»Hic est chorus«

In Castelo Branco führen alle Wege zum Garten des Bischofspalastes. Der Reisende kann sich also gern noch etwas Zeit lassen, sich treiben lassen, zum Beispiel zur Burg, einer spärlichen Ruine, und dort die erste Enttäuschung erleben: Die Kirche Santa Maria ist geschlossen und eingezäunt, dort ruht der Dichter João Ruiz de Castelo Branco, dessen Statue unten am Largo do Município steht. Der Reisende, der oft solche sentimentalen Schwächen zeigt, wollte am Grabstein die wunderbaren Verse aufsagen, die seit dem 16. Jahrhundert, alle Zeit überdauernd, vom Trennungsschmerz der Liebenden erzählen: Geliebte, so traurig gehen / Meine Augen von Euch, mein Herz / So traurig habt Ihr nie gehen sehen / Andere von Euch voller Schmerz … An diesem sentimentalen Akt hindert ihn der dicke Drahtzaun, der die Kirche weiträumig umgibt. Offensichtlich wurden hier archäologische Funde gemacht, und während ausgegraben wird oder auch nicht ausgegraben wird, müssen die Besucher draußen bleiben. Dieser Draht hat keine Lücken wie der in Idanha-a-Velha, und selbst wenn, was hätte er davon, wo alle Türen doppelt und dreifach versiegelt sind.

Der Reisende geht die Rua dos Peleteiros hinunter in die Altstadt, und um sich zu trösten, murmelt er: So müde, voller Tränen / Vor Trennung so krank / Dem Tode tausendmal näher / Als dem Leben im Dank. Es gibt literarische Karrieren, die auf einem schmalen Werk basieren, wie es der Fall bei João Ruiz (oder Rodrigues) de Castelo Branco ist, der, obwohl er für wenig mehr als diese erhabenen Verse verantwortlich zeichnet, nicht in Vergessenheit geraten wird, solange die portugiesische Sprache existiert. Ein Mann kommt auf die Welt, dreht ein, zwei Runden und geht wieder, aber das allein hat genügt, um einem Gefühl Ausdruck zu verleihen, das später ein kollektives Bewusstsein bestimmen wird.

Inmitten dieser Gedanken findet sich der Reisende plötzlich vor der Kathedrale wieder, die nichts mit der ausdruckslosen Fassade anzufangen weiß, die man ihr verpasst hat. Drinnen sieht man, dass jene, deren Aufgabe es gewesen wäre, die dem heiligen Michael geweihte Kirche mit Kunst zu bereichern, sich nicht die größte Mühe gegeben haben: Hoffen wir, dass der Erzengel in seiner Großherzigkeit ihnen ihre Achtlosigkeit verzeiht. Hier wird noch viel Vergebung nötig sein, und auch der Bischof Dom Vicente war nicht frei von der Sünde des Hochmuts, als er über der Tür zur Sakristei sein Wappen anbringen ließ, welches, um es in wenigen Worten zu sagen, ein Irrsinn in Stein ist. Jesus hat als einziges Emblem ein schlichtes Kreuz, aber seine Bischöfe verstopfen den Himmel mit heraldischen Rätseln, an denen man bis in alle Ewigkeit zu knacken haben wird.

Dieser Teil der Stadt ist so provinzlerisch, oder provinziell, um dem ersten Wort seinen abschätzigen Beigeschmack zu nehmen, dass sich der Reisende kaum vorstellen kann, in diesen Straßen und auf den kleinen Plätzen irgendein Anzeichen von modernem Leben, dem sogenannten fieberhaften Treiben, zu finden. Ein Eindruck, der die Dauer seines Besuches über bestehen bleibt.

Allmählich nähert er sich dem Palastgarten. Hier steht das Kruzifix von São João, ein filigran gearbeiteter Stein, auf dem kein einziges Stück glatte Oberfläche zu finden ist. Aber das Kruzifix passt nicht zu dem großen, etwas abseits gelegenen Platz, es steht da, als hätte man es gedankenlos dorthin versetzt. Der Reisende nimmt an, dass es immer schon dort stand. Aber irgendwann hat es sich vom Rest des Platzes abgewandt oder der sich von ihm.

Der Reisende geht jetzt am Garten entlang, aber noch nicht hinein. Zuerst besichtigt er das Museum, wo er sich an der archäologischen Sammlung erfreut, der Rekonstruktion der Felsenmalereien aus dem Tejo-Tal, darunter ein Herkules, der einen erjagten Hirsch auf den Schultern trägt, sowie an einer hübschen romanischen Statuette sehr viel jüngeren Datums. Der Reisende ist gerührt angesichts der Anrufung der Göttin Trebaruna, der Leite de Vasconcelos seine schlechten Verse und seine wahre Liebe schenkt, und betrachtet die siamesischen Zwillinge, realistisch dargestellt auf einem leider verstümmelten Grabstein. Das Museum von Castelo Branco ist nicht besonders groß, aber es macht Freude. Wunderbar auch der Santo António von Francisco Henriques, er hat das Gesicht eines einfachen Mannes, in der Hand das Buch, auf dem das Jesuskind sitzt, das er kaum zu berühren wagt. Sein Gesicht mit dem dichten, schlechtrasierten Bart macht einen niedergeschlagenen Eindruck, die Augenlider sind halb geschlossen, und es wird mehr als deutlich, dass dieser einfache Mönch nicht der große Prediger ist, der die Fische bekehrt hat, auch der üppige Hintergrund des Bildes mit der Porphyrsäule und der blattwerkverzierten Tapisserie kann der Bescheidenheit dieses Mannes nichts anhaben. Der Reisende betrachtet auf einem ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert stammenden Gemälde den Engel der Verkündigung, der durch das Fenster geflogen kommt und eher die Größe eines Kolibris als die eines Boten hat, und dabei drängen sich ihm zwei verschiedene Gedanken auf. Als erster, dass es sicherlich interessant wäre, über die Mosaiken zu forschen, die sich auf diesen Bildern aus dem 16. Jahrhundert befinden sowie auf anderen aus der Zeit vor und nach diesem für die Kunst goldenen Zeitalter: Vielleicht ließen sich bestimmte zeitliche Übereinstimmungen ausmachen, zum Beispiel Ähnlichkeiten in den Motiven oder auch, dass die Werkstätten der Maler und der Mosaikkünstler sich gegenseitig beeinflusst haben. Denn das Informationspotenzial über strukturelle und dekorative Elemente kann mit Almada Negreiros Erkenntnissen von deren Anordnung auf den Wandgemälden in der Kirche São Vicente de Fora kaum erschöpft sein. Was den zweiten Gedanken angeht, so kann es sein, dass er Menschen missfällt, die in religiösen Dingen sehr orthodox sind. Es geht um die Häufigkeit, mit der in diesen Verkündigungsszenen der Maler darauf besteht, das Schlafgemach darzustellen, entweder unter einem niedrigen Bogen, wie hier, oder hinter schweren Vorhängen, wie es sonst oft der Fall ist. Sicherlich war Maria zu diesem Zeitpunkt bereits mit Josef verheiratet, aber da die Empfängnis ja nicht fleischlicher Art war, ist das Bett überflüssig, es sei denn, und das vermutet der Reisende, der Maler hätte nicht vergessen können und es hiermit enthüllt, dass für gewöhnlich an diesem Ort die Kinder der Menschen gezeugt werden. Mit diesen zwei originellen Gedanken im Kopf wendet sich der Reisende der völkerkundlichen Abteilung zu, wo ihm das hohe Alter der Wahlurnen, die absurde Maschine, die per Nummernausgabe über militärische Schicksale entscheidet, die landwirtschaftlichen Geräte und der primitive Webstuhl auffallen. Daneben sind wunderbare Decken aus der Region ausgestellt, und hinter dem Vorhang hört man die Stimmen der Stickschülerinnen, später ärgert sich der Reisende, ihn nicht beiseitegeschoben und den Mädchen einen guten Tag gewünscht zu haben. In einem anderen Raum hängen Banner der Misericórdia, aber so oft übermalt, dass sich nicht sagen lässt, wie sie ursprünglich ausgesehen haben.

Der Reisende kam übers Erdgeschoss und verlässt das Museum über die Treppe im ersten Stock, und zwar so bischöflich wie nur möglich. Und jetzt endlich geht es in den Garten. Wenn in Monsanto das Volk der Steine lebt, dann ist es hier eine Galerie illustrer Personen: Engel, Apostel, Könige und Symbole, alles bekannte Figuren, die zum Greifen nah zwischen den Buchsbäumen stehen. Der Reisende kann nicht sagen, ob es auf der Welt noch einen Garten wie diesen gibt. Wenn ja, dann hat man ihn gut kopiert, wenn nicht, dann sollte er als solcher gewürdigt werden. Einen einzigen Haken hat er: Es ist kein Ort zum Ausruhen oder um ein Buch zu lesen, wer hierherkommt, sollte das wissen. Wenn früher die Bischöfe kamen, dann werden ihre Diener Stühle dabeigehabt haben, auf denen sie ausruhen und beten konnten, aber ein gewöhnlicher Reisender, der heutzutage diesen Garten aufsucht, kann umherlaufen, solange er will, sitzen kann er nur auf dem Boden oder auf einer der Treppen. Die Statuen sind großartig, nicht aufgrund ihrer künstlerischen Qualität, über die sich streiten lässt, sondern wegen ihrer Schlichtheit, die auf einer ausgereiften bildhauerischen Sprache basiert. Hier stehen die Könige von Portugal, alles Könige wie aus einem Kartenspiel, die an den kleinen König von Salzedas erinnern, und hier haben wir einen patriotisch motivierten Rachezug, der darin bestand, die spanischen Könige in einem anderen Maßstab darzustellen: Da man sie nicht ganz ignorieren konnte, hat man sie einfach ein Stück kleiner gemacht. Und dann die allegorischen Statuen: der Glaube, die Nächstenliebe, die Hoffnung, der Frühling und die anderen Jahreszeiten, und da, etwas abseits gelegen, der Mauer zugewandt, der Tod. Den mögen die Besucher natürlich nicht. Sie kleben ihm Kaugummi in die leeren Augenhöhlen und stecken ihm Zigarettenkippen zwischen die Kiefer. Es ist anzunehmen, dass der Tod sich nichts daraus macht. Er weiß genau, dass alles seine Zeit hat.

Der Reisende beendet seinen Spaziergang, zählt die Apostel, sieht sich den kleinen Teich an, der wie ein Altartuch geformt ist, und geht zurück zur Praça do Municipio, wo er keinerlei Bezug zwischen der Statue von João Ruiz und dessen Gedichten feststellen kann: Diese Figur ist eine Puppe, die zeigt, wie sich zu jener Zeit die Edelmänner kleideten, und nicht der Mann, der solche Verse schrieb: So traurig die Traurigen geben / Die Hoffnung auf Gutes dahin / So traurig habt Ihr nie gehen sehen / Andere von Euch voller Schmerz. Auch der Reisende geht. Er ist weder traurig noch heiter, nur beunruhigt wegen der großen Wolken, die von Norden her kommen.

Das wird eine nasse Fahrt werden. Da klopft dem Reisenden unversehens die strenge Hand der Geschichte auf die Schulter und holt ihn aus seinem Tagtraum, in den er gefallen ist, seit er sich in Castelo Branco aufhält: »Der, dessen Gebeine in der Kirche Santa Maria aufgebahrt sind und dessen Abbild auf dem Platz steht, ist nicht der Dichter, mein lieber Freund, sondern Amato Lusitano, ein Arzt, der denselben Namen trug, aber keine Verse geschrieben hat.« Verärgert hält der Reisende an, wirft die ungebetene Person aus dem Wagen und setzt die Reise fort, während er die unsterblichen Worte João Ruiz de Castelo Brancos vor sich hin murmelt, die Knochen sind und ein Denkmal der Poesie.

Aus Liebe zur Wahrheit muss man sagen, dass der Reisende sich wirklich immer die schlimmsten Wege aussucht. Ganz in der Nähe verläuft die Straße, die ihn direkt nach Abrantes gebracht hätte, aber er fährt lieber über die Serra do Moradal und die Serra Vermelha, wo sich sämtliche Wolken und Regengüsse dieses unbeständigen Frühlings verabredet haben. Bis kurz vor Foz Giraldo sind es nur Drohungen. Aber den ganzen Weg nach Oleiros regnet es in Strömen, und oben auf der Serra do Moradal hätte er schwören können, dass der Regen direkt aus der Wolke fällt, ohne wie sonst während des Falls etwas an Schwung zu verlieren. Es ist ein sehr einsamer Weg, Dutzende von Kilometern ohne eine Menschenseele, Berge über Berge, wie kann ein so kleines Land so riesig sein.

In Oleiros gefallen dem Reisenden die Figuren in der Pfarrkirche, obwohl einige etwas respektlos übermalt sind, wie zum Beispiel die Jungfrau Maria aus Stein, die in der rechten Hand einen Strauß Blumen hält, die, statt sie in ihrer natürlichen Farbe zu belassen, mit Gold übermalt wurden. Dasselbe gilt für die Schnitzereien. Aber die Kirche von Oleiros ist allemal einen Besuch wert, nicht nur wegen der Figuren, die der Übermalungswut nicht zum Opfer gefallen sind, sondern auch wegen der Deckenmalereien und der Azulejos in der Hauptkapelle.

Oleiros liegt zwischen zwei Bergketten: der Serra de Alvelos im Südwesten und der Serra Vermelha im Nordosten. Dazwischen fließt das Flüsschen Sertã, das sich hier in einen reißenden Strom verwandelt. Der Reisende hat ein Ziel: Er will nach Álvaro, wohin man nur auf dieser Seite gelangt, und dazu muss er über die Serra Vermelha fahren. Das Gebirge ist, verglichen mit anderen, nicht sonderlich hoch und auch nicht ausgedehnt. Aber seine besondere Großartigkeit besteht in seiner Strenge, einer fast beängstigenden Einsamkeit, seinen tiefen Schluchten, den mit Heidekraut bedeckten Hängen, denen es wahrscheinlich seinen Namen »Rotes Gebirge« verdankt. Die tiefhängenden Wolken verstärken den Eindruck von einer unberührten Welt, in der alle Elemente noch miteinander vermischt sind und die der Mensch nur mit langsamen, genau bedachten Schritten betreten darf, um diese ersten Momente der Schöpfung nicht zu stören.

Als es wieder bergab geht, kommt der Reisende nicht weit. Die Strecke wird instand gesetzt und ähnelt eher einem Schlammbad als einer Autostraße. Der Regen nimmt kein Ende, ist aber nicht mehr so heftig, jedenfalls bildet der Reisende sich das ein. Aber ein Baggerfahrer, der geschützt in seiner Kabine sitzt, warnt ihn: »Wenn Sie weiterfahren, werden Sie Probleme bekommen.« Hätte der Reisende eine Brieftaube gehabt, hätte er sie mit einer Nachricht nach Álvaro geschickt, aber so bleibt ihm nichts anderes übrig, als umzukehren und weiter entlang des Gebirgskamms zu fahren, und wieder ist alles bedeckt mit Heidekraut und überall tiefe, dunkle Schluchten, es fehlen nur noch Straßenräuber.

Bei Sertã regnet es dann nicht mehr. Die Straßen, die von hier aus bergab führen, sind schmal und uneben wie Ameisenstraßen. Im Verhältnis zur Erde ist der Reisende natürlich auch nur eine Ameise, aber ein paar lose Steine und Löcher weniger wären ihm lieber. Wer hier entlangfährt, glaubt nicht mehr an die Existenz von Asphalt und Beton. Und da ein Unglück selten allein kommt, verfährt sich der Reisende, vorbei an Sardoal, ohne dass ihm das irgendeinen entschädigenden Vorteil verschafft hätte. Nach endloser Fahrt erreicht er zum Ende des Tages endlich Abrantes.

Das hier ist bereits der Süden. Vom Fenster seines Zimmers aus sieht der Reisende den Tejo, den breiten Strom, der ihn mal hier, mal dort seit seiner Kindheit begleitet, und er hat Angst, nicht sagen zu können, wie viel er und das Land, durch das er fließt, ihm bedeuten. Aber darum kümmern wir uns später. Erst einmal geht es zurück an die Küste, in eine Gegend, die er in letzter Zeit vernachlässigt hat und die ihn jetzt ruft. Für heute gibt er sich mit dem fast wolkenlosen Abend zufrieden und blickt nachdenklich auf die weiten Ebenen des Südens.

Von dieser Stadt sagt man »Alles ist wie früher hier, Abrantes ist das Hauptquartier«, ein Ausspruch, der auch sonst gern herangezogen wird. Der Reisende weiß nur wenig über Hauptquartiere, aber von Abrantes lässt sich sagen, wäre alles wie früher, dann wehte hier ein anderer Wind, jedenfalls in künstlerischer Hinsicht. Hier haben die Spitzhacken gewütet, ohne Sinn und Verstand wurde alles niedergerissen, und was danach kam, ist nicht immer erfreulich. Ein im ganzen Land verbreitetes Übel, in Abrantes aber besonders auffällig, weil sich hier wichtige historische Ereignisse zugetragen haben, wovon man aber praktisch nichts mehr sieht. Auch sind einige Baumeister mit ihrer Arbeit nicht fertig geworden, zum Beispiel fehlt bei der Kirche São Vicente ein Turm, und die beiden von São João Baptista sind unvollendet, was wohl daran liegt, dass die Kasse leer war. São Vicente kann der Reisende nur von außen betrachten, was er auch ausführlich tut, wobei ihm besonders die kräftigen Bogenpfeiler der Seitenmauern gefallen und er über den winzigen Campanile lächeln muss, der den fehlenden Turm ersetzt. Da es sonst nichts zu sehen gibt, geht er zur Kirche São João Baptista. Die Kirche steht auf einem tiefergelegenen Platz mit eckigem Grundriss, wodurch sie einerseits etwas untergeht, andererseits aber eine gewisse Intimität gewinnt. Die »philippinische« Architektur gefällt dem Reisenden nicht unbedingt, und die drei verschiedenen Kanzeln passen seiner Meinung nach nicht zusammen. »Philippinisch« heißt in diesem Fall, dass die Erneuerung der Kirche auf Initiative des Königs Philipp II. vorgenommen wurde, der unglücklicherweise ein Faible für ionische Säulen hatte, eine keineswegs überzeugende Errungenschaft der Spätrenaissance, und was die Unvereinbarkeit der Kuppeln angeht, so kann man sich kaum vorstellen, warum drei verschiedene Predigten gleichzeitig gehalten werden sollen, wo doch eine genügt, um den ganzen Raum zu füllen. Das sind Geheimnisse der Kirche, die der Reisende nicht weiter zu ergründen wagt.

Wäre das alles, was Abrantes zu bieten hätte, so spräche nichts dagegen, diesen Ort zu übergehen, es sei denn die Bürgerpflicht oder das Bedürfnis, sich auszuruhen. Aber in der Igreja da Misericórdia befinden sich bewundernswerte Gemälde, vermutlich von Gregório Lopes, der sich selbst in den frömmsten Bildern durch feine Figürlichkeit auszeichnet. Ganz anders die Modelle oder der Blickwinkel des Mestre de Abrantes, dem man das Gemälde zuschreibt, das in der Kirche Santa Maria do Castelo hängt, wo sich der Reisende inzwischen befindet. Die Jungfrau Maria in dieser Anbetung der Heiligen Drei Könige ist ganz offensichtlich eine Bäuerin, die ihren Sohn, einen künftigen Hirten, anderen Bauern zeigt, deren königliche Gewänder sie nur schlecht kaschieren.

Einen Besuch von Abrantes mehr als empfehlenswert macht die Kirche Santa Maria do Castelo, wo vor fünfzig Jahren das Museum Dom Lopo de Almeida eingerichtet wurde. Weder die Kirche noch das Museum sind besonders groß, aber die Sammlung ist großartig. Der Reisende unterhält sich gern und stellt möglichst viele Fragen, aber nicht immer findet er damit Anklang. In Abrantes wird er fürstlich belohnt: Der Museumswächter liebt die Dinge, über die er wacht, sie sind sein Augenstern, und er spricht von jedem Stück wie von einem nahen Verwandten. Am Ende sind Wächter und Reisender eins, wahre Gefährten, sie unterhalten sich über die prachtvolle Skulptur der Heiligen Dreifaltigkeit, die Arbeit eines genialen Kopfes namens M. P., und über die beiden kolorierten Bücher in der Sakristei. Mit rührendem Feingefühl zeigt ihm der Mann ein Bild aus dem Messbuch, den Buchstaben N, wenn der Reisende sich recht erinnert, und sein Finger richtet sich auf die Voluten, die Ornamente, den Glanz der Farbe, als zeigte er ihm sein eigenes Herz.

Noch immer ins Gespräch vertieft, betreten sie einen Durchgang, der in den Chor führt, aber der Reisende bleibt stehen und will keinen Schritt weitergehen, bevor er sich nicht dieses wundervolle Schild eingeprägt hat, das von einem schlichten Blumenornament umrandet ist und auf freier Fläche die drei rührend überflüssigen Worte trägt: »Hic est chorus«, hier ist der Chor. Diese Stufen führen nirgendwo anders hin, es besteht keinerlei Gefahr, dass sich die Seelen und Körper derer, die sie hinaufsteigen, verlaufen könnten, und trotzdem befand irgendjemand, man müsse den Weg kennzeichnen, den einzigen wohlgemerkt. Der Wächter nickt lächelnd mit dem Kopf, vielleicht war ihm das nie aufgefallen, und er wird in Zukunft jedes Mal darauf hinweisen, so wie auf das N. Es sind alles Buchstaben. Als der Reisende oben ankommt, begreift er das Ganze. An der hinteren Wand befindet sich der obere Fries eines Altaraufsatzes aus einer anderen Kirche und darauf zwei Engel aus dunklem Holz, die jubelnd Haupt, Arm und zweifellos auch die Stimme erheben, daher »Hic est chorus «, wie man im ganzen Schiff hören kann. Diese Engel haben ihre eigene Reise hinter sich, es sind frohlockende Engel. »Jubel. Das hier sind wahrhaft jubilierende Engel«, flüstert es neben dem Reisenden.

Der Wächter begleitet ihn zum Ausgang und zeigt auf den Stein, von dem aus der Überlieferung nach Nuno Álvares Pereira auf seinen Maulesel gestiegen ist, um nach Aljubarrota zu reiten. Auch der Reisende will dorthin, und es ist Zeit aufzubrechen.

Die Portugiesische Reise
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