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Ich hatte mir bei Johnny ein Sudoku-Rätselheft gekauft. Als ich vor der Kasse stand, spürte ich einen Anflug von schlechtem Gewissen. Wer im Urlaub Sudoku-Rätselhefte kauft, der weiß vor lauter Langeweile nichts mit sich anzufangen und ist ein völlig unkreativer Mensch ohne ausreichende soziale Kontakte. Meine Seelenpein wurde allerdings gemildert, als der Glatzkopf mit dem Achselhemd, der vor mir an der Kasse stand, eine Coupé auf das schwarze Rollband legte. Nee, dann doch lieber Sudoku.

Das Frühstück war abgeräumt, die Kinder unterwegs. Als ich mit dem abgetrockneten Geschirr aus dem Waschhäuschen kam, saß Anne mit gezücktem Kugelschreiber vor meinem Rätselheft. Ich überlegte gerade ernsthaft, ob ich zu Johnny gehen sollte, um ein zweites zu kaufen, als die beiden Polizisten in unser Vorzelt traten.

»Goedemorgen! Dürfen wir reinkommen?« Gute Frage, wenn man schon im Vorzelt steht. Na ja, klingeln wäre auch schlecht möglich gewesen. 
Anne legte den Stift beiseite. »Ja natürlich. Nehmen Sie Platz. Möchten Sie einen Kaffee?«

Der Inspecteur nickte.

»Gerne«, sagte die Frau.

Anne musterte den Inspecteur möglichst unauffällig, aber ich war mir sicher, dass sie gerade dachte, warum um alles in der Welt sich ein Beamter der Mordkommission, oder wie das auch immer in Holland heißen mochte, so kleidete: Er trug eine nicht gut sitzende Jeans, Brooks-Laufschuhe und ein farbloses Hemd. Es war wirklich farblos. Es war nicht blau, es war nicht weiß, es war nicht mal grau. Und der Inspecteur hatte keinen Dreitagebart, er war einfach unrasiert. Ich vermutete, dass der Mann der Chef war, aber vielleicht hatte ich auch nur zu viele Schimanski-Krimis gesehen.

Ich machte zwei weitere Kaffee. »Nimmt jemand Zucker?«

»Ja bitte«, antwortete die Polizistin. Sie war rein optisch das genaue Gegenteil ihres Kollegen. Sie war schlank und sportlich, trug einen blauen Blazer über einer hellblauen Bluse, eine weiße Jeans und dunkelblaue Tods. Ihre Frisur war, nun ja, … perfekt.

»Sie heißen Anne und Bernhard Lehnen, von Beruf Hausfrau und Journalist, ist das richtig?«

»Das stimmt«, antwortete ich mit fester Stimme.

»Um die Frage des Inspecteurs vorwegzunehmen, warum macht ein Journalist Campingurlaub?«, wollte Annemieke wissen. Aha, er war tatsächlich ihr Chef.

»Weil auf einem Campingplatz die ganze Familie Urlaub hat. In einem Hotel ist man rund um die Uhr der Animateur der eigenen Kinder.«

Sie musterte mich. »Also nur wegen der Kinder?«

»Nein, nicht nur. Aber was will ich im Urlaub? Ich will lesen, joggen, segeln. Man macht was mit der ganzen Familie, oder jeder für sich hat was zu tun. Das ist für mich Urlaub.«

Der Inspecteur brachte zum ersten Mal die Zähne auseinander: »Sie segeln?«

»Ja, wir haben zusammen mit einem befreundeten Ehepaar ein Segelboot in Oostwatering.«

»Wie heißt das befreundete Ehepaar, und wo wohnt es?«

»Albert und Gisela Scheufel«, sagte ich. »Sie wohnen auf Camping de Wilgenveld in Serooskerke.«

»Seit wann segeln Sie?«

Ich überlegte kurz. »Seit sechs Jahren. Wenn man jeden Quadratmeter Fahrradweg in Walcheren kennt, dann muss man sich was Neues überlegen.«

Der Inspecteur nahm seine Tasse Kaffee und gab damit zum Ausdruck, dass er nicht vorhatte, die nächste Frage zu stellen. Die Polizistin ließ sich nicht zweimal bitten.

»Frau Lehnen«, sagte sie an Anne gewandt, »Sie haben im Mai hier ein Frauen-Camping veranstaltet.«

»Ja, das haben wir, und das wissen Sie auch schon, sonst hätten Sie diese Frage ja nicht gestellt. Wir haben uns mit fünf Frauen über Pfingsten hier auf dem Platz getroffen. Das haben wir zum ersten Mal gemacht. Normalerweise sind die Väter mit den Kindern unterwegs.«

»Richtig, das wissen wir«, sie schaute kurz in ihre Unterlagen, »und dabei haben Sie Andrea Heinrichs kennengelernt.«

Anne nickte. »Sie war mit der Tochter ihres Freundes hier, auf den Saisonplätzen. Wir haben sie im Wollladen in Noordkapelle kennengelernt, und wir haben die Tage zusammen verbracht.«

Die Polizistin machte sich Notizen. »Was wissen Sie über Frau Heinrichs?«, fragte sie dann.

»Nicht sehr viel«, gestand Anne. »Sie ist … sie war Friseurin in Oberhausen.«

»Hatte sie früher schon einmal Urlaub auf de Grevelinge gemacht?«

»Ja, sie war auch im Vorjahr schon hier, damals noch mit ihrem Mann. Sie lebte in Scheidung. Das hat sie mir erzählt.«

Der Inspecteur wurde ungeduldig. »Gab es irgendeine Beziehung zwischen Andrea Heinrichs und Coen Rimmel?«

Anne zögerte. Unsere Blicke trafen sich, und ich hoffte, dass sie in meinen Augen erkannte, was ich ihr zu verstehen geben wollte: Sag es!

»Es gab eine besondere Beziehung von Coen Rimmel zu jeder von uns. Wir waren jeden Abend in der Kantine.« Anne schaute mich an. Vielleicht nickte ich, aber ich weiß es nicht mehr. »Die Kinder spielten Billard, oder sie haben gekickert«, erzählte sie dann, »und wir haben Bier getrunken, Grimbergen. Jeden Abend. Aber es war gar nicht so viel Alkohol im Spiel. Ich glaube, beim Papa-Urlaub ging es ganz anders zur Sache.«

Der Inspecteur winkte ab. »Aber es ging trotzdem zur Sache.«

»Das weiß ich nicht.« Anne hob die Schultern. »Wir haben ein bisschen geflirtet …«

»Mit Coen?«, fragte die Polizistin.

»Mit wem sonst?« Anne wirkte jetzt beinahe trotzig. »Wir haben getanzt, wir haben getrunken, wir haben geflirtet.«

»Und mehr war da nicht?«

»Das weiß ich nicht.«

»Was wissen Sie nicht?«

Anne legte das Sudoku-Heft zur Seite, vielleicht um zu demonstrieren, dass sie jetzt reinen Tisch machen würde. »Am letzten Abend, nach dem ›Maag ik de Rekening van U?‹, da verabschiedete sich Coen mit den Worten: ›Ich hoffe, ihr hattet alle schöne Tage in Holland. Eine von euch hatte jedenfalls eine wunderbare Nacht mit mir!

»Haben Sie mit Coen geschlafen?«

»Nein, das habe ich nicht! Und auch wenn Sie mir diese Frage gestellt hätten, wenn mein Mann nicht dabei gewesen wäre«, sie warf mir einen kurzen Blick zu, »dann wäre die Antwort dieselbe gewesen. Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, wer es gewesen sein könnte. Ich weiß es nicht.«

»Andrea Heinrichs?«

Anne schüttelte den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen. Sie hatte mir erzählt, dass sie gerade in Scheidung lebt. Weil sie diesen Mann getroffen hat, der so ganz anders war. Ich glaube nicht, dass das die Situation ist, in der man mal eben so im Urlaub ein bisschen fremdgeht.«

Der Inspecteur stand demonstrativ auf.

Ich war gerade sehr stolz auf meine Ehefrau, und trotzdem hatte ich das Gefühl, ich müsste ihr noch irgendwie helfen. Auch ich stand auf und sagte: »Wir sind erst an dem Tag angereist, als der Mord an Coen passierte, und als wir auf den Platz kamen, da war die Polizei schon da.«

»Ich glaube, ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Noch brauchen Sie kein Alibi«, antwortete der Inspecteur.

Die beiden ungleichen Polizisten gingen so unangemeldet, wie sie gekommen waren. Ich nahm Anne in den Arm, und sie legte ihren Kopf an meine Schulter. »Ich habe ihnen alles gesagt«, flüsterte sie.