17. KAPITEL
Es war nicht das dunkle Schweigen im Raketenlager, das Alema so beunruhigend fand, nicht einmal all die Zylinder und Tonnen voller Detonit und Baradium und Treibmitteln. Es war die Kälte. Die Höhlen von Ryloth, in denen sie die ersten Jahre ihres Lebens verbracht hatte, waren heiß und trocken und staubig gewesen, und das Gorog-Nest, in dem sie als Killik-Neunister gedient hatte, war warm und schwül und stickig gewesen. Das Raketenlager der Anakin Solo hingegen war eiskalt; daran änderten auch die unförmigen GGA-Overalls nichts, die sie über ihre eigenen gewöhnlichen Gewänder gestreift hatte. Ihre Nase war taub, ihre Lekku kribbelten, ihre Zähne klapperten, ihre alten Wunden schmerzten, und ihr Atem stieg in dampfenden Schleiern auf.
»Alema, wenn du diesen Glühstab nicht ruhig hältst, wird es uns beiden leidtun.« Lumiya kniete vor einem Raketenhalter und benutzte ihre kybernetische Hand, um mit einem Fusionsschneider vorsichtig die zapfenförmige Spitze einer Baradiumrakete abzutrennen. »Ich mache dergleichen auch nicht jeden Tag.«
»Mit Euren Worten steigert Ihr nicht gerade unsere Zuversicht.« Alema richtete das Licht auf die Rakete unmittelbar vor dem Strahl des Fusionsschneiders. »Warum bittet Ihr Jacen nicht, einen ausgebildeten Techniker herzuschicken, um das zu entfernen, worauf auch immer Ihr es abgesehen habt?«
»Die Protonensprengladung«, sagte Lumiya. Sie trug ihren Gesichtsschal nicht, und ihr missgestalteter Kiefer weckte in Alema ein Gefühl von Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit. »Und Jacen soll hiervon nichts wissen.«
»Wir hätten es uns denken können.« Um ehrlich zu sein, hatte Alema sich das bereits gedacht, und sie wollte einfach bloß die Bestätigung dafür. Selbst nachdem sie Meisterin Lobi daran gehindert hatte weiterzuleiten, was Lumiya mit Jacen im Schilde führte, hüllte sich Lumiya über ihre Ziele und Pläne nach wie vor in Schweigen – beinahe, als würde sie die wahre Natur ihrer Partnerschaft mit Alema nicht wirklich verstehen. »Aber wir haben es Euch bereits gesagt – Jacen ist wichtig für das Gleichgewicht. Wir brauchen ihn lebend.«
Lumiya arbeitete weiter und führte den Laserstrahl an der Seite der Rakete hinunter, auf die Stelle zu, wo sie den ersten Schnitt angesetzt hatte. Alema zählte bis fünf. Als sie dann immer noch keine Antwort erhalten hatte, drehte sie das Licht weg. Der Fusionsschneider kam von der Schweißnaht ab, um ein schrilles Summen zu erzeugen, als er in die Außenhaut des Raketenzylinders schnitt.
»Verrückte Käferschlampe!« Lumiya schaltete den Schneidestrahl aus. »Du könntest das ganze Schiff in die Luft jagen!«
Alema zuckte mit den Schultern. »Was spielt das für eine Rolle? Wenn Jacen stirbt, wird aus ihm kein Sith. Wenn Jacen nicht zum Sith wird, ist Leias Leid dem meinen nicht ebenbürtig. Wenn Leias Leid dem meinen nicht ebenbürtig ist, bleibt die Galaxis weiterhin aus dem …«
»… Gleichgewicht. Das sagtest du bereits.« Lumiya aktivierte wieder den Fusionsschneider, hielt ihn aber noch von der Rakete weg. »Ich tue dies, um Jacen zu helfen, nicht, um ihm zu schaden.«
Alema leuchtete mit dem Glühstab weiter von der Rakete weg. »Inwiefern?«
»Jacen hat mich darum gebeten, mich mit Ben beim Roqoo-Depot zu treffen«, sagte Lumiya. »Er will ein Einsatzteam anführen, um auf den Relephon-Monden einen der Putschführer festzunehmen, und er möchte, dass ich dafür Sorge trage, dass Ben wieder sicher zur Anakin zurückkehrt.«
Alema runzelte die Stirn. »Aber Jacen ist an Bord eines Aufklärungsskiffs«, sagte sie. »Die finden den Weg zu den Relephon-Monden auch allein.«
»Exakt.« Lumiya deutete auf die Rakete. »Falls es dir nichts ausmacht – die Anakin wird in weniger als einer Stunde ihren ersten Sprung machen, und bis dahin muss ich von hier fort sein.«
Alema schwang das Licht zur Rakete zurück, hielt den Strahl jedoch auf den Boden gerichtet. »Das klingt verdächtig.«
Lumiya seufzte verbittert. »Es klingt verdächtig, weil es verdächtig ist. Sobald die Skywalkers ihren kleinen Besuch beendet hatten, ist Jacen zu mir gekommen. Ich fürchte, ich bin zu einer Belastung geworden.«
Alema richtete das Licht wieder auf Lumiyas Arbeit. »Ihr glaubt, Jacen schickt Euch in eine Falle?«
»Ich weiß, dass er das tut. Er hat alles so arrangiert, dass es zwischen mir und Luke zum Kampf kommen wird.« Lumiya setzte den Fusionsschneider wieder an der Schweißnaht an und führte ihre Arbeit fort. »Wenn ich Luke töte, ergibt sich dadurch für Jacen eine Möglichkeit, die Führung über den Jedi-Orden zu übernehmen. Wenn Luke mich tötet, dann wird es so aussehen, als hätte ich Ben die ganze Zeit über nachgestellt. Luke wird annehmen, dass seine ursprünglichen Ängste berechtigt waren, und der Schleier des Verdachts ist von Jacen genommen.«
»Jacen ist nicht besser als jeder andere Solo!« Alema kochte vor Wut. »Leia hat einen Haufen Lyleks geboren.«
»Oh, ich denke, sie hat noch mehr getan als das«, entgegnete Lumiya. »Ich würde sagen, Jacen ist mehr wie eine Thernbiene – heimtückisch, skrupellos und tödlich. Ich könnte nicht stolzer auf ihn sein.«
Sie brachte den Schnitt zu Ende, und die zapfenförmige Nase löste sich ab. Alema fing sie mit der Macht auf, bevor der Aufprallzünder aktiviert und die Protonenladung zur Explosion gebracht werden konnte.
»Stolz?« Alema ließ den Nasenzapfen behutsam zu Boden sinken. »Darauf, dass er Euch verrät?«
»Oh, sehr stolz«, sagte Lumiya. »Ich fing schon an, mich zu sorgen, dass Jacen nicht die Stärke und Durchtriebenheit besitzt, um sein Schicksal zu erfüllen. Sein Verrat beweist, dass ich mich geirrt habe. Jacen ist sehr wohl dazu imstande.«
»Das verstehen wir nicht.«
»Jacens Schicksal gestattet ihm den Luxus der Loyalität nicht«, erklärte Lumiya. Sie deaktivierte den Fusionsschneider und legte ihn beiseite. »Wenn er nicht einmal bereit wäre, mich zu verraten, wie könnten wir dann annehmen, dass er seine gesamte Familie verrät?«
Darauf hatte Alema keine Antwort. Selbst in den Ryll-Höhlen von Kala’uun, wo die Loyalität einer Tänzerin ausschließlich sich selbst galt, war die einzige Person, die sie niemals hintergangen hatte, ihre Schwester Numa.
Lumiya arbeitete sich durch das Gewirr aus Drähten und Glühfasern, das die Protonensprengladung der Rakete umgab.
»Meister Skywalker ist niemand, den man unterschätzen sollte«, sagte Alema. »Ihr könntet getötet werden.«
»Darüber bin ich mir im Klaren.« Lumiya stieß auf ein Bündel von Drähten, die in den Kopf der Sprengsatzummantelung führten, und sah sie durch. »Ich habe bereits gegen ihn gekämpft, weißt du.«
»Was ist mit Jacens Schicksal?«, fragte Alema. »Ohne Euch, die ihn anleitet …«
»Jacen verfügt über genug Wissen, um seine Reise allein zu beenden.« Lumiya wühlte einen orangefarbenen Draht hervor, der von der Sprengsatzummantelung zu einem Relaiskasten im Kopf des Raketenzylinders verlief. »Alles, was er jetzt noch tun muss, ist, sein Opfer zu bringen.«
»Dann hat er das noch nicht getan?«
»Noch nicht.« Lumiya zog einen Drahtschneider aus der Tasche ihres Overalls und schob die Schnittflächen über den orangefarbenen Draht. »Aber das wird er.«
Alemas Herz sprang ihr bis in die Kehle. »Nicht die Sicherheitsverzögerung!«
Lumiya schaute auf, die Stirn gerunzelt vor Verärgerung. »Orange ist nicht die Sicherheitsverzögerung. Das ist der Annäherungssensor.«
»Bei imperialen Raketen war das so«, sagte Alema. »Bei Allianzraketen ist das die Sicherheitsverzögerung. Es gibt bloß einen Draht – seht Ihr?«
Lumiya musterte das Bündel, dann ließ sie den Drahtschneider widerstrebend zum ersten von einer Handvoll grauer Drähte gleiten.
Alema stieß einen erleichterten Seufzer aus, dann fragte sie: »Wir könnt Ihr Euch da sicher sein?«
»Ich nahm an, du würdest mir sagen, wenn ich mich wieder irre«, erwiderte Lumiya scharf.
»Wir meinen, wegen Jacen«, erklärte Alema. »Falls er sein Opfer nicht bringt und Ihr bereits tot seid …«
»Er wird sein Opfer bringen«, schnappte Lumiya. »Also, was diese Drähte betrifft …«
»Durchschneiden«, sagte Alema. »Worauf wartet Ihr?«
Lumiya durchtrennte den ersten Draht, dann – als die Anakin Solo nicht in einem weißen Blitz verschwand – schnitt sie auch die anderen grauen Drähte durch.
»Wir sind uns nicht sicher, ob uns dieser Plan gefällt«, sagte Alema. »Wenn Ihr getötet werdet, wird sein Onkel versuchen, Jacen wieder zurück auf die Helle Seite der Macht zu ziehen …«
»Das wird ihm nicht gelingen«, war Lumiya überzeugt. »Denn ganz gleich, ob ich diesen Kampf überstehe oder nicht – Luke wird es nicht.«
Sie schnitt die letzten grauen Drähte durch, dann tauschte sie ihren Drahtschneider gegen einen Hydroschraubenschlüssel und öffnete die Sprengsatzummantelung.
»Ist der Protonensprengsatz dafür gedacht?«, fragte Alema, die Lumiyas Plan endlich verstand. »Eine Rückversicherung für den Kampf?«
Lumiya nickte. »Wie du gesagt hast: Ich könnte getötet werden.«
»Wir haben den Eindruck, als würdet Ihr Euch darauf vorbereiten«, erwiderte Alema.
»Ich bereite mich dagegen vor, nicht darauf.« Lumiya entfernte den letzten Verschluss der Sprengsatzummantelung. »Aber ich gebe zu, dass die Wahrscheinlichkeit, getötet zu werden, größer ist, als mir lieb ist.«
»Warum geht Ihr dann?«, fragte Alema. Obwohl sie dies Lumiya gegenüber niemals eingestanden hätte, gefiel ihr der Gedanke nicht, dass Luke schon so bald starb. Dem Gleichgewicht wäre besser gedient, wenn er gezwungen war, Jacens Niedergang mit anzusehen; wenn er darum kämpfte, seinen Neffen zu erlösen, bevor er ihn letztlich über seine eigene Klinge springen ließ. »Meister Skywalker zu töten ist nicht gut, wenn Ihr nicht überlebt, um Euch daran zu erfreuen.«
Lumiya legte den Hydroschraubenschlüssel beiseite, dann blickte sie mit einem Gesichtsausdruck zu Alema auf, der Mitleid nahe kam. »Ich tue das hier nicht für mich, du einfältiges Tanzmädchen«, sagte sie. »Aber es hat keinen Sinn, es dir zu erklären. Du würdest es ohnehin nicht verstehen.«
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Rakete zu und packte die Sprengsatzummantelung mit beiden Händen.
Alema – brodelnd vor Zorn darüber, so von Lumiya niedergemacht zu werden – deaktivierte den Glühstab. Es gab ein metallisches Klacken, als die Ummantelung mit dem Protonensprengsatz in Berührung kam.
»Bist du verrückt?«, flüsterte Lumiya. In dem Schweigen, das ihrer Frage folgte, konnte man das leise, beinahe unhörbare Klicken einer elektronischen Zeituhr vernehmen, die in Zehntelsekundenschritten ablief. »Schalte den Glühstab ein!«
»Wir versuchen es.« Alema schlug den Glühstab ein paarmal gegen ihren verkrüppelten Arm. Angenommen, die Ummantelung hatte einen der Aufprallzünder aktiviert, blieben ihnen noch ungefähr fünf Sekunden, um den Sprengsatz zu entschärfen, bevor die Sicherheitsverzögerung ablief und die Ladung explodieren konnte. »Aber wir sind nicht gescheit genug, um zu verstehen, wie das funktioniert. Wir sind bloß ein einfältiges Tanzmädchen.«
»Ich bitte um Verzeihung!«, knurrte Lumiya. »Jetzt mach das verfluchte Licht an!«
Alema klopfte mit dem Glühstab erneut gegen ihren Arm. »Wir sind immer noch nicht sicher, ob wir verstehen.«
»In Ordnung«, sagte Lumiya. »Warst du je Teil von etwas Größerem und Wichtigerem als du selbst?«
»Unserem Nest.« Alema schaltete den Glühstab wieder ein.
Lumiya entfernte die Sprengsatzummantelung rasch zur Gänze von der Protonenladung, dann konzentrierte sie sich auf die Macht und zog den Zündkolben von seinem Kontakt weg.
Alema setzte ihre Antwort fort. »Individuen starben, aber Gorog lebte weiter. Gorog war wichtiger, als wir es waren.«
»Exakt.« Lumiya atmete langsam aus, dann nutzte sie die Macht, um das Gehäuse des Sprengsatzes schweben zu lassen, während sie von neuem den Drahtschneider zur Hand nahm und hineingriff, um den Rest der Drähte zu durchtrennen. »Meine Situation ist eine ganz ähnliche.«
Alema runzelte die Stirn. »Inwieweit ist sie denn anders? Ihr seid die … Letzte … der …« Sie hielt inne, als ihr plötzlich klar wurde, warum Lumiya bereit war, ihren eigenen Tod zu riskieren, bevor Jacen sein Opfer dargebracht hatte … warum Lumiya so zuversichtlich schien, dass er es darbringen würde, selbst wenn sie nicht da war, um ihn zu führen. »Es gibt noch mehr Sith?«
Lumiya ließ das Gehäuse auf den Boden hinabschweben, um eine kopfgroße Scheibe aus hellem Metall freizulegen, in deren Mitte eine kleine Röhre mit flüssigem Deuterium eingelassen war.
»Es gibt einen Plan – einen Plan, der ausgeführt werden wird, ganz gleich, ob ich überlebe oder nicht.« Lumiya streckte die Hand aus und folgte zwei Drähten von der Oberseite der Deuteriumröhre zu einer kleinen Schalttafel, dann durchtrennte sie beide. »Das ist alles, was du wissen musst.«
»Wir glauben Euch nicht.« Alema machte sich nicht die Mühe, den Glühstab wegzuschwenken, da sie sich nicht länger an einem entscheidenden Punkt des Entschärfungsprozesses befanden. »Gibt es nicht immer bloß zwei Sith zur selben Zeit?«
Lumiya hob ihren Hydroschraubenschlüssel auf und begann, die Protonenladung freizulegen. »Willst du wirklich, dass ich darauf antworte?«
In Lumiyas Stimme lag eine kalte Schärfe, die Alema abrupt zurückschrecken ließ, und sie begriff, dass sie vermutlich bereits zu viel gehört hatte. Falls es wirklich eine geheime Sith-Organisation gab – und das war der einzige Grund, der ihr einfiel, um Lumiyas Bereitschaft zu erklären, sich selbst zu opfern –, waren sie offensichtlich sehr bemüht, ihre Existenz auch weiterhin geheim zu halten.
»Nein, dazu besteht kein Anlass«, sagte Alema. »Fürs Erste haben wir genug von Euren Lügen gehört.«
Ein amüsiertes Funkeln trat in Lumiyas Augen. »Das ist wahrscheinlich auch besser so.«
Lumiya entfernte die Protonensprengladung aus der Rakete, dann zog sie eine schwarze Kampfweste aus ihrer Werkzeugtasche und schob das Gerät in die Brusttasche. Sie überprüfte, ob die Aktivierungsdrähte von der Deuteriumröhre auch wirklich bis zu dem kleinen Sensorfeld reichten, das sich ungefähr dort befand, wo das Herz des Trägers sein würde, jedoch ohne die Anschlüsse zu fixieren.
»Sehr clever«, sagte Alema. »Ihr gewinnt, selbst wenn Ihr verliert.«
»Das ist der Weg der Sith.« Lumiya setzte ihre Werkzeugtasche neben der nächsten Rakete in der Halterung auf dem Boden ab. »Komm mit dem Licht her – uns läuft die Zeit davon.«
»Wir verstehen nicht recht.« Alema begann ein ungutes Gefühl in der Magengrube zu haben, doch sie tat, wozu Lumiya sie aufgefordert hatte, und leuchtete mit der Lampe auf die zapfenförmige Spitze der Rakete. »Warum wollt Ihr zwei Protonenladungen tragen?«
»Das tue ich nicht.« Lumiya schaltete ihren Fusionsschneider wieder an, dann schaute sie auf zu Alema. »Diese hier ist für dich.«