2. KAPITEL

Jaina Solo wollte ihre Traumblase nicht verlassen. Sie befand sich mit Jagged Fel tief in der Herzenswärme ihres Nestes, ihre Körper noch immer erfüllt von der süßen Hitze der Paarungspheromone der Killik. Sämtliche Ärgernisse der Galaxis schienen weit weg, und ihr Kampf am Himmel über Tenupe hatte niemals stattgefunden. Endlich waren sie vereint und im Reinen mit sich, ohne dass sie etwas anderes zu tun hatten, als den lieblichen Lauten von … Alarmsirenen zu lauschen?

Die Sirene hallte in Jainas Schädel wider, schüttelte ihre Traumblase durch, bis sie zerplatzte, rief sie aus ihrer Machtruhe im freien Fall in die eisige Wirklichkeit zurück. Sie öffnete die Augen und starrte auf das von Frost überzogene Innere einer StealthX-Kanzel. Ihre Zähne klapperten so sehr, dass sie glaubte, sie würden zerspringen, sie hatte ein flaues Gefühl im Magen und fühlte sich schwindelig, und trotz der eisigen Kälte roch es im Cockpit abgestanden und säuerlich.

»In Ordnung, Sneaker, ich bin wach«, sagte Jaina. »Du kannst die Heizung andrehen. Und die Luftfilter.«

Der Astromech, ein Ersatz für Sneaky, den sie verloren hatte, als Jag und seine Staffel sie auf Tenupe abgeschossen hatten, piepste eine Bestätigung, und warme Luft strömte ins Cockpit des StealthX. Jaina streckte ihre Machtfühler aus. Als sich ihre Gedanken klärten, spürte sie, wie ihr Flügelmann, Zekk, ebenfalls erwachte. Er hatte seinen Dienst beim Renegart-Geschwader einige Wochen zuvor quittiert, als Jacen versucht hatte, Jaina dafür vors Kriegsgericht zu stellen, dass sie sich geweigert hatte, auf einen wehrlosen Blockadebrecher zu feuern. Jetzt waren er und Jaina Teil des Jedi-Aufklärungsteams, das die geheimen corellianischen Schiffswerften im Kiris-Asteroidenhaufen ausspionierten.

Obwohl Jaina Zekks Machtpräsenz ein Dutzend Meter vor und etwas unter ihrer eigenen Position fühlen konnte, brauchte sie mehrere Sekunden, um die kreuzförmige Silhouette seines StealthX auszumachen. Der StealthX-Raumjäger – im Grunde eine Modifizierung des Respekt einflößenden XJ3-X-Flügers – besaß ein Fiberplastgehäuse, das zur Gänze aus unregelmäßigen Flächen und Winkeln bestand, mit einer mattschwarzen Tarnlakierung, mit einem die Augen täuschenden Muster winziger blauer Punkte versehen, die den Jäger vor einem sternengespickten Hintergrund beinahe unsichtbar machten. Zudem verfügte das Schiff über einen Gravitätsmodulator, Photonenabsorbierer, Thermalableiter und eine vollständige Garnitur spezieller Signalinverter, die es für Sensorpeilungen nahezu unauffindbar machten. Selbst die Brennstofftriebwerke verbrannten ein besonderes Tibanna-Isotop, dessen Abgase sich eine Millisekunde nach der Zündung dunkel färbten.

Ungefähr einen Kilometer vor Zekks StealthX dümpelte die tintige Dunkelheit von Kiris 17 dahin, der die »obere« Grenze des Kiris-Asteroidenhaufens markierte. Die Sonne von Corellia war unter dem Bauch des Asteroiden gerade so zu erkennen, ein gelber Nadelstich, kaum heller als die Sterne ringsum. Neben dem Stern befand sich der allmählich größer werdende Strich einer Abgasspur.

»Was haben wir da, Sneaker?«, fragte Jaina.

Auf dem mittlerweile frostfreien Bildschirm erschien eine Mitteilung, die Jaina darüber informierte, dass ein leichter Frachtraumer im Anflug auf den Asteroidenhaufen war.

Jaina runzelte die Stirn. »Du hast uns wegen eines einzigen Schiffs aus unserem Ruhezustand gerissen?«

Sneaker übermittelte eine weitere Nachricht: UNGEWÖHNLICHES KONTAKTPROFIL. SCHIFF IST ANTRIEBSVERSTÄRKTE CEC YT-1300, ÄNDERUNG DES POTENTIELLEN ABFLUGVEKTORS WAHRSCHEINLICH. ABGASSIGNATUR WEIST AUF ABLUFTTURBINEN VON MILITÄRSTANDARD HIN.

»Der Falke?« Jaina war nicht sonderlich überrascht – natürlich steckten Han und Leia Solo mittendrin. Sie hatte lediglich gehofft, dass sie nicht zu den Kiris-Asteroiden zurückkehren würden, bevor Admiral Bwua’tu seine Falle errichtet hatte. Bislang schien den Corellianern nicht bewusst zu sein, dass die Galaktische Allianz von ihrer geheimen Flotte wusste, und wenn die Kiris-Flotte schließlich ihren Stützpunkt verließ, konnten sich die Corellianer auf eine hässliche Überraschung gefasst machen. »Bist du sicher?«

POSITIV. GEÄNDERTER ABFLUGVEKTOR JETZT BESTÄTIGT.

»Ich meine die Abgassignatur«, knurrte Jaina. »Ist das der Falke oder nicht?«

UNGEWISS. GEGENWÄRTIGE DATEN ERGEBEN EINEN IDENTIFIZIERUNGSKOEFFIZIENTEN VON LEDIGLICH 94 %.

Jaina seufzte. Damit die R9-Einheit »sicher« war, hätte man sie in eine der Datenbuchsen des Falken einstöpseln und sein primäres Kontrollhirn mit Daten überfluten müssen.

»Behalt das Schiff im Auge und erstelle eine Liste wahrscheinlicher …«

Mit einem Mal setzte Zekks StealthX dem Falken nach, und Jaina ließ den Satz unvollendet.

EINE LISTE WAHRSCHEINLICHER ZIELORTE?, erkundigte sich Sneaker.

»Korrekt.«

Jaina schob ihre eigenen Geschwindigkeitshebel nach vorn und schoss hinter Zekk her, während sie sich gleichzeitig in der Macht auf ihn konzentrierte. Obwohl ihre telepathische Schwarmverbindung vor ein paar Jahren endgültig abgebrochen war, waren sie und Zekk nach wie vor so intensiv aufeinander eingestellt, dass sie durch die Jedi-Kampfverschmelzung häufig deutlicher miteinander kommunizieren konnten als die meisten Leute in einem normalen Gespräch, und sie begriff schnell, was er im Sinn hatte.

Sowohl Spionage- wie Angriffsschiff, waren die StealthX-Raumjäger mit Abhörausrüstung ausgestattet, die so empfindlich war, dass man damit Streusignale von den internen Computern eines Schiffs abfangen konnte. Falls Zekk aufschließen konnte, bevor der Falke in den Hyperraum eintrat, war er vielleicht in der Lage, genügend Daten aus dem Navigationscomputer der Solos zu sammeln, um ihr Ziel zu bestimmen.

Was Zekk nicht beabsichtigte, war, ihre Eltern zu vaporisieren, versicherte er ihr. Sie reagierte mit zynischer Sorge um ihn. Wenn überhaupt geschossen wurde, dann war er derjenige, der sich Gedanken machen musste – nicht ihre Eltern. Das brachte ihr ein warmes Gefühl der Zufriedenheit von Zekk ein – ein warmherziges Gefühl der Zufriedenheit.

Die Verschmelzung wurde beinahe von der Wucht von Jainas Frustration zerschmettert. Sie wünschte, Zekk würde es einfach aufgeben. Er würde nie mehr sein als ihr bester Freund. Warum konnte er das nicht akzeptieren und sich ein nettes Falleen-Mädchen suchen, um sich zu verlieben?

Selbst ohne Gedankenaustausch war die Botschaft deutlich genug. Zekk zog sich in sich selbst zurück, um gerade genügend Kontakt aufrechtzuerhalten, dass die Verschmelzung bestehen blieb, und sie legten den Rest der Entfernung in kaltem Schweigen zurück. Jaina hasste es, ihn so zu verletzen. Er war der beste Flügelmann, den sie je gehabt hatte, aber er schien es einfach nicht zu begreifen. Sie wollte nicht verliebt sein, nicht in ihn, nicht in Jagged Fel, nicht in irgendwen sonst. Sie war das Schwert der Jedi, was auch immer das hieß. Vermutlich war es ihre Bestimmung, sich nicht zu verlieben.

Kiris 17 glitt über ihnen dahin, um einen vorübergehenden Vorhang der Dunkelheit über Jainas Kanzel herabzusenken; dann befand sich nichts mehr zwischen den StealthX-Jägern und ihrem Ziel außer hundert Kilometern leeren Weltraums. Der Falke war wirklich schnell. Jainas Schubdrosseln waren bis zu den Überlastungsstoppern vorgeschoben, und dennoch gab der alte Frachtraumer die Führung nur widerwillig auf.

Die tiefschwarze Masse von Kiris 3 trudelte unter den Jägern dahin. Die dunkle Oberfläche und die kalte Hitzesignatur gaben keinen Hinweis auf die Schiffswerft preis, die darin verborgen lag. Die Abgasspur des Falken wandelte sich langsam von einem Schweif zu einem massiven Strahl. Jaina aktivierte ihre Abhörvorrichtung, ehe sie Sneaker anwies, sie zu informieren, wenn er anging, Signale aufzufangen. Doch mehrere weitere Sekunden verstrichen, und in Jaina regte sich der Gedanke, dass sie und Zekk den Falken nicht einholen würden, bevor er der geringen Gravitation des Kiris-Haufens entkam und in den Hyperraum eintrat.

Schließlich wurde über dem strahlenden Glühen der Ionentriebwerke der Umriss der Sensorschüssel des Falken sichtbar, und Sneaker berichtete, dass die Abhörausrüstung Streusignale auffing. Jaina und Zekk verstärkten ihren Kontakt und schwenkten auf gegenüberliegenden Seiten um das Ziel herum; dann fühlte Jaina, wie eine Woge des Erstaunens durch die Macht rollte, als Leia ihre Gegenwart entdeckte.

Jaina zog sich unverzüglich zurück und versuchte – verblüfft über die Machtsensibilität ihrer Mutter –, ihre Präsenz so klein wie möglich zu machen. Ihr Abhörgerät leuchtete auf, als es elektronische Impulse aus dem Innern des Falken auffing, um sie aufzuzeichnen. Eine Sekunde später spürte sie, wie Leia nach ihr suchte, und bemühte sich, sich sogar noch weiter in sich selbst zurückzuziehen. Aber sie konnte sich nicht vor ihrer eigenen Mutter verstecken – jedenfalls nicht, wenn es sich bei dieser Mutter um Leia Solo handelte. Jaina fühlte einen kurzen Moment der Wärme, gefolgt von einem überwältigenden Gefühl der Erleichterung und – seltsam – Ermutigung.

Dann schoss der verbeulte alte Frachtraumer davon, und sein Ionenschweif verging zu nichts, als das Schiff im Hyperraum verschwand.

Die Machtverschmelzung füllte sich mit einem Gefühl der Verwirrung, als Zekk mental nach einer Erklärung suchte, aber Jaina verstand nicht mehr als er selbst. Ihre Mutter hatte ihre Gegenwart offensichtlich gespürt, was bedeutete, dass sie nun wusste, dass die Jedi die Kiris-Asteroiden im Auge behielten – und dass sie vermutlich den Bestimmungsort des Falken aufgeschnappt hatten.

Zekk fragte sich, ob Leia erleichtert gewesen war, weil sie glaubte, er und Jaina würden den Kontakt nicht melden. Immerhin waren die Solos hochrangige Ziele, und welche Tochter würde ihren eigenen Eltern schon ein Geschwader Killerdroiden auf den Hals hetzen?

Sneaker piepte, um Jainas Aufmerksamkeit zu erregen, und ließ dann eine Nachricht über den Bildschirm laufen, aus der hervorging, dass er die aufgefangenen Daten analysiert und seine überlegene Computertechnik dazu genutzt hatte, eine Liste der wahrscheinlichsten Ziele des Falken zu erstellen.

»Dann hör auf rumzuprahlen und zeig sie mir«, befahl Jaina.

DROIDEN PRAHLEN NICHT, erwiderte Sneaker. SIE INFORMIEREN.

Eine Liste mit Planetennamen rollte über den Schirm: ARABANTH, CHARUBAH, DREENA, GALLINORE …«

»Die liegen alle im Hapes-Konsortium!«, stieß Jaina hervor.

Sneaker bestätigte, dass dies der Fall sei, dann entschuldigte er sich dafür, dass er den Zielort nicht exakter bestimmen könne. Die Vergänglichen Nebel, die das Konsortium umgaben, brachten die Hyperraumbahnen derart durcheinander, dass es unmöglich war, den Kurs zu bestimmen, dem ein Schiff folgte, sobald es einmal in Hapaner-Territorium eingedrungen war.

»Das ist schon in Ordnung«, entgegnete Jaina. »Du bist dicht genug dran.«

Zekks Überraschung flutete durch die Machtverschmelzung, und Jaina wusste, dass ihm sein R9 soeben das Gleiche berichtet hatte. Seine Überraschung verwandelte sich in Eile. Welche Gründe der Falke auch haben mochte, ins Hapes-Konsortium zu reisen, sie bedeuteten für die Allianz nichts Gutes. Jemand musste den Beobachtungsposten verlassen, um darüber Bericht zu erstatten – und über die Möglichkeit, dass die Corellianer vielleicht schon bald wussten, dass die Galaktische Allianz ihre geheimen Schiffswerften beobachtete.

Und Jaina wusste, wer das sein würde. Dass Zekk den Namen des Falken in seinem Bericht unter den Tisch fallen ließ, war selbstverständlich. Manchmal war er einfach loyaler, als gut für ihn war.