Runden


Die Pinguine weigern sich zu fressen. War ja klar, dass das passieren würde. Wie lang sind die Fische jetzt tot? Zwei Tage, drei Tage, vier Tage? Auch Wasser konserviert nicht ewig, wie es scheint, selbst Salzwasser nicht. Riechen auch nicht mehr gut, und all die Schuppen im Wasser, da ist kaum mehr noch Fisch übrig. Kann es den Pinguinen nicht verdenken. Hoffentlich sind die Seelöwen, die Seehunde und die Otter nicht so wählerisch. Ich glaube zwar nicht, aber hoffe trotzdem. Will nicht darüber nachdenken.

Das ganze Aquarium sieht furchtbar aus. Moos, oder was auch immer dieses grüne Zeug ist, an allen Scheiben. Das Wasser sieht scheiße aus. Nur den hässlichen Muränen scheint das nichts auszumachen und den Krokodilen ist sowieso alles egal.

Die Elefanten machen’s auch nicht mehr lang, und es tut mir leid, aber das war von Anfang an klar. Sie sind apathisch, vor allem Bingo, stehen nur noch herum mit leeren Augen. Bilde mir ein, dass sie mich vorwurfsvoll ansehen, wenn ich vorbeigehe. Vorwurfsvoll, aber irgendwie auch, als würden sie verstehen, dass ich alles tue, was ich kann, als würde es ihnen beinahe leid tun, dass sie so viel fressen, dass sie so groß sind, so dick sind.

Wie viel ist ein Elefantenleben wert? Lässt sich das aufwiegen? Ist meine Entscheidung überhaupt richtig? Ist ein Elefantenleben gleich drei Vielfraße und zwei Zebras und ein Wolf? Die Vielfraße machen ihrem Namen übrigens eigentlich überhaupt keine Ehre: Sie können viel fressen, müssen aber nicht. Sie scheinen auch keinen Hunger zu haben. Wenn es etwas zu essen gibt, gut, dann stopfen sie wie gierige Kinder – wenn nicht, Pech. Einfache Kunden. Die Schlangen genauso. Um die mache ich mir am wenigsten Sorgen. Abgesehen davon, dass ich nicht sehen würde, wenn es ihnen schlecht geht. Hängen nur an ihren Ästen, als würden sie schlafen, fast unsichtbar, als wären sie lieber ein Baum. Wenigstens passt der Schlüssel auch in die Terrarien.

Die Bären starren mich nur an. Kein Wunder, dass es ihnen gut geht, haben erst gestern noch eine Wildkatze bekommen. Weiß nicht, woran sie gestorben ist, jedenfalls ist sie nicht verhungert. Hat mich nur gewundert, dass ihr Kollege nicht versucht hat, sie zu fressen. Lag nur da und hat mich nur angeguckt, während ich seinen steifen Mitgefangenen mit spitzen Fingern langsam aus dem Käfig gezogen habe. Das letzte, was ich jetzt brauche, ist ein Wildkatzenbiss.

Gekreische, lautes Keifen, Quietschen, wie Streiten, höre es schon hier auf der Brücke. Die Affen. Die machen mich wahnsinnig! Nie sind sie zufrieden! Sie müssten doch noch etwas haben; Salat, Gemüse, den abgemagerten Flamingo. Und selbst wenn nicht, sollen sie doch einfach ihre eigene Kacke fressen, wie dieser dicke Orang-Utan es immer macht. Scheint doch auch zu gehen. Gehe einfach weiter, in der nächsten Runde kann ich einen Blick rein werfen. Obwohl ich eigentlich nicht will, es stinkt zu sehr. Aber sie können doch auch nichts dafür. Obwohl sie mich einfach ins Gehege lassen könnten, damit ich saubermachen kann. Aber sie mögen mich nicht. Der Biss an meinem Unterarm schmerzt immer noch extrem. Bin kein Experte, aber glaube, er entzündet sich. Pocht, sifft, riecht etwas. Immer noch genauso empfindlich wie gestern, es wird nicht besser.

Aber wie auch? Mein Körper hat ja kaum mehr etwas. Kann meine Rippen durch drei Schichten Kleidung spüren. Wollte immer schlank sein, aber das ist definitiv zu viel. Beziehungsweise zu wenig. Muss wieder essen. Dringend. Oder Milch trinken. Mal sehen, ob ich mir ein wenig mit dem kleinen Nilpferd teilen kann. Die scheinbar Flusspferde heißen, zumindest steht das auf dem Schild.

Diese Instant-Milch ist ein Segen. Verdirbt nicht, nur Wasser dazu, fertig. Mag nur kaum jemand. Ich auch nicht wirklich, widerlich dickflüssig, aber besser als nichts. Hoffe nur, es bleibt dann noch genug für den Kleinen. So furchtbar niedlich. Glaube, er freut sich, wenn ich komme. Seiner Mutter bin ich egal. Oder ist es sein Vater? Keine Ahnung. Aber Männchen sind aggressiver, wahrscheinlich, habe da irgendwann mal eine Dokumentation gesehen. Auch egal, gibt wichtigeres. 

Muss essen. Und schlafen, dringend schlafen. Aber alles hier hält mich wach. Muss meine Runden gehen, wieder und wieder. Es sind verdammt viele Tiere hier. Sie haben doch niemanden. Irgendjemand muss sich doch kümmern und jetzt bin nun mal hier. Muss trotzdem schlafen, dringend schlafen. Kann schon während des Gehens kaum die Augen offen halten. Glaube manchmal glaube, ich schlafe schon längst. Und dann schrecke ich wieder hoch.

Es ist erstaunlich laut hier. Immer. Auch nachts. Natürlich, es gibt nachtaktive Tiere, aber das erste Mal, dass mir ein Löwe entgegengesprungen ist, riesig und haarig und knurrend und mit seinen monströsen Pranken gegen die Metallstäbe, dass es nur so „Klong!“ gemacht hat; da bin ich schon in mich zusammengesunken. Dachte, es ist vorbei. 

Danach war es schon wieder egal. Wie es aussieht, werden die Löwen vor mir sterben. Sage das nicht, weil ich das gut finde, aber kann nichts dagegen tun. Gleiches Problem wie bei den Elefanten: Sie sind zu groß, fressen zu viel. Obwohl ich natürlich versuchen könnte, ob sie die Pinguine fressen, wenn sie sterben. Vielleicht sind Pinguine ja etwas ganz Besonderes, gefressen haben sie sie bestimmt noch nicht. Vielleicht mögen sie ja Pinguine. Vielleicht schmecken Pinguine ja wie Geflügel. Geflügel mögen sie definitiv. Die Eisbären lassen sich damit natürlich nicht beeindrucken, die haben wahrscheinlich schon genug kleine Watschelvögel für den Rest ihres Lebens gemampft. Also Löwenfutter. Lässt sich ja auch nicht aufhalten. Wie viele Pinguine sind ein Löwe? Was ist sinnvoller? Und was bekommen dann die Eisbären? Vielleicht einen von den nervenden Affen.

Das Baby-Flusspferd mag mich wirklich. Ich mag es auch, obwohl ich mir fast sicher bin, dass es vor allem das Essen mag, was ich ihm bringe. Aber das ist in Ordnung. Freue mich, dass sich das Kleine freut. Es grunzt dann ein wenig, quietscht. Das bringt mich zum Lachen. 

Es nuckelt, sabbert kaum, ein sauberes Tierchen. Streichle es zwischen den Ohren, während es so zwischen meinen Beinen sitzt, nass und schwarz und glänzend und glitschig. Es fühlt sich ein wenig kalt an. Das Wasser ist auch hier viel zu kalt, überall sehe ich kleine Nilpferdköttel schwimmen. Notiz: In der nächsten Runde Nilpferdköttel aus dem Nilpferdwasser holen. Das Kleine soll es schön haben. 

Biete Mama oder Papa – welche Rolle spielt das schon? – ein wenig Milch an. Will nicht. Hat diesen Ausdruck in den Augen, den auch die Elefanten haben. Will nicht darüber nachdenken. Vielleicht findet sich während der nächsten Runde ja Futter für ein erwachsenes Flusspferd.

Bleibe auf dem Weg zur Brücke bleibe kurz bei den Störchen stehen. Sieht alles in Ordnung aus. Denke, wenn es zuviel wird, werde ich die Vögel fliegen lassen. Weiß nicht, ob sie sich überhaupt selbst versorgen können, wahrscheinlich kennen sie nichts anderes als das hier, wahrscheinlich macht ihnen die Welt Angst, wahrscheinlich sterben sie auch in ein paar Tagen. Aber vielleicht sehnen sie sich ja auch danach, noch einmal in Ruhe zu fliegen, einmal Eule, Kranich, Wellensittich zu sein, keine Ahnung. Vielleicht ein letzter Gefallen. Vielleicht auch nicht. Vielleicht bleiben sie auch einfach. Werden sehen.

Lehne mich oben auf der Brücke mit der Stirn gegen das kühle, angelaufene Plastik und starre nach unten. Dort ist die Autobahn, aber sehe gerade nur Schwarz. Mehr nicht. Schwarz. Fast, als hätte ich die Augen zu. Fast, als würde ich schlafen. Atme ein wenig durch. Entspannend, ruhig, kühl hier oben. Auch die Affen halten gerade ausnahmsweise einmal die Klappe. Fast, als würde ich schlafen.

Aber muss weiter. Gehen. Runden. Es ist wieder Zeit, bei den Elefanten vorbeizuschauen. Diese Blicke. Will nicht, aber muss.