Wasser- und Feuerkunst
Als der Reisende erwacht, öffnet er das Fenster. Er möchte die Frische der Bäume von Mouchão atmen, der hohen Pappeln, der Buchen mit grünweißen Blättern. Derjenige, der die Sandfläche, die hier im 19. Jahrhundert war, so verwandelt hat, muss auch einen Orden bekommen. Wie man sieht, schickt sich der Reisende an, alle auszuzeichnen, die es verdient hätten.
Das Kloster liegt dort oben, er muss es sich ansehen. Doch als Erstes an diesem Tag widmet der Reisende sich der eingehenden Betrachtung des Bewässerungsrades, so auffällig, dass jeder, der hier vorbeikommt, es schon en passant ansieht und es, falls er zufällig zu Besuch ist, vielleicht nur für eine dekorative Plastik hält oder für ein vorsichtshalber außer Betrieb genommenes Spielgerät für Kinder. Als Tischlerarbeit ist es der perfekteste Mechanismus, den der Reisende je gesehen hat. Die Leute nennen es Maurenrad, wie es in unserem Land üblich ist, wenn man Dinge anders nicht zu erklären weiß, doch ersonnen haben es die Römer, sagen die Experten. Was der Reisende nicht weiß, ist, wann es gebaut wurde, doch widerstrebt ihm zu glauben, dass dieses Rad seit dem 4. oder 5. Jahrhundert Rad ist. Weit wichtiger, als zu wissen, ob es maurisch oder spätrömisch ist, wäre, in Erfahrung zu bringen, wann und warum die Kunst und die Technik dieser Konstruktionen, denn beider bedürfen sie, verschwunden sind. Ein jeder hat seine Vorlieben: Der Reisende hat diese für Arbeitsgeräte, kleine Kunstwerke, an denen Spuren der Hände derjenigen hängengeblieben sind, die sie hergestellt und benutzt haben.
Der Weg zum Kloster ist angenehm, mit schönen schattigen Bäumen. Rechts ab führt eine kleine Allee zur Kirche Nossa Senhora da Conceição, die er sich gern angesehen hätte, um sich zu überzeugen, ob ein Renaissance-Stil mit einem Beiklang von Romanismus, der für diesen Betrachter immer ein Synonym für Kälte war, tatsächlich so warm sein kann, wie behauptet wird. Doch dazu wird es dieses Mal nicht kommen – die Kirche ist nur am Sonntag geöffnet, und der Reisende kann nicht sein Zelt vor der Tür aufschlagen und warten, bis es Sonntag wird.
In den Klostergarten gelangt man auf einem gepflasterten Weg, der sich um die Anhöhe windet, auf der die nach Osten ausgerichtete Mauer ruht. Der Reisende steigt ihn geruhsam hinauf, ein wenig gleichgültig gegenüber den Blumenbeeten und Umrandungen mit feinem Kies. Er ist nicht radikal dagegen, doch fragte man ihn nach seiner Meinung, so würde er für etwas anderes stimmen: Seiner Meinung nach sollte zwischen der Einfassung und dem Eingefassten eine direkte Beziehung bestehen, die in erster Linie wesentliche Gemeinsamkeiten berücksichtigt. Das Nebeneinander von verschiedenen Elementen sollte die Ähnlichkeit respektieren. Solche Überlegungen mögen auf dem Vorplatz einer Burg unangemessen sein, doch der Reisende entwickelt lediglich Gedanken, die ihm bei dem, was er sieht, kommen, und das tun alle Menschen, wenn sie im Gehen sich selbst beobachten.
Da ist das Portal von João de Castilho, eine der herrlichsten Steinmetzarbeiten, die je in Portugal entstanden ist. Genau genommen eine Skulptur, dieses Portal, oder einfach nur eine Statue, mit Worten kann man es nicht erklären. Es reicht auch nicht, nur einfach hinzusehen, denn auch das Auge muss lernen, die Formen zu lesen. Es lässt sich nicht in etwas anderes übersetzen. Ein Sonett von Camões kann man nicht in Stein übertragen. Wer vor diesem Portal steht, kann nur noch schauen, die einzelnen Elemente seinem Wissen entsprechend identifizieren, Fragen stellen, um seine Wissenslücken zu füllen, doch das muss jeder Reisende für sich allein tun, ein Einzelner kann nicht für alle sehen und es allen erklären. Ein Führer wäre eine gute Hilfe, sofern er nicht so wie dieser hier Überdruss und Desinteresse erkennen ließe, was den empfindsamen Reisenden ebenso kränkt, wie es das beleidigt, was es zu zeigen gibt. Doch der Reisende will verständnisvoll sein: Schließlich ist der Mann jeden Tag hier, sieht dieselben Steine, hört dieselben Ausrufe, muss dieselben Antworten auf dieselben Fragen geben, auf dieselben Dinge hinweisen; selbst wenn er ein Heiliger wäre, ein Vorbild an Tugend und Geduld, könnte er nicht vermeiden, dass ihn die ständig wiederholten Worte, die Schritte hin und her, die Gesichter derer, die kommen und gehen, so sehr ermüden. Im Licht solch unerträglichen Leidens sei dem Führer verziehen.
Das Kloster von Tomar, das ist das Portal, der manuelinische Chor, die Charola, d. h. die Templerkirche, das Große Fenster, der Kreuzgang. Und alles andere. Den Reisenden beeindruckt am meisten von alldem die Charola, wegen ihres Alters, gewiss, wegen ihrer ungewöhnlichen achteckigen Form, ganz fraglos, aber vor allem, weil er in ihr den perfekten Ausdruck der Vorstellung von einem Heiligtum sieht, einem geheimen Ort, zugänglich, doch nicht exponiert, Mittelpunkt und Fokus, um den herum die Gläubigen sich scharen und die zweitrangigen Darstellungen angeordnet sind. Damit ist die Charola strahlende Sonne und Nabel der Welt zugleich.
Doch jeder Sonne ist es bestimmt, zu verlöschen, und jedem Nabel, zu vertrocknen. Die Zeit nagt mit ihren unsichtbaren, harten Zähnen an der Charola. Hier herrscht ein allgemeiner Verfall, der sowohl Alter als auch Vernachlässigung ausdrückt. Eins der kostbarsten Juwele portugiesischer Kunst verkommt, zerfällt. Entweder kommt schnell Hilfe, oder wir hören den üblichen Klagechor, wenn es zu spät ist. Auf die Bemerkungen des Reisenden hin tritt der Führer aus seinem Turm heraus und erklärt, die Schäden im unteren Teil – Bröckeln, abgeblätterte Farbe – seien hauptsächlich auf die vielen Trauungen zurückzuführen, die hier stattfänden. »Alle wollen sie hier heiraten, dann kommen die Gäste, lehnen sich an die Säulen, steigen auf die Sockel, um besser sehen zu können, und dann machen sie sich einen Spaß daraus, ein Stückchen Farbe abzureißen, womöglich als Andenken.« Der Reisende wundert sich, hat aber schnell eine Lösung parat: »Dann muss man eben die Trauungen verbieten.« Diesen Vorschlag hat der Führer vermutlich schon hunderttausend Mal gehört. Er zuckt die Achseln und schweigt. Seine Miene drückt keinen Überdruss aus, sondern Entmutigung.
Auf den Reisenden wirkt der Kreuzgang trocken und kalt. Anders gesagt: So, wie Diogo de Torralva, der Erbauer, sich nicht mit dem manuelinischen Stil identifizierte und noch weniger mit dem romanischen oder gotischen, kann auch der Reisende, der mit dem Resultat der historischen Abfolge verschiedener Stile und Geschmacksrichtungen konfrontiert ist, sich von seinem heutigen Standpunkt aus nicht mit diesem romanischen Neoklassizismus identifizieren, und wenn er das begründen soll, sagt er, weil er auf ihn trocken und kalt wirkt. Das ist subjektiv. Na gut, dann ist es das eben. Der Reisende hat ein Recht auf seine Subjektivität, andernfalls wäre die Reise für ihn witzlos, denn Reisen kann nur die Konfrontation zwischen diesem und jenem sein. Doch beruhigen wir uns – es ist keine vollkommene Ablehnung, so wie es auch kein vollkommenes Akzeptieren ist. Aber es gibt etwas im Kreuzgang von Dom João III., an das der Reisende sein Herz verloren hat: die Türen im Erdgeschoss, zwischen den Säulen, mit den Fenstern darüber, ein Triumph der geraden Linien und strengen Proportionen.
Über das Große Fenster ist bereits alles gesagt worden – vermutlich ist noch alles zu sagen. Man erwarte von dem Reisenden keine weiteren Ansichten. Lediglich die feste Überzeugung, dass der manuelinische Stil nicht wäre, was er ist, wenn die indischen Tempel nicht wären, was sie sind. Diogo de Arruda mag nicht bis nach Indien gesegelt sein, doch steht völlig außer Frage, dass auf den portugiesischen Schiffen Künstler mitfuhren und von dort Skizzen, Zeichnungen, Kopien mitbrachten – ein so ornamentreicher Stil wie der manuelinische hätte nicht im Schatten unserer lusitanischen Olivenhaine entstehen, weiterentwickelt und verfeinert werden können. Er ist ein kulturelles Ganzes, in der Fremde aufgenommen und hier nachempfunden. Möge man dem Reisenden solche kühnen Ansichten nachsehen.
Doch ist er nicht so kühn, wie er sein sollte. Es fehlt ihm die Courage, Tomar auf den Kopf zu stellen, bis er jemanden gefunden hat, der ihm die Kapelle Nossa Senhora da Conceição aufschließt, die wieder auf seinem Weg liegt – die Erinnerung an das Erdgeschoss des Kreuzgangs lässt ihn nicht los. Wenn Diogo de Torralva hier drin so weit gegangen ist, dann muss der Reisende die Begriffe kalt und trocken, die er so freiheraus verwendet hat, wohl überdenken. Doch fehlt ihm die Courage, kommen Sie am Sonntag vorbei, ich kann nicht, ich muss gleich abreisen, tja, dann hilft es nichts.
Der Reisende fährt weiter gen Westen. Unterwegs begegnet ihm das Aquädukt von Pegões Altos, ein Beweis, dass Nützlichkeit und Schönheit einander nicht ausschließen: Die Reihe der sich wiederholenden Bögen mit vollkommener Rundung über breiteren, gebrochenen Bögen reduziert die Monumentalität des Bauwerks, macht es weniger gewaltig. Mit einem Kunstgriff hat der Architekt ein Pseudoaquädukt geschaffen, auf dem das tatsächlich wasserführende ruht.
Ourém liegt hoch oben auf einem Hügel. Dieses ist das alte Städtchen, einer der meistmissachteten Orte, die der Reisende je gesehen hat. Man weiß, dass die Wirtschaft sich in der Ebene entwickelt, Gewerbe, Handel, keine Zugangsprobleme, doch gibt es Menschen, die beharrlich in dem verlassenen Ort leben, und die Gründe für solches Beharren sollten berücksichtigt und respektiert werdet. Das Sterben von Orten wie Ourém ist nicht unvermeidbar. Von Übel ist die Auffassung, man solle einen Blick auf die alten Steine werfen und dann weiterfahren. In Ourém Velha gibt es viele Gründe, das Städtchen neu zu beleben: die Anhöhe, auf der es sich erhebt, die noch aus dem 16. Jahrhundert stammende Stadtanlage, der einzigartige Palast, der den steilen Berg krönt, mehr als genug Gründe, dass die heutige Vernachlässigung nicht morgen zu Zerstörung wird. Mögen die Steine erhalten werden und die Menschen geschützt.
Der Zufall will es, dass der Reisende den längsten Weg zum Palast nimmt. Und das war ein Glück. So kann er den ganzen Ort umrunden, die verlassenen Häuser sehen, manche nur noch Ruinen, bei anderen die Fenster zugenagelt, und Kapellen am Wegrand nackt, ohne Heiligenfiguren, selbst Spinnen verkümmern da. Auf den oberen Teil des Berges haben sich die letzten Einwohner zurückgezogen, da erst herrscht etwas Leben, Kinder spielen, ein Restaurant mit törichten heraldischen Ansprüchen, geschlossen zur Erleichterung des Reisenden, der edler Herbergen und ähnlicher Phantasien inzwischen überdrüssig ist.
Der Palast, von dem kaum mehr übrig ist als die Türme, muss von Riesen gebaut worden sein. Zwar könnte ein Volk von Liliputanern Stein auf Stein einen Turm errichten, der bis in den Himmel reicht, aber diese Türme, die so weit gar nicht hinauswollen, erwecken den Eindruck, dass sie nur von langen Armen und dicken Muskeln gebaut worden sein können. Kräftige Handwerker waren das fraglos, dass sie einen so originellen Bau errichteten, mit diesen Spitzbögen, diesen Ziegelverzierungen, die den Eindruck eines Massivs, der sich einstellen will, sogleich auflockern. Angeblich waren es Juden aus dem Maghreb, dieselben, die dann die Synagoge in Tomar bauten und die Krypta für Dom Afonso, die der Reisende noch besichtigen wird. Er denkt an den Christus von Aveiro, vermutlich von Maurenhand geschaffen, wirft in denselben Topf Neu-Christen und konvertierte Araber, schaut zu, wie das Ganze schmort, die Traditionen, die neuen Glaubensbekenntnisse, auch die Widersprüche zwischen ihnen, und sieht allmählich unterschiedliche Kunstformen aufkommen, plötzliche Abwandlungen, leider integriert, bevor sie sich ganz entwickeln konnten. In Tomar die Synagoge, in Ourém diese Krypta und das Grab darin, dazu der Palast – wenn wir tief eintauchten in die Umstände der Zeit, den Ort und die Menschen, wohin würde uns das führen, fragt sich der Reisende, als er den steilen Weg wieder hinuntergeht, der ihn in die Ebene zurückbringt.
Es sind viele Kurven und Schleifen bis nach Fátima. Sicherlich gibt es einen direkteren Weg, doch weil er von dort kommt, wo er herkommt, einer Mischung von Mauren und Juden, nimmt es nicht wunder, dass ihm die Strecke lang erscheint. Heute ist der riesige Vorplatz öde und leer. Nur ganz im Hintergrund, neben der Capela das Aparições, haben sich ein paar Menschen versammelt, und kleine Gruppen kommen und gehen. Eine Nonne mit aufgespanntem Sonnenschirm tritt wie aus dem Nichts ins Blickfeld des Reisenden und verschwindet plötzlich, als wäre sie ins Nichts zurückgekehrt. Der Reisende hat seine Ansichten, und die erste ist, dass hier die Ästhetik dem Glauben keinen guten Dienst erwiesen hat. Was nicht verwunderlich ist in diesen skeptischen Zeiten. Die Erbauer des bescheidensten romanischen Kirchleins wussten, dass sie das Haus Gottes errichteten; heute werden ein Auftrag ausgeführt und Vertragsbestimmungen erfüllt. Der Kirchturm hinten weiß nicht so recht, wo er enden soll, die Säulen sind weder proportioniert noch harmonisch, nur der Glaube kann Fátima retten, nicht die Schönheit, denn die besitzt es nicht. Der Reisende, der ein hartnäckiger Rationalist ist, auf dieser Reise jedoch schon so manches Mal wegen eines Glaubens, den er nicht teilt, innerlich bewegt war, möchte auch hier etwas empfinden. Doch er verlässt den Ort ohne Schuldgefühle. Und protestiert eine Weile aus Empörung, Verletztheit und Verärgerung über die Geschäftemacherei der zahllosen Stände, die zu Millionen Medaillons, Rosenkränze, Kruzifixe, Miniaturen der Kirche, kleine und große Figuren der Heiligen Jungfrau verkaufen. Der Reisende ist letztlich ein tiefreligiöser Mensch, schon in Assisi hatte ihn der kaltblütig fromme Handel schockiert, den die Mönche hinter ihren Tresen betreiben.
Der Reisende hat nichts gegen Höhlen. Er weiß sehr wohl, dass seine Vorfahren darin gelebt haben, nachdem sie es leid waren, von Baum zu Baum zu hüpfen. Und um ganz offen zu sein, so wie feststeht, dass er einen schlechten Menschenaffen abgegeben hätte, weil er Höhenangst hat, wäre er ein ausgezeichneter Cromagnon, denn er leidet nicht unter Klaustrophobie. Dass der Reisende sich dies von der Seele spricht und die Abstammung seiner Spezies ausdrücklich anerkennt, hat mit diesen Höhlen zu tun, wo das Naturwunder der Kalkformationen in allen denkbaren Variationen von Stalaktiten und Stalagmiten, auf die sich alles reduziert, durch vielfältige Beleuchtung und geradezu irrwitzige Farben verhunzt wird, dazu im Hintergrund Musik von Wagner, und das an einem Ort, wo die Walküren große Mühe hätten, Pferde unterzubringen. Und dann noch die Namen, die man den verschiedenen Höhlen gegeben hat, die Krippe, die Unvollendete Kapelle, die Hochzeitstorte, der Brunnen der Tränen – der Gipfel an Scheußlichkeit. Was hätte sich der Reisende gewünscht? Eine einzige Lichtquelle nur, die den Stein am besten zur Geltung bringt; keine anderen Töne als das natürliche Geräusch des tropfenden Wassers; kein Wort, striktes Verbot, das, was hier ist, hinter einem Namen, der nicht zu ihm gehört, zu verbergen.
Nun hat der Reisende das Bedürfnis nach einem längeren Abschnitt, in dem er nichts als Landschaft sieht. Er möchte sich entspannen beim Anblick der sanften Hügel, der von keinem Wind zerzausten Bäume und der Felder, die sich ohne größeren Widerstand bestellen lassen. Leiria wird er vorläufig umfahren. Hinter Gândara dos Olivais überquert er den Fluss Lis und fährt über das nun flache Land Richtung Norden. Unterwegs kommt er an Amor vorbei, was seltsam ist, denn amor, die Liebe, ist normalerweise in abwechslungsreicheren Gefilden zu Hause. Der Tag ist strahlend, flimmernd vor Licht, es riecht schon nach dem Meer. In Vieira de Leiria gibt es eine Kirche Santa Rita de Cássia aus dem 17. Jahrhundert, die der Reisende sich ansieht, weil sie auf seinem Weg liegt, doch ist sie schon für sich einen Besuch wert. Und dort nun dehnt sich der Strandort Praia de Vieira, nach Süden hin ganz offen, und gleich oberhalb davon die Mündung des Lis. Auf dem Strand warten Fischerboote mit hochgezogenem, geschwungenem Bug, die langen Riemen über Kreuz gelegt, auf eine günstige Tide und einen hoffentlich guten Fang.
Und dort sind die Pinienwälder von Leiria, jene, die der König Dom Dinis als die grünen Pinien besungen hat, die Pinien der naus und Karavellen der Seefahrer, das fragile Holz, das sich in so weite Fernen gewagt hat. Von Praia de Vieira nach São Pedro de Muel führt eine einzige Straße zwischen Bäumen, eine unendlich lange Gerade, die sich schließlich zum Meer hinwendet, von dem sie sich schon fast entfernt hatte. Der Anblick von São Pedro de Muel zu dieser Stunde, mit seinen menschenleeren Stränden, der starken Brandung, vielen geschlossenen Häusern in Erwartung des Sommers, der vielleicht nicht so schönes Wetter wie dieses bringen wird, die ganze Atmosphäre wirkt auf den Reisenden beruhigend. Und in dieser Stimmung erkundigt er sich, ob es nicht einen Weg nach Marinha Grande gebe, auf dem er noch länger den Wald genießen könne. Man sagt ihm, doch, ja, den gebe es, aber garantiert werde er sich verfahren. Er ist das Risiko eingegangen, hat sich verfahren, sich aber nichts daraus gemacht. Er weiß, was er gewonnen hat: ein paar Kilometer reinstes Entzücken, dichter Wald, durch den das Licht in Strahlen, in Garben, in Wolken fällt, das Grün der Bäume in flimmerndes Gold verwandelt und dann das Gold in Lebenssaft, der Reisende weiß vor Begeisterung nicht, wohin er schauen soll. Der Wald von São Pedro de Muel ist einmalig. Andere Wälder mögen reicher an Arten und imposanter sein, doch keiner verdiente es mehr, von dem Völkchen der Gnome, Feen und Elfen bewohnt zu werden. Und er könnte wetten, dass das plötzliche Rascheln im Laub dort drüben von einem schlauen kleinen Zwerg mit roter Kappe verursacht wurde.
Schließlich stößt er auf die normale Landstraße. Er fährt weiter nach Marinha Grande, der Stadt der Glashüttenkunst. Vielleicht hat sie sich, weil sie diese besitzt, nicht um den Erhalt anderer Künste gekümmert und sich ganz auf die Öfen und chemischen Mixturen konzentriert. Es ist, wie gesagt, eine Industriestadt, mit besonderem politischen Klima: Das verkündet sie auf sämtlichen Wänden, auf Spruchbändern, quer über die Straßen gespannt, selbst auf der Erde. Der Reisende fragt, wie man eine Glasfabrik besichtigen kann, und findet jemanden, der ihn hinführt, ihm die Türen öffnet und ihn bei der Besichtigung begleitet.
Sie nennt sich Fabrik, kein Mensch käme auf die Idee, dass es eine ist: ein großer, zerlöcherter Schuppen, vor keinem Wind geschützt, mit ein paar gemauerten Anbauten als Lagerräume und für Arbeitsgänge, bei denen mehr Schutz erforderlich ist. Doch erweist sich die Fabrik, der Ort, wo das Glas hergestellt wird, als überraschend logisch – würden die Fenster geschlossen, die Löcher abgedeckt, wäre die Hitze unerträglich. Der konstante Luftzug sorgt für eine relativ kühle Raumtemperatur und wirkt sich – so überlegt der Reisende – vielleicht auf das Glas aus. Da sind die Öfen. Fauchend speien die Feuerdüsen unaufhörlich einen Flammenstrahl in die Öfen, in denen die rotweiße Schmelzmasse furchterregend brodelt und Blasen schlägt, eine winzige Sonne, aus der Gegenstände entstehen werden, die das Licht der echten Sonne einfangen und festhalten können. Wenn das Glas aus dem Ofen herauskommt, eine rote Kugel und so weich, als wollte sie von dem langen Rohr abfallen, würde man nie für möglich halten, dass sie durchsichtig wird, hauchdünn, als wäre die Luft selbst zu Glas gemacht. Doch die Farbe verflüchtigt sich schon. Dann wird die Kugel in eine Form gelegt, immer wieder gedreht und geblasen, bis sie hart ist, anschließend, noch glühend und von ihrer inneren Hitze irisierend, wandert sie, inzwischen ein Krug, an einer Klammer in der Luft abkühlend, zum nächsten Arbeitsgang. Das geschieht diszipliniert, nicht langsam, aber auch nicht schnell, im richtigen Tempo, um den Arbeiter, der das Stück transportiert, und das Stück selbst zu schützen.
Die Männer bewegen sich in dem heißen, lauten Raum zwischen den alten Bretterwänden, als befolgten sie die Schritte eines Rituals. Es ist eine einfache Kette: Ein Mann transportiert immer ein Stück und reicht es an einen anderen weiter, wie ein Stafettenläufer, der immer denselben Weg zurücklegt und immer wieder an den Start zurückkehrt.
Um ein wenig mehr über dieses Von-Hand-zu-Hand zu erfahren, geht der Reisende in die Werkstatt, wo die Gefäße geformt werden, die in den Ofen kommen, jene Gefäße, in denen die Bestandteile des späteren Glases mit einem Anteil fertigem Glas, der immer hinzugefügt wird, verschmelzen. Hier herrscht kein Lärm, die Tür ist ständig geschlossen, die Männer sprechen leise. Hier wird die Tonerde angefeuchtet und langsam mit den Füßen durchgewalkt, derart präzise, dass man es fast manisch nennen könnte – treten, zusammenschieben, treten, zusammenschieben –, und mit einer solchen Technik, dass alles bis zum allerwinzigsten Teil den gleichen Druck und dieselbe Feuchtigkeit erhält. Dieser Ton darf keinen Fremdkörper enthalten, auch nicht das kleinste Steinchen, nicht einmal die Erde, die man von draußen an den Schuhsohlen hereinträgt. Und die Herstellung des Gefäßes in der Form, die Passgenauigkeit von innen und außen, das Glätten, ja fast Polieren, das ist Bildhauerarbeit. Eine ständig wiederholte abstrakte Form, ein konkreter, an einem Ende geschlossener Zylinder, doch sieht der Reisende bei den Männern, die ihn herstellen, nicht das geringste Anzeichen von Überdruss, vielmehr große Liebe zu ihrer Arbeit, die perfekt gemacht werden muss, denn sonst weist der Ofen sie bei der ersten Flamme zurück. Von dieser Arbeit kann man im wahrsten Sinne sagen, dass sie feuerfest ist.