Sie klopft an die Tür und drückt sich in die tiefe Dunkelheit
des Hauseingangs.
Irgendwo scheppert alte Volksmusik
aus einem Radio. Ganz in der Nähe hört sie jemanden Schleim husten,
bestimmt eine Lungevoll, und eine Stimme grummelt dazu, fluchend,
heiser, rau wie Schmirgelpapier.
Dann, nach einer ganzen Weile und
nachdem sie noch einmal an die Tür geklopft hat, hört sie Mama
schlurfend aus dem kleinen Zimmer, das sie über der Küche bewohnt,
die enge Treppe herunterkommen. »Wer ist da?«, ruft sie.
»Baz«, sagt Baz so leise wie
möglich, blickt dabei flüchtig über die Schulter, ob da nicht der
Schattenmann kommt und sie am Nacken packt, sie packt und ihr den
Hals umdreht, aber falls dort hinten, ein Stück die Gasse hinunter,
jemand steht, kann sie ihn nicht sehen. Und dann geht die Tür auf,
und Mama Bali steht da in einem gelben Baumwollnachthemd, so groß
wie ein Zelt, die Augen weit aufgerissen vor Besorgnis.
Sie späht an Baz vorbei in die
Dunkelheit, dann packt sie sie und zieht sie ins Haus. »Was machst
du denn, törichtes Kind? Das halbe Barrio sucht nach dir. Fay hat
’n Mordswirbel veranstaltet und jetzt geht’s hier zu wie in ’nem
Nest von durchgedrehten Ameisen.«
»Hab das Geschäft erledigt, Mama«,
sagt Baz leise, während Mama die Haustür verriegelt und noch einen
Rollladen davor herunterlässt.
»Tsts. Was für’n Geschäft? Bist
noch ’n Kind. Kinder ham keine Geschäfte. Setz dich dahin. Siehst
aus, als wärste verletzt. Biste verletzt, Baz?«
»Nein, nicht verletzt,
Mama.«
Mama macht eine Lampe an und
mustert Baz ausgiebig, dann, als sie sich davon überzeugt hat, dass
das Mädchen keinen sichtbaren Schaden erlitten hat, stellt sie die
Lampe auf den Tresen. »Rühr dich nicht vom Fleck«, sagt sie,
während sie das Gas anmacht und Milch zum Wärmen auf die Flamme
stellt. »Ich mach was für dich.«
An den Wänden ringsum scheinen
Mamas Tänzer, die aus alten Zeitschriften herausgerissenen Bilder,
zum Leben zu erwachen. Wie geht das bloß, dass sie so frei sind?,
denkt Baz, und wie jedes Mal fragt sie sich, wie es wohl wäre, wenn
man sich so bewegen könnte. So hoch springen würde man vielleicht,
dass man glatt über die Mauer des Schlosses rüberkäme. Rechts vom
Zugang in die Küche hat Mama ein paar aktuellere
Zeitungsausschnitte aufgehängt. Eine Schlagzeile ist so groß und
fett gedruckt, dass die darin ausgesprochene Anklage förmlich von
der Wand zu springen scheint: »DU DIEB HAST UNSER WASSER
GESTOHLEN!« Und darunter Bilder des Staudamms und grobkörnige
Gesichter von Leuten, die Baz nicht kennt.
»Hast schlimme Sachen gesehn?«,
fragt Mama, während sie etwas Rum in einen Becher mit heißer Milch
gießt.
»Schlimme und gute.«
»Hier, Mädchen, das ist gut für
die Lebensgeister. Siehst aus wie ’n herrenloser Hund.« Sie
bugsiert ihre Körpermasse auf einen Hocker, nachdem sie das gleiche
Getränk, das sie Baz serviert, auch für sich zubereitet hat, nur
mit dreimal so viel Rum.
Baz nimmt einen Schluck und
erzählt ihr, was geschehen ist. Mama nickt und sagt zu allem ihre
Meinung, schimpft über den Uniformträger im Schloss, hat Mitleid
mit der Frau des Captain und ergreift Baz’ Hand, als sie schildert,
wie Demi mit seinem verbundenen Arm ganz allein im
Militärkrankenhaus gelegen hat.
»Solltest ihn lieber ganz schnell
da rausholn, Baz. Kein Kind wird lang an diesem Ort bleiben. Das
hab ich im Urin. Wenn sie ihn da wegschaffen, dann tanzt dein Demi
auf’m Drahtseil zum Himmel.«
»Ich weiß«, sagt sie. »Das musst
du mir nicht erst sagen, Mama. Aber du musst mir helfen.« Baz zieht
das Stück Seife mit dem Schlüsselabdruck hervor. »Bring das zum
Schlüsselmann, Mama. Für’n Kind wie mich würd er nix tun, aber für
dich macht er das, wenn du für mich fragst. Das ist der Schlüssel,
der Demi freilässt, Mama.«
Mama beguckt sich die Seife, fasst
sie aber nicht an. Stattdessen kippt sie noch einen Schuss Rum in
ihren Becher. »Was willst du, Baz? Ich hab diesen Laden hier. Der
Laden ist alles, was ich hab. Du weißt nicht, was du verlangst. Du
weißt, ich helf dir, wo ich kann, Kind, aber ich muss mich aus
Barrio-Angelegenheiten raushalten. Wenn ich ’ne Dummheit mach,
brennt diese Küche ab und ich gleich mit. Baz, Tatsache ist, du und
Demi, ihr seid jetzt ’ne Barrio-Angelegenheit. Wenn ich zu diesem
Schlosser geh, dann weiß bald das halbe Barrio, was ich von ihm
wollte.« Sie wischt sich mit dem Ärmel ihres Nachthemds über das
schweißnasse Gesicht. »Geh in die Stadt, Kind. Ich geb dir ’ne
Nummer, ich sag dir ’n Namen, und morgen lassen wir den Schlüssel
machen.«
»Morgen ist zu spät, Mama. Was
hast du grad gesagt? Hol Demi ganz schnell da raus. Ganz schnell
ist jetzt. Gib dem Mann Geld, dann hält er den Mund. Geld ist
wichtiger als sich einmischen – das weiß jeder im Barrio.«
Mama Bali kneift die Augen
zusammen. »Wie viel hast du?«
»Genug.« Nach Demi ist Mama die
Person, die Baz am liebsten mag auf der Welt. Früher wäre es Fay
gewesen, aber Fay ist jetzt eine andere Person. Ja, sie mag Mama,
fast vertraut sie ihr sogar, aber wer irgendjemandem hier im Barrio
sein ganzes Vertrauen schenken würde, der wäre ein Narr. »Wie viel
brauchst du?«
»Zwanzig für den Schlüssel, schätz
ich, das Gleiche noch mal, um sein Schweigen zu kaufen. Haste so
viele Dollars?«
Baz nickt. »Klar.«
Sie dreht sich um und holt dann
einen Fünfziger hervor. »Ich verlang kein Wechselgeld, Mama.«
Mama steckt sich den Schein in den
Ausschnitt. Schüttelt dann den Kopf. »Vergiss es nicht, Baz. Behalt
das hier in Erinnerung, und falls ich mal alt werde, dann seht ihr
nach mir, du und Demi. Mir helfen, dass ich mich über Wasser halten
kann, das müsst ihr tun, hörst du?«
Baz nickt. Sie begreift, was Mama
sagen will: Sie kennt die Gefahr, und sie weiß, wenn man jemanden
um einen Gefallen bittet, dann muss man ihm auch einen tun.
»Also gut.« Mama steigt hinauf in
ihr Zimmer, zieht sich ein schwarzes Kleid an und wickelt sich
einen schwarzen Schal um den Kopf. Sie schlägt die Seife in ein
Stück Stoff, dann schiebt sie die Riegel zurück, zieht den
Rollladen hoch, macht vorsichtig die Tür auf und lauscht für einen
Moment. Stille. Nicht das leiseste Schlurfen von Füßen auf
Sandboden. Falls jemand in der Nähe ist, dann atmet er nicht
einmal. Mama tritt in die Nacht hinaus. Baz schickt sich an, ihr zu
folgen, doch davon will sie nichts wissen. »Du verriegelst die Tür
und lässt niemanden rein außer mir. Verstanden?«
»Ja.«
»Gut.« Mamas Zähne und Augen
schimmern weiß in der Dunkelheit. Sie dreht sich um und wird von
der Gasse verschluckt.
Baz verriegelt die Tür und geht in
die Küche zurück. Sie setzt sich und wartet, versucht sich keine
Sorgen zu machen, versucht auf ihre Freundin zu vertrauen. Sie
glaubt nicht, dass Mama sie verraten wird. Sie glaubt einfach
nicht, dass sie gehen und Fay holen wird. Andererseits: Woher soll
sie wissen, was Fay alles versprochen oder angedroht hat? Sie
starrt die Tür an, wartet und versucht die Gedanken abzustellen.
Ihre Augenlider sind schwer und der Rum strömt warm durch ihre
Adern.