Nahrung für den Körper
Der Reisende steht zeitig auf, denn heute sind lange Strecken zu bewältigen. Zuerst geht es in die Serra da Falperra, die, was die Anzahl der Raubüberfälle betrifft, früher einmal dem Pinhal da Azambuja Konkurrenz machte. Heute ist sie ein idyllisches Plätzchen und für Familienausflüge geeignet. Hier haben wir in ihrer unendlichen Anmut die Kirche Santa Maria Madalena aus dem 18. Jahrhundert, ein Werk des Architekten André Soares, der außerdem für die Heiligenstatue in der Nische über dem großen Fenster verantwortlich zeichnet. Diese in den harten Granit gehauenen Formen erinnern den Reisenden an die phantastischen Tonfiguren, die dasselbe Jahrhundert hervorgebracht hat. Zwischen der Plastizität des Tons und der Härte des Steins lässt sich sicher nicht so leicht eine Verbindung herstellen, und es gibt sie auch nicht, was das Material angeht, aber vielleicht besteht die Verbindung im Geiste der Künstler, in der Art, wie sie Kleidung und Haltung skizzierten, oder in der schmückenden Einfassung, für die diese Fassade ein vollendetes Beispiel ist. Der Reisende darf nicht hinein, aber er will sich nicht beklagen: Dies ist einer der Fälle, in denen die größte Schönheit für jeden von außen sichtbar ist. Der Sünde des Geizes hat man sich hier nicht schuldig gemacht.
Wer dieses luxuriöse Bauwerk in Auftrag gab, war der Erzbischof Dom Rodrigo de Moura Teles, der hier, als das 17. ins 18. Jahrhundert überging, über viele Jahre sein Amt ausübte, sowohl als Mann des Glaubens als auch als Künstler, und das fast immer gut. Der Erzbischof war ein kleiner Mann von einem Meter und dreißig, zu klein, um an den Altar der Kathedrale heranzureichen. Deswegen ließ er sich die enorm hohen Schuhe anfertigen, die im Museum stehen, sowie den Kirchenschmuck, der aussieht, als wäre er für Kinder gefertigt, die Kirche spielen wollen. Mit seinen Zwanzigzentimeterschuhen wurde der Erzbischof zu keinem Riesen, aber mit Hilfe der Mitra und des Ansehens seines Amtes musste er sich doch dem Volk überlegen fühlen. Aber Dom Rodrigo wollte mehr. Von allen als Bauherren tätigen Erzbischöfen von Braga war er derjenige, der am weitesten und am höchsten blickte. Neben seinen Arbeiten an der Kathedrale und der Kirche Nossa Senhora da Madelena war er es, der den Anstoß für die Erbauung der Wallfahrtskirche Bom Jesus do Monte in Tenões gab, obwohl es ihm selbst nicht mehr vergönnt war, den Grundstein zu legen, da er zuvor verstarb. Am Beispiel von Dom Rodrigo de Moura Teles kann man gut psychologische Studien betreiben: Nie waren Kompensationsmechanismen klarer zu erkennen als bei diesem winzigen Erzbischof, der nur Großes erschaffen konnte.
Zum Bom Jesus und zu der Senhora do Sameiro fährt man, weil man religiös ist oder weil man sie schön findet. Für den Reisenden gilt Letzteres. Die Landschaft ist weitläufig, die Luft frisch in diesem sonnigen November, und wenn die künstlerische Bedeutung sich auch in Grenzen hält, so hat das Ganze doch einen volkstümlichen Stil, ein Wallfahrtskolorit, das an den Statuen, Treppen und Kapellen haftet und den Besuch mehr als rechtfertigt. Was die bildhauerische Schönheit betrifft, gewinnt der Bom Jesus gegen die Senhora do Sameiro, das ist gar kein Vergleich. Welcher von beiden Orten zur Andacht besser geeignet ist, steht nicht im Gebetsbuch des Reisenden. Die Reise geht weiter.
Wenn in Portugal Könige ernannt wurden, geschah das den Chroniken nach meist mit folgendem Ruf: »Real, real, dem Dom Soundso, König von Portugal!« Lassen wir, da wir inzwischen in einer Republik leben, und das nicht schlecht, die letzten beiden Teile weg und rufen: »Real! Real!« Das sollte genügen. Real bedeutet royal, aber es ist auch der Name einer kleinen Ortschaft zwei Kilometer von Braga entfernt. Dort gibt es, was es überall gibt, nämlich Menschen und Häuser, und etwas, was es an keinem anderen Ort der Welt gibt: die Kirche São Frutuoso de Montélios.
Der Reisende weiß, was er da sagt. Er hat viele Kirchen gesehen, sein Kopf steckt voller architektonischer Eindrücke, und daher weiß er, was es bedeutet, wenn er behauptet, dass es in Portugal nichts gibt, das sich mit dieser Kostbarkeit vergleichen ließe. Es ist ein kleines Bauwerk, von außen schmucklos und innen schlicht, in zwei Minuten ist man durch, und dennoch gibt es in Portugal wahrscheinlich kein vergleichbares Beispiel für eine derartige Harmonie der Proportionen, sind fast glatte Oberflächen nirgendwo so eloquent zum Sprechen gebracht worden wie hier. São Frutuoso de Montélios ist älter als alle anderen Kunststile, die der Reisende hier bisher gesehen hat, mit Ausnahme des römischen. Ihr Stil liegt wahrscheinlich zwischen dem römischen und dem romanischen, vielleicht ist er westgotisch, aber das hier ist so ein Fall, wo Klassifikation keine Rolle spielen sollte. Wer meint, viel, oder wer zugibt, wenig von Kunst zu verstehen, der sollte zur Kirche São Frutuoso fahren: In beiden Fällen wird man dieselbe Anerkennung und Dankbarkeit verspüren gegenüber den Menschen, die diese Kirche erbaut haben, eine alles überragende Kostbarkeit portugiesischer Architektur.
Daneben macht die Kirche des Convento de São Francisco keinen großen Eindruck, trotz ihres strengen Renaissance-Stils: Manchmal sind es die Stimmen aus der weiten Ferne, die so ganz dicht am Ohr und am Herzen zu uns sprechen, dass sie alles Geschmettere übertönen. São Francisco ist nicht mehr als ein unbedeutender Messdiener São Frutuosos. Der Reisende macht sich auf den Weg, ohne recht zu wissen, wer er selbst eigentlich ist.
Zum Glück weiß er noch, wo er hinwill. Vor ihm liegt Mire de Tibães (so ist das im Minho, man muss an jeder Ecke haltmachen), ein ehemaliges Benediktinerkloster, ein imposanter Bau, der die Landschaft ringsum erdrückt und schon von weitem sichtbar ist. Nur Mönche sind zu solchen Exzessen fähig. Das Kloster ist eine völlig heruntergekommene Ruine. Als der Reisende den ersten Kreuzgang betritt, denkt er zunächst, es fänden Restaurationsarbeiten statt. Diverses Baumaterial liegt herum, Ziegel, Sand, Zeichen von Betriebsamkeit. Schnell wird er eines Besseren belehrt: Es wird zwar gebaut, aber von den Familien, die in den Nebengebäuden des Klosters wohnen und die, so gut es geht, dagegen anarbeiten, dass es in ihren improvisierten Behausungen durchregnet. So weit er kommt, läuft er durch die kalten, wurmstichigen Korridore, dunkel gewordene Bilder hängen an den Wänden, die Holzdecken sind morsch, und über allem liegt ein Geruch von Schimmel und Tod. Missmutig betritt der Reisende die Kirche: Das Schiff ist riesig, mit einem Deckengewölbe aus geviertelten Steinen, und die Schnitzereien sind wie üblich üppig und reichlich. Nach dem Leckerbissen in Real ist das hier bestimmt nicht der richtige Nachtisch.
Kurz vor Padim da Graça schlägt sich der Reisende ganz klassisch die Hand vor die Stirn: Er hat vergessen, obwohl er doch in Sameiro und damit wirklich in der Nähe gewesen war, die römische Siedlung Briteiros zu besuchen. Morgen will er das nachholen, auch wenn es bedeutet, dieselbe Route zweimal fahren zu müssen. Während er darüber nachdenkt, sticht ihm plötzlich ein Haus am Straßenrand ins Auge und zwingt ihn, anzuhalten. Es ist kein Gutshaus, kein Palast, keine Burg und keine Kirche, kein Turm, keine Scheune. Ein ganz normales Haus ist es, mit einer Tür, Fenstern, die Vorderwand niedriger als die hintere und einem schlichten Dach mit zwei Schrägen. An weiten Stellen ist der Putz verschwunden, dort ist der Stein zu sehen. Am Fenster steht ein Mann mit langem Bart, einem alten schmutzigen Hut auf dem Kopf und den traurigsten Augen der Welt. Diese Augen waren es, die den Reisenden veranlasst haben anzuhalten. Das geschieht hier bestimmt nicht oft, denn sofort erscheinen drei oder vier Jungen, die aus ihrer Neugier keinen Hehl machen. Der Reisende geht auf das Haus zu und stellt fest, dass der Mann inzwischen schon draußen ist. Er hat sich an den Straßenrand gesetzt, als wartete er auf jemanden. Von wegen, dieser Mann wartet auf niemanden. Als der Reisende ihn anspricht, ihm die üblichen dummen Fragen stellt, die man in solchen Fällen stellt, ob er schon lange hier wohne, ob er Kinder habe, nimmt der Mann den Hut ab und antwortet nicht, sein Seufzen und den zuckenden Mund kann man nicht als Antwort bezeichnen, aber vielleicht sagen sie auch schon mehr als genug. Der Reisende erschrickt, er hat das Gefühl, in eine Welt voller Schrecken einzudringen, und will weggehen, aber die Kinder ziehen ihn ins Haus hinein, wo völlige Finsternis herrscht, obwohl das Fenster, an dem der Mann gestanden hat, geöffnet ist. Die Wände sind schwarz, der Mörtel ist abgebröckelt, der Boden ist schwarz, und auch die Frau, die da im Dunkeln an einer Nähmaschine sitzt, ist schwarz. Der Mann kann nicht sprechen, die Frau nur das Nötigste, er ist ein armer Irrer, hat etwas von einem wiederauferstandenen Christus, der weder jetzt noch vorher Gefallen am Leben hatte, die Frau ist seine Schwester, arbeitet in der Dunkelheit an der Maschine und näht Fetzen zusammen, das ist das Leben der beiden, sonst nichts. Der Reisende murmelt drei Worte und flüchtet. Für diese Art von Abenteuern ist er doch zu feige.
Es gibt keine einfachere und ungefährlichere Philosophie als diese: die Prächtigkeit der Natur, noch dazu, wo der Reisende im Minho unterwegs ist, mit dem Elend zu vergleichen, das Menschen überkommen kann und in dem sie dann das ganze Leben steckenbleiben und schließlich sterben. Zum Glück ist nicht Frühling. So kann sich der Reisende damit vergnügen, Zusammenhänge zwischen der Melancholie, die ihn befallen hat, und den fallenden Blättern, die sich am Straßenrand sammeln, herzustellen. Straßen zum Flüchten gibt es genug: Padim da Graça hat er hinter sich gelassen, der Mann mit dem schmutzigen Hut steht wieder an seinem Fenster, und auch das dumpfe Geräusch der Nähmaschine ist wieder zu hören. Der unangenehme Klang wird allmählich vom Brummen des Motors überdeckt, die Kilometer ziehen vorbei, und Barcelos kommt in Sicht. Der Reisende hat Verpflichtungen, jede zu ihrer Zeit.
Dieses ist das Land des wundersamen Hahnes, der, nachdem er gegrillt wurde, krähte und eine Nachkommenschaft zeugte, die nah an die Million heranreicht. Die Geschichte lässt sich in wenigen Worten erzählen, und sie ist nicht viel wundersamer als die vom heiligen Antonius, der zu den Fischen sprach. Es begab sich, dass in Barcelos vor langer, langer Zeit einmal ein Verbrechen geschah und nicht aufgeklärt werden konnte, wer der Verbrecher war. Der Verdacht fiel auf einen Galicier, und da kann man sehen, wie fremdenfeindlich die Leute in Barcelos waren, kaum hatten sie einen Galicier erblickt, riefen sie auch schon: »Der war’s!« Der Mann wurde festgenommen und zum Tode am Galgen verurteilt, aber bevor man ihn zum Schafott brachte, bat er, zu dem Richter geführt zu werden, der das Urteil gesprochen hatte. Jener Richter, der wahrscheinlich sehr zufrieden mit sich selbst und der eingekehrten Gerechtigkeit war, gab gerade ein Festmahl, bei dem an einem Spieß ein gegrillter Hahn auf das Messer wartete. Der Galicier bezeugte noch einmal seine Unschuld, auf die Gefahr hin, damit dem Richter und seinen Freunden das Mahl zu verderben, und in seiner Verzweiflung erklärte er, alle Gesetze des Himmels und auf Erden missachtend: »Ich bin so unschuldig, wie dieser Hahn krähen wird, wenn Ihr mich hängt.« Der Richter, der glaubte, sehr gut zu wissen, wie es um einen toten, gebratenen Hahn beschaffen ist, und nicht ahnen konnte, zu welchen Meisterwerken ein ehrenhafter Hahn fähig war, lachte laut los. Allgemeines Gebrüll brach aus. Der Verurteilte wurde abgeführt, das Essen ging weiter, und als sich schließlich das Tranchiermesser dem Spieß näherte, erhob sich der Hahn, triefend von Soße, trampelte durch die Kartoffeln und krähte so lebendig und schrill aus dem Fenster, wie kein Hahn in der Geschichte von Barcelos vor ihm gekräht hatte. Dem Richter schien es, als hätten Posaunen zum Jüngsten Gericht geblasen. Er stand vom Tisch auf, rannte mit der Serviette am Hals zum Galgen und sah, dass auch dort wunderbare Mächte am Werk waren, denn der Knoten am Strick hatte sich gelöst, sehr zum Erstaunen der Anwesenden, hatte man sich doch zuvor von der Tüchtigkeit des Henkers überzeugen können.
Der Rest ist bekannt. Der Galicier wurde freigelassen, man ließ ihn in Frieden von dannen ziehen, und der Richter wendete sich wieder seinem Mahl zu, das erheblich abgekühlt war. Was wir aus der Geschichte nicht erfahren, ist das Schicksal des wundersamen Hahnes, ob man ihn in einem Akt der Dankbarkeit verzehrte oder ob er in irgendeiner Kapelle aufgestellt wurde, bis ihm irgendwann die Knochen auseinanderfielen. Sicher weiß man, aufgrund handfester Beweise, dass sein Abbild zu Füßen Christi am Kreuz des Senhor do Galo zu sehen ist und dass er in Gestalt seiner aus Ton gebrannten Nachkommenschaft zurück in den Ofen musste, um dann lebendig auf allen Märkten des Minho ausgestellt zu werden, in allen Farben, die ein Hahn haben kann.
Es gibt keinen Zweifel: Hier steht sie ja, die Legende, die all das bestätigt, das Kreuz, das ihn heilig spricht, und die Legionen aus Ton, die Beweis genug sind. Barcelos ist eine so anmutige Stadt, dass es ihr verziehen sein möge, den Galicier verurteilt zu haben, und dass sie den Hahn erschufen, bewahrte sie davor, ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Aber der Reisende, der gerade das Archäologische Museum besucht (seine Vorliebe für alte Steine ist ja inzwischen bekannt), muss auch gegen andere, ebenfalls ungerechte Strafen protestieren, wie man sie hier über die Exponate verhängt hat, indem man sie mit kleinen, in sie eingesetzten Azulejos beschildert, eine Folklorepinselei schlimmster Art. Der Reisende stellt sich vor, wie der Desterrado von Soares dos Reis mit einer Kachel vor dem Bauch aussähe oder die Venus von Milo mit einer auf dem Schenkel oder ein wilder galicischer Krieger, wie der aus Viana, mit ultramarinblau glasierten Buchstaben auf der breiten Brust. Der Reisende ist empört. Um sich zu beruhigen, geht er auf die Brücke, die er bei seinem Eintreffen kaum wahrgenommen hatte, und betrachtet den Fluss. Der Rio Cávado ist an dieser Stelle wunderschön zwischen den hohen Ufern, die den städtebaulichen Bedürfnissen noch nicht zum Opfer gefallen sind. Dort befinden sich die Wassermühle, die, vom anderen Ufer aus betrachtet, der Kargheit der oberen Stadtmauer einen menschlichen Aspekt verleiht, die Palastruinen des Paço dos Condes und die Pfarrkirche, ein schwerer, wenn auch harmonischer Klotz. Der Puls des Reisenden beruhigt sich allmählich. Diese Einfahrt nach Barcelos entschädigt für das geschmacklose Museum, dessen Direktor bestimmt ein Nachkomme des Richters ist, der den Galicier verurteilt hat.
Als er das Wasser so fließen sieht, verspürt der Reisende Durst, und als er an den Hahn denkt, Hunger. Es ist Mittagszeit. Also macht er sich auf die Suche, späht und schnüffelt umher, überall riecht es gut, aber etwas scheint hier in gewisser Weise vorherbestimmt zu sein, ein Schub von hinten, der ihn immer weiter bis an sein Ziel führt: das Restaurante Arantes. Der Reisende geht hinein, setzt sich, bittet um die Karte und bestellt: kleine Schweinefleischklöpse, die sogenannten Papas de Sarrabulho, Stockfisch mit Kartoffeln, Vinho verde. Der Wein war so, wie ein Wein sein muss, unwiderstehlich und schnell geleert. Vom soliden Stockfisch, der mit genau der richtigen Soße und den richtigen Kartoffeln auf der Platte serviert wurde, lässt sich sagen, dass er ausgezeichnet war. Aber die Papas de Sarrabulho, meine Herren, also, diese Papas de Sarrabulho, was soll man zu diesen Papas de Sarrabulho sagen, außer dass der Reisende nie etwas Köstlicheres gegessen hat und vermutlich nie wieder essen wird, denn der Mensch kann unmöglich ein weiteres Mal eine so phantastische und gleichzeitig einfache Speise kreieren, diese Weichheit, diese Festigkeit, die Kombination der vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen, die alle vom Schwein stammen und in diesem heißen Gemisch veredelt sind, das den Körper nährt und der Seele Trost spendet. Wo immer auf der Welt er sich fortan befindet, wird er Loblieder auf die Papas de Sarrabulho singen, die er im Restaurante Arantes gegessen hat.
Wer so zu Mittag gegessen hat, sollte zum Abend bleiben. Aber der Reisende muss weiter, nachdem er noch eine Runde durch Barcelos gedreht hat. Diesmal führt ihn sein Weg zur gotischen Pfarrkirche, die vernünftig restauriert ist, und wenn er sie auch als Ganzes zu schätzen weiß, so doch insbesondere jene liebliche Santa Rosália, die, so frisch, wie ihr Name klingt, in ihrer Nische lehnt, und so weiblich ist, dass ihr die Heiligkeit gar nicht besonders gut steht. In der Igreja do Terço, die zum ehemaligen Benediktinerinnenkloster gehört, bestaunt der Reisende die Azulejos aus dem 18. Jahrhundert, die António de Oliveira Bernardes zugeschrieben werden und das Leben von São Bento erzählen, das ebenfalls auf den vierzig reichverzierten Bildern an der Decke dargestellt ist. Hervorzuheben ist auch die Kanzel, die wie das Werk eines Silberschmiedes gearbeitet ist. Vergoldet und bunt, einer der seltenen Fälle, in denen der Barock seine Argumente anführt und gewinnt. Auch diese Kirche, das lässt sich allein an der Gestalt erkennen, ist das Werk jenes unermüdlichen Erzbischofs von Braga, Dom Rodrigo de Moura Teles, jener, der nur einige Handbreit groß war.
Der Reisende wirft einen Blick in eine bescheidene Kapelle und ist überrascht, einen heiligen Christophorus zu sehen, der Dom Rodrigo mit Leichtigkeit auf den Schultern hätte tragen können. Er besichtigt und bestaunt die Häuser der Adligen, die Casa do Condestável, den Solar do Apoio, sieht oben auf dem hohen Sims des Solar dos Pinheiros den Bärtigen sich die Barthaare ausreißen, und in diesem Moment stellt er fest, wie hoch die Sonne steht und wie weit er noch zu fahren hat, und beschließt, dass es Zeit ist, sich wieder auf den Weg zu machen.
Manhente erinnert an Abade de Neiva, was den Abstand zwischen Kirche und Festungsturm betrifft, aber das Portal aus dem 12. Jahrhundert hat reichere Skulpturen, es sind mehr Motive darauf zu sehen und sie sind besser gearbeitet. In Lama steht der Torre dos Azevedos, den der Reisende aber nicht betritt: Manche Eingänge sehen nicht wirklich einladend aus. Und so gibt er sich mit einer Betrachtung von außen zufrieden, die Zinnen sind angeschrägt, das Fenster aus der Renaissance, eine Festung, die sich, wenigstens für dieses Mal, nicht erobern lässt.
Die Straße führt am nördlichen Ufer des Rio Cávado entlang durch eine Gegend, die mit bloßem Auge aussieht, als bestünde sie aus Obst- und Gemüsegärten, was vielleicht aber auch gar nicht so ist; jedenfalls strotzt der Minho nur so vor Üppigkeit, sowohl jetzt im November als offenbar auch im Mai, sodass der Reisende sich vollkommen verliert inmitten all des Grüns, das sich gegen die herbstlichen Farben behauptet und am Ende als Sieger daraus hervorgeht. Braga liegt inzwischen ein ganzes Stück weit südlich, und der Reisende ist fast schon in Rendufe, als er dank einer seiner plötzlich aufblitzenden Eingebungen die Erforschung der Sitten und Gebräuche des Vogels, den wir Elster nennen, revolutioniert. Die Elster ist, wie man weiß, als Diebin bekannt. Wenn man auf ihr Nest stößt, findet man alle möglichen glitzernden Gegenstände, Glasscherben, Porzellan, alles, was das Sonnenlicht widerspiegelt. Das ist bis hierhin nichts Neues. Aber der Reisende hatte im Laufe der Reise oftmals die Gelegenheit, zu beobachten, dass diese Vögel ihr Lustige-Witwen-Gewand wie absichtlich vor ihm entfalteten. Auf der Straße nach Rendufe findet sich schließlich die Erklärung. Als die Elster den Wagen kommen sieht, wird sie ganz aufgeregt bei dem Gedanken, diese funkelnde Scherbe, die sich da auf offener Straße anbietet, mit in ihr Nest zu nehmen. Angestachelt von der Gier, spannt sie die Flügel auf, aber als er näher kommt, bemerkt sie die Unverhältnismäßigkeit zwischen ihren kleinen Krallen und dem riesigen, schnaubenden Käfer. Beleidigt und tränenüberströmt gleitet sie in den nächstbesten Baum, um ihre Enttäuschung zu verbergen. Der Reisende ist sich seiner Sache vollkommen sicher und gibt die Hoffnung nicht auf, dass eines Tages ein Vogel kommt, der groß genug ist, ein Auto samt Insassen mit in die Höhe zu nehmen, wo es dann den bunten Glasscherben Gesellschaft leisten kann. Zumal in gewöhnlichen Elsternestern auch schon Spielzeugautos gefunden wurden.
Die Freude über seine Entdeckung hält nicht lange an. Als der Reisende nach Rendufe kommt, findet er ein heruntergekommenes Kloster vor, mit einem Kreuzgang aus toskanischen Bögen, der noch schön anzusehen ist, obwohl überall Unkraut wuchert und die Azulejos von den Wänden fallen oder von professionellen Dieben abgerissen wurden, vielleicht auch von habgierigen Besuchern, denen die Erinnerungen, die sie im Kopf haben, nicht reichen. Aus der Kirche kommen Kindergruppen, von einem Vortrag oder von der Katechese, denkt sich der Reisende, sowie ein Pater, der sich mit einem Mann unterhält, der kein Pater ist, und der Reisende fühlt sich gekränkt, weil ihn niemand beachtet, weder die Kinder noch die Männer, obwohl er doch mit Hilfe der ausgezeichneten Akustik im Kreuzgang lautstark guten Tag gewünscht hat. Er betritt die Kirche und kann ihr nicht das Geringste abgewinnen, das ist die Rache. Auch sie ist eine Ruine, die Kirchenbänke zerfallen und die Orgel fast völlig zerstört. Sicherlich sind die Schnitzereien nicht schlecht, aber der Reisende ist des barocken Schnitzwerks überdrüssig, das ist sein gutes Recht, auch wenn es hier aus Rache geschieht.
Der heutige Tag geht dem Ende entgegen. Der Reisende will keine Kunst mehr sehen. Er fährt die Straße am Rio Homem entlang und hat nur noch Augen für die Natur. Er kommt durch Terras de Bouro, die Täler hier sind alle bewirtschaftet, auf der anderen Seite hinten die Berge, eine weite, ausgedehnte Landschaft, mit breiten Terrassen, die manchmal steil abfallen. Ab Chamoim verändert sich das Bild der Landschaft, es tauchen wieder spitze Felsen auf, das Wasser auf den Hängen findet keinen Humus, um sie fruchtbar zu machen. Das hohe Gebirge zu seiner Linken auf der Strecke zwischen Covide und São Bento de Porta Aberta sieht aus wie eine Mondlandschaft. Und plötzlich, ganz unerwartet, taucht dichter Wald vor ihm auf, der Forst von Gerês, hohe Bäume, die der Reisende betrachtet, während er die Straße zum Caniçada- Staudamm hinunterfährt. Der Nachmittag weicht dem Abend, die Schatten werden länger. Diese Gegend, der große, stille See, glatt wie ein polierter Spiegel, die hohen Berge, die diese enorme Masse an Wasser zusammenhalten, vermitteln dem Reisenden ein Gefühl des Friedens, wie er es noch nicht erlebt hat. Und als er, nachdem er die Straße auf der anderen Seite wieder hochgefahren ist, zurück auf diese Welt blickt, sagt er sich, dass er ein Recht darauf hat, nur weil er ein Mensch ist, allein deswegen.